Sie blickt weg. „Hoffentlich nicht ich“, denkt sie. Doch da hört sie schon Jörg ihren Namen rufen. „Bettina, Bettina, Bettina!“ Die anderen aus ihrem Bus stimmen mit ein und klatschen rhythmisch. Der ganz in schwarz gekleidete Künstler tritt lächelnd zu ihr und biete ihr seine Hand an. Nach kurzem Zögern steht sie verlegen auf und folgt ihm zur erleuchteten Bühne. Jörg und die anderen applaudieren begeistert. Ihr schwarzgekleideter Begleiter bringt sie mit einer Handbewegung zum Schweigen und kündigt in schwulstigen Phrasen und gebrochenem Deutsch den folgenden Zaubertrick an. Sie muss sich in eine Art Box, ganz ähnlich einer Telefonzelle, stellen; die Assistentin im kurzen Glitzerkleid hilft ihr dabei. Der Magier macht noch ein paar der üblichen Späße, das Publikum lacht gnädig. Dann bittet er „Ayshe“, den Vorhang vor ihrer Kabine zu schließen. Mit Trommelwirbel unterlegt schreitet das kurze Glitzerkleid tänzerisch heran und zieht langsam den roten Samtvorhang vor die Box. Er taucht das Licht der untergehenden türkischen Sonne, die gerade noch über die Mauer des Ferienclubs linst, in ihrner Kabine in ein warmes Rot. Kurz bevor er sich ganz vor ihr schließt, stößt Ayshe sie für das Publikum unmerkbar an und deutet auf eine von ihr bisher unbemerkte Seitentür der Kabine. Ein wenig enttäuscht über die prosaische Realität dieser Magie, braucht sie ein paar Sekunden, um sich durch die nun geöffnete Tür exakt hinter ein Teil der spärlichen Bühnendekoration zu begeben, das sie für das Publikum verdeckt. Derweil kündigen Trompetenklänge und allerlei magische Sprüche des Zauberkünstlers den Höhepunkt des Tricks an. Sie hört, wie das Glitzerkleid mit dem spitzen Klacken seiner Stöckelschuhe zum Vorhang tänzelt, wie es ihn mit einem Ruck zurückzieht und dankbar Rufe des Erstaunens und der Verwunderung aus dem Publikum. Dann folgt Applaus, der Magier bedankt sich artig. Ungeduldig wartet sie hinter der Dekorpalme auf ihr zauberhaftes Wiedererscheinen, doch noch tut sich nichts. Der Applaus langsam ebbt ab, aber die Stimme des Magiers bleibt aus. Das übliche Stimmengewirr lockerer Gespräche setzt ein. Sie hört Jörg lachen und Kinder quengeln. Ungeduldig versucht sie, durch die Seitentür wieder in die Kabine zu treten, doch die Tür gibt nicht nach. Sie ist verschlossen. Verwundert rufe sie nach Ayshe, erst schwach, dann lauter. Keine Antwort. Stattdessen hört sie die Stimmen leiser werden, Schritte entfernen sich. Das Licht auf der Bühne erlischt. Bald ist es ganz ruhig, sie hört das Rauschen des nahen Mittelmeers. Als sie zögerlich hinter Palme hervortritt, ist der Platz verlassen. Die Sonne ist inzwischen untergegangen, nur in der Ferne hört sie Jörgs ausgelassenes Lachen.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.05.2004.
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