Annett Boger

Der ideale Mann

Schon meine Großmutter hatte mich dazumal trotz oder gerade wegen ihres fortgeschrittenen Alters erstaunlich präzise in das eingeweiht, was kommen würde. 'Mädchen', hatte sie gesagt, 'Ehe bedeutet lebenslänglich.'
Obwohl sie eine konservative, im Geiste Wilhelminischer Werte erzogene Frau gewesen war, bin ich mir heute nicht mehr so sicher, ob in ihren Worten nicht doch eine Doppeldeutigkeit mitschwang. Sie jedenfalls hatte es geschickt verstanden, den Großteil ihres Lebens gefängnisähnliche Zustände zu vermeiden. In jungen Jahren hatte sie einen fast 30 Jahre älteren Mann geheiratet, welcher vom Leben stark mitgenommen war, erfüllte seinen größten Wunsch und gebar ihm zwei Söhne, worauf er bald glücklich und schmerzlos verschied und seiner Gattin ein nicht unbeträchtliches Vermögen hinterließ. Den Rest ihres Daseins verbrachte sie damit, mit ihren Freundinnen zu schwatzen, Bingo zu spielen und Haushalt sowie Söhne nach ihren Vorstellungen zu organisieren. Sozusagen als heimliche, kleinbürgerliche Vorläuferin der heutigen emanzipierten Frauen, allerdings ohne das brachialselbstbewußt angestrebte Schicksal der modernen Frau von heute teilen zu mögen, nach fünf Jahren Hausfrau, Mutter, Sexgöttin und Karriereweib mindestens einen Fuß in der Nervenklinik zu haben.
Diese Erkenntnis ging mir erst Jahre nach dem Tod meiner Großmutter auf, die angesichts zweier lebenstüchtiger, studierter Kinder und des Bewußtseins, nach ihrem Gutdünken gelebt zu haben, zufrieden mit sich und der Welt entschlafen war.
Ich jedenfalls glaubte an die große, ewige Liebe, die sich in einer auf Gleichberechtigung, Achtung, Arbeitsteilung, gemeinsamen Hobbys und Interessen gegründeten Ehe manifestieren sollte.
Die Ewigkeit dauerte knapp fünf Jahre, aber nur deswegen, weil ich jung, belastbar und verträumt war. Mein Mann, ein schicker, begehrenswerter, unergründlich stiller Kommilitone, hatte einen Hafen gesucht, in den er nach erfolgreichen Beutezügen unbehelligt einlaufen konnte. Erst als eine seiner Freundinnen frech bei mir anrief und von mir verlangte, das Feld zu räumen, ging mir ein Licht auf, daß meine romantischen Anwandlungen wohl nicht auf Gegenseitigkeit beruhten. Mein Gott, war ich damals naiv!
Nach der Scheidung lag ich völlig zerstört am Boden, schlug mir die große Liebe aus dem Kopf und beschloß, mich nicht mehr zum Arbeitssklaven und Kindermädchen degradieren zu lassen.
Aber ganz unbeachtet möchte wohl keine Frau auf Dauer sein - was kommt einem in solcher Situation also gelegener als ein langjährig Verheirateter. Frustriert von ehelicher Routine und Langeweile und ausgehungert genug, um die Geliebte wie eine Offenbarung anzuhimmeln, aber zu feige vor dem Verlust seines Images als fürsorglicher Familienvater sowie der Desertion seiner Haushälterin, um seine Eroberung mit Zukunftsplänen zu behelligen.
Ein angenehm anspruchsloser Zustand - für eine gewisse Zeit. Nach individuell verschiedener Dauer jedoch wird das Gefühl immer deutlicher, benutzt zu werden - vor allem zum Abladen der wohl durch alle Kulturen und sämtliche Jahrtausende gleichen Geschichte von der trägen, frigiden Ehefrau, an die Mann nur gemeinsame Kinder und ein verantwortungsvolles Schuldbewußtsein fesseln.
Man fragt sich bald, ob es nicht einen Mittelweg zwischen Angekettetsein und Vogelfreiheit, eine Alternative zum dumpfen Fernsehdödel oder umtriebigen Sexprotz gibt.
Wie sollte er also sein, der ideale Mann?
Natürlich muß er gut aussehen, sollte gepflegt und begehrt sein, den Neid jedes anderen Weibes auf der ganzen Welt hervorrufen können und doch nur in uns verliebt sein. Er sollte eigenes Geld verdienen - je mehr, desto besser -, sollte erfolgreich im Beruf sein, aber genügend Zeit haben, sich um uns zu kümmern - selbstredend nur, wenn uns gerade danach ist. Er sollte uns jeden Wunsch von den Augen ablesen, mit unseren sexuellen Vorstellungen genauso selbstverständlich umgehen können wie mit wochenlanger Migräne, sollte für Kinder ein guter Freund sein, wenn wir Mütter sind und Nachwuchs ablehnen, wenn uns nicht mehr danach ist. Er sollte Haustiere mögen, ein Galadiner genauso wertschätzen wie unseren halbgenießbaren Kochbuch-Test und sehr wichtig: Er sollte sich für unsere Freizeitinteressen begeistern ohne davon auszugehen, daß wir ihn andauernd an unseren Aktivitäten teilhaben lassen wollen.
Sie sind von dieser Charakterisierung begeistert und der Meinung, ich hätte es genau auf den Punkt gebracht?
Dann werden Sie niemals mitbekommen, daß der Mann, den wir suchen, ganz unscheinbar in unserer Nähe sein könnte. Wir werden ihm begegnen, wenn wir das Kapitel "Mann für die Ewigkeit" gerade für immer aus dem Inhaltsverzeichnis unseres Lebens gestrichen haben, werden eines Morgens neben jemandem aufwachen, dem weibliche Schlafwandelei und fremdes Schnarchen nichts ausmachen, der matschiges Müsli mit genau der gleichen stoischen Ruhe erträgt wie unsere Lieblingssongs von Celine Dion, der uns mit Brille, struppigen Haaren und Schlabberpulli fast genauso sexy findet wie mit Wonderbra und Stöckelsandalen, der unsere Macken erträgt und den unser Schlankheitsfimmel belustigt.
Und dem es reicht, unser bester Freund zu sein.



Februar 2001

In meinen Geschichten versuche ich zu ergründen, was den Menschen (speziell die Frau) in Glück und Unglück treibt.
Besonders interessieren mich Tragik und Humor alltäglicher Situationen/ Verhaltensweisen.
Annett Boger, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.01.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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