Georg Kaiser

Terrassengedanken 1


Ich sitze wieder auf meiner Lieblingsterrasse im “El Greco“,es ist ein schöner,milder Spätsommertag und habe beschlossen einen von meinen wenigen freien Tagen im Jahr mit absolut nichts tun zu verbringen,keine private Mathematik-Lektionen,keine C++ oder PASCAL-Fingerübungen als objektorientierte Turbo-Zeittotschläger,nichts ausser Zeitungen lesen,Espressos trinken und mich (zumindest bis Mittag) mich mit beautiful people zu umgeben,die ihrerseits Capuccinos,Mineralwasser,Espresos und Glacés konsumieren.Irgendwie fand ich es immer spannend mich mit solchen Zeitgenossen direkt oder indirekt zu beschäftigen oder einfach sie in meiner Nähe zu haben.Egal ob Party-Volk,Jeunesse dorée der Hochschule für Gestaltung,Models oder Möchtegerne-Models,einfach Leute die gerne das Leben geniessen und alles was das Leben anbieten kann.Egal wo ich mich befinden mag,feine Lokale mit angenehmer Athmosphäre mit beautiful people bevölkert haben seit eh und je eