Melanie Landen

SHEEBA

Meinen schwersten Gang mußte ich heute antreten. Den Gang, der das Ende einer langen Freundschaft bedeutete. Du, meine wunderbare Sheeba, bist nicht mehr da. Dein kalter Körper, ohne Leben, ohne Seele, liegt vor mir auf dem Tisch des Arztes. Deine toten Augen starren mich an. Doch meine Tränen finden keinen Kanal, keinen Weg nach außen. Ich muß so stark sein. Für meinen Mann, der weinend am Fenster der Praxis steht. Für meine Kinder, die noch nicht begreifen, was es bedeutet, dass du gehst. Doch ich kann den Transportkorb nicht mehr tragen, das muß dein Herrchen machen. Ihn ins Auto tragen, in den Kofferraum. „Nicht“ will ich schreien. „Tiere gehören nicht in den Kofferraum“ doch schweigend sehe ich zu. Schließe, mit Tränen in den Augen den Deckel. Doch ich weine nicht.

Mit deinem toten Körper im Kofferraum fahren wir die Kinder abholen. Achim sitzt weinend auf dem Beifahrersitz. Doch ich darf nicht weinen, muß mich auf die Straße konzentrieren. Mittlerweile bekomme ich Kopfschmerzen wegen der vielen ungeweinten Tränen. „MEINE kleine Katze ist tot“ will ich schreien, doch ich schweige. Schlucke die Tränen runter. Kann nicht weinen. Nicht jetzt. Nicht hier.

Ein paar Tränen darf ich loswerden. Bei meiner Freundin. Die mit mir weint. Mit mir, mit Achim und den Kindern. Langsam realisiere ich. DU bist tot. Du, mein geliebtes Tigerchen. Die mich immer wieder zum Lachen brachte, mit ihrer Neugier. Die mich so sehr liebte. Die auf meinem Bauch schlief, als ich schwanger war. Die meine Nerven mit stundenlangem Maunzen strapazierte. Die in ihren verrückten fünf Minuten die gesamten hundertfünfzig Quadratmeter unserer Wohnung im Sprint durchmaß. Die sich mit unseren zwei anderen Tigern prügelte. Die am ersten Tag erst einmal Backpfeifen an die zwei Haustiger verteilte. Die so selbstbewusst war... oh Sheeba... wie leer wird die Wohnung ohne dich sein.

Wie langweilig. Ohne dich. Die du immer angerannt kamst, wenn ich dich rief. Etwas über achteinhalb Jahre Freundschaft brachtest du uns. Achteinhalb Jahre Freud und Leid. So oft bist du dem Tod von der Schippe gesprungen.

Doch heute nicht. Ich sehe dich an. Lege dich vorsichtig mit den Handtüchern in den Karton. Und weiß nicht, wie ich den nächsten Tag ohne Dich überstehen soll.

Nie werde ich vergessen, wie wir dich damals aus dem Tierheim holten. Du hast in deinem Käfig in der Quarantäne-Station gesessen und deinen Magerquark geschlabbert. Für uns hast du dich nicht interessiert. Und doch. Da war ein Funke, der sofort übergesprungen ist, und ich wusste, DU bist es. Du bist die eine, die ich mitnehmen wollte. Nur dir wollte ich ein neues, gutes Zuhause geben. Und so setzten wir dich in den Transportkorb, es war der gleiche, in dem du heute dein Leben aushauchtest, und nahmen dich mit. Im Auto hast du die ganze Fahrt über gemaunzt. Wir haben immer darüber gelacht, haben gesagt, du hast uns deine ganze, bis dato kurze, Lebensgeschichte erzählt. Zuhause bist du selbstbewusst aus dem Korb heraus, hast den zwei anderen Tigern je eine Backpfeife gegeben, und dann die Wohnung erkundet. Und wir haben gelacht. Gelacht über die komischen Gesichter, die Jimmy und Kimba gezogen haben.

So war dein ganzes Leben. Selbstbewusste Hau-Drauf-Mentalität. Nie hast du aufgegeben. Katzen haben neun Leben. Und du hast jedes einzelne ausgekostet. Jedes gelebt. Immer, wenn es dir schlecht ging, bist du zu mir unter die Bettdecke gekrochen. Hast dich an mich gekuschelt, und leise geschnurrt. Ich werde dein Schnurren vermissen.

Du hast unser Leben um einiges reicher gemacht. Mit deiner Art. Einfach nur dadurch, das du da warst. Und dafür sage ich dir tausendmal Danke.

Zusammengebrochen, nachdem ich sie in den Karton gelegt habe, der sie in ihre letzte Ruhestätte begleiten wird, mußte ich meinen ganzen Schmerz, meine Trauer, und teilweise sogar Wut über ihren Tod niederschreiben... Es tut so weh... daß sie nicht mehr da ist, daß sie nie wieder zurückkehren wird... Trauer und ein paar Bilder sind alles, was mir von ihr geblieben sind... und die Erinnerung an wundervolle 8,5 Jahre...Melanie Landen, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.05.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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