Claudia Adena

Grüne Augen in der Nacht

Merkwürdig, wie intensiv Träume manchmal sein können. Haben Sie dieses Gefühl nicht auch schon einmal gehabt? Aber ich will die Geschichte ganz von vorne erzählen:

Es war vor ungefähr zwei Wochen. Gegen zwölf Uhr abends ging ich nach einem Fernsehabend zu Bett. Es war einer dieser einsamen Abende, die nie zu enden schienen. Einer dieser Abende ohne Michael. Der zweiunddreißigste genau, seit er mich wegen einer anderen verlassen hatte.
Manchmal wünschte ich mir, nach der Arbeit nicht mehr in diese Wohnung gehen zu müssen. In die Wohnung, in der er bis vor kurzem noch gelebt hatte, in der jedes einzelne Stück an ihn erinnerte. Ja, selbst den Geruch seines Rasierwassers glaubte ich noch wahrzunehmen, wenn auch schwach. Und das Schlimmste war wohl die Gewissheit, ihn nie wiederzusehen. Ich glaube, nur jemand, der schon einmal einen geliebten Menschen verloren hat, kennt die grausame Bedeutung der Worte: nie mehr. Aber ich will nicht sentimental werden, sondern einfach die Geschichte erzählen, die Geschichte von jenem Abend.
Wieder einmal lag ich stundenlang wach. Der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Irgendwann war es dann doch soweit. Ich musste eingeschlafen sein, denn was nun passierte, war unglaublich. Ich fühlte, wie ich immer kleiner wurde und immer leichter. Ich sah auf meine Hände, die schwarzen Haare sprossen nur so hervor. Nein, das waren keine Hände mehr, das waren Pfoten. Nach einigen Minuten betrachtete ich mich im Spiegel des Schlafzimmerschrankes und sah was die Verwandlung aus mir gemacht hatte.
Eine kleine schwarze Katze mit grünen Augen, bei der nur die Pfoten und ein kleiner runder Fleck am Hals weiß waren.
Ach, müsste es herrlich sein, auszuprobieren, was man im Traum alles machen konnte, dachte ich übermütig. So sprang ich voller Elan aus dem Bett und tippelte auf den Balkon hinaus. Da meine Wohnung im Erdgeschoß lag, fiel es mir nicht schwer mit einem Satz hinunter zu springen.
Nun, hier stand ich also und überlegte, wo ich hin sollte. Auf den Fall irgendwohin, wo es schön warm war und wo vielleicht jemand sein würde, der sich um eine arme verwaiste Katze kümmern würde. Mit anderen Worten: Ich mußte zu Michael. Michael liebte Katzen, also würde er auch mich lieben.

