Werner Kistler

Die gute alte Zeit

Der lange Heinrich stand bereits auf dem Hügel. Das tat er jeden Morgen und jeden Abend. Nun wartetet er auf den ersten Sonnenstrahl, der den kommenden Tag einläutete. Auf dem Hügel sah man die Sonne schon eine halbe Stunde früher aufgehen und entsprechend später untergehen. Das hatten die feinen Herren sich toll ausgedacht. Die Arbeitszeit der Knechte, jetzt zur Sommerzeit, dauerte von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Machte somit eine ganze Stunde mehr Arbeitszeit am Tage für jeden Knecht und jede Magd aus. Sechs Knechte und fünf Mägde arbeiteten hier auf dem Sonnenhof. Das ganze mal sechseinhalb Arbeitstage, machte ein hübsches Sümmchen Mehrarbeit, für den gleichen kargen Lohn aus. Warum einen halben Tag am Sonntag? Nun Kühe müssen auch am Sonntag gefüttert und gemolken werden.
Inzwischen hatte Heinrich sein gewaltiges Stimmorgan erschallen lassen und das Personal lief im Gleichschritt hinter dem Ochsekarren her. Heute war Heuernte angesagt. Bis Abend musste die Ernte in
in der Scheune lagern. Hoffentlich gab es keinen Regen? Brennend schickte die Sonne ihre heißen Strahlen auf die ungeschützen Köpfe der arbeitenden Menschen nieder. Der Heustaub juckte in der Nase
und kratzte ganz fürchterlich im Halse. Der Herr hatte ihnen gleich zu Beginn der Ernte, dass Arbeitstempo vorgelegt. Der Großbauer führte fünf Minuten ein irrsinniges Arbeitstempo vor und forderte die Fortführung bis zum Abend von seinen Knechten.
Nun war endlich Mittagszeit. Die Rücken schmerzten schon jetzt. Der Hals war völlig ausgedörrt.
Der Gutsbesitzer war ein schneller Esser. Die Mitarbeiter schlangen daher die Speisen förmlich herunter. Denn wenn der Bauer aufhörte zu essen, durfte kein Untergebener noch weiter essen.
Am späten Nachmittag brachte der Leiterwagen das letzte Futter in die Scheune. Die Kühe mussten noch versorgt werden. Ställe wurden ausgemistet und neu eingestreut. Der Karren wurde noch für den nächsten Tag beladen. Alles beaufsichtigte der Herr und wenn nicht richtig gesputet wurde, knallte die Peitsche.
Nun war endlich Feierabend. Der Tag war aber bereits vorbei. Keiner hatte noch Lust auf etwaige Unternehmungen. So begab man sich gemeinsam zur Ruhe. Die Knechte schliefen auf Strohbetten oberhalb der Tenne. Die Wände des Schlafgemaches, waren aus einfachen Brettern gezimmert. Im Sommer stickig und eiskalt im Winter. Bei Sturm pfiff der Wind durch die Ritzen zwischen den Brettern. Nicht einmal
eine Kerze konnte dann angezündet werden.
Heinrich hätte so gerne geheiratet und er wünschte sich eine richtige Familie. Die Gerdi, eine Magd, wäre schon die richtige Frau für ihn gewesen. Denn die Gerdi konnte richtig anpacken. Beide hätten sie es geschafft. Aber der Bauer gab nicht seine Einwilligung zur Hochzeit und somit war der Gedanke an Heirat in sehr weite Ferne gerückt. Weg mussete er von dieser verlogenen Welt. Gleich morgen wollte er sich zur Seefahrt melden. Heiraten konnte er als Matrose auch nicht. Aber dann sah er wenigstens noch was von der Welt. Seinen Beutel hatte er schon gestern gepackt. Jedesmal wunderte er
sich, wie wenig doch sein Eigentum war.

Werner Kistler


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.05.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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