Conny Beek

lysander, eurydike und der baum

ich erzähle euch nun die geschichte einer liebe, die an eifersucht und nicht verstehenwollen der menschheit scheiterte.....

lysander lebte alleine. er lebte einsam und zufrieden am waldesrand in einer kleinen hütte, die er sich selbst aus baumstämmen und moos erbaut hatte. lysander war ein junger mann von vielleicht achtundzwanzig sonnenwenden.
er kannte die menschen aus dem dorf, aber er mochte sie nicht, denn sie waren anders als er. sie verstanden nichts davon, in der natur zu sein und diese zu geniessen. die natur mit all ihren schönheiten und ihren makellosen plätzen. er liebte diese plätze.
lysander wanderte jeden tag durch den wald. er genoß die sonnenstrahlen, die seinen leib wärmten, wenn sie durch das blätterdach brachen. lysander erkannte jeden vogel des waldes an seiner stimme. sie kamen zu ihm herunter, begrüßten ihn und sangen ihm einen guten morgen. er genoß den gesang der vögel, das weiche moos, auf dem er sich von zeit zu zeit niederließ, um sich auszuruhen.
lysander beobachtete alles, was sich bewegte und was sich im wald aufhielt, um dort zu leben. die tiere bezeichnete er als seine freunde, denn die menschen, welche ihn mit namen beschimpften und sich über ihn lustig machten, weil sie ihn nicht verstanden, konnten nie seine freunde sein.
eines tages ging er mal wieder querfeldein, der morgennebel lag noch über dem waldboden. bei jedem schritt, den lysander tat, kräuselten sich die kühlen wassertröpfchen feucht gebunden um seine knöchel. als die ersten sonnenstrahlen durch die hohen baumkronen fielen und dunstig den waldboden erhellten, blieb er stehen und spürte die wärme, die ihn einzuhüllen vermochte. seichte nebelschwaden, die noch dünn und kühl die erde bedeckten, krochen seine waden herauf, um bei einem nächsten windhauch wieder verweht zu werden.
lysander spazierte durch den wald, sprach mit einem reh, sah nach den fuchskindern. die tiere hatten sich an ihren seltsamen besucher gewöhnt. sie kannten ihn und sahen ihm nicht voller scheu entgegen. die füchsin lief noch ein stückchen mit ihm seines weges, jedoch musste sie umkehren, sie hatten ihr revier verlassen und sie musste noch etwas nahrung für sich und ihre vier kleinen suchen, die voller erwartung mit noch geschlossenen äuglein im bau sassen und warteten. lysander ging tiefer und tiefer in den wald hinein. an einer quelle schöpfte er ein wenig wasser, um seinen durst zu stillen. er erreichte einen teil des waldes, der ihm zuvor noch nie aufgefallen war. ein junger buchenhain, in voller blüte. lysander wunderte sich, denn zu dieser jahreszeit waren alle bäume im restlichen wald schon längst verblüht, jedoch trat er ein und sah sich um. der waldboden schien gesäubert, nirgends lagen blätter verstreut. die buchen schienen lebendig, jedoch wirkten sie nur so. ein mattes grünliches licht fiel herein und zauberte schattenumrisse in menschlichen formen auf das moos. die bäume standen stark und liebevoll beieinander, einige näher und ander weiter entfernt von anderen, jedoch waren sie alle zusammen- eine große einheit, durch nichts zu zerstören. lysander sog diese wunderlichen eindrücke in sich auf, noch nie hatte er soetwas wunderschönes gesehen. lysander lief und lief und lief. immer neue eindrücke taten sich auf. nicht weit vor ihm sah es aus, als ob die bäume ein ende nahmen. er schritt langsam auf das vermeintliche ende des waldes zu und erkannte, dass sich der wald auftat und eine lichtung hervorbrachte, auf der in der mitte eine uralte trauerweide stand. er trat auf die lichtung und betrachtete den baum. er war anders als alle anderen bäume des gesamten waldes. er war groß und schon sehr alt. diesen baum musste es bereits gegeben haben, bevor dieser wald, in dem er stand, begonnen hatte zu wachsen. seine zweige reichten bis auf den boden hinab. der mächtige stamm war von einer warmen trockenen rinde mit tiefen furchen umgeben. lysander ließ sich zu den wurzeln des baumes nieder und atmete ein. reine unverdorbene luft drang in seinen körper ein. er spürte die kraft, die sich in ihm breitmachte. er schloss seine augen und vermochte die blätter singen zu hören.
von nun an besuchte er diesen baum jeden tag. die lichtung hatte etwas zauberhaftes an sich. mitten im sommer erblühten die bäume ringsherum. im herbst brachte die wiese, welche die bäume umgaben, die wundervollsten blüten hervor und jeden tag dufteten sie nach leben und freiheit. der frühling würde auf dieser lichtung niemals vergehen, dachte er bei sich im stillen. in manchen sommernächten lag er noch lange unter dem baum, hörte dem rauschen und flüstern der bäume zu, betrachtete die sterne und ihre seltsamen gebilde, die sie im laufe der zeit geschaffen hatten und schlief nicht selten unter der weide ein, die ihm ein schützendes dach gab und ihn zuzudecken schien, wenn er eingeschlafen war. eines morgens wachte er wie schon so oft auf, erfreute sich der sonnenstrahlen, die ihm in der nase kitzelten und besann sich des traumes der letzten nacht.
die weide hatte zu ihm gesprochen. er stand im traume vor ihr und betrachtete ihre schönheit, die kein baum der welt hätte übertreffen können. ihre blätter und zweige rauschten sachte im wind, der sanft über die lichtung strich. in des windes rauschen säuselte ihm die stimme der weide zu, dass sie seine nähe und steten besuche sehr schätze und dass sie es auf gleiche weise vergelten wolle. wieder rauschten die blätter und zweige, doch dieser eine satz, war das einzige, was er je von ihr vernahm.
nie wolle er mehr an einem anderen platz nächtigen, als unter ihrem gewaltigen blätterdach, das sich des nachts schützend zu ihm herunterbeugte, um ihm wärme und zuneigung zu geben, wie es schien.
immer wieder schlief er unter der alten weide ein und wachte morgens frohen mutes auf, um den neuen tag zu begrüssen. lächeln schien die sonne zu ihm hernieder, begrüsste ihn mit einem strahl, der die nase kitzelte und versprach, einen wundervollen tag zu geben, an dem er sich wieder an der nahen quelle des frischen wassers laben konnte um dann den tag zu geniessen und wieder unter der weide einzuschlafen.
eines morgens, es war schon frühling, erwachte er aus seinem traum, dessen bedeutung er immer noch erhoffte zu erfahren, glaubte er ein leises lachen gehört zu haben, doch als er sich umsah, erblickte er nichts ungewöhnliches, das ihm das lachen erklären konnte. das lachen war beruhigend und wunderschön. es muss das lachen eines mädchens gewesen sein, doch weit und breit war kein ort, kein dorf, das das heim eines mädchens hätte sein können. einmal schien das lachen direkt vor ihm zu sein, doch blickte er hin, kam es aus einer anderen richtung. lysander stand auf, hatte er dort zwischen den jungen buchen nicht eine zierliche gestalt umherhuschen gesehen? er lief ihr hinterher, jedoch vermochte er nicht, sie zu erlangen, sie war geschmeidig und gewandt. so sehr ihn seine neugierde auch trieb, setzte er sich unter seine weide und wartete. er wusste, dass sie sich eines tages zeigen würde. er liess nicht von der hoffnung ab, bis es sommer wurde. er erwachte und spürte seine nase kitzeln. er dachte daran, dass es die sonne hätte sein können, jedoch verspürte er auf seinem gesicht einen lieblichen schatten, der das warme sonnenlicht nicht an seine nase heran liess. lysander öffnete die augen und hörte das lachen. da stand sie, mit einem grashalm in ihrer kleinen zarten hand, mit dem sie ihn hatte wachgekitzelt. lysander war nicht in der lage, irgendetwas zu sprechen. in seinem leib tat sich ein gefühl auf, welches sich anfühlte, als ob er schmetterlinge darin hätte, seine gedanken dachten nicht mehr, er konnte seinen blick nicht mehr abwenden. nie hatte er solch eine schönheit erblickt. nie solche augen, die leuchteten, als seien sie dem himmel entnommen worden, um ihr das blau des universums zu geben. ihre lippen waren voll und rot wie walderdbeeren, ihre wangen leuchteten wie reife pfirsiche in der sonne und ihr haar glänzte wie weidenzweige im morgentau. sie brach das schweigen. sie habe ihn schon seit langer zeit beobachtet, sie habe sehen wollen, ob er den wald genauso liebe wie sie. erzählte davon, dass diese weide wie ein teil von ihr sei und die kleinen buchen wie ihre schützlinge, die sie ihren lebtag lang bewachte, dass ihnen nichts schlimmes widerfahre, sie sprach von dem hain und ihrem namen. ihr name lautete eurydike. ein name, der so zu ihr passte, wie das leuchten der sterne in ihren augen.
lysander traute sich nicht zu sprechen, er wollte den feinen klang ihrer stimme, den selbst ein chor von engeln nicht hätte übertreffen können, verdrängen von dieser zauberhaften lichtung. nie fragte er sie, woher sie kam, sie war da, das war das, an dem er sich erfreute. nie wollte er sie mehr gehen lassen.
jeden tag saßen sie beisammen, redeten selten, denn blicke genügten. sie liebten sich.
sie saßen sehr sehr lange so beieinander, bis er sie fragte. sie antwortete nie. sie lächelte nur, wie eine frau nur lächeln kann. das war antwort genug. er erbaute eine neue hütte aus altem aber sehr festem holz, wollte er doch, dass sie es schön bei ihm habe. eines tages, es muss im july gewesen sein, heirateten sie sich. nur die tiere waren zeugen des geschehens. lysander und eurydike zogen sich in ihre hütte zurück, was dort geschah, weiss niemand, jedoch wusste eurydike nach 7 monaten oder auch 8, dass sie bald ein kind bekommen sollte. selten noch schliefen sie unter der weide, in dieser nacht lief sie davon, in den wald, besuchte die weide. vorsichtig suchte sie sich zwei zweige aus und bat die weide, ihr diese zu geben. der mond beschien den waldboden, auf dem eine zierliche gestalt kniete und in nebelschwaden zwei weiden zweige in die erde pflanzte. liebevoll und zärtlich übergoss sie sie mit klarem quellwasser. sie sprach zu den zweigen, doch nur der mond verstand, was sie sagte, denn nur für die zweige war es bestimmt, sie stand auf und lief geschwind nach hause. lysander schlief noch, er hatte nichts mitbekommen, er träumte von der alten weide, wie sie ihm zärtlich über das haar strich und im windhauch, der sanft über die lichtung zog, rauschte.
nicht viel zeit war vergangen, gebar eurydike zwillinge, so schön wie sie. mädchen waren es, sie glichen sich auf haut und haar, nichts unterschied sie. lysander liebte seine töchter über alles, er gab ihnen die geborgenheit, wie ein vater nur ihnen geben kann, er umsorgte sie, wie er nie jemanden hätte umsorgen können.
eurydike lief nacht für nacht zur quelle um die zweige zu giessen, die sie eines nachts hatte eingepflanzt. sie hegte und pflegte sie, wie ihre eigenen kinder. jede nacht bei mondenschein war sie bei ihnen. ihre worte konnte niemand hören, sie sprach leise, säuselte, wie der wind. liebkoste sie und liess sie wieder bis zur nächsten nacht alleine. doch eines nachts nahm das schicksal seinen lauf, er erwachte und merkte, dass sie nicht neben ihm lag, er stand auf um sie zu suchen und sah, wie sie, in ihrem weissen gewand, zielgenau in den wald lief, an der lichtung vorbei, zur quelle. was sie tat, konnte er nur erahnen, denn würde er sie nicht finden, liefe er ihr jetzt hinterher.
am nächsten abend wusste er, dass sie lief wieder fort, von dannen, tief in den wald um ihr geheimnis dort zu hüten. er stellte sich schlafend und merkte schon bald, dass sie sich beeilte, um wieder in den wald zu laufen. er schlich ihr hinterher, wie sollte es auch anders sein, eifersüchtig war er, doch wusste er nicht auf was. an der quelle badete sie, wusch sich rein, er beobachtete sie und ihr treiben. so war sie doch wunderschön und lieblich ihr gesang. in einer sprache, die er nicht verstand. eine sprache, die klang, als wenn sie vom himmel selbst käme. er lauschte ihrem klang und sah, dass eurydike einen krug füllte. im mondenlicht glitzerte ihr haar, wie sternenstaub. sie lief schnell, wie sehr sie die last des wassers auch zu drücken vermochte, sie lief geschwind und zielstrebig. auf einer kleinen lichtung machte sie halt, sie streichelte zwei kleine bäumchen, goss sie und sprach in ihrer sprache mit ihnen. es schien, als wenn sich die bäumchen zu ihr neigten. lysander hatte genug gesehen und kehrte heim. die bäumchen liessen ihm keine ruhe. er wollte ihr geheimnis lüften, so sprach er sie am nächsten tag darauf an. sie sprach nicht darüber, sie errötete vor scham, umsorgte die zwillinge und sang ihnen lieder vor, die er schon in der nacht zuvor auf der kleinen lichtung gehört hatte. je weniger sie ihm antwortete, desto grösser wurde seine eifersucht, wie sie nur bei menschen so gross werden kann. er hielt diese gefühle nicht mehr aus, er wollte eurydike für sich alleine besitzen. sollte sie sich doch um die kinder sorgen, wie sie sich um diese zwei bäumchen sorgte. bei diesen gedanken nahm er sein beil und verschwand im wald. die lichtung zu finden war nicht schwer. wie oft schon hatte er sie bei einem spaziergang im sonnenuntergang besucht. er sah sich die zwei bäumchen an, trauerweiden, so schön wie die grosse auf der lichtung, wunderschön und beide glichen sich auf zweig und blatt. er mochte bäume, doch diese nicht, sie nahmen ihm seine frau, dachte er bei sich, so hieb er mit dem beil auf sie ein. ein schlag auf die erste, ein schlag auf die zweite, als er erstarrte. schreie, unendlich durchdringende schreie. es waren kinderschreie. die bäume waren gefällt, er lief nach hause. der wald war verstummt. kein vogel, keine schreie, lysander hörte nichts. selbst der wind hatte aufgehört, in den zweigen der bäume zu säuseln. er blickte sich um, auf dem boden lagen blätter. die bäume verloren ihr kleid. im wald wurde es herbst. herbst im frühling. er lief über die lichtung der alten weide, keine blüten weit und breit waren zu sehen. der duft der freiheit und des lebens war veschwunden. lysander trat ein in die hütte. eurydike war fort. ihr weisses gewand lag noch auf dem bett. es war feucht. sie musste geweint haben. er verstand nicht, weshalb man wegen zwei bäumchen gleich fortlaufen musste, dann sah er in die kinderwiegen. da erkannte er, was er getan hatte. in diesen kleinen wiegen lagen seine töchter. still und tot. blutüberströmt. menschliches blut. doch war es wirklich menschlich ?
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lysander = griechisch : lösen, befreien, (oder vernichten?) auch mann
eurydike = griechisch : schutzgöttin der bäume

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.06.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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