Elfie Böttger-Bohlen

Frauen erzählen aus Ihrem Leben

Einleitung

Erzählen kann jeder. Um aber ins Erzählen und damit ins Erinnern zu kommen, bedarf es der Begegnung von Mensch zu Mensch.

Gerade alte Menschen haben viel zu erzählen. Ihre Geschichten helfen uns, Zugang zu finden in eine vergangene Zeit, wenn wir nur bereit sind, uns darauf einzulassen.

Sind wir also bereit, uns auf alte Menschen und ihre Geschichten einzulassen, werden wir erkennen, daß es sich um Menschen handelt, die ein Lebensalter erreicht haben, in dem häufig schwierige Situationen den Alltag bestimmen. Alleinsein, Einsamkeit, Hilfe- oder Pflegebedürftigkeit sind Tatsachen, die hauptsächlich alte Menschen betreffen.

Sich hineinfühlen in Menschen, die am Ende eines Weges stehen, bedeutet, sie anzuschauen und wahrzunehmen, daß sie sich in ihrem letzten Lebensabschnitt befinden, in dem der Tod und die damit häufig verbundene Angst allgegenwärtig ist.

Sich mit sozialen Lebenssituationen im Kontext von existentiellen Tatsachen auseinandersetzen heißt auch, zu erkennen, daß alte Menschen ein Geschlecht haben, also Männer oder Frauen sind, die einen Familienstand haben, im Eheleben stehen oder nach vielen gemeinsamen Jahren mit einem anderen Menschen nun als Witwen oder Witwer alleine sind.

All dies bedeutet auch, sich alte Menschen im Zusammenhang mit ihrer erlebten Zeitgeschichte vorstellen zu können. In ihren Gesichtern die Spuren von Krieg, Faschismus und Frieden zu sehen. Spuren einer erlebten Sozialgeschichte. Vom Proletarier zum Bürger, vom Klapperstorch zur vernünftigen Aufklärung. Und nicht zuletzt, die Entwicklungsgeschichte der Emanzipation der Frau.

Zum Lebenslauf der Geburtsjahrgänge um die Jahrhundertwende gehört eine Kindheit in den autoritären Schulen des Preußenstaates, was bedeutet, zu "anständigen Untertanen" erzogen worden zu sein. In der Jugend haben diese Menschen die Schrecken des ersten Weltkriegs erlebt, und die Klassenkämpfe um das Schicksal der Weimarer Republik. Als Erwachsene erwartete sie bittere Armut und Arbeitslosigkeit, Furcht und Elend im Faschismus. Sogar das grauenhafte Leiden und Sterben im zweiten Weltkrieg zu sehen blieb ihnen nicht erspart.

Zur Zeit der großen Arbeitslosigkeit in den Jahren 1926-1929 waren die heute siebzigjährigen gerade einmal kleine Kinder. Sie lPrntPn in den Schulen des NS-Staates. In den abenteuerhaft organisierten Knaben- und Mädchenbünden der NSDAP waren sie einer Erziehung unterworfen, die Größenwahn und Kriegsheldentum propagierte. Als junge Erwachsene erlebten sie den Untergang des totali-tären NS-Staates, Kriegsflucht und Gefangenschaft, zu Trümmerhaufen zerbombte Städte. Obdachlosigkeit und bitterer Hunger begleiteten sie viele Jahre.

In diesem Zusammenhang interessiert mich besonders die Geschichte der Frauen. Der Lebenslauf der heute alten Frauen ist ein anderer, als der der Männer. Es ist nur zu deutlich. Die Frauen wurden mit ihrem Schmerz und der Trauer um die erlittenen familiären Kriegsschicksale alleine gelassen. Da gab es plötzlich Tote zu beklagen, da waren Krüppel und Waisen in der eigenen Familie.

Während die Männer in Kriegsgefangenschaft oder gefallen waren, erzogen die Frauen zu Hause alleine die Kinder, sorgten so gut sie es konnten für die Ernährung der Familie und leisteten als Trümmerfrauen übermenschliches. Auch die heutige Situation alter Frauen ist eine andere als die der Männer. Die Einsamkeit nach dem Tod des Ehepartners, erleben, wie Freunde und Geschwister sterben, ist ein Schicksal, welches überwiegend Frauen trifft. Ein niedriges Einkommen, manchmal sogar Armut und die Scham darüber, auch das ist typisch für alte Frauen. All dies spiegelt sich in ihren Gesichtern wieder.

Häufig erfolgt im Alter eine Reflexion über die eigene Geschichte. Das Erinnern und Erzählen ist oft schmerzlich und erfordert Phasen der Ruhe. Die Frage, "Wie soll ich als alte Frau meine letzten Lebensjahre gestalten?", beschäftigt und bedrückt viele von ihnen. Darf ich egoistisch sein, mich einmal nur um mein eigenes Wohlergehen kümmern? Darf ich über mein vergangenes Leben, meine Ehe, meine Liebe überhaupt mit einem anderen Menschen reden?

Meine Arbeit mit alten und kranken Menschen ermöglicht mir einen engen Kontakt zu ihnen. Pflege bedeutet Nähe zulassen und aushalten zu können. Die Berührung des eigenen Körpers durch eine fremde Hand, das Gefühl geführt oder getragen zu werden, verwischen die Distanz zur Pflegeperson. Dieser positive Distanzverlust eröffnet die Möglichkeit, offene Gespräche zu führen, die in die Tiefe gehen. Offene Gespräche über die eigene Biographie verbunden mit dem eigenen Lebens-gefühl. Gespräche über die Kindheit, über das Arbeits-, Frauen- und Eheleben.

So bin ich häufig in der glücklichen Lage, daß Frauen mir Einblicke in ihr Leben gewähren und mich an ihrer Geschichte teilhaben lassen. Ich danke all diesen Frauen, denn sie haben mich reicher gemacht.

Elfie Böttger-Bohlen



Vorwort

Frauen erzählen aus ihrem Leben. Ungeschönt berichten sie über ihr Leben als Tocher, Mutter, Ehefrau.

Lasse zu , daß diese Frauen dir begegnen und nehme sie wahr.

Mit diesen gesammelten Texten möchte ich mich zu den Frauen bekennen, die ein Leben hinter sich haben, das geprägt ist von Angst und Verlust, Arbeit und Pflicht, aber auch von Liebe, Freude und Lust.

Elfie Böttger-Bohlen



Kindheit und Jugend

Bernhardine, 78 Jahre

Meine Mutter war für die Prügelstrafe. Das hat sie aber nicht selbst gemacht, das mußte mein Vater tun. Der ist dann mit dem Sündenbock ins Schlafzimmer gegangen, hat den Gürtel aus der Hose gezogen und immer ganz kräftig auf das Bett geschlagen. Wir Kinder sollten bei jedem Schlag laut schreien. Nach zehn Schlägen hat mein Vater in die Hände gespuckt und uns die Spucke ins Gesicht gerieben. So haben wir dann verheult ausgesehen und meine Mutter war zufrieden.

Erika, 65 Jahre

Meine Mutter war keine gebildete Frau. Sie hat kaum eine Schule besucht, und ihr Denken war sehr einfach, aber sie war immer für mich da.

Elfriede, 60 Jahre

Mein Vater sagte immer, alle Eltern machen Fehler. Von Generation zu Generation, immer wieder andere. Darum wird es nie eine Erziehung ohne Fehler geben.

Agathe, 80 Jahre

Mein Vater war oft betrunken und mein Mann war auch ein Säufer. Wenn ich einen Betrunkenen sehe, holt mich der Ekel ein. Ich will nie wieder vor einem Mann Angst haben müssen.

Emma, 70 Jahre

Immer wenn meiner Mutter etwas nicht paßte, drohte sie, ihre Koffer zu packen und zu gehen. Manchmal sagte sie auch, sie ginge in den Stall und würde sich erhängen. Mein Vater stand dann immer auf und sagte: "Warte, ich komme mit und helfe dir".

Agnes, 69 Jahre

Meine Mutter konnte mich nie leiden. Sie hat mich immer mit meinem Bruder verglichen und gesagt, wenn ich so wäre wie er, hätte sie mich lieb. Mein Vater hat mich verwöhnt. Er hat mir ein schönes Kleid gekauft und meine Schuhe blank geputzt. Dann habe ich ganz stolz allen Leuten gezeigt, wie schön ich bin.

Sybille, 68 Jahre

Also, meine Oma haßte ihren Schwiegersohn, meinen Vater, weil er nicht in die Familie paßte. Ich sah meinem Vater unheimlich ähnlich, darum hat sie mich auch gehaßt. Meine Schwester sah aus wie meine Mutter, sie wurde von der Oma geliebt. Wenn wir Kinder mal bei der Oma bleiben mußten, dann wurde ich auf den Balkon gesperrt, und meiner Schwester hat sie in der Küche Schokoladenpudding gekocht.

Luise, 70 Jahre

In der Schule haben sie uns erzählt, wir sollen nicht beim Juden einkaufen. Mein Vater war Kommunist und hat immer gesagt, ich soll nur beim Juden einkaufen. Das war für mich sehr schwer, ich wußte nicht, was richtig war. Ich hab mich dann in das Geschäft vom Juden geschlichen und aufgepaßt, daß mich keiner sah.

Maria, 70 Jahre

Mein Vater hatte sechs Brüder und alle waren sie in der KPD. Unten im Backofen hat immer so ein Gummiknüppel gelegen. Nachts hat es oft ans Fenster der Schlafstube geklopft. Mein Vater ist dann aus dem Bett gesprungen, hat sich den Gummiknüppel so in den Ärmel vom Pullover gesteckt und ist gegangen. Dann wußte ich schon, da ist wieder irgendwo was los.

Luise, 70 Jahre

Obwohl ich erst sieben Jahre alt war wußte ich, wenn mein Vater nachts in unserer Waschküche Flugblätter gedruckt hat, dann ist das was Gefährliches. Einmal bin ich aus der Schule gekommen und habe meine Mutter an der Mauer der Zeche gesehen. Sie hat mit einem Schrubber Plakate abgescheuert, auf denen stand " Wählt KPD, Liste drei ". Da wollte ich in die Emscher springen.

Helga, 78 Jahre

Die katholische Schule und die evangelische Schule hatten zusammen einen Schulhof, der aber in der Mitte eine Mauer hatte. Wenn von den katholischen Kindern einer auf der Mauer saß, haben die Evangelischen immer gerufen: "Katholische Ratten, vom Feuer gebacken, mit Mehl gerührt, zum Teufel geführt."

