Hans-Jürgen Rüstau

Die schönsten Augen dieser Welt (2) Die Begegnung



Die Begegnung

Dieser Herbsttag, welcher eine so überraschende Wendung für mich nahm,
fand in den Abendstunden seine Fortsetzung.
Ich muss, dazu sagen es war ein sehr angenehmer Tagesausklang.
Den ganzen Tag über, nachdem Anka eine Leere in meiner Wohnung
zurückließ, an die ich mich sehr schwer gewöhnen konnte, machte ich
mir Gedanken, wie ich ihr bei unserem heutigen Abenddate gegen-
übertrete, baute regelrecht in meiner Phantasie diese Begegnung auf.
Was erwartet mich in ihren eigenen vier Wänden, wie lebt dieses
außergewöhnliche Mädchen?
Welche Musik hört sie, welche Bücher liest sie?
Ich muss sagen, im gesamten Tagesverlauf schwirrten die Gedanken mir,
wie Bienen im Kopf herum und Anka war die größte und schönste aller
Bienen, die mich beschäftigte, die Königin.
Dieser Tag war für die normale Arbeitsproduktivität, welche ich täglich
bewältige, gelaufen.
Ich mutierte zum Träumer, der seinen Träumen willenlos erlag, nur noch
auf einer Wolke durch den Tag schwebte, den Abend erwartend.
Das klingeln des Telefons riss mich jäh aus dieser Traumwelt und brachte
mich zu einem Absturz von meiner Wolke, in der Form, dass ich mich in
der Telefonschnur verhedderte und mit dem Telefon tosend zu Boden
ging.
Der Anrufer muss dieses ganze Drama live miterlebt haben und hat
wahrscheinlich erschrocken, von meinem Fluchen, schnell das Telefon
wieder aufgelegt.
Er hat sich auch in der Folgezeit nicht wieder bei mir gemeldet.
Zu diesem Zeitpunkt hoffte ich nur, dass der Anrufer nicht Anka gewesen
sei.
Meine außergewöhnliche Fluchparade, nach meinem Absturz aus Wolke
Sieben wäre mir recht peinlich gewesen, wenn sie es gehört hätte.
Die Tageszeit war wie im Flug vergangen, abgesehen von meiner
unsanften Landung im Zimmer.
Ich begann also, nun schon unter gewaltigen Zeitdruck, da ich den
gesamten Tag verträumt hatte, mein Zusammentreffen mit Anka
vorzubereiten.
Zähne putzen, duschen, rasieren, immer wieder auf die Uhr schauend, um
ja nicht die Zeit zu verpassen.
Denn wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, oder die Getränke sind
alle oder so ähnlich.
Ein wenig Düftelü hier, ein wenig Düftelü da.
Ich war fertig.
Bei Anka vor der Wohnungstür strömte ein Duft durch die Ritzen, welchen
ich nicht irgendeiner Speise zuordnen konnte.
Es roch jedenfalls gut und mein Magen, der bestimmt mit meiner Nase auf
irgendeine unerklärliche
Weise verbunden war, machte sofort gewaltige Trampolinsprünge, was
wiederum sich in lauten
Geräuschen äußerte. Nicht durch diese Geräusche, sondern durch mein
klingeln gerufen, öffnete Anka die Tür.
Sie sah noch bezaubernder aus, als mein Erinnerungsvermögen die
Erscheinung des Morgens nachvollziehen konnte.
Anka hatte ein cremefarbenes, kurzes Kostüm an und zum ersten mal sah
ich, dass die großen Augen, der sinnliche Mund auch wunderschöne
geradlinige Beine hatte, die von einer Naht den Strümpfen entlang nur
noch mehr betont wurden.
Der kurze Rock ließ eine eingehende, wenn auch eine nicht
abschließende Betrachtung zu.
Sie sah meine Blicke, genoss sie und ihr Gesicht wurde von einer Röte
überzogen, was wiederum ihre Augen wieder in den Mittelpunkt stellten.
Dieses mal auch etwas unsicher, sagte sie zu mir, komm doch rein oder
wollen wir uns im Treppenhaus häuslich niederlassen?
Nö, sagte ich, denn ich wollte ja den Ursachen dieses mir noch
unbekannten Geruches auf den Grund gehen.
Ging also kurz entschlossen in ihre Wohnung. Was jetzt kam, war für mich
überwältigend.
Das Mädchen hatte es geschafft in einer derartig kurzen Zeitspanne die
ehemals leere Wohnung in eine gemütliche Oase zu verwandeln.
Ich fühlte mich in dieser Atmosphäre sofort heimisch.
Um den Leser nicht mit einer Aufzählung der gesamten Einrichtung zu
langweilen, verzichte ich weitgehend darauf.
Die Einrichtung ist eine gelungene Synthese von einem Studierzimmer und
einen sehr gemütlichen Wohnzimmer.
Überall Bücher, viele CDs und Plakate an den Wänden, welche ihren
christlichen Glauben zum Ausdruck bringen.
Ich stand also inmitten ihres Wohnzimmers und sah mich ungeniert um.
Setz dich doch bitte, sagte sie und eilte hektisch in die Küche.
Während ich mich auf das Sofa setzte, brachte sie Teller ins Wohnzimmer,
entschwand wieder flink.
Dabei redete sie unaufhörlich.
Ich verstand nur, sie hätte uns Pizza gemacht.
Ah, daher dieser wirklich appetitanregende Geruch; und schon hatte ich
ein Riesenstück Pizza auf dem Teller.
Anka brachte eine Flasche Wein und den Korkenzieher.
Machst du bitte einmal auf, fragte sie und ohne eine Antwort ab zuwarten
raste sie wieder los um die Gläser zu holen.
Ich wollte noch sagen, selbstverständlich mache ich die Flasche auf, aber
sie war schon wieder außer Hörweite.
Es war ein guter Tropfen Wein, ein Chardoney aus Kalifornien, trocken,
fruchtig, behaglich wie die gesamte Atmosphäre bei Anka.
So, stoßen wir nun auf unsere erste Begegnung an, fragte Anka?
Gleichzeitig fingen wir an zu lachen, an die äußerst komische erste
Begegnung denkend.
Die Spannung die erst über dem Raum lag, war wie weggefegt und eine
lange Unterhaltung begann, die wann auch immer wir Zeit hatten
fortgesetzt haben.

