Hans Pürstner

Bella Italia

Wenn ich so an meine ersten Gehversuche in Sachen Liebe denke, ruft die Erinnerung daran doch ein leises Schmunzeln bei mir hervor. Besonders eine Geschichte ist mir noch immer gegenwärtig, mein allererster Urlaub ohne elterliche Begleitung. Es ging nach Italien, und zwar nach Jesolo, zur damaligen Zeit für Österreicher das, was Mallorca für die Deutschen wohl heute noch ist. Die Chance, während der Sommerferien Nachbarn oder Bekannte zu treffen, war hier um ein Vielfaches größer als zu Hause.
So packte meine Mutter sorgfältig meinen Koffer, gab mir ebenso gute wie ungebetene Ratschläge, wie etwa „vergiss nur ja nicht, täglich deine Unterhose zu wechseln!“ mit auf den Weg und dann begleitete sie mich zum Busbahnhof, wo sie anschließend mit sorgenvoller Miene unserem Bus nachwinkte, der mit ihrem Sohn im Dunkel der Nacht entschwand, neuen unbekannten Gefahren entgegen.
Am späten Vormittag erreichten wir unser Ziel und ich suchte mir erst mal ein Zimmer in einer Pension. Da ich von der Nachtfahrt völlig gerädert war, legte ich mich kurz hin. Als ich aufwachte, bekam ich einen Schreck. Es war sieben Uhr, ich hatte den ganzen ersten Tag und die Nacht verschlafen. Ich ging hinunter zum Speisesaal und bestellte mir einen Tee zum Frühstück. Schon der erstaunte Blick der Kellnerin hätte mir zu denken geben müssen. Als ich mich im Restaurant umsah und alle Gäste beim Abendessen erblickte fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es war erst 7 Uhr abends! Gott sei dank! Also auf zu neuen Taten. Sofort nach dem Essen machte ich mich daran, das Vergnügungsangebot des Ferienortes zu erkunden. Schließlich wollte ich ja meine Freiheit entsprechend ausnutzen.
Am nächsten Morgen mietete ich Liegestuhl und Sonnenschirm bei Raffaelo, unserem Strandwart. Wie damals üblich, für die vollen zwei Wochen. Streng nach urdeutscher Gründlichkeit, wie abgezirkelt, nannte nun jeder Feriengast für die Zeit seines Urlaubs ein entsprechendes Fleckchen Strand sein eigen. Schon bald erspähten meine suchenden Blicke eine italienische Familie drei Liegestuhlreihen weiter, zu der ein etwa fünfzehn Jahre altes Mädchen gehörte. Sie hatte es mir angetan, es war wohl Liebe auf den ersten Blick. Obwohl, was wusste ich damals schon von Liebe, selbst gerade erst siebzehn geworden.
Verstohlen wanderten meine Augen bei jeder Gelegenheit nach rechts , in der Hoffnung, irgendeine Reaktion zu erhaschen. Na ja, mal ein verschämter Augenaufschlag, hin und wieder sogar ein schüchternes Lächeln, auf jeden Fall war ich hin und weg. Dass es sich um Italiener handelte, davon hatte ich mich inzwischen vergewissert. Auch wenn sie akustisch zu weit entfernt waren, nach etlichen Versuchen, in ihren Lippen zu lesen bei ihren Gesprächen mit Eltern und Geschwistern stand es fest. Ich musste schleunigst Italienisch lernen. Am Abend verzichtete ich wohl oder übel auf den Besuch der Freiluft-Disco vor unserer Pension, entwickelte einen präzisen Schlachtplan und zog mich zum Lernen auf mein Zimmer zurück. Mit einem Eifer, den ich ansonsten beim ungeliebten Lateinunterricht im Gymnasium vermissen hatte lassen, vergrub ich mich in das kleine Italienisch Wörterbuch. Wort für Wort, eins nach dem anderen übersetzte ich nun meine geplante Konversation mit meiner Traumfrau.
Es muss ein unglaubliches Tohuwabohu von Worten gewesen sein, die völlig andere Satzstellung im Italienischen war mir ja nicht geläufig, ehrlich gesagt war sie mir auch egal. Am nächsten Vormittag nahm ich all meinen Mut zusammen, mit Todesverachtung näherte ich mich dem Objekt meiner Begierde. Mit leicht errötetem Kopf trug ich nun die mühsam einstudierte Fassung meiner Einladung zum Rendezvous vor, gespannt wartend auf die Reaktion meiner Angebeteten. Tatsächlich schien sie mein Gestammel verstanden zu haben, ihr Lächeln genügte mir als Antwort.
Am Abend saß ich nun an der alten Hafenmole und wartete neugierig darauf, ob sie Treffpunkt und Zeit wohl auch kapiert hätte. Und in der Tat, nach kurzer Zeit tauchte sie auf. Aber, oh Schreck, im Schlepptau hatte sie ihre ganze Familie mitgebracht. Eltern, Großmutter und Geschwister. Alle kamen, um den neuen Schwiegersohn, -Enkel in spe in Augenschein zu nehmen. Das brachte mich nun auch vollends aus der Fassung, die weiteren einstudierten Sätze meiner geplanten Anbaggerungs-operation verschwanden aus meinem Gedächtnis, wie die Farbe in meinem Gesicht. Resolut deutete ihr Vater auf den Platz neben sich, die unmissverständliche Anweisung mich zu setzen. Das Objekt meiner Sehnsucht musste weit weg von uns Platz nehmen und Papa erkundigte sich nach meinem Alter. Wir sprachen mehr mit Händen und Füßen, aber meine mit den Zehen in den Sand gemalte Antwort „17“ schien ihm zu genügen. Abrupt forderte er die Familie auf zu gehen, grußlos verschwanden sie im Dunkel der lauen Sommernacht.
Und am nächsten Tag sucht ich vergeblich nach ihnen an alter Stelle. Ihr Strandplatz war nunmehr ein paar Reihen weiter entfernt, weit weg von meinen schmachtenden Blicken. Weg war sie, meine erste große Liebe.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.06.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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