Dieter Hoppe

Eine Woche, aber für die Ewigkeit

Oder: Manchmal sollte man einfach alles seinen Gang gehen lassen, und nicht an nichtigen Dingen festhalten, die einem hindern sein Glück zu finden.

Immer habe bin ich jeden Trend hinterher gelaufen. So habe ich dann auch wohl fast schon die ganze Welt bereist. Doch immer wieder trieb mich neues an. Immer weiter musste es sein. Und immer teurer. So habe ich dann auch einen guten Job gehabt. Doch eines Tages musste ich meinen Schreibtisch räumen. Finanziell ging es mir soweit gut, so dass ich mich entschloss, ein Jahr Urlaub zu machen. Da ich schon die ganze Welt kannte, beschloss ich mich mal im eigenen Land umzuschauen. Daher fand ich es einen guten Anfang, die neuen Bundesländer zu besuchen. In der Regel herbergte ich in den besten Hotels. Aber diesmal wollte ich mal was neues. Ich besorgte mir ein Kanu und einen Rucksack. So minimalistisch ausgestattet ließ ich mein Boot zu Wasser und wollte einfach mal einem Fluss folgen und sehen wie das Leben auf einem Fluss ist.

Die ersten Tage waren auch wunderschön, das Wetter herrlich. Ich verbrachte den ganzen Tag auf dem Wasser, paddelte so vor mich hin, sah die verschiedensten Tiere. Erst wenn es dunkel wurde, suchte ich mir einen Platz am Ufer zum übernachten. Schlug ein bescheidenes Nachtlager auf. Ein kleines Feuer. Einen selbst gefangenen Fisch. Und zum schlafen meinen Rucksack. Spartanisch. Aber einfach schön. Es gab mir das Gefühl von Freiheit. Denn das erstemal hatte ich keine Termine, die feststanden. Sondern konnte einfach so vor mich hinleben. Ich fühlte mich großartig.

Doch am fünften Tag, gegen Mittag, zog ein Gewitter auf. Der Himmel zog sich immer mehr zu. Als dann Wind aufkam, war der Himmel schon fast schwarz.. Die letzte Siedlung hatte ich schon vor Stunden hinter mir gelassen. Dorthin würde ich es nicht mehr schaffen zurück zu paddeln. Also hoffte ich einfach, vor dem Unwetter einen Unterschlupf zu finden. An Regenkleidung hatte ich natürlich nicht gedacht.

Ich erhöhte mein Tempo, auch wenn ich direkt auf das Unwetter zusteuerte. Ich hoffte einfach, dass bald etwas passendes kommen würde. Und ich hatte Glück. Nach einer Flussbiegung sah ich einen kleinen Steg und dahinter ein Bauernhaus, nicht sehr groß, doch es schien mir gastfreundlich. Im Garten, der zwischen dem Steg und dem Haus lag, war eine Frau mit Gartenarbeit beschäftigt. Ich steuerte auf den Steg zu und legte dort an. Noch im Boot sitzend fragte ich die Frau, ob ich bleiben könnte, bis das Unwetter, das heraufzieht vorbei wäre. Sie richtete sich auf, schaute zu mir herüber. Ich konnte nun ihr Gesicht sehen. Sie hatte die wohl schönsten Augen die ich je gesehen hatte. Älter als 30 mochte sie auch nicht sein. Außerdem war sie eine Schönheit, wie ich sie selten gesehen habe. Alles an ihr schien perfekt zu sein. Rückblickend würde ich es wohl Liebe auf den ersten Blick nennen. Ich hoffte, dass sie nichts dagegen haben würde, dass ich bei ihr bleiben würde. Auch wenn ich davon ausging, dass sie sicher nicht eine Frau wäre, die hier alleine lebte. Sie schaute mir ins Gesicht. Mir kam es vor, als schaute sie in mich hinein. „Du kannst selbstverständlich bleiben, solange du möchtest!“ Für mich klang es, als wenn sie mit mir wie mit einem alten Freund sprach.

Ich band dann mein Boot am Steg fest, und lud meine paar Sachen aus. Sie kam mir entgegen und half mir, die Sachen ins Haus zu tragen.

Im Haus war es gemütlich, doch spartanisch eingerichtet. Es gab nicht mal elektrisches Licht. Aber man hatte mir ja schon erzählt, dass die „Datschas“ oft spartanisch eingerichtet sind. Und dass es hier draußen keine Elektrizität gab, verwunderte mich nicht. Sie fragte mich, ob ich was essen wolle. Da rudern hungrig macht, freute ich mich über diese willkommene Einladung. Sie meinte, dass sie draußen noch etwas richten müsse, dann würde sie uns etwas zum essen machen. Aber ich solle mich ruhig umschauen im Haus. Das tat ich auch. Ich fand nirgends einen Hinweis auf einen Mann, was mich freute. Aber es war alles sehr spartanisch, einfache Möbel. Und im, einfachen, Bad nicht mal Kosmetika. Was mich dann doch wunderte. „Ich hoffe, es gefällt dir hier?“ Ich hatte nicht mitbekommen, dass sie hinter mir stand. „Ja sicher. Wenn auch alles recht einfach eingerichtet ist, so doch sehr gemütlich.“ Sie schaute mich fragend an. „Ich habe schon mal den Kamin angezündet, es wird sicher kalt werden nach dem Gewitter. Mach es dir doch davor schon mal bequem. Ich richte nur noch schnell das Essen.“ Ich ging zurück in die Stube. Vor dem Kamin hatte sie ein paar Decken und Kissen drapiert. Und ich machte es mir auf ihnen gemütlich. Der Kamin strahlte eine angenehme Wärme aus. Ich kramte in meinen Sachen. Suchte mein Handy um mal zuhause anzurufen und Bescheid zu sagen, dass es mir gut ginge. Doch ich bekam kein Netz. Nun ja, so weit hier draußen wunderte mich das nicht.

Mit einem Tablett kam sie zu mir. Es war etwas Wurst, ein gutes Bauernbrot, Salat und Obst darauf. Wir begannen zu essen. Draußen legte nun das Unwetter los. Der Regen prasselte auf das Dach und es stürmte. Aber es war angenehm. Jedenfalls von hier drinnen vor dem Kamin. Nach dem Essen lehnte ich mich zurück. Der Kamin wärmte. Der Regen, der sonor auf das Dach prasselte, begann mich schläfrig zu machen. Man sah es mir wohl an. „Leg dich hin. Ich hole dir nur noch eine Decke.“ Sie stand auf und verschwand im Nebenraum. Mit zwei decken und nur mit einem Nachthemd bekleidet, kam sie wieder. Das Nachthemd schmeichelte ihrer Figur, war doch aus einem undurchsichtigen Stoff geschneidert. Aber ich hatte schon mal gehört, dass die Frauen im Osten viel freier sind als im Westen. Sie gab mir die Decke und ich hüllte mich ein. Ich bekam noch mit, dass sie sich, nicht allzu weit von mir entfernt, zu mir legte. Ich schlief ein.

Wach wurde ich erst, als das Feuer im Kamin schon runtergebrannt war. Sie hockte neben mir und streichelte mich. Es war äußerst angenehm.

Irgendwie schien es mir das normalste der Welt. Auch wenn es mich verwunderte, dass sie mir auf einmal sehr vertraut war. Ich legte meinen Arm um sie, in den sie sich mit dem Wort „endlich“ hineinlegte. Ich fragte sie, was sie meinen würde. Doch sie küsste mich als Antwort nur.