Luise, 70 Jahre

Wir Kinder durften nie erzählen, was zu Hause so gesprochen wurde. Mein Vater wurde oft verhört, damals, auf der Steinwache. Wenn er zerschunden wieder nach Hause kam hat er nur gesagt: "Von mir erfahren die nichts. Man liebt den Verrat, aber man haßt den Verräter."

Elfriede, 81 Jahre

Manchmal wurde im Hof ein Schwein geschlachtet. Ich durfte da nicht zugucken, aber ich hab mich einmal hingeschlichen und alles gesehen. Mit einer Pistole, die aussah wie eine Luftpumpe, haben sie das Tier erschossen. Dann wurde es mit kochendem Wasser übergossen. Der Schlachter hatte eine kleine Glocke mit einem Haken dran. Damit hat er dem Schwein die Zehnägel abgerissen und die Borsten abgekratzt. Mit einem großen Messer hat er in die Halsschlagader gestochen und am Bein des Tieres gepumpt. Mit jedem Pumpen kam ein Schwall Blut heraus und schwappte in einen Eimer. Die Nachbarin hat mit bloßen Armen in dem Blut gerührt. Da bin ich umgekippt und hab zwei Wochen lang mit Fieber im Bett gelegen.

Gertrud, 90 Jahre

Als Kind war ich immer sehr dünn und bin in der Schule auch schon mal umgefallen. Da hat mich der Lehrer gefragt, ob ich denn nichts zu Essen bekäme. Ich bin ganz rot geworden, weil wir wirklich sehr arm waren. Von da an hat er mir jeden Morgen im Flur in einer Ecke ein Butterbrot hingelegt.

Elfriede, 70 Jahre

Heute sagen alle, sie hätten nichts gewußt. So ganz stimmt das ja auch nicht. Wir hatten im Dorf einen Lehrer, der hat den Kindern in der Schule gesagt sie sollten nicht in die Hitlerjugend gehen. Dann kamen welche von der Partei und haben mitten auf dem Dorfplatz eine Grube ausgehoben. Den Lehrer haben sie gebracht ganz nackt und in Stacheldraht eingewickelt. In die Grube haben sie ihn geworfen und zugeschüttet. Alle standen drumrum und haben zugeschaut. Meine Mutter hat mich weggezogen und gesagt, ich sei zu jung für so etwas.

Severine, 89 Jahre

Ich bin ein Fräulein. Ich hab keinen Mann abgekriegt, obwohl ich gerne geheiratet hätte. Das ging aber nicht, ich mußte immer für meine Mutter sorgen. Die mußte sich schonen. Mit sieben Jahren war ich sehr krank und sollte sterben. Meine Mutter hat mich aber nicht sterben lassen. Sie hat gesagt, ich müsse die Arbeit machen, weil sie sich schonen muß. Da bin ich nicht gestorben, aber der Rest meines Lebens war kein lebendig sein und auch kein Tod.

Kläre, 88 Jahre

Mit vierzehn bin ich zu einem Juden in die Lehre gekommen. Das waren feine Leute. Ich habe alles für den Haushalt gelernt und war auch zuständig für die Küche. Bis ich gelernt hatte was "koscher" war, hab ich viel falsch gemacht und mußte ständig für vier Wochen irgendwelches Besteck im Garten vergraben.

Melitta, 74 Jahre

Der Pastor in unserem Dorf hatte noch Hühner zu einer Zeit, als die meißten Leute schon nicht mehr wußten was sie essen sollten. In einer Nacht haben ein paar von den Jungens die Hühner geklaut. Sie haben einen Zettel an die Stalltür gehängt, darauf stand: "Der liebe Gott ist überall, nur nicht bei unserem Pastek im Hühnerstall".

Maria, 91 Jahre

Du mußt unberührt in die Ehe gehen, sonst nimmt dich keiner, hat mein Vater immer zu mir gesagt. Da hab ich mal gerechnet und gemerkt, daß er auch nicht die Katze im Sack gekauft hatte.

Erna, 82 Jahre

Meine Stiefmutter konnte mich nicht leiden. Ich hatte rote Haare und sie hat gesagt auf solche müsse man aufpassen. Mit vierzehn hat sie mich zum Bauern gebracht, damit ich da arbeite. Ich hab da auch gewohnt und eigendlich ging es mir gut. Zehn Mark hab ich verdient, aber jeden Monat kam meine Stiefmutter und hat mir das Geld abgenommen. Dafür daß ich dich so lange gefüttert hab, hat sie gesagt.

Gerda, 90 Jahre

Wir hatten nur zwei Zimmer und mein Bett stand bei den Eltern in der Schlafstube. Wenn mein Vater bei meiner Mutter war, konnte ich alles hören, auch wenn ich mir die Ohren zugehalten hab. Wenn er getrunken hatte, kam er auch zu mir ins Bett.

Luise, 70 Jahre

Einmal sollten wir im Herbst in der Schule ein Bild malen; Leute bei der Ernte. Das konnte ich aber nicht und hab einfach ein Schwimmbad gemalt; Wasser, wo die Köpfe rausguckten. Dafür hab ich vom Lehrer Schläge bekommen.

Martha, 86 Jahre

Mit dreizehn hab ich von einem Frauenarzt die Kinder gehütet. Der hatte eine große Bibliothek mit medizinischen Büchern. Da durfte ich lesen, denn Bücher hatten wir zu Hause nicht. Sonntags kamen manchmal feine Frauen. Die gingen aber von hinten, durch die Küche ins Haus. Ich glaub, die wollten nicht gesehen werden. Dann hörte ich aus dem Behandlungszimmer Schreien und Stöhnen. Wenn so eine Frau weg war, mußte ich immer so komische Instrumente scheuern, von denen ich nicht weiß wofür sie da waren.

Hermine, 93 Jahre

In der Schule mußten wir immer Gedichte auswendig lernen und die zehn Gebote. Die kann ich heute noch alle aufsagen. Der Pfarrer hat uns georfeigt, wenn wir sie nicht konnten.

Mechthild, 85 Jahre

Ich bin unehelich. Das war ganz schlimm. Wenn ich zu Hause nicht gespurt hab, hat meine Pflegemutter immer gesagt:" Du siehst aus wie die Alte und du bist wie die Alte!"

Emmi, 86 Jahre

Donnerstag ist der schönste Tag in meinem Leben. Da ging unser Vater mit uns immer ins Kino. Ich freue mich bis heute jede Woche auf den Donnerstag.

Henriette, 78 Jahre

Zu meiner Konfirmation konnte meine Mutter mir kein Kleid kaufen, weil mein Vater schon ganz lange krank war und damals gab es keine Lohnfortzahlung. Dann sagte der Pastor auch noch, mein Vater dürfte nicht mit in die Kirche kommen, weil er doch katholisch war. Ich hab geweint und gesagt: "Ich komme auch nicht, ich hab sowieso kein Kleid!" Da hat der Pastor uns einen Gutschein gebracht für ein Kleid und eine Einladung in die Kirche für die ganze Familie.

Klara, 75 Jahre

Meine Mutter hat nie gelacht. Ich habe immer versucht, sie zum Lachen zu bringen und mich aufgeführt wie ein Kasper. Ich wollte sie einmal fröhlich sehen, das habe ich aber nie erreicht. Ich wollte meiner Mutter etwas geben und weil ich so albern war, hat sie mich gehauen.

Maria, 68 Jahre

Meine Mutter hat für uns gesorgt, damit wir was zu essen hatten. Sie hat in Heimarbeit Kartons geklebt. Ich habe ihr immer dabei geholfen. Den Leimtopf sehe ich heute noch vor mir.

Agatha, 87 Jahre

Wenn früher bei uns im Dorf jemand gestorben ist, hat man immer meine Mutter gerufen. Die hat die Totenwache gehalten. Drei Tage lang hat sie im dunklen Zimmer bei der Leiche gesessen. Ich mußte immer mit. Deshalb fürchte ich mich vor nichts. Ich gehe gerne nachts alleine im Wald spazieren, dann fällt mir alles wieder ein.

Angela, 60 Jahre

Als Kind bin ich immer satt geworden, aber seelisch habe ich immer Hunger gehabt. Meine Eltern waren sehr hartherzig, sie haben mich nie umarmt. Ich kann meine Wut darüber aber nicht rauslassen. Manchmal bin ich wie tot.

Barbara, 75 Jahre

Meine Mutter hat oft mit mir geschrien, ich weiß nicht warum. Wenn mir heute einer frech kommt, dann schnürt sich mein Hals zu, dann sitze ich da, wie das Kaninchen vor der Schlange.

Jenny, 99 Jahre

Meine Eltern haben immer gesagt: "Du mit Deinen ewigen Kopfschmerzen kannst doch keinen Beruf erlernen. Such dir lieber einen Mann und heirate! "Aber ich habe mich durchgesetzt. Ich habe mein Abitur gemacht und dann Chemie studiert. Über zwanzig Jahre habe ich in der Forschung gearbeitet. Geheiratet habe ich auch. Das war aber nichts. Ich war keine gute Hausfrau. Nach einem Jahr war ich wieder geschieden.

Christina, 72 Jahre

Wenn meine Eltern früher abends ausgingen, mußte ich immer alleine zuhause bleiben. Ich hab mich im Dunklen sehr gefürchtet, aber ich durfte kein Licht anmachen. Meine Mutter hat den Zählerstand abgelesen, bevor sie ging. So konnte sie mich kontrollieren. Einmal hatte ich solche Angst, daß ich mich mit einer Kerze in den Hausflur gesetzt habe. Als sie am nächsten Morgen Wachsspuren auf der Treppe gefunden hat, hat sie mich furchtbar verprügelt. Mein Vater hat mir nicht geholfen. Er hat nur gesagt: "Für die Kindererziehung bin ich nicht zuständig. Meine Aufgabe ist es, das Geld zu verdienen."

Maria, 73 Jahre

Wir wohnten früher im Haus einer alten Tante. Die Tante konnte meine Mutter nicht leiden. Wir sind aber nicht ausgezogen, weil die Wohnung so billig war. Meine Mutter hat sich immer gemüht der Tante zu gefallen, aber was sie auch tat, es war nie gut. Einmal hat sie mir ein Kleid genäht und mich nach unten geschickt, es der Tante zu zeigen. Die hat nur gesagt: "Was hat deine Mutter denn da wieder für einen Scheiß gemacht." Dann bin ich heulend weggelaufen und dabei hingefallen. Das Kleid war zerrissen. Dafür hat meine Mutter mich mit dem Rohrstock verhauen.

Ursula, 84 Jahre

Ich mußte für meine Mutter immer Besorgungen machen. Wenn andere Kinder spielen gingen, mußte ich immer irgendwas erledigen. In einem Winter war der Dorfteich zugefroren. Alle waren dort zum Schlindern. Ich sollte aber in die Apotheke gehen und für meine Mutter Kopfschmerztabletten holen. Auf dem Rückweg bin ich am Teich vorbeigekommen. Da konnte ich nicht widerstehen. Ich dachte, einmal schlindern merkt sie nicht. Dabei habe ich die Zeit vergessen. Als ich nach Hause kam, gabs Prügel. Ich mußte mich über die Sessellehne legen. Meine Mutter hat den Teppichklopfer geholt und gesagt: "Wenn du strampelst, schlage ich dich dorthin, wo ich dich treffe."

Hilde, 86 Jahre

Mit dreizehneinhalb bin ich aus der Schule gekommen. Eigendlich sollte ich Schneiderin werden, damit ich meinen Geschwistern die Kleidung nähen konnte. Ich wollte aber weg von zu Hause und richtig Geld verdienen. Da hab ich dann bei einem Schrotthändler den Haushalt geführt. Der hatte sechs Kinder und ich hatte nichts gewonnen. Im Gegenteil, die Herrschaft war sehr streng. Wenn ich mal im Sitzen eine Arbeit erledigt habe, hat die gnädige Frau mich aufgescheucht. Nicht einmal beim Kartoffelschälen durfte ich meine Beine ausruhen.

Johanna, 78 Jahre

Mein Gott, was wurden wir von unseren Eltern dumm gehalten. Das muß man wirklich mal so sagen. In unser Dorf kamen mal junge Zimmerleute, die waren auf der Wanderschaft. Da war ich so sechzehn, siebzehn und ein hübsches Ding. Auf der Straße hat mich einer angesprochen und wir haben Scherze gemacht und gelacht. Er hat mich für abends eingeladen. Das hat mir sehr geschmeichelt. Dann fragte er mich noch, ob ich denn noch meine Unschuld hätte. Hilfe, ich wußte doch gar nicht was das war. Da hab ich ihm gesagt, ich wüßte nicht so genau, aber ich würde gleich zu Hause mal meine Mutter fragen. "Ach nee, laß mal," hat er geantwortet, "das kriegen wir beide schon alleine raus."

Edelgard, 92 Jahre

Ich hatte mit siebzehn Jahren noch nicht meine Tage. Das hat meine Mutter sehr beschäftigt und überall hat sie das rumerzählt. Einmal auch beim Bäcker, unten im Haus. Das muß wohl der Geselle in der Backstube gehört haben. Ein paar Tage später hat er mich auf die Seite genommen und mir zugeflüstert, ich solle nachts auf den Dachboden kommen, er könne mir helfen. Ich bin dann hingegangen und er hat gesagt, ich solle mal den Rock hochheben. Auf einmal tat es sehr weh, und was soll ich sagen, es hat geblutet. Da war ich eigentlich sehr froh. Dann mußte ich ihm aber versprechen, es nicht meiner Mutter zu erzählen. "Wir müssen erst einmal abwarten, ob es wiederkommt," hat er zu mir gesagt.

Ehefrau und Mutter

Gerda, 75 Jahre

Ich habe alle meine Kinder zu Hause gekriegt. Die Hebamme war eine robuste Frau und hieß Frau Pfennig. Sie hat immer dafür gesorgt, daß die Kinder meinen Zustand nicht bemerkten. Nach der Geburt hat sie mir jedesmal einen Lappen um das Bein gewickelt und den Kindern gesagt: " Schaut mal, da hat der Klapperstoch der Mutti ins Bein gebissen."

Minna, 84 Jahre

Ich habe sechs Kinder geboren und großgezogen und jetzt soll ich ins Heim. Es stimmt schon, wenn der Volksmund sagt:" Eine Mutter kann viele Kinder ernähren, aber viele Kinder nicht eine Mutter!"

Paula, 73 Jahre

Als ich meinen Sohn bekam, wäre ich fast gestorben. Er war eine Steißlage und wollte nicht raus. Mein Pech war, daß die Kuh auch krank war. Alle waren bei der Kuh im Stall und ich wäre oben im Zimmer fast verreckt. Heute ist mir klar, die Kuh war wervoll, die hatte Geld gekostet. Mich hatten sie ja umsonst gekriegt.

Ruth, 60 Jahre

Daß ich jetzt Brustkrebs habe ist eine Strafe Gottes. Ich habe mit meinen Brüsten viele Männer verführt. Das hätte ich nicht tun dürfen.

Adelgunde, 93 Jahre

Als ich meinen Anton geheiratet hab, hat meine Mutter mir gesagt: " Du mußt eine gute Hausfrau sein und eine gute Mutter, die Nächte mit deinem Mann aber, die mußt du über dich ergehen lassen."

Unbekannte Frau:

Das Wort Sexualität hörte ich zum ersten Mal in den siebziger Jahren, da war ich schon fünfzig. Das Liebe auch Lust sein kann, auf den Gedanken bin ich nie gekommen.

Agathe, 76 Jahre

Als mein Mann mich das erste Mal mit zu sich nach Hause genommen hat, haben seine Brüder mich gedreht und von alle Seiten begafft. Der Erwin hat mir auf den Hintern geklopft und gesagt: "Erich, die kannst du nehmen, die kann malochen."

Luise, 78 Jahre

Als ich damals den Hitler wählen wollte, da hat mein Mann mich gefragt, ob ich denn Krieg wolle.

Anna, 84 Jahre

Früher im Krieg, da haben wir auf alles verzichten müssen. Sogar auf unsere Männer. Heute könnte man sich alles leisten und dann kommt einem so eine blöde Krankheit dazwischen.

Agathe, 85 Jahre

Mein Heinrich stand Sonntags immer am Kanal, auf der anderen Seite, wenn ich mit meinen Freundinnen spazieren ging. Irgendwann haben wir uns mal auf der Brücke verabredet. Er sah gut aus in seiner Zimmermannskluft. Samstags gingen wir immer auf den Tanzboden.

Elfriede, 90 Jahre

Mein Karlchen, das war ein Wandervogel. Immer im Februar, März, packte ihn das Fernweh. Dann zog er los, durch ganz Deutschland. Von unterwegs hat er Briefe geschickt und Geld. Im Oktober, November, war er dann immer wieder da und hat mir den ganzen Winter über erzählt, wie oft er den Kaiser gesehen hätte.

Martha, 84 Jahre

Als es hieß, wir könnten wieder nach Hause gehen, hab ich meine sechs Kinder an die Hand genommen und mich auf den Weg gemacht. Zwei hatte ich immer im Kinderwagen. Unter der Matratze hatte ich die Papiere versteckt. Drei Monate waren wir unterwegs. Nachts haben wir auf Bauernhöfen in der Scheune geschlafen. Manchmal durfte ich die Kinder auch baden. Einmal haben mich die Russen erwischt und mich vor den Augen meiner Kinder mißbraucht. Es waren vier Mann.

Pauline, 76 Jahre

Papa war für meinen Sohn das Bild auf dem Nachttisch. Als unser Vater aus der Gefangenschaft kam, hat der Junge nachts versucht mit seinem kleinen Finger ein Loch in die Wand zu bohren um zu sehen, was da im Schlafzimmer passiert.

Unbekannte Frau:

Wer geliebt, kann nicht vergessen. Wer vergißt, hat nie geliebt. Wer geliebt und doch vergessen, hat vergessen wie man liebt.

Paula, 84 Jahre

Mein Oller, das war wirklich ein Bollerkopf, aber nachts im Bett, da hat alles gestimmt, da war er ein sehr zärtlicher Mann.

Martha, 83 Jahre

In einem Winter habe ich allen Kindern bunte Schals gestrickt. Der Eine hatte einen roten, der Andere einen blauen, die Mädchen weiße Schals. In der Schule gab es Haken auf dem Flur, an denen die Kinder ihre Sachen aufhängen mußten. Einen Tag waren alle Schals weg. Zwei Wochen später hatten die Kinder vom Pastor buntgeringelte Pullover an.

Maria, 84 Jahre

Können sie mir das mal erklären? Ich habe acht Kinder geboren und nie einen Orgasmus gehabt. Das verstehe ich bis heute nicht.

Johanna, 74 Jahre

Als mein Mann und ich uns verlobt hatten, haben wir alle Papiere besorgt und uns auf dem Amt erkundigt, ob wir überhaupt heiraten dürfen. Das war aber erlaubt. Meine Schwester hat gesagt, wir sollten mal aufpassen, daß unsere Kinder keine Krüppel werden. Da hat Gott ihr selbst einen Krüppel geschenkt. Das Kind tut mir sehr leid.

Anni, 91 Jahre

Mein Mann, das war ein Musiker. Jedes Wochenende hat er in der Wirtschaft Akkordeon gespielt. Er hatte viele Freundinnen und hat mich oft betrogen. Ich hab ihm den Spaß gelassen und mich dumm gestellt. Was sollte ich machen? Zum Essen war er immer wieder da.

Hermine, 93 Jahre

Immer wenn ich wieder in Hoffnung war, hat mein Mann mir Vorwürfe gemacht. Er sagte, wenn ich nicht so naiv wäre, hätten wir auch nicht so viele Kinder.

Erna, 86 Jahre

Wie ich meinen Mann kennengelernt habe? Nachgelaufen ist er mir. Dann hat er mal mein Sofa repariert und ist dabei drauf sitzen geblieben. So war das.

Mathilde, 76 Jahre

In jungen Jahren hatte ich ständig Angst davor, noch mehr Kinder zu kriegen. Erst nach den Wechseljahren habe ich gemerkt, wie schön die Liebe ist.

Elfriede, 78 Jahre

Mein Wilhelm, das war immer mein Kind. Früher hat er gerne an meiner Brust gelegen und die Brote streiche ich ihm bis heute.

Frieda, 83 Jahre

Die ganzen Ehejahre über habe ich mir geschworen, wenn die Kinder aus dem Haus sind, lasse ich mich scheiden. Dann wurde mein Mann krank und pflegebedürftig. Was sollte ich da anderes tun als ihn zu pflegen bis er starb?

Helene, 81 Jahre

Nach der Geburt von unserem Haralt bin ich aufs Amt gegangen und hab nach einem Bezugschein für Babysachen gefragt. Den gab es nicht, aber das Mutterkreuz sollte ich kriegen. Das könnt ihr euch in den Arsch stecken, hab ich denen gesagt.

Maria, 84 Jahre

Über Verhütung haben wir Frauen früher oft gesprochen. Eine Nachbarin riet mir einmal, ich sollte "Danach" ein Bund Petersilie in die Scheide stecken. Als ich merkte, daß ich trotzdem schwanger geworden war, habe ich mit einer Stricknadel so lange gestochert, bis ich eine Fehlgeburt hatte.

Elfriede, 82 Jahre

Jeden Mittwoch und jeden Freitag wollte er etwas von mir. Ich habe dann in der Küche Wasser auf dem Ofen heiß gemacht und mich gründlich gewaschen. Das Andere war immer sehr schnell erledigt.

Unbekannte Frau:

Ich würde mich schon noch einmal auf einen Mann einlassen, nur gibt es für uns ältere Frauen keine Männer. Die älteren Männer suchen junge Frauen, und die jungen Männer wollen keine alte Frau. Die Männer können mit ihrer Rente noch junge Frauen versorgen. So eine Witwenrente ist kein Reiz.

Maria, 73 Jahre

Immer schauen die Männer den Frauen auf die Brust, ob sie groß ist, ob sie klein ist, ob sie hängt oder so. Ich habe noch nie eine Frau gesehen, die den Männern auf die Hose starrt und überlegt, was er wohl drin hat.

Paula, 74 Jahre

Mein Mann ging immer früh schlafen. Einmal habe ich mich mit einer Freundin heimlich davongeschlichen und bin ins Kino gegangen. Als ich spät in der Nacht ins Bett kam, hat er gefragt wo ich war. Da hab ich einfach gesagt, ich war bei dem Vieh im Stall, das war unruhig.

Luise, 70 Jahre

Nach dem dritten Kind hatte ich eine Fehlgeburt. Da hat der Doktor bei uns auf dem Küchentisch eine Ausschabung gemacht. Er wollte das Kind sehen, aber das hatte mein Mann schon im Garten vergraben.

Sofie, 79 Jahre

Sonntags nahm er immer die Kinder an die Hand und ging mit ihnen spazieren. Dann konnte ich mich endlich mal ein bißchen ausruhen.

Unbekannte Frau:

Meine Kinder wären gegen eine neue Liebe. Sie würden denken, ich hätte ihren Vater vergessen. Für einen Mann möchte ich meine Kinder nicht verlieren.

Ella, 76 Jahre

Als mein Mann starb, war ich gerade mal fünfunddreißig Jahre alt und hatte drei Kinder. Ich habe mir vorgenommen nie wieder Unterhosen zu waschen, für das bißchen Liebe.

Agathe, 89 Jahre

Was früher war? Ich weiß nichts, ich habe alles vergessen.

Bertha, 73 Jahre

Sicher hatte ich viele Verehrer als ich jung war. Aber es war Krieg und da brauchte man was zu fressen. Deshalb habe ich meinen Mann genommen, der hatte einen Bauernhof. Liebe ist da nicht so wichtig.

Paula, 80 Jahre

Er hatte immer schon nah am Wasser gebaut und sein Leben lang versucht das zu verstecken. Nur zu Weihnachten, unter dem Tannenbaum, da hat er geweint wie ein kleines Kind. Nach dem Krieg war es besonders schlimm.

Magdalene, 74 Jahre

Er war mir immer ein guter Mann, aber er hat mir nie gesagt, daß er mich liebt.

Wilhelmine, 81 Jahre

Mein Mann war in der Nazizeit Kommunist. Nachts ging er immer los, Plakate kleben. Nächtelang habe ich gebetet, daß er nicht erwischt wird.

Erna, 86 Jahre

Als ich in Stellung war, wollte der Knecht mit mir immer ins Heu. Ich hab sowas aber nicht gemacht. Ich hab geglaubt, schon vom Küssen kann man Kinder kriegen.

Grete, 82 Jahre

Das die heutige Jugend schlechter sein soll als früher ist nicht wahr. Früher haben sie auch immer gemacht, was verboten war. Ich bekam Schläge mit dem Hosenriemen von meinem Vater, wenn ich nach der Arbeit nicht sofort nach Hause kam. Da war ich schon zwanzig Jahre.

Rosa, 89 Jahre

Wie ich heiße? Frieda Flieder, geborene Nelke, geschiedene Aster, verwitwete Tausendschön.

Lieschen, 78 Jahre

Ich bin nach der Hochzeit zu den Schwiegereltern auf den Bauernhof gezogen. Meine Schwiegermutter war eine sehr grobe Frau. Sie trug nicht einmal Unterhosen. Wenn wir auf dem Feld waren und sie mußte mal, hat sie einfach die Beine breit gemacht und laufen lassen. Das war mir immer sehr peinlich.

Wilma, 75 Jahre

Als wir geheiratet haben, gab es keine Wohnung für uns. Darum sind wir zu den Schwiegereltern gezogen, die hatten ein ganzes Haus. Man glaubt es kaum, aber wir bekamen zwei getrennte Zimmer zugewiesen. Sie sagten, in ihrem Hause duldeten sie nicht "so Sachen". Wenn mein Mann etwas von mir wollte, mußte er sich wie ein Dieb nachts durch Haus schleichen.

Franziska, 81 Jahre

Ich habe einen guten Beruf gelernt und aus mir wäre bestimmt mal was geworden. Und dann kommt so ein Kerl daher, bequatscht einen, ein Kind ist unterwegs und aus ist der Traum. So ist das Leben.

Anneliese, 85 Jahre

Meine Freundin, die hat sich damals ein Kind machen lassen damit sie der Mann, mit dem sie gelaufen ist, heiratet. Mein Oller hat mir ein Kind angedreht, damit er mich auf Nummer sicher hatte.

Irmchen, 83 Jahre

Mein Alter war wirklich sehr knickerig. Immer hat er das Licht ausgemacht, Radio durfte ich nicht hören, und wenn ich baden wollte, hat er gesagt:" Verbrauch nicht so viel Wasser!". Vom Kaffee hab ich den zweiten Aufguß gekriegt und wenn mir kalt war, weil der Ofen aus war, mußte ich mir eine Decke nehmen. Als er tot war, haben wir ganz viel Geld in seinem Zimmer gefunden. Ich habs den Kindern gegeben, jetzt brauche ich auch nichts mehr.

Mia, 80 Jahre

Der erste Mann ist früh gestorben, da stand ich mit vier Kindern alleine da. Der Zweite hat nicht getaugt, der war arbeitsscheu, hat mich geschlagen und sich von mir auch noch durchfüttern lassen. Da gabs nur eins - Scheidung - aus, sense, weg damit!

Luise, 70 Jahre

Zehn Jahre lang habe ich meine Mutter gepflegt, da waren meine fünf Kinder alle noch im Haus. Meine Mutter war stark verkalkt und hat ständig irgentetwas angestellt, das kann man alles gar nicht so wiedergeben. Aber das Schlimmste für mich war, daß sie nicht einmal mehr wußte, daß ich ihre Tochter war.

Ida, 86 Jahre

Auf dem Sozialamt haben sie mich gefragt, ob ich denn so eine große Wohnung brauche, jetzt, wo ich doch alleine bin. Aber hier, in dieser Wohnung, habe ich fast mein ganzes Leben verbracht, alles ist voller Erinnerungen, die kann man mir doch nicht so einfach wegnehmen.

Mietze, 79 Jahre

Wenn sich heute noch ein Mann für mich interessiert, dann ist doch nur einer der irgentwo unterkriechen will. Meine Kinder sagen auch, es sei unschicklich in meinem Alter noch einen Freund zu haben.

Katharina, 69 Jahre

In unserer Familie ist es so üblich, daß die Männer früh sterben. Meine Oma wurde mit vierzig Jahren Witwe, meine Mutter mit vierzig und ich war auch nicht viel älter, als mein Mann starb. Ich muß mich um meine Tochter kümmern, die ist so gut verheiratet,- aber sie wird bald vierzig.

Elisabeth, 90 Jahre

Mein Mann war im Krieg Leiter vom Lazarett in der Heide. Weil es für die Verwundeten keine Betten gab und keine Decken, hat er eine Erfindung gemacht: die Kranken wurden in die Erde eingegraben, damit sie wenigstens etwas Wärme kriegten. Wissen sie, er war Gärtner, und seine Rosen hat er im Winter auch immer mit Torf vor dem Erfrieren geschützt.

Christel, 67 Jahre

"Du kannst meiner ersten Frau sowieso nicht das Wasser reichen," sagt er immer zu mir, und, "eine Frau in deinem Alter weint nicht." Wenn ich ihm die Schuhe zubinde, schaut er auf mich herab und sagt: "Zu etwas anderem bist du eh nicht zu gebrauchen." Damit hat er mich fertig gemacht. Ich bleibe bei ihm, weil ich es versprochen hab und weil ich sonst ein schlechtes Gewissen hätte.

Erika, 69 Jahre

Auf dem Tanzboden hab ich ihn kennengelernt. Von da an hing er an mir, wie eine Scheißhausfliege. Das er schon mal verheiratet war und ein kleines Kind hatte, hat er mir erst nach der Hochzeit gesagt. Dann hat seine erste Frau mir das Kind gebracht und gesagt, ich solle für das Gör sorgen. Ganz zerlumpt war es und grindig im Gesicht. Ich habe die Kleine aufgepäppelt und gepflegt, aber sie wollte immer nur zu ihrer Mutter. Immerzu hat sie geplärrt und mir große Schwierigkeiten gemacht. Dafür hat mich der Alte grün und blau geschlagen. Dann hat das Gör immer ganz hämisch gegrinst. Zwanzig Jahre lang hab ich das mitgemacht, dann hab ich mich scheiden lassen.

Hertha, 77 Jahre:

Ich bin jetzt 77 Jahre und mache seit über fünfzig Jahren den Haushalt. Manchmal hab ich wirklich keine Lust mehr dazu. Besonders das Kochen geht mir ziemlich auf die Nerven. Und wenn ich dann zu meinem Mann mal sage, heute gehen wir auswärts essen, ich hab keine Lust zu kochen, was krieg ich dann zu hören? Zu Hause ist es doch viel gemütlicher. Weißt du was, dann mach doch heute einfach nur `ne Pfanne Bratkartoffeln, so aus schönen frischen Kartoffeln, mit ordentlich Speck und Zwiebeln dran. Darüber dann ein schönes Spiegelei, und einen frischen Salat dazu. Das reicht mir schon.

Ellen, 87 Jahre

Wenn ich das heutzutage sehe, wieviel Geld für Fußball ausgegeben wird, was die verdienen! Mein Mann hat in den dreißiger Jahren den BVB trainiert. Abends hat er gesessen und den Fußball geflickt, und ich hab die Trickots der Spieler gestopft.




Und wenn Euch einer sagt:" Aber Ihr seid für andere da, für Eure Männer, Kinder, Eltern!" So fragt zurück: "Was tust Du von dem, was du von mir für andere Menschen erwartest?"

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