Bettina Maria Tita

Zwei Masken hinter Kaffeetassen

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wieso es Sinn macht, Sachen einen
Sinn zu geben? Wo liegt der Sinn des Sinns, ist es eine höhere Suche nach
tieferen Wahrheiten oder unsere eigene Unfähigkeit, uns mit der
Minderwertigkeit unseres Einzelschicksals abzufinden? Minderwertig
natürlich im Sinne der Eigeneinschätzung, fügte er schnell hinzu, als er
mein Stirnrunzeln registrierte und etwas unsicher wurde, seine Finger,
welche nervös an der faltigen Haut seines Halses herum zupften hatten
ihn bereits verraten, bevor er es selber merkte, dass er unsicher wurde.
Natürlich müssen wir sie überwinden, diese innere Minderwertigkeit, wir
müssen über sie hinauswachsen, größer und größer werden, größer als
alle anderen, fügte er jetzt mit einem aufgesetzten arroganten Blick hinzu
und die Finger zupften immer noch, jetzt musste ich lachen und wollte
ihn mit seinem eigenen Sarkasmus ködern, ja, lächelte ich, der Mensch
muss klettern, denn schließlich ist er ein Affe, nich wahr? Er schwieg und
stimmte in mein Lächeln mit ein, ich denke, wir verstehen uns, sprach
dieses Lächeln.
Aber was ist mit den Regungen, die wir menschlich nennen, wie
Mitgefühl, Freundschaft oder der einfache Wunsch, etwas Nettes zu tun,
sollten nicht sie uns antreiben? Jetzt sahen mich zwei braune Augen
äußerst distanziert an, sie sagten, du bist noch zu jung und die arrogante
Maske wandelte sich zu einer unverhohlen spöttischen, wenigstens sah
diese jetzt eine Spur echter aus, wie herzergreifend, sagte er wirklich, und
du denkst tatsächlich, der Mensch ist sozial? Das Tier ist sozial, so aber
nicht der Mensch.
Warum gibt es dann Krankenhäuser, entgegnete ich schnell, bevor er
seine Theorie weiter ausführen konnte und merkte, das mir die Rolle der
mutter Theresa in viel zu jung und naiv gefallen könnte, jetzt neigte er
seinen Kopf und sagte leise, die Krankenhäuser, sie sind aus der Angst
entstanden, die Angst vor dem Tod und dem Zerfall, wir sperren das
Kranke, das Kaputte und das Alte weg, unter dem Vorwand, es heilen zu
wollen, ihm den Abgang zu erleichtern, um es uns einfacher zu machen
und unser Gewissen zu erleichtern, aha, warf ich schnell ein, bevor er
weiterreden konnte,Gewissen, welche niederen Beweggründe hat dann
das Gewissen, ich kann daran nichts asoziales finden, denn es ist wirklich
sehr sozial, dieses Gewissen, ist es nicht das Gewissen, das uns von den
Tieren unterscheidet, ist das Gewissen nicht ein tiefes inneres Wissen, was
gut ist und was schlecht?
Nichts als die unbewußte Angst vor der Strafe, die Angst, die man uns in
unserer Kindheit anerzogen hat, unterbrach er jetzt mich und dieses mal
musste ich wirklich laut lachen, wir bestehen also nur aus Angst, wir sind
nicht gut genug, wir werden sterben, wir waren böse und jetzt kriegen wir
den Arsch voll. Es war lustig, in diesem ach so intellektuellen Gesprräch
ein Wort aus der Fäkalsprache zu benutzen, wobei Arsch noch harmlos
war, er fand es aber scheinbar weniger lustig, sondern eher deplaziert
und die Mutter Theresa in mir musste eingreifen, bevor er sich jetzt
verarscht fühlen könnte, trinken wir noch einen, fragte ich, ich bin ganz
neugierig, was du mir noch über dich erzählen möchtest, denn eigentlich
sprichst du nur über dich, fügte ich in Gedanken hinzu und setzte ein
nettes Lächeln auf, er lächelte auch, natürlich, was sonst, irgendwo hatte
ich mal gelesen, das man in einem erfolgreichen Date sich immer dem
verhalten des anderen anpassen sollte, aber manipulativ war er nicht,
oder doch.
Wir hatten eigentlich ein Date, aber jetzt war es keines mehr, stattdessen
diskutierten wir über unromantische Themen wie Affen in
Krankenhäusern, nein, wir diskutierten nicht, sondern er belehrte mich,
denn schließlich war er viel älter, ist es immer so, wenn der Kopf einsetzt,
verabschiedet sich der Bauch und zu viele Worte töten die Liebe, wie Herr
Hesse einst so schön sprach, aber Liebe, gibt es sie überhaupt oder ist sie
nichts weiter als ein chemischer Cocktail von Phenylethylaminen und
MDMA und weiteren Zutaten, ein chemischer Cocktail, den man sicher aus
biologischen Extrakten irgendwie nachmischen könnte, oder auch
künstlich herstellen kann, denn schließlich gibt es MDMA Kapseln und
was weiß ich noch alles, glaubst du an Liebe, fragte ich ihn jetzt und
stellte fest, dass ich du gesagt hatte und die Antwort war ein
verwunderter Blick, damit hatte er sicher nicht gerechnet, mit beidem
nicht, nicht mit dem du und nicht mit der Liebe.
Es folgte Schweigen und eine seltsame Spannung machte sich breit, von
der ich wußte, ob sie eher angenehm oder vielleicht eher unangenehm
war, dann sah ich fragend an und stellte verwundert fest, dass ich ihn
dabei ertappt hatte, wie er meinen Ausschnitt begutachtete, wie konnte er
mir in den Ausschnitt starren und bei dem Sie bleiben, machte es ihm ein
sadistisches Vergnügen,mich mit seiner Förmlichkeit auf Distanz zu
halten und trotzdem auf diese art zu mustern. Dann noch die Frage mit
der Liebe, sie muss ihm in dieser Situation sehr unangebracht
vorgekommen sein, meinen Gedankengang hatte er kaum verfolgen
können, selbst nicht, wenn er telepathische Kräfte hätte, denn seine
aufmerksamkeit war jetzt bei der Kellnerin, oder besser, bei ihrem
Hintern, den ich persönlich etwas zu breit fand. Vielleicht hatte er doch
eine telepathische Veranlagung, denn jetzt lächelte sie und kam auf uns
zu, nochmals einen Kaffee, sagte ich und er sagte, ich auch.
Die Liebe, er grübelte kurz, natürlich, wie kann jemand, der in allem
Schönen und Guten einen Wurm entdeckt, an die Liebe glauben, sicher
wollte er mich in meiner jugendlichen Naivität nicht desillusionieren oder
noch wahrscheinlicher kommen jetzt endlose Sätze über die biologische
Motorik, die uns unbewußt steuert, aber stattdessen sah er mich nur fest
an und sagte, die Liebe ist eine Sache zwischen Männern, Frauen und dem
Wahnsinn. Sie macht uns glauben, wir seien unbesiegbar, um uns im
nächsten Zug hinzustrecken.
Wie philosophisch, dachte ich und fragte, Wahnsinn, sah ihn jetzt nicht
mehr an sondern heftete mein Blick auf die volle Kaffeetasse, die gerade
von der Kellnerin mit dem dicken Hintern ganz vorsichtig vor mir
abgestellt wurde, warum wahnsinn, aber er antwortete nicht, also spann
ich den faden alleine weiter, ich habe mal irgendwo gelesen, das der
Gefühlszustand eines Verliebten, dem eines Psychopathen sehr gleich
sein soll, die ganze Wahrnehmnug verändert sich und selbst die
Persönlichkeit, der innere Fokus richtet sich gänzlich auf die begehrte
Person und manchmal wird daraus ein reeleer Wahnsinn, ein Kult, aber die
Antwort blieb wieder aus und ich begann mich langsam darüber zu
ärgern, dass auch ich jetzt damit anfing, alles in kleine Stücke zu
zerhacken um es so zu sortieren, dass es an seinem Platz ist, wenn man
das immer so macht, dann bleibt doch alles gleich, wie soll da eine
Emotion entstehen, wenn sie gleich fein sortiert in die verbale
Konservierung wandert und dann fiel es mir plötzlich ein, ist Liebe nicht
das, was uns antreibt, können wir nicht alles tun, für jemanden, den wir
lieben, ist es nicht das natürlichste der Welt und was ist falsch daran,
etwas aus Liebe zu tun?
Er nahm einen tiefen Schluck aus seiner Tasse und sagte endlich mal
etwas, endlich wieder, aber ich hätte mir gewünscht, er hätte es nicht
gesagt, die Liebe, holte er aus, die Liebe ist das, wovon wir glauben, das
es uns rettet, das, woran wir uns klammern, wenn wir merken, wie
vergänglich unser Leben ist und wie wenig wir es lenken, was nützen uns
da die schönen Künste, wenn sie nur für eine gewisse Zeit halten, man
kann nicht ewig auf die selbe leinwand starren oder endlos das gleiche
Konzert besuchen, aber wir können uns ewig an den Traum klammern,
an das Wollen und an das Müssen. Stimmt, die Liebe lässt uns keine Wahl,
fügte ich noch hinzu, stand auf und ging.

Die Geschichte ist frei erfunden.
Ähnlichkeiten zu reelen Personen oder Ereignissen sind zufällig
und nicht beabsichtigt.
Bettina Maria Tita, Anmerkung zur Geschichte

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