Wieder zu diesem Abend.
Anka erzählte mir von ihrem kleinen Dorf in Mecklenburg, wo sie geboren
wurde.
Sie erzählte wie schwer sie es hatte, inmitten von sechs Kindern, wo sie
mit ihrem Zwillingsbruder die jüngsten waren, aufwuchs.
Es war eine Erzählung über ein Leben, welches viele Ecken und Kanten
hatte.
Eine Erzählung, die einer Lebensgliederung gleichkam, denn Anka
erzählte mir immer nur Splitter ihres Lebens, oberflächlich aber
beeindruckend.
Mehr davon würde sie mir später erzählen, an Abenden wie diesen.
Ich sagte ihr, dass ich mich ganz besonders darauf freue, was ich wirklich
ja auch tat, denn Anka konnte erzählen und ich saugte jedes Wort von ihr,
wie ein Staubsauger begierig auf.
Wollte kein Wort versäumen, denn jedes Detail ihres Lebens erschien mir
von da ab sehr wichtig.
Die Zeit war verronnen, die Uhr zeigte dreiviertel Eins, Zeit um ins Bett zu
gehen.

Ein toller Abend,
was will ich mehr.
Essen, Wein, Freunde,
ich brauch‘ es so sehr.
Stunden geredet, Musik pur und d u,
auf dem Boden gelegen,
ich hörte dir zu.
Reden am Abend, reden in der Nacht,
es hat mich dir viel näher gebracht.
Eine wahnsinnige Nähe und doch Distance,
darf ich dich bitten um noch einen Tanz?
Dem Tanz der Tänze,
allein nur mit dir.
Ein Leben auf der Überholspur,
nicht im irgendwo, sondern heute und hier.
Du bist gegangen, ich blieb allein zurück.
Spürte ein Druck zwischen Magen und Herz,
nenne es einfach nur Glück.


Von diesen wunderbaren Wein hatten wir beide zwei Flaschen getrunken.
Beachtlich, denn beim Reden vergeht die Zeit und der Wein lockert die
Zunge, macht ein wenig hemmungsloser.
Ich jedenfalls war so hemmungslos, ihr beim Verabschieden an ihrer
Wohnungstür einen Kuss auf ihre Wange zu drücken, den sie umgehend
erwiderte.

Ich war glücklich einen derartig interessanten Menschen begegnet zu
sein, vor allem einer Frau, die mein Herz höher schlagen ließ und
ich mir ein Wiedersehen mit ihr unbedingt wünschte.



© by hajürü


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.05.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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