Wieso soll ich nicht? Soll ich? Ich nicht? Nicht? Die Welt schien sinnlos, Orientierung unmöglich.
Alles möglich, ausser: "Herrgott, wieso gerade er, mein Sohn, wieso er?". Traurigkeit, schwarze Kleidung.
Alles erklärbar, ausser: Wieso? Und Er. "Gott verzeiht, seine Barmherzigkeit vergibt auch Sündigen", sagt
die schwarze Kleidung. Die Traurigkeit schweigt. Und den Überforderten hört niemand zu, ihnen glaubt niemand. Sie
haben keine schwarze Kleidung mehr, auch keinen Gott. Aber die schweigende Traurigkeit kennen sie.
"Danke", "bitte, macht neunundfünfzig Franken fünfundneunzig". Und kreiert eine eigene Welt, eine virtuelle
Heimat, einfach überblickbar, klar definiert, limitiert. Ersetzt die schwarzen Kleider. Und lässt sich durch
einen Knopfdruck Neustarten. Sogar Zwischenspeichern. Am Vortag, einem Samstag, trafen sie sich noch abends im Pub,
wie immer am Samstag. Es wurde viel gesprochen, über das Leben, die Arbeit, den Scheiss. Weniger über das Leben,
die Zukunft. Gar nicht über Traurigkeit. Alkohol machte sie schweigend. Sie verstehen sowieso nichts von ihr,
dachte er. Also sprach er über das Leben, die Arbeit, den Scheiss. Und fühlte sich irgendwie geborgen, in ihrer
Welt. Ihre Welt, einfach, überblickbar, limitiert. Immer am Samstag im Pub. Über Ostern in die Berge. Im Sommer
in den Süden. Wie jedes Jahr. Wie wenn ein Neustart möglich wäre, auf Knopfdruck. Eine heile Welt ohne Bedarf an
schwarzer Kleidung. "Wieso nicht meine Welt?", dachte er immer wieder. Und daraus entwickelte sich
langsam der tödliche Gedanke: "Wieso soll ich nicht?". Logisches Denken war seine Stärke. Informatik-Studium,
leichtgefallen. Job gefunden - logisch denkende Computerspezialisten sind gefragt! Und die Liebe? Kapituliert.
"Danke", "ihre Mitgliedschaft bei virtual-girls.com wurde um einen Monat verlängert". Einen Monat, das sind zwischen
achtundzwanzig und einundreissig Betätigungen des Instinkt-Restart-Knopfs. Zwischen achtundzwanzig und einundreissig
Schläge in Gesicht der wehrlos brachliegenden, schweigenden Traurigkeit. Und so weiter - Kreditkarte belasten, kaufen,
die lächerlichen Träume anderer erfüllend weitermachen. Am Samstag erzählen, vom neuen Satz Winterreifen, von anderem
Materiellen. Und wieder Alkohol, wieder der einzige Weg, die Zweifel an der Richtigkeit zu überwinden. Und dann diese
anderen, die Mitarbeiter in der Firma, welche an logisch denkenden Computerspezialisten interessiert war. Querdenker,
geniale Lebenskünstler, alles gefragte Persönlichkeiten. Aufgewachsen in der Stadt, urbane Lebenskünstler. Ständig auf
Achse, von Happening zu Happening surfend. Online informiert, familiär geborgen, dämlich verliebt, die ihnen gebotenen
Möglichkeiten nutzend. Glücklich. "Wieso nicht meine Welt?", dachte er. Immer wieder. Dabei durchschaute er sie,
sah Teile ihrer Fassade bröckeln - und doch, geblendet vom Happening wirft das Licht einen grossen Schatten bis zur
nächsten blendenden Quelle, dieses abwechselnde Spiel von hell und dunkel lässt keine Orientierung mehr zu, lässt die
eigenen Lügen glauben. Eine Art Restart-Knopf. Ähnlich wie Alkohol. Oder der Ski-Urlaub über Ostern. Solche Gedanken
plagten ihn. Das Gefühl, dazwischen zu sein, legte ihn lahm. Er sprang.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.04.2004.
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von Iris Bittner
Ich bin nur ein armer Poet
reime und schreib hie und da ein Gedicht.
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So beginnt die Autorin dieses Buch mit vielen kürzeren oder längeren, aber meist heiteren Gedichten über die vielen All-täglichkeiten, die sie - und wie wir beim Lesen festellen - auch uns bewegen und beschäftigen. Doch unversehens werden die Texte ernster [...]
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