Und es war gar nicht weit. Nur drei Kilometer. Aber für eine Katze bedeuteten diese drei Kilometer eine Ewigkeit.
Unschlüssig lief ich vor dem Haus, in dem Michael wohnte, auf und ab. Ich setzte mich auf mein Hinterteil und putzte mich gründlich. Mit meiner rauhen Zunge fuhr ich über das ganze Fell. Mein Gott, war das anstrengend, aber jetzt sah ich, so hoffte ich wenigstens, einigermaßen manierlich aus.
Mit einem Satz sprang ich auf Michaels Balkon. Ich hatte großes Glück. Die Balkontüre stand einen Spalt offen. Vorsichtig quetschte ich meinen Kopf durch die Türe und schob sie mit meinen Pfoten auf. In der Wohnung war alles dunkel. An den Möbeln erkannte ich, daß ich im Wohnzimmer gelandet war. Vorsichtig schlich ich weiter und kam zur Küche. Ich versuchte ein plötzlich aufkommendes, ganz natürliches Gefühl, zu unterdrücken: Hunger. An dem Geruch, der in der Luft lag, erkannte ich, dass Michael heute Abend etwas Verlockendes gegessen hatte. Zwar hatte ich keine Erfahrungen, was die Essgewohnheiten anderer Katzen betraf, aber ich wusste: Gegrilltes Hähnchen war mein Lieblingsgericht.
Von Hunger getrieben, sprang ich auf die Spüle, wo Teller und Töpfe standen. Vielleicht konnte ich ja noch einen letzten Rest von dem Hähnchen erwischen. Leider ging mein Sprung daneben. Rückwärts fiel ich hinunter und mit mir einige Tassen. War das ein Lärm! Ich erschrak furchtbar.
Bevor ich mich in einer Ecke verstecken konnte, ging das Licht an und wir sahen uns in die Augen: Michael und ich. Sekundenlang befürchtete ich, er könnte mich erkennen. Aber das war unmöglich.
So stand er vor mir: Groß und dunkelhaarig und ich war nur eine kleine schwarze Katze. Zwar eine sehr schöne Katze, mit funkelnden grünen Augen, aber immerhin eine Katze.
Vorsichtig bewegte ich mich auf ihn zu und strich um seine Füße.
"Na, wo kommst denn du her?" fragte er und beugte sich zu mir hinunter.
Lächerlich, dachte ich, da redete er mit einer Katze, glaubte er denn, ich könnte ihm antworten?
Seine Hände strichen über meinen Kopf. Ein Gefühl zum Sterben schön und ohne es zu wollen, schnurrte ich. Schließlich kraulte er mich hinter dem Ohr und meine Zunge begann, die einzelnen Finger seiner anderen Hand abzulecken.
Mein Gott, dachte ich, Michael was tust du mir nur an? Doch unser "zärtliches Beisammensein" wurde jäh durch eine schrille weibliche Stimme aus dem Nebenzimmer unterbrochen.
"Michael, wo steckst du? Mit wem sprichst du da?"
Und dann stand sie in der Türe. Groß und blond, die Art von Frau, die sich vermutlich sogar noch fürs Schlafengehen schminkte.
Unwillkürlich knurrte ich und spitzte meine Ohren, damit mir ja nichts entging, was die beiden miteinander sprachen.
"Ich weiss nicht, wo die Katze herkommt", sagte Michael.
"Schmeiss Sie raus!" keifte sie. "Ich hasse Katzen. Sie stinken und machen nur Dreck."
"Ich stinke nicht!" schrie ich, doch sie konnten mich nicht hören, denn es erklang nur ein klägliches Miauen. Das war also die Frau, die mir meinen Michael weggenommen hatte. Ich sah rot. Mit wütendem Fauchen ging ich auf sie los und ehe sie sich versah, hatte ich mit meinen Krallen ausgeholt und sie am Bein erwischt.
Sie schrie hysterisch. Und obwohl es nur ein paar winzige Blutstropfen waren, die auf den Fußboden tröpfelten, erleichterten sie meine Seele. Endlich konnte ich mit meiner Rivalin abrechnen. Mein Fell sträubte sich im Nacken und ich war stolz auf mich, wie gut mir ein "Katzenbuckl" gelang. Ein wildes Fauchen sollte meinen nächsten Angriff ankündigen, doch daraus wurde nichts. Michael packte mich im Genick und hob mich hoch.
"Wirf sie doch endlich raus!" kreischte die Blonde.
Michael trug mich in Richtung Balkon. Sein Vorhaben war klar. Er wollte mich loswerden und wieder wegen dieser Frau. Das konnte ich mir kein zweites Mal gefallen lassen.
Da er mich nicht sehr fest hielt, gelang es mir, mich loszureissen und hinunterzuspringen. Als Versteck diente mir die Wohnzimmercouch.
"Mieze, komm her!" hörte ich Michaels bereits ungeduldig klingende Stimme. "Oder ich werde böse."
Und ich auch, fügte ich in Gedanken hinzu, noch einmal räume ich nicht kampflos das Feld.
Ganz vorsichtig guckte mein kleiner Kopf hinter der Couch hervor. Oh weh, da sah ich auch schon das Unglück!
Die Blonde stand direkt vor mir und schwenkte zu meinem Erschrecken einen großen Besen.
"Du kannst was erleben, du Biest!" drohte sie und beugte sich weit über mich.
Da Angriff nun mal die beste Verteidigung ist, griff auch ich an. Ich setzte zum Sprung an und kam genau ins Ziel. Meine scharfen Krallen, die ich ausgefahren hatte, trafen sie mitten im Gesicht. Sie schrie und hielt sich die blutende linke Wange. Ihre Schrecksekunde nutzte ich um endgültig das Weite zu suchen.
Ich lief zum Balkon und nichts wie hinunter. Dann machte ich mich auf den Heimweg. Meine Pfötchen taten weh nach diesen Anstrengungen und ich war müde.
Na, Gott sei Dank, dachte ich erleichtert am nächsten Morgen, es war alles nur ein Traum. Was man doch für verrückte Sachen träumte.
Als ich später mein Bett machte, entdeckte ich etwas Merkwürdiges. Leintuch, Bettdecke und sogar das Kissen waren voll von schwarzen Haaren, Haare wie von einer Katze. Und das, obwohl ich keine Katze hatte. Und es passierte noch etwas Eigenartiges. Zwei Tage später traf ich doch tatsächlich Michael auf der Straße mit seiner blonden Freundin. Mir blieb vor Schreck der Mund offen stehen, als ihr ins Gesicht blickte. Ihre linke Wange war übersät von tiefen Kratzern - wie von einer Katze.

Meine absolute Lieblingsgeschichte. Über einen Kommentar würde ich mich sehr freuen.Claudia Adena, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.05.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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