Die nächsten Tage verbrachten wir mit vielen Zärtlichkeiten. Und ich erzählte ihr von meinem Leben. Sie hing an meinen Worten. Hörte sich alles an, ohne groß nachzufragen. Es war mir sehr angenehm, mit ihr zu reden. Auch wenn ich fast immer Monologe führte. Doch dabei merkte man, dass sie weit vom Schuss lebte. Sie konnte viele Dinge, die ich ihr erzählte, nicht glauben. Aber im „Osten“ war man ja auch nicht so weit wie bei uns im Westen. Ich nahm mir vor, ihr die Welt zu zeigen. Auch wenn sie meinte, dass sie von diesem Ort nie weggehen wolle. Ich war aber überzeugt, dass sie es genießen würde, wenn ich sie mit zu mir nahm. Verpflichtungen hatte sie ja scheinbar keine. Sie schien niemanden zu haben. Sie erzählte weder von Arbeit etwas, noch von Eltern oder sonst welchen Verwandten. Sicher würde sie dieses Anwesen geerbt haben. Und zum leben brauchte sie ja auch nicht viel Geld. Aber sie erzählte nicht sehr viel von sich. Als ich sie fragte, ob sie mal weg müsse oder ob ich gehen solle, meinte sie nur, dass wir alle Zeit der Welt hätten.

Komisch war nur, als wir mal durch den Wald wanderten, das ich nirgends ein Netz für mein Handy bekam. Außerdem war nirgends ein Anzeichen von Zivilisation zu erkennen. Aber ich war ja auch weit gerudert, bis ich hier hin kam.

Nach einer Woche war mein Shampoo alle. Und mit ihrer Seife, die doch sehr einfach war, wollte ich meine Haare nicht waschen. Ich fragte, wo denn ein Geschäft wäre, um mir neues Shampoo zu besorgen. Außerdem müsste ich mal Freunde anrufen, dass man sich keine Sorgen um mich machen brauchte. Sie schaute mich verständnislos an. „Willst du nicht hier bleiben?“ „Doch sicher. Aber ich brauch doch mein Shampoo. Sonst bekomme ich Schuppen. Außerdem sorgt man sich sicher bei mir zuhause.“ „Du kannst jederzeit gehen. Aber dann gibt es kein zurück für dich zu mir!“ Ich schaute sie verständnislos an. „Wie meinst du das?“ „Wenn dir deine Sachen wieder wichtiger sind für dich, als ich, dann musst du gehen. Nur werden wir uns dann in diesem Leben nicht wieder sehen.“ Ich mochte es noch nie, eingeengt zu werden. „Was ist los?“ „Es ist so, wie ich es gesagt habe. Du kannst gehen, wann immer du willst. Aber dann werden wir uns nicht wieder sehen. Auch wenn ich auf dich warten werde, so wie bisher.“ Sie schaute mir ruhig ins Gesicht. Nur eine kleine Träne rann aus ihren Augen. „Was willst du mir denn jetzt erzählen?“ Jetzt schaute sie mich verständnislos an. „Denkst du, ich gebe mich jeden Mann hin, der mal an dem Steg anlegt? Ich liebe dich schon seit ewigen Zeiten. Und ich habe dir versprochen, auf dich zu warten, so wie es immer war, und wie es immer sein wird.“. Jetzt schaute ich sie wohl verständnislos an. Und ich fragte mich nun, was das für eine Nummer ist. „Willst du mir jetzt sagen, dass wir uns schon aus einem früheren Leben kennen?“ Sie nickte nur. „Also, ich habe ja schon viele komische Sachen gehört, wenn mich eine Frau halten wollte, aber das ist ja wohl das lächerlichste.“ Ich merkte wie ich begann, an ihrem Verstand zu zweifeln. „Liebst du mich nicht von dem Augenblick an, als du am Steg festgemacht hast?“ Ihre Augen flackerten. „Doch sicher, aber...“ Sie unterbrach mich. „Und hast du nicht das Gefühl, dass wir uns immer schon kennen?“ Das hatte ich wirklich. Diesmal nickte ich nur. „Fehlt dir irgendetwas wirklich wichtiges hier?“, fragte sie mich. Ich schaute sie einen Moment lang an. Es war eigentlich alles da. Es gab genug zum essen. Es war gemütlich hier. Aber ich brauchte doch mein Shampoo. Außerdem wollte ich ja nicht bis ans Ende aller Tage hier bleiben. Ich bin nun mal kein Landei. Ich brauche die Stadt mit ihren Annehmlichkeiten. Und die würde sie auch mögen. „Komm doch einfach mit? Dann zeige ich dir mein Leben?“, fragte ich sie. „Nein! Entweder du bleibst hier. Oder du gehst. Aber ich bleibe hier. Und werde, so wie ich es dir versprochen habe, auf dich warten. Entscheiden musst du. Nur denke daran, dass du in diesem Leben nicht zurück zu mir kannst!“ Sie sagte es mit aller Überzeugung aus sich heraus. Das merkte ich ihr an. „Ich werde gehen, aber ich werde auch zurück kommen. Du wirst sehen, in ein oder zwei Tagen bin ich wieder da.“ „Wenn du mir nicht glauben willst, dann gehe. So wie immer.“ Ich nahm an, dass sie schon öfters von Männern enttäuscht wurde. Doch ich würde sie nicht enttäuschen. Ich liebte sie, so wie ich noch nie eine Frau geliebt hatte, das wusste ich ja. „Nun, was machst du?“, fragte sie mit fester Stimme. Ohne zu überlegen sagte ich ihr, dass ich gehen würde, und auch wieder kommen würde. „Dann geh jetzt. Ich werde warten!“ Ihre Tränen sagten mir, dass sie mir nicht glaubte. Doch ich würde es ihr beweisen. Ich packte meine Sachen und belud mein Boot. Sie stand die ganze Zeit nur am Haus. Schaute mir zu. Und ich sah, dass sie weinte. „Bis bald.“, rief ich ihr zu, als ich ablegte. Von ihr hörte ich nur: „Lebe wohl.“

Ich begann zu rudern. Ich wollte möglichst schnell zu einem Dorf. Dort würde ich einkaufen und dann mit einem Bus oder so zu meinem Auto, um wieder zu ihr zurück zu kehren. Nach zwei Stunden begann das Wetter wieder schlechter zu werden. Und diesmal schaffte ich es nicht, Unterschlupf zu finden. In der nächsten Siedlung legte ich an, besorgte mir eine Landkarte. Ließ mir zeigen, wo ich war. Ich kaufte mir trockene Klamotten und fuhr zu meinem Auto. Auf dem Weg zu meinem Auto studierte ich die Karte. Dort wo ich das alte Bauernhaus vermutete, war auf der Karte das Zeichen für eine Sehenswürdigkeit verzeichnet. Außerdem unmittelbar daneben ein Dorf. Ich hätte also den langen Weg gar nicht machen müssen. Das würde das Wiederfinden nicht so schwer machen.

Ich fuhr los und lud dann mein Kanu ins Auto. Es waren nur noch sechs Kilometer und ich wäre wieder bei ihr.

Die Sehenswürdigkeit, die in der Karte verzeichnet war, war eine Kirche aus dem 18. Jahrhundert. Als ich sie sah, wunderte ich mich, dass ich die Kirchtürme nicht gesehen hatte. Doch dort, wo ich ihr Haus vermutete, fand ich nur eine Ruine. Ein altes verfallenes Bauernhaus. Aber es standen dort Häuser drum herum. Also konnte es das nicht sein. Ich lud mein Kanu aus und fuhr den Fluss auf und ab. Doch ich fand nur eine Stelle die passte. Der Steg, das Haus. Nur es war nur noch eine Ruine.

Ich war einige Tage dort. Paddelte den Fluss hoch und runter. Aber ich machte jeden Tag an der Ruine Rast. Eines Tages saß ein alter Mann auf dem Steg und angelte. Ich kam mit dem Mann ins Gespräch. Und er erzählte, dass in der Ruine immer nur einsame Männer gelebt hätten. Immer wieder wäre jemand gekommen und hätte das alte Bauernhaus aufgebaut. Und wenn sie dann gestorben wären, wäre es wieder zerfallen. Eine Legende besage, dass es nur einmal von einem Paar bewohnt worden wäre. Aber die Frau wäre dann von ihrem Geliebten verlassen worden, wegen irgendwelchen Unwichtigkeiten. Doch das wäre nur die Legende.

Das alles ist jetzt acht Jahre her. Ich habe die Ruine gekauft und wieder hergerichtet.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.05.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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