Kerstin Stekker

Schwierig

Sie lächelte ihm zu, bis er nicht mehr so tun konnte, als gäbe es sie nicht. Er quälte ein "Hi" hervor, das von vornherein zum Scheitern verurteilt war, weil der Discolärm es sofort verschluckte. Aber sie hatte sein Mundbewegung registriert und sofort als Aufforderung betrachtet, ihm ein Stück näher zu rücken. Er nickte ein bißchen verdrießlich, denn eigentlich hatte er keine Lust, seinen relativ bequemen Platz am Tresen einzutauschen gegen eine anstrengende Action auf der Tanzfläche, bei der er sicher ein paar blaue Flecken davontragen würde. Aber natürlich fühlte er sich geschmeichelt von ihrem Interesse und so folgte er ihr.

Mit jeder Bewegung wuchs seine Anerkennung. Die hatte wirklich was drauf, richtig sexy, was sie da bot, und ihre Blicke in seine Richtung aus den Augenwinkeln heraus trafen ihn wie kleine Stromstöße. Als er bemerkte, dass einige seiner Kumpels begehrlich nach ihr schielten, wurde er richtig stolz auf sein "Erorberung". Dass diese Sichtweise nicht ganz den Tatsachen entsprach, störte ihn nicht.

"Ein starker Abend", dachte er bei sich, während er zusammmen mit ihr die Disco verließ. Ihre Frage "Gehen wir zu Dir oder zu mir?" versetzte ihm einen Schock und verwirrte ihn bis in die Haarspitzen. Was tun? Wie kam er aus dieser Falle wieder heraus? Denn eine Falle war dies für ihn ohne Zweifel, das Wort "Beziehung" stand plötzlich im Raum, lauerte mit Riesenkrallen und Handschellen. Nach einigen Sekunden, während derer seine Körpertemperatur um etliche Grade stieg fiel ihm eine Ausrede ein, die so fadenscheinig war, dass der Mond durchschien. Um seine Bekanntschaft nicht ganz zu verprellen, schlug er vor, die Telefonnummern auszutauschen, denn ein Telefonat kostet im Allgemeinen nicht gleich die Freiheit und hält die Hoffnung aufrecht. Bis er zuhause angekommen war, hatte sich der Aufruhr in seinem Kopf wieder beruhigt. Es gelang ihm sogar schon wieder, an seine Eindrücke auf der Tanzfläche zurückzudenken und sie als angenehm zu empfinden. Mit dem Vorsatz, sie am nächsten Tag anzurufen, schlief er schließlich ein.

Am Sonntag nach der Disco, das war sein persönlicher Tag, lange schlafen, Besuch bei Muttern und sich mal so richtig verwöhnen lassen, mit dem Motorrad eine Spritztour machen oder bei Regen einen Film aus der Videothek anschauen, das liebte er.
Am Montag nach der Arbeit ins Fitness-Studio, noch etwas trinken gehen mit den Sportsfreunden, dienstags eine "Hausfrauentag" einlegen und die Wohnung aufräumen - oh Schreck der Zettel mit der Telefonnummer von Samstag lag unter dem Bett. Da wollte er ja schon am Sonntag anrufen. Gesagt getan, besetzt. Also schnell SMS verfasst: "Hallo Melanie, erinnerst du dich an mich? Stichwort Disco am Samstag Abend. Hattest Du ein schönes Wochenende? Mir geht es gut, hoffe Dir ebenso. Melde dich mal. Viele Grüße dein Matthias". Er zögerte bei dem Wort Dein, dachte aber, das sei er ihr schuldig, nachdem heute schon Dienstag war und nicht Sonntag, wie ursprünglich vorgesehen. Er legte das Handy beiseite und hatte es auch sofort vergessen, denn im Fernsehen begann ein Krimi, auf den er sich seit Tagen freute. Dass das Handy eine so aufdringlichen Klingelton hatte, fiel ihm heut zum ersten Mal auf, weil es exakt in dem Moment den Kommisar übertönte, als der den Mörder entlarvte. "Mist", knurrte er, ging aber trotzdem dran, weil seine Neugier die Oberhand gewann. "Hallo Melanie, Melanie wer? Ach ja aus der Disco am Samstag! Wie geht's? Ob ich morgen Zeit habe? Kino? Was gibt's denn? Ooch, nee, Julia Roberts ist nichts für mich. Bruce Willis, da ginge ich mit, aber der kommt erst am Donnerstag. Also dann bis Donnerstag um acht vorm Kino. Tschau."

Melanie legte das Handy beiseite und stand eine Zeitlang einfach nur da. Rätselhaft, einfach rätselhaft war ihr dieser Matthias. Seit Samstag rumorte es in ihr. Auf der Tanzfläche war sie sich so sicher gewesen, dass er Feuer gefangen hatte, sie hätte es schwören können. Sie war sich hunderprozentig sicher gewesen, dss er das Gleiche gespürt hatte wie sie, und dann dieser Rückzieher und das Vertrösten auf einen Anruf, als ob das ein Ersatz wäre! Wie hatte sie ihn nur so falsch einschätzen können! Zu gerne hätte sie mehr über ihn erfahren, aber das war ein schwieriges Unterfangen, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als bis Donnerstag zu warten. Das würden zwei lange Tage werden. Sie wusste aus Erfahrung, dass sich sich bis dahin auf nicht konzentrieren konnte, appetitlos war und unruhig schlief. Aber sie hatte keine Macht über sich und auch keine Wahl.

Den Donnerstag Abend verbrachte sie abwechelnd vor dem Spiegel und vor dem Kleiderschrank, schwankte zwischen verführerisch und unschuldig, hatte schlimme Befürchtungen, dass beides voll daneben liegen könnte und entschloss sich kurz vor dem Zuspätkommen für ein relativ neutrales Outfit. Sollte er doch selbst entscheiden, welchem Typ er sie zuordnen wollte.

Donnerstagabend, 19.59 eilte eine junge, elegant gekleidete Frau völlig außer Atem zum Kinoeingang, blieb davor stehen und sah sich suchend um.

Donnerstagabend, 19.59 verließ ein junger Mann in Shorts und Turnschuhen seine Wohnung und schlenderte zum Kino, das etwa 10 Minuten Fußweg entfernt war.

Es bleibt schwierig...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.07.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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