Philipp Schumacher

Angst & Schrecken im Weltraum




I.
Die Wirkung der Drogen setzte ein, als sie den Flugplatz erreichten. Che spürte wie sich der warme, angenehme und doch bedrohliche Schauer, von seiner Magengrube aus bis in die Glieder ausbreitete. Er genoss dieses Gefühl.
Im Rückspiegel konnte er sehen, dass es seinem Kollegen Salver, auf der Rückbank des Taxis nicht ganz so gut ging. Der Schweiß rann in Bächen Salvers aufgeschwemmtes, stoppliges Gesicht herunter, bis zu einem gigantösen See aus Schweiß, der sich zwischen Achseln und Brust auf seinem T-Shirt gebildet hatte.
Che war sich sicher, dass dieser fette Scheißer eine rießen Panik bekommen und es die richtige Medizin benötigen würde, um ihn sicher durch die Wirren dieser Mission zu schleifen.
Das Taxi stoppte.
Nachdem sie ihr Gepäck ausgeladen hatten, warf Salver verächtlich ein paar Geldscheine durch das geöffnete Seitenfenster. Der Fahrer bedankte sich unverständlich, vielleicht fluchte er auch, dann machte er sich auf die Suche nach neuen Fahrgästen.
„Nehm das, dass wird dir etwas die Spannung nehmen.“
Die kleine Kapsel landete bitter in Salvers Mund. Er war kaum in der Lage zu kauen, zu betäubt war bereits seine Mimik. Sein schwarzes Haar hing ihm ölig und versträhnt ins Gesicht.
Hart plumpste die Kapsel in seine Magengrube.
„Was war das?“
„Zyonkali.“
„Halt deine verdammte...“
Salver fehlte die Kraft und das nötige Attikulationsvermögen um Che ordentlich zu beleidigen.
Der lachte kurz, schulterte seine Reisetasche und setzte seine Sonnenbrille auf.
„Du solltest dich beeilen, wenn du vor dem Flug noch etwas essen willst.“
„Ich bete, dass das was drin ist auch drin bleibt.“
Salver wurde schwarz vor Augen. Das Zeug hatte ihn absolut fertig gemacht. Die viel zu heiße Sonne erledigte den Rest. Er ließ seinen Koffer fallen und kotzte aus vollem Hals auf die Straße. Che sprang angewiedert zur Seite.
„Du verdammter Idiot, die Kapsel.“
Er versetzte dem kotzenden Salver einen Tritt in den breiten Arsch, der kippte nach vorne über und landete hart mit dem Kopf auf dem Boden, direkt neben seiner Kotzlache, die über alle Spektralfarben des Regenbogens verfügte. Che fuchtelte hilflos mit den Armen umher und redete mit sich selbst.
„Ich hab sie.“
„Was?“
„Die Kapsel.“
Salver hob den Kopf und grinste. Lange Fäden baumelten sein Kinn herunter. Er fischte kurz in seinem Erbrochenen, hielt triumphierend die Kapsel hoch und steckte sie sich wieder in den Mund.
„Vergiss nicht dir das Maul abzuwischen, falls dir eine der Stewardessen die Zunge in den Hals schieben will, während wir schlafen. Wer weiß schon was die alles mit uns anstellen.“


II.
Che drehte sich zum Flughafengebäude. Zum Glück war Recht wenig Betrieb vor den Eingängen. Große Menschenmassen üben einen ganz schlechten Einfluss auf Menschen aus die gerade einen abgefahrenen Trip durchleben.
Er breitete feierlich seine Arme aus.
„Das hier ist Anfang und Ende. Alpha und Omega, verstehst du? Unbegrenzter Zugang zu den Mysterien unseres Universums. Der Höhepunkt des Siliziumzeitalters und wir sind dabei. Willkommen im wirklichen 21. Jahrhundert.“
Salver robbte sich Stück für Stück vom Boden auf seine beiden Beine. Der Boden unter ihm schien aus Zuckerwatte gemacht zu sein.
„Bist du bereit, Salver?“
Die Antwort war ein unverständliches Grunzen.
„Bist du bereit?“
„Wozu?“
„Du weißt schon, die Mysterien des Universums. Anfang und Ende und der ganze Scheiß. Wie sieht es aus?“
Jetzt sprach er direkt in Salvers Ohr.
„Bist du bereit?“
„Schätze ja... Ich muss schon wieder kotzen.“
Und Salver tat, was getan werden musste.

III.
Das Restaurant im Inneren des Flughafens war bis auf die Angestellten und eine handvoll Reisegäste leer.
Beide genossen die Ruhe, bevor der ganze Stress losgehen würde. Salver ging es nun etwas besser. Er trank ein kühles Bier, wirkte aber noch immer nervös und zerfahren.
Che hoffte er würde sich bis zum Flug wieder beruhigen, denn was würde dieser ängstliche Kothaufen anstellen, wenn er an Bord der Maschine eine Panikattacke bekommen würde?
Die Verunreinigung von ein oder zwei Sitzreihen war noch die harmloseste Variante, die ihm im Kopf herum schwirrte. Er traute Salver auch ohne Weiteres einen Amoklauf ersten Ranges zu.
Che wollte ihn fragen ob er dazu bereit wäre, mit einem Potpourri aller bekannten Drogen der westlichen Welt im Bauch seinen allerersten Weltraumflug zu absolvieren, ließ es dann aber.
Für den Moment fühlte sich Che wohl, und vor allem fühlte er sich nicht beobachtet. Im Gegensatz zu Salver.
„Dieser Typ, drüben am Tisch neben der Theke. Siehst du ihn?“
Che sah kurz rüber, mit den Gedanken bei einem Bauch voller Drogen.
„Oh, mein Gott. Er ist bestimmt schwul und hat es auf deinen fetten Arsch abgesehen.“, nuschelte er zynisch.
„Er ist ein Zivilbulle. Er starrt hier rüber.“
„Mach dich nicht lächerlich, Salver.“
Doch Salver machte sich erfolgreich lächerlch und ließ seine Augen nicht von dem hageren Mann, mit akurat gebügeltem Anzug und archaischer Brille.
„Ich weiß es. Ich konnte es an seinen Augen sehen. Er beobachtet uns die ganze Zeit.“
„Na und? Du starrst doch auch die ganze Zeit rüber und bist kein Bulle, sondern ein abgedrehter Freak.“
„Aber dieser abgedrehte Freak da drüben hat bestimmt nicht den Koffer voll mit Drogen.“
Er würde es nicht schaffen, seine paranoiden Spekulationen in sein Hirn zu implantieren, dachte Che. Noch war er zu klar, um sich diesem Wurm von Gedanken hinzugeben. Mal wieder ganz im Gegensatz zu Salver. Ein anderes Gefühl meldete sich bei Che. Von viel weiter unten.
„Ich geh jetzt pissen. Versuche bitte dieses Muttersöhnchen nicht in Stücke zu reissen, während ich weg bin . Bitte tu mir den Gefallen.“
Salver nippte an seinem Bier. Seine düsterern Augen patroillierten unstet das Restaurant.
„Du ist so verdammt naiv, Che.“


IV.
Che musterte seine Augen im Spiegel. Zum Glück hatte er seine Sonnenbrille dabei.
Das pissen schmerzte, das musste am verfluchten TX liegen. Er ging zurück zum Waschbecken und sah wieder in den Spiegel. Ein kurzer Gedanke schoss durch seinen Kopf. Er könnte alleine in die Fähre steigen und einfach abhauen von Salver und seinem zerfressenen, paranoiden Membran, dass sich ein Gehirn schimpft. Sein Verhalten machte ihm wirklich Angst und dass, was noch alles passieren könnte, noch viel mehr. Aber schließlich war er sowas wie ein Freund, auch wenn im Moment ein anderer Freund Che´s, die Droge, die Kontrolle über ihn hatte.
Er entschied sich mit Salver auf eine Ebene zu kommen und warf sich ein Plättchen Acid 25 ½ ein, die er in einem Geheimfach in seiner Schuhsohle versteckt hatte. Das schien ihm die beste Lösung, wenn, dann würden sie gemeinsam mit wehenden Fahnen untergehen und es würde mit Sicherheit ziemlich hilflos und lächerlich aussehen. Er sah auf die Uhr. Die Fähre würde in 46 Minuten starten, der Countdown lief. Am meißten fürchtete Che sich vor dem Zoll. Schließlich würde er sich bis dahin in einen brabbelnden, sabbernden Irren verwandelt haben, aber das war doch das Ziel der Reise, oder nicht ?
Sein Gesicht im Spiegel lächelte ihn an. Irgendwie geht schon alles klar, wenn Salver nur mitspielt, dachte er. Glaubte sich selbst aber nur halb.

V.
Che hatte bereits ein merkwürdiges Gefühl, als er um die Ecke zu den Tischen des Restaurants bog. Dieser durchgeknallte Fettsack war verschwunden.
Und mit ihm das altmodische Muttersöhnchen.
Filmausschnitte rasselten durch Che´s Kopf. Salver hatte ihn wahrscheinlich verfolgt und in seinem Wahn ausgeweidet. Che war sich da nicht so sicher. Das TX hatte auf Salver eindeutig eine abgefahrenere Wirkung gehabt. Wo war dieser abgedrehte Bastard, jetzt ?
Die Zigaretten des Muttersöhnchens lagen noch auf dem Tisch, und Salver dieser Idiot hatte seinen Mantel auf der Stuhllehne hängen lassen.
Che sah sich um. Das Muttersöhnchen hatte bestimmt pinkeln müssen.
Die Toilletten lagen gegenüber des Restaurants, dazwischen eine kleine Konsumhalle.
Che drehte sich, schwankte und ging, langsam, um nicht aufzufallen, zurück zu den Toilletten. Die kleine Konsumhalle war fast bedrohlich leer, er hatte freie Sicht.
Da stand Salver, der durch seine massige, plumpe Gestalt auffiel, quer gegenüber, ein paar Meter von einem E-Shop entfernt.

Selbstverständlich war das Muttersöhnchen in seiner Nähe. Er stand dröge an der Ladentheke des E-Shops und wartete auf den Verkäufer. Salver lauerte verdammt aufällig hinter ihm.
Dann näherte er sich langsam.
Seine Paranoia hatte nun entgültig ihren Höhepunkt erreicht.
Che war sich sicher, dass Salver versuchen würde den schmächtigen Typ zu killen.
Der Versuch zu laufen war schmerzhaft, aber irgendwie brachte er seinen gedrungenen Körper in Bewegung. Es sah erbärmlich aus, aber er musste seinen wahnsinnigen Kumpel davon abhalten, etwas dummes zu tun. Etwas Auffälliges.
Er brachte die ganze Aktion in Gefahr.
Als er ihn fast erreicht hatte, rief er Salvers Namen, doch der hörte nichts und hatte das Muttersöhnchen schon fast erreicht. Wie ein bückliger Krüppel schlich er sich an ihn heran, ohne auch nur zu versuchen, auf die anderern Leute unaufällig zu wirken.
Nach endloser Bewegung erreichte er ihn, alles wankte um ihn herum, erste Vorboten eines sich anbahnenden Acid Flashes.
Er riss Salvers breite Schulter herum, der zuckte vor Schreck zusammen und gab ein röchelndes Quitschen von sich.
„Siehst du das denn nicht !?“, schrie Salver, ohne dabei wirklich laut zu sein.
„Wovon zu Teufel redest du, du armer Irrer ?“
„Er trägt ein H.A.T-Hemd unter seinem schicken Anzug ! Dieses Schwein ist verdrahtet. Vielleicht hat er sogar BIO-Implantate !“
Salvers Blick und seine Mimik waren fernab jeglicher Realität. Verzweifelt zuckten seine Arme. Seine Augen waren schwarz und drehten sich wirr. Sein 7-Tage-Bart war mit Speichel durchnässt. Che zog ihn ein paar Meter zurück.
Das Muttersöhnchen hatte sich schon ängslich herumgedreht, genau wie eine Hand voll anderer Reisender, die die beiden ungepflegten Männer misstrauisch beäugten. Che versuchte vernünftig auf Salver einzureden.

VI.
„Hör zu, du bist viel zu drauf, verstehst du. Deine subjektive Realität ist mutiert. Zu viele Drogen. Dieser Typ ist harmlos. Du hallozinierst.“
„Natürlich halluziniere ich, ich hab ja auch Drogen genommen. Aber dieser..“
„Verdammt, er ist harmlos, er lässt doch nur seine Karte aufladen, oder sowas. Sieh ihn dir doch mal an.“
Der Mann an der Ladentheke war richtiggehend mickrig und sah aus, als würde er sich vor seinen eigenen Augenlidern erschrecken, würde er sie unvorbereitet erblicken.
„Du glaubst er ist ein Zivilbulle ?“
Salver nickte voller Überzeugung.
„Ich glaube Bullen müssen mindestens nen Meter achtzig lang sein, oder nicht ? Von wegen Respekt, oder sowas. Sieh ihn dir an. Er ist ein jämmerlicher, kleiner Wurm.“
Geduckt blickte Salver vom Muttersöhnchen zu Che und wieder zurück. Er war jetzt etwas verunsichert.
„Aber er ist verdrahtet. Ich hab doch die Kabel geshen.“
Salver rollte mit den Augen. Seine schwarzen Strähnen klebten ihm mittlerweile, noch stärker im Gesicht. Er machte sich nicht mehr die Mühe sie sich aus den Augen zu streichen.
„Wenn ich so unterwegs bin, sehe ich auch alles mögliche, du kennst das doch und im Moment können wir sowieso keinen Ärger gebrauchen.“, sagte Che und zeigte auf seine Reistasche, deren Inhalt locker für ein paar Jahre Kerker ausreichen dürfte. Darauf legte Che wenig wert und selbst ein zugeschossener Mongo wie Salver nicht.
Irgendwas in Salver schien jetzt zu arbeiten. Er sah nach oben, an die Hallendecke.
„Was war das ?“, murmelte er vor sich hin. Dann sah er nach unten, dann zu Che.
Er wischte sich seinen verschmierten Mund ab und nickte vor sich hin.
Seine mordlüsternden Gedanken schien er endlich fallengelassen zu haben.

VII.
„Da saß ein ganzes Filmteam, direkt auf seiner Schulter...“
Salver tippte sich unbeholfen auf die eigene Schulter und kicherte wie ein kleines, mit LSD vollgepummtes Kind.
Er bemerkte Che schiefes Grinsen.
„Ich hab denen auch gesagt, dass das alles gar nicht da ist, aber die haben gemeint es wäre schon in Ordnung so.“
Jetzt lachte Salver laut, so laut, dass die wenigen anderen Gäste, die im Restaurant aßen, auf ihn aufmerksam wurden. Che hatte sich wirklich Mühe gegeben, der Droge in Salver Einhalt zu gebieten. Mit mühsamer Überredungskunst und ein paar leichten Ohrfeigen hatte er es immerhin geschafft, der Droge eine kleine Schlacht abzugewinnen und Salvers blutdürstige Paranoias zu vertreiben. Zumindest eine davon. Seitdem hatte Salver angefangen sich in einen Laberflash hineinzusteigern, der allem Anschein nach so schnell nicht auhören wollte.
Salver redete so eine unglaubliche Schieße, dass Che schwindelig wurde. Dieses Gelaber konnte dem Personal und den anderen Reisenden unmöglich entgangen sein. Er redete viel zu laut mit seiner elenden Bassstimme. Tönend schwang sie in Ches Kopf hin und her. Salver sagte so etwas wie: „Sein Schnurbart... Er ging um das ganze Gesicht, bis zu den Augenbrauen. Sie waren verwachsen, damit die Brille besser hält.“
Die Reaktion seines Gehirnes darauf, ließ Che klar werden, dass er sich inmitten eines heftigen Acid-Rausches befand. Ein verschwommener Blick auf die Uhr.
In einer Viertelstunde würden sie beim Zoll einchecken müssen.
Er fühlte sich kaum in der Lage dazu, aufzustehen, dieses Ambiente zu verlassen, und sich nur ein wenig später mit Lichtgeschwindigkeit durch das Weltall pusten zu lassen, aber schließlich waren die Tickets schon bezahlt.
Salver war mit seinen wirren Gedanken überall, nur nicht bei seinem ersten Weltraumflug, den er in Kürze absolvieren würde, von dem dramatisch anmutenden Einchecken und dem allgemeinen Zustand ganz zu schweigen. Und das, so vermutete Che, war wohl auch ganz gut so.
Irgendwann war Salver dann auch fertig mit seiner sinnlosen Predigt und ihm war erneut schlecht. Er stützte sein Gesicht auf die Hände, und die Ellebogen auf den Tisch, gluckste gelegentlich oder hustete, gab aber sonst keinen mehr Ton von sich.
Hartnäckig versuchte Che, trotz seiner verschwommenen Sicht, sich zu konzentrieren, um den Zoll nicht zu vergessen und die Uhr im Auge zu behalten. Was nicht einfach ist, wenn man, entgegen der Meinung sämtliches Physiker der Erde, glaubt, das Licht doch mit blossem Auge zu sehen ist.

VIII.
Der Aufruf nach Aquata, genauergesagt der Letzte, schreckte Che aus seinen Gedanken. Augenblicklich sprang er auf, stand da und schwankte bedrohlich. Er sah auf die Uhr.
Sie hätten längst eingecheckt haben müssen.
Er zerrte an Salver, der mit dem Kopf auf dem Tisch schlief. Salver grunzte und schlug hilflos nach Che.
„Wir verpassen die Fähre! Wach auf, verdammt.“
Salver hob den Kopf. Seine Pupillen waren immer noch rießig.
„Was für eine Fähre ?“
Das war einfach nicht zu glauben. Che riss Salver auf die Beine und schüttelte ihn.
Es dauerte zwar etwas, doch nun rannten Beide, wenn man es rennen nennen konnte, quer durch die Konsumhalle Richtung Check-in.
„Weißt du noch, was wir vereinbart haben ?“, rief Che rüber, keuchte, schlingerte und schien jeden Moment beim Laufen hinzufallen.
„In Aquata ?“, jappste Salver.
„Nein, ich meine, während dem Flug.“
Che stoppte und hielt auch Salver mit dem Arm an. Er sah sich um, nahm zwei kleine, silberne Kapseln aus der Seite seiner Reisetasche und kniete nieder, als müsste er seine Schuhe schnüren. Auf Knopfdruck schoss eine kleine Spitze aus der Kapsel hervor. Che drückte sie sich in die Wade. Die Zweite bekam Salver, dem gar nicht klar zu sein schien, was sein Freund da an seinem Bein zu suchen hatte.
„Wir müssen uns beeilen.“
Qualvoll brachten sie sich wieder in Bewegung. Große Pfeile erleichterten ihnen die Orientierung, auf einem größeren Flughafen wären sie wahrscheinlich gnadenlos verloren gewesen und irgendwie schafften sie es, den Check-in gerade noch rechtzeitig zu erreichen. Zwei weitere, zu spät gekommene Passagiere standen noch vor ihnen an der Abfertigung. Das ältere Ehepaar begutachtete die beiden jungen Männer, die gerade schwitzend und keuchend hinter ihnen zum stehen gekommen waren.
„Wenn die weiter hier so bescheuert rüberstarren, werde ich ihnen die Augen rausreißen.“, flüsterte Salver und sackte kurz mit den Beinen zusammen.
Farben verschwämmten ihnen die Sicht und die konfusenten Gedanken schworren in ihren Köpfen herum, doch Beide schienen die Situation richtig erfasst zu haben und sagten gar nichts mehr. Sie versuchten auch sich ein wenig aufrechter zu bewegen, als sie es vorher taten. Sogar Salver,
Das Ehepaar wurde durchgelassen.
Der korpulente Zollbeamte winkte jetzt Che und Salver zu sich.
„Ihre Tickets bitte.“
Er wirkte nicht sehr aufmerksam, sondern saß vor seinem Automat, die Dienstmütze schief und wackelig auf seinem speckigen, aufgendunsenen Kopf, der starr nach unten gerrichtet war. Ein weiterer Zöllner stand gelangweilt an der Gepäckkontrolle.
Che drückte ihm die Tickets in die Hand.
Der speckige Beamte nahm die zwei Chips, warf einen flüchtigen Blick darauf und steckte sie in einen Schlitz im Terminal hinter ihm.
„Legen sie ihr Handgepäck bitte auf diese Fläche.“
Che gab seine Tasche nur ungern aus der Hand.
Ein Scanner tastete die Reisetaschen nach sämtlichen illegalen organischen und anorganischen Stoffen ab. Der schlaue Scanner konnte allerdings nicht mit der Folie rechnen , die Salver von einem Schmuggler aufgetrieben hatte, die die bösen Drogen für die Kontrolle unsichtbar machte. Der Renner auf dem Schmuggelmarkt, die schläfrige Polizei hat mal wieder keine Ahnung, und bis es soweit ist, hat irgendein schlauer Mensch oder Nichtmensch bestimmt etwas Neues erfunden.
Wie erwartet schlug der Scanner nicht an.


IX.
„Mr. Salver identifizieren sie sich bitte.“
Salver trottete zum Iris-Leser. Ein Gerät, das ein wenig aussah wie eine Foltermaschine aus dem Fiebertraum eines Wahnsinnigen. Er hielt seine Augen an die Scheibe. Die Reflexion im Inneren, brach auseinander und schimmerte mit vielen tausend Spitzen, bevor sie anfing sich zu drehen, ineinander und auseinander. Dann kam der Laser, huschte über seine Pupille. Salver hatte das Gefühl seine Augen wölbten sich nach Innen.
Jetzt konnte er den Kopf wieder wegnehmen. Die Pupillen zuckten und immer wieder verschwärzte ihm die Sicht.

„In Ordnung. Mr. Chekov.“
Che trat vor, beugte sich unsicher nach vorne und kniff die Augen zusammen. Er hasste diese Dinger. Er war sich sicher davon Augenkrebs zu bekommen oder etwas Ähnliches. Vielleicht würde seine Sonnenbrille das schlimmste vermeiden, aber er glaubte nicht daran.
Als der Laser erschien und seine Iris abtastete, traf es ihn wie ein greller, blitzender Schlag. Wasserfälle aus purem Licht sprudelten direkt in seine Augen. Die imaginäre Druckwelle schleuderte ihn zurück. Er riss den Kopf hoch und verdrehte die Pupillen, stolperte nach hinten und landete auf seinem Arsch. Der Zöllner erhob seinen Kopf und starrte Che, der sich die Augen haltend auf dem Boden saß, mit sadonisch erhobener Augenbraue an.
Langsam hiefte er seinen mastigen Körper aus dem Klappstuhl.
Che stand ebenfalls auf. Seine Sonnenbrille war verrutscht und hing ihm quer im Gesicht.
Der Zöllner schlenderte gemächlich auf ihn zu, bis er direkt vor Che stand und ihm in die Augen sah. Mit einem unbeholfenem Handgriff zog er die Sonnenbrille beiseite.
Ches Mundwinkel zuckten auffällig. Er versuchte dem Beamten nicht direkt in die Augen zu sehen, was nicht schwer war, denn in seinem Bewusstsein atmetete der Kopf des Zöllners, blähte sich auf und zog sich wieder zusammen. Die Mimik ging auf Wanderschaft. Wie hätte er ihm in die Augen sehen können, wenn in seinem Verstand das eine Auge auf der Stirn und das Andere irgendwo unter der Nase herumirrte.
Der Zöllner legte seine speckige Hand auf Ches Wange und drehte den Kopf um besser in seine Augen sehen zu können.
„Ihre Pupillen sind extrem geweitet.“, sagte er schließlich.
Was für ein Wunder, natürlich waren sie geweitet.
Er sah hinüber zu dem Iris-Scanner.
„Das ist das dritte Mal in dieser Woche. Wir müssen wohl den Laser neu justieren lassen, oder so etwas. Machen sie sich keine Sorgen um ihre Augen, bis nach Aquata werden sie wieder normal sein.“
Er versuchte freundlich zu sein, aber hinter seinen schmalen Schweinsäuglein konnte man nur Langeweile, Abscheu und Unzufriedenheit erkennen.
„Und wenn nicht, kann ich den Verein hier immer noch verklagen.“, meinte Che trocken.
Salver stand ein paar Meter abseits, versuchte nicht aufzufallen, und war tatsächlich in seiner eingenen kleinen Welt.
Che setzte seine Sonnenbrille wieder gerade, grinste falsch und schlenderte los.
Salver folgte ihm unsicher, drehte sich immer wieder um und hoffte, dass die beiden Beamten seine Pupillen nicht bemerkt hatten.
Mit dem erfolgreichen Check-in war den Zwei ein großer Knüppel zwischen den Beinen entfernt worden, jetzt hatten sie wieder Zeit sich voll und ganz auf die wirkliche Welt zu konzentrieren, nämlich die, die sich ausschließlich zwischen ihren Ohren abspielte.

X.
Als die Flugbegleiterin die Beiden zu ihren Plätzen begleitete, waren sie ziemlich abgedreht. Die Aufregung bei der Zollkontrolle hatte ihren Stoffwechsel rasant beschleunigt, die Wirkung der beiden Injektionen war dadurch früher und heftiger eingetreten als erwartet. Statt friedlich Platz zu nehmen stolperte Salver, stand auf und schubste Che. Beide prügelten sich unglaublich erbärmlich und trafen einander eher zufällig und ohne Kraft. Irgendwie wurde Che durch die Schwingung seines eigenen Schlages zu Boden gebracht und er schaffte es nicht mehr aufzustehen.
Er lag einfach da und zappelte hilflos mit Armen und Beinen in der Luft.
Die Flugbegleiterin half Che auf und er versicherte ihr stotternd, die Medikamente gegen Flugangst wären Schuld an seinem Zustand. Das blonde, naive Ding glaubte ihm auch noch.
Seine Sicht war vernebelt und deshalb war er sich nicht sicher, ob sie Anfang 20 oder Ende 40 war, aber plötzlich war er unglaublich heiß auf sie. Mit trüben Augen spähte er in ihren Ausschnitt.
„Es liegt Bestimmt auch an den Pillen, dass sie mir so unanständig ins Dekolltee
starren !?“, sagte sie. Ihre Stimme klang schräg und obzön in Ches Ohren.
Er sah erschrocken auf.
„Ja,ja. Es liegt an den... Pillen.“
Unfreiwillig starrte er wieder auf ihre Brüste. Er beschloss jetzt besser nichts mehr zu sagen, zumal ihm Sabber die Mundwinkel entlangfloß wie Lavaströme.
„Wenn sie dann bitte hier Platz nehmen würden, Mr. Chekov.“
Ches Knie waren weich wie Gummi. Die Außenwelt schmolz wieder zusammen und
er hielt es für eine ausgesprochen gute Idee sich zu setzen, zumal Salver, der sich schon gesetzt hatte, auf seinem Platz anfing unkontrolliert zu zucken. Konnte es an dem Sitznachbarn liegen, der ihn zuquatschte ?
„Gurdjieff sagt auch die Gewohnheit der Identifikation, die unbewußte Tendenz menschliche Wahrnehmung als objektiv zu beurteilen, zu brechen, sei harte und lange Arbeit, aber wer dazu nicht bereit ist, lebt in einem hypnotischen, traumwandlerischen Zustand. Deshalb habe ich mich für Aquata entschieden.“
Salver sah an die Decke, zuckte ab und zu und kreiste leicht mit dem Kopf.
Che ließ sich auf den Platz zwischen den Beiden fallen.
Eine Durchsage vermeldete, dass die letzten Passagiere eingetroffen waren, und der Dämmerungsmodus nun eingeleitet werden könne.
Die Sitze brachten sich nun in eine waagerechte Position. Salver quitschte, als das passierte. Sanfte Musik lenkte die Ohren der Reisenden ab und die mit speziellen Elementen angereicherte Luft förderte ihre Müdikkeit. Die anderen Passagiere verschwanden in die Dunkelheit, wo sie für Che und Salver auch schon vorher gewesen waren.
Innerhalb weniger Minuten, die Fähre war bereits lautlos in das Schwarz des Alls gestartet, war der Großteil der Menschen an Bord, durch die hypnotisierende Atmosphäre, in eine tiefe Trance gefallen. Gegen die Drogen in Ches und Salvers Körper hatte sie keine Chance.
Erbarmungslos starrten ihre vier Augen an die Kabinendecke, auf der sich sanfte Wellen dunkler Blautöne spiegelten und rhytmisch umherwogten. Stunden vergingen. Allein und völlig aufgedreht schwirrten ihre Blicke durch die dunkle Kabine und die Gedanken um die Unendlichkeit von Zeit und Raum außerhalb der Metallwände. Zwei Freaks auf dem Weg durch ein unendliches Mysterium...

ENDE



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.06.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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