Sven Heinzig

Brücke von Varvarin

Sie hatte Träume. Träume von einer Karriere vielleicht im Ausland. Sie war eine der Besten Ihrer Klasse besonders in Ihrem Lieblingsfach in Mathe. Gerade einmal 15 Jahre alt, da blieb noch viel Zeit im Leben. Für die erste große Liebe, den ersten heimlichen Kuss, berufliche Zukunft und die Art zu erleben, wie der Frühling den Winter ablöst. Vieles ging Ihr nun durch den Kopf, als Sie vor dem Spiegel stand, um die letzten Handgriffe am Make up und den Haaren zutun. Sie wollte nachher mit zwei Freundinnen auf den Markt, wie schon sooft. Ein Volksfest besuchen und ein wenig Spaß haben, was ja nicht selbstverständlich ist in einer Zeit wie dieser. In Ihrem Land herrscht Krieg zwar einige Kilometer weit weg, aber eben in Ihrem Land. Immer wieder sahen und hörten sie das Motorengeräusch von Maschinen die den Luftraum durchflogen. Um irgendwo Ihre unheilbringende Fracht abzuladen. Ab und zu hörte man auch Detonationen, aber weit genug weg. Gerade weil es hier nichts gab, was für irgendeine Kriegsseite wichtig gewesen wäre hatte sie Ihre Mutter aus der Stadt geholt. Hier war es sicherer. Während Ihre Mutter in der Küche hantierte war sie nun zufrieden mit Ihrem Aussehen. Ihre Mutter würde später nachkommen. Doch Ihre Freundin und sie wollten den schönen Tag nutzen und zu Fuß über die Brücke zum Markt laufen. Fröhlich verabschiedete sie sich von Ihrer Mutter und sagte bis nachher. Das nächste was Ihre Mutter hörte war, dass sie die Brücke bombardiert hätten. Die Brücke ? Musste nicht Ihre Tochter über die Brücke, um ins Dorf zu gelangen. Nein, sie war sicher längst drüber gewesen. Was man in diesem Moment fühlt kann wahrscheinlich niemand nachvollziehen noch nicht mal man selbst. Sie eilte zur Brücke immer vor sich hinmurmelnd lass Ihr nur nichts passiert sein. Dort ist die Unglücksstelle überall Menschen, die das Grauen in Ihren Gesichtern erneut aufleben lassen. Brach liegt die Brücke, brach liegen die Nerven. Nur die eine Frage, wo ist meine Tochter. Nach und nach erfährt man im Dämmerzustand die grausigen Einzelheiten. Fast lautlos waren sie gekommen und haben die von Zivilisten überquerte Brücke bombardiert. Einfach so ohne Warnung, ohne Rücksicht und ohne Herz. Selbst als die Helfende herbei eilten, um zu helfen legten sie eine zweite tödliche Schicht über sie. Dann erledigt was sie zutun hatten flogen sie zurück, vielleicht zu Ihren Familien und zu Ihren Kindern. Zurückbleibt an einem sonnigen Tag und im Zeichen eines Volksfest nur die entsetzte Menschenschar. Einige die nach Ihren Liebsten suchen, einige die sich dem makabren Schauspiel nicht entziehen konnten oder Andere die einfach nur helfen wollen. Doch weit und breit kein Militär nix was es auszulöschen gab nur das Leben unschuldiger Zivilisten. Und in all dem Chaos stolpert sie herum und sucht Ihre Tochter. Zwischen Toten, Verletzten suchen Ihre Augen nach dem Vertrauten. Wo ist Sie ? Sie findet in Ihrer Ohnmacht eine Freundin, die Ihr zuruft sie ist da drüben irgendwo. Im Flussbett neben den schweren, mächtigen Trümmern der Brücke liegt sie. Sie wirkt so schmächtig so verletzlich. Doch sie atmet noch. Hoffnung. Schnell so helft Ihr doch. Ihre Tochter spricht leise und auch sie zu Ihr. Ein Sanitäterwagen bringt die Beiden in ein Krankenhaus. Alle kämpfen dort, um Ihr junges Leben. Ärzte, die alles tun, um diesen sonnigen Tag nicht zu einer dunklen, blutigen Narbe verkommen zu lassen. Die Mutter betet und immer wieder die Frage nach dem Warum. Ihre Tochter hatte doch so viele Träume. Sie hatte nur noch den Traum leben zu dürfen. Sie haben Ihr alle Träume genommen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.04.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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