Georg Kaiser

Bericht aus einer erweiterten Kampfzone

Bericht aus einer erweiterten Kampfzone

Nach allgemeiner Meinung sind wenige Menschen geboren um in der Einsamkeit
und mit der Einsamkeit zu leben, damit meine ich nicht ein blosses überleben
die fast die ganze Energie der Seele kostet sondern eine ganze Existenz
aufzubauen und sogar ein Aufblühen nachdem einen Sinn gefunden wurde, ich
kann sagen, dass Menschen mir bekannt sind die mit der Einsamkeit gut umgehen
können (nicht nur unter Mathematiker oder Informatikspezialisten) aber ich konnte
bis vor kurzem kein Mensch begegnen die vor der Einsamkeit erdrückt worden
wäre, bis vor einigen Monaten war mir die Vorstellung von einem gequälten,
einsamen Mensch etwas verschwommenes, diffuses, etwas was man nicht kennt
oder nur von Hörensagen erfahren hat (wie das Ungeheuer von Loch Ness), auch nicht
die Intensität der Qual oder ihre Dimension hatte Form. Dass es einsame
Zeitgenossen gibt ist eine unbestreitbare Tatsache aber für wen ist dieser
Zustand eine wahre Tragödie?, für wen ist die Einsamkeit nicht eine Quelle von
Inspiration und fruchtbaren Musse, sondern eine schallende Ohrfeige des
Schicksals?.

Es gibt das Bild (oder soll ich besser sagen das Klischee) des verlassenen
Mannes der den halben Monatslohn in Kneipen versäuft weil sein „Zuhause“
leer ist und er sich kaum traut dieses zu betreten, es gibt auch das Bild der
verbitterten Frau in nicht mehr jungen Jahren die sich praktisch nur von
Schokolade ernährt und deren einzigen Begleiter Katzen und verblassten
Portraits sind, es gab im wirklichen Leben sogar berühmte Literaten die aus dem
Zustand der Einsamkeit Inspiration herauspressten und mit ihrem Leber und mit ihrem
Leben dafür bezahlten (wie Pessoa) aber ich finde diese Bilder so
klischeehaft dass ich sie kaum zu der Realität zählen kann, nicht mit einem schlechtem
Gewissen. Tatsache ist, dass ich vor einigen Monaten noch nie jemanden
getroffen habe der von der Einsamkeit regelrecht zermalmt wurde, niemanden in diesem
Zustand gesehen und in der niederschmetternden Absolutheit seiner Lage
erlebt,nicht so direkt, nicht so unmittelbar wie jemand der ein Flugzeugabsturz zum
ersten Mal in der Realität sieht obwohl dieser Zeuge der Katastrophe x- Mal
Fotos und Aufnahmen von zerschellten Flugzeugen in den Nachrichten gesehen
hat.

Es war nach einem kurzen Ausschweifer nach Brüssel, die Rückreise nach
Zürich dauerte lang genug um den Rausch der 2 letzten Tagen einigermassen in
einer Abteilung zweiter Klasse auszuschlafen als ich in Basel aussteigen musste
war mein Kopf klar genug um meine unmittelbare Umgebung nicht in doppelten
Format wahrzunehmen aber der Magen meldete sich lautstark zu Wort so, dass
der erste Gedanke auf der schweizerischen Seite der Grenze aus einer langen
Reihe von Snacks und Schnellgerichten bestand die in höchstens 3 Minuten fertig
sind und in ebenfalls 3 Minuten gegessen sind. So lief ich in Richtung eines
Migros- Restaurants und das erste was mir auffiel war ein grosser, dicker
Mann etwa um die 40 Jahre alt die in den rechten Arm einen riesiges, lächelndes
Stofftier hielt (ein Hase oder ein Bär mit weissem Bauch und grauen
Kopf...egal),der fremde hielt das Stofftier mit einem Arm und schaute finster bis
feindselig in die Kasse des Restaurants, seine freie Hand lag auf dem
Kassentisch aber die Frau die dort arbeitete nahm von ihm kein Notiz. Nach einer kurzen
Weile murmelte er irgendetwas zu der Kassenmitarbeiterin und tippte mit
einem Finger auf dem Tisch um seinen Gemurmel entschieden und resolut zu
unterstreichen aber die Frau ignorierte ihn. Er klammerte sich an diesem
grossen Stofftier der ohne Übertreibung fast halb so gross war wie er selber während
das anfängliche Gemurmel immer lauter, lästiger und deutlicher wurde, die Frau
an der Kasse antwortete ihn nur mit einem Blick voller Verachtung, trotzdem
waren auf ihn andere aufmerksame Blicke seit einer Weile gerichtet, nämlich die
scharfe Blicke des Sicherheitspersonals.

Der Mann mit dem Stofftier fing an deutlicher zu reden, besser gesagt er
fing an seinen Frust laut abzureagieren, die Bedienung sei unter alle Sau
einfach das allerletzte, er sei ein Familienvater auf dem Weg zu seine Frau
und seinen Kinder und er erwartete eine anständige Bedienung weil das sein gutes
Recht sei und so weiter und so fort. Die Frau an der Kasse die stoisch die
ganze Tirade des Mannes hörte bestrafte ihn wieder mit einem herabblassenden
Blick und sagte mit einer Gefühlskälte die mit der Gemütslage des Mannes
krass kontrastierte: „Seien Sie endlich ruhig sonst schmeissen wir sie raus.“

Aber das wirkte auf ihn wie ein rotes Tuch. Er fing an zu schreien: „Ich
habe frittierte Krevetten bestellt und werde nicht bedient...ich habe eine
Familie!...Ich bin Familienvater und ich erwarte eine richtige Bedienung
Gopferdamihimmelarschverdammtnochmal...!“

Und während der verstörte Mann immer noch schimpfte näherten sich 2
Sicherheitsagenten die ihn zusammen mit seinem riesigen Stoffhase packten
und in Richtung Ausgang drängten, er leistete zwar keinen Widerstand aber seine
Schreie waren in der ganzen Halle zu hören: „Ich bin ein Familienvater auf dem Weg
nach Hause, ihr Schweine...!“.

Als die zwei Sicherheitsagenten ihn aus dem Laden unsanft schubten wirkte
unser „Held“ verloren wie erwacht aus einem bizarren Traum und gleichzeitig
machte er einen harmlosen, ja mitleiderregenden Eindruck, ich bezweifelte,
dass er zu irgendwelche Familie ging weder zu seine noch zu irgendeine andere und
so ohne Orientierung ging er Richtung Stadtzentrum mit einem verlorenen
Blick an seinem lächelnden Hase geklammert und so verlor er sich in dieser
Menschenmenge die aus den ankommenden Zügen strömte. Ich dachte, dass die
Einsamkeit auch wie das Unglück oder die dahinraffende Krankheit zuschlagen kann und
Menschen zugrunde richtet.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.07.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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