Monika Drake

Skampy



Heute beginnt zwar erst der Herbst, aber es sind jetzt bereits kaum noch Blätter an den Laubbäumen. Nur vereinzelt fällt noch ab und zu ein bunt geschecktes Blatt herunter und läßt sich dabei vom Wind ordentlich durch die Luft wirbeln, um noch recht lange die letzte Reise zu genießen, bevor Mutter Erde es in ihrem Reich aufnimmt. Die Temperaturen sinken nachts schon nahe dem Gefrierpunkt.
Darum bin ich froh darüber, daß frühmorgens in der S-Bahn die Heizung angeschaltet ist. Da ich von der Endhaltestelle abfahre, kann ich mir zum Glück den besten Platz aussuchen, wenn ich nicht erst in der letzten Sekunde einsteige. Ich fühle mich an einem Fensterplatz am Wohlsten, wenn mich eine hölzerne Trennwand im Rücken vor neugierigen Blicken schützt. Darum steuere ich diesen Platz sofort an, kuschele mich behaglich in die Ecke und drücke meine Beine an die warme Heizung unter dem Fenster - genauso auch an diesem Morgen.
Ich bemerkte es nicht mehr, daß sich der Zug in Bewegung setze, weil ich bereits eingeschlafen war - die Nacht war etwas kurz gewesen...
Ein strenger Geruch neben mir ließ mich 10 Minuten später aufwachen. Dieser kam scheinbar von einem beigefarbenen Teddymantel, den eine Frau in mittleren Jahren trug. Dieser Mantel sah zwar hübsch und kuschelig aus, hatte aber wohl längere Zeit Bekanntschaft mit Mottenkugeln gemacht.
Ich holte ein Buch aus meiner Tasche und drückte mich Nase rüffelnd etwas mehr in meine Fensterecke. Peinlicher Weise schien sie meine Geste bemerkt zu haben, denn sie schaute mich an - und lächelte aber.
Nun weiteten sich meine Augen - denn ich sah plötzlich, wie sich ihr Mantel in Brustkorbhöhe zu einer wachsenden, länglichen Beule wölbte. Und diese Beule schien zu leben, denn sie bewegte sich Richtung Hals meiner Nachbarin. Diese öffnete nun in aller Ruhe oben einige Knöpfe des Mantels - und heraus guckte der Kopf von einem kleinen, hellbraun gemusterten Frettchen! Doch nur bei dem niedlichen Kopf blieb es nicht lange, denn Sekunden später zeigte er sich in seiner ganzen Schönheit.
Der kleine Kerl war wirklich putzig anzuschauen und gut erzogen, denn sofort rannte er in die linke Armbeuge vom Frauchen und legte sich dort - wie ein Baby - rücklings nieder. Frauchen kraulte nun zärtlich seinen Bauch, was er grunzend beantwortete. “Das tut dir gut, gell Skampy?“
Schon längst war das Buch wieder in meiner Tasche verschwunden, denn Skampy ist natürlich für mich Tierliebende viel interessanter. Wann erlebt man schon mal hautnah ein zahmes Frettchen?
“Der Kleine ist aber ein niedliches Kerlchen, das Frettchen ist wohl noch sehr jung?“ fragte ich nun wißbegierig und lächelnd meine Nachbarin.
“Nein, sie irren sich in zweierlei Hinsicht. Skampy ist ein Iltisfrettchen - ein Mischling zwischen einem Iltis und seinem zahmen Abkömmling, dem cremeweißen Frettchen. Er ist bereits zwei Jahre alt, aber außergewöhnlich klein für sein Alter. Wahrscheinlich wurde er deshalb von der Mutter verstoßen, denn ich fand ihn halb verhungert im Gebüsch an einem Autobahnrastplatz in Wald- und Feldnähe. Nicht wahr, mein lieber Freund?“ antwortete sie freundlich, ohne das Streicheln zu unterbrechen. Als sie mich dann anschaute und meinen erwartungsvollen Blick sah, lächelte sie und erzählte sofort bereitwillig weiter:
“Damals war er ca. 4 Wochen alt, was man an seiner Felldichte erkennen konnte. Mit einem Strohhalm flößte ich ihm sofort ein Paar Tropfen Wasser in die Schnauze und nahm ihn, wärmend eingewickelt in meinem Schal, mit nach Hause.
Dort bastelte ich schnell aus einem Finger vom Gummihandschuh einen provisorischen Schnuller und ließ mir telefonisch von einer Tierärztin das Milchrezept mitteilen. Sie gab mir wenig Hoffnung, den Findling retten zu können...

Zuerst sah es so aus, als würde sie Recht behalten. Skampy war viel zu schwach, um die Milch zu trinken. Tropfenweise ließ ich die Milch nun in seine geöffnete Schnauze fallen und massierte anschließend vorsichtig seinen Hals. Dann wärmte ich ihn ein paar Minuten unter dem Pullover mit meinem Körper. Anschließend ging es weiter mit der Milchprozedur und Wärmen im Wechsel.
Ich spürte immer mehr an seinen zunehmenden Bewegungen den Erfolg, bis er schließlich zum ersten Mal selbst die Milchtropfen herunterschluckte! Sein Interesse für den Schnuller - dem Ursprung der Köstlichkeit - nahm zu, Tropfen wurden ihm zu wenig. Darum wunderte es mich nicht mehr, als er kurz darauf gierig daran saugte - Skampy hatte es geschafft, ich freute mich riesig darüber!

Von nun an stellte der kleine Quirl mein bisheriges Einzelleben als Invalidenrentnerin völlig auf den Kopf, wich mir nicht mehr von meiner Seite.
Meine Freundinnen weigerten sich jedoch bald, mich besuchen zu kommen. Schuld daran war die Tatsache, daß Frettchen einen strengen Eigengeruch haben und somit als Haustier eigentlich nicht zu empfehlen sind. Doch mir war das egal.
Skampy wurde nach einigen Tagen bereits stubenrein, denn er lernte schnell, die Katzenspreu dafür zu benutzen. Als er älter wurde, erledigte er seine Geschäfte - wie ein braver Hund - bei unseren täglichen Spaziergängen.
Natürlich nagte er bald alles an, was ihm fressbar erschien. Auch vor dem Stromkabel machte er leider nicht halt, was nicht ungefährlich war - und das für uns beide! Denn es kam einmal vor, daß er abends dadurch einen Kurzschluß verursachte und ich stand auf der Treppe zum Keller plötzlich im Dunkeln, zum Glück war ich bereits auf der 3. Stufe, als ich stolperte und fiel...
Trotzdem kann ich mir keinen besseren Freund wünschen - gell, Skampy?“ Sie kraulte ihm hinterm Ohr, was er offensichtlich besonders gern mag.

“Das sehe ich - vielen Dank, daß Sie es mir erzählten!“ sagte ich zu ihr begeistert. “Nun weiß ich auch, woher dieser eigenartige Geruch kommt, den ich zuerst für was anderes hielt.“ gestand ich ihr schmunzelnd.
“Das kann ich Ihnen nicht verübeln,“ lachte sie, “aber mit der Zeit gewöhnt man sich an diese Duftnote. Ich heiße übrigens Gitte.“
“Hoch erfreut, sie kennen zu lernen, Gitte. Ich bin die Moni.“ Wir deuteten einander eine Verbeugung an - lachend, versteht sich.
Skampy `s Neugierde überwog in diesem Moment der Streichelsucht, denn er drehte sich um, kam näher und beschnupperte mein Ohr. Als er dann plötzlich an meinem Ohrläppchen leckte, zuckte ich mit einem “huch!“ kichernd zusammen, denn das kitzelte natürlich. Das erschreckte ihn jedoch und er war in Sekundenschnelle im sicheren Mantel von Gitte verschwunden. Doch kurz darauf lugte er wieder hervor und kam langsam zu mir zurück, durch beruhigende Worte vom “Frauchen“ ermutigt.
“Legen sie, Moni, mal bitte jetzt beide Hände zum Beten zusammen - o.k. Nun drehen sie die Hände um und dehnen die Handoberflächen nach oben - so ist richtig. Dadurch legen sie die Handkanten automatisch an den Bauch und die Arme um die Seite - perfekt. Warten sie mal ab, was nun passiert - aber bitte nicht mehr zucken!“ sagte jetzt geheimnisvoll meine Banknachbarin zu mir.
Ich nickte und hielt sogar voller Spannung meinen Atem an...
Skampy lief sofort meinen linken Arm herunter, legte sich der Länge nach auf meine Handflächen und schmiegte sich vertrauensvoll an meinen Bauch - was für ein schönes Gefühl! Dann stand er auf und drehte sich so lange im Kreis, bis er sich wie eine Schnecke eingekringelt hat. Was ich dann in meinen Händen hielt, sah aus wie ein großes Wollknäuel mit schwarzen Knöpfen in der Mitte und heraushängendem, buschigen Zipfel - seinem Schwanz.
Ich war sprachlos...
“Er spürt anscheinend, daß sie es gut mit ihm meinen. Sie haben eine sehr positive Ausstrahlung auf Tiere, Skampy mag sie. Ich bin selbst erstaunt darüber.“ Gitte war ehrlich gerührt.
“Das war ja eine Zirkusreife Vorstellung, alle Achtung! Und er fühlt sich so schön weich an - wie eine Miniausgabe von Gina, die Katze von meinem Sohn. Doch zum Glück ohne Krallen!“ bemerkte ich grinsend. Gitte lachte.
Plötzlich hielt die S-Bahn etwas ruckartig auf dem Bahnhof Tiergarten, worauf sich Skampy sekundenschnell entknäulte und wieder in Gittes Mantel verschwand.
“Ach nö, leider muß ich an der nächsten Haltestelle aussteigen. Ich habe gar nicht darauf geachtet, wo wir sind. Schade, wäre so gern noch geblieben.“
Ich kramte schnell in meiner Tasche. “Hier ist meine Visitenkarte - es wäre schön, wenn Sie mich mal anrufen oder ein Email schicken. Es hat mich wirklich sehr gefreut, Sie und Skampy kennenzulernen. Vielleicht können wir uns ja noch einmal treffen? Das wäre prima.“ Ich stand auf und schaute Gitte fragend an.
Sie steckte die Karte in die Manteltasche und verabschiedete sich von mir mit einem kräftigen Händedruck. “Ja, vielleicht. Ihnen wünsche ich alles Gute, bleiben Sie so, wie sie sind.“
“Danke, gleichfalls.“ Skampy lugte hervor. “Tschüss, kleiner Skampy - bis bald!“ sagte ich lächelnd, als ich mich an beiden vorbeischlängelte und rückwärts zur Tür ging. Auf dem Bahnsteig winkten wir uns noch einmal zu...

Mir war es so was von egal, als meine Kolleginnen an diesem Arbeitstag die Nase krausten, während ich an ihnen vorbei ging.

Leider meldete sich Gitte danach nicht mehr bei mir, darum gab es auch kein Wiedersehen mit ihr und Skampy, schade. Vielleicht war sie noch nicht bereit dazu, Skampys Zuneigung mit jemanden zu teilen ... das kann ich sogar verstehen. Ich werde sie immer in guter Erinnerung behalten.


Ebenfalls aus meinem Manuskript zum Buch "Berliner Geschichten", werde diese Begegnung niemals vergessen!Monika Drake, Anmerkung zur Geschichte

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Monika Drake).
Der Beitrag wurde von Monika Drake auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.07.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Monika Drake als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Der Wichtel und das Schwein der Waisen von Holger Gerken



In diesem ironischen Fantasy-Roman begeben sich der Wichtel Puck und der Rabe Muhugin auf die Suche nach der Goldenen Waldsau, die Trolle von ihrer Waldlichtung gestohlen haben. Dabei durchqueren sie Schauplätze und treffen auf Figuren, denen wir so ähnlich schon in verschiedensten Abenteuerromanen und –filmen begegnet sind. Aber irgendetwas ist immer ein bisschen anders als bei den bekannten Originalen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (4)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Wahre Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Monika Drake

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Mysterie von Monika Drake (Spannende Geschichten)
Ein Date, ein Tag im Dezember 2001 und ein DejaVu... von Kerstin Schmidt (Wahre Geschichten)
Amanda von Monika Drake (Wahre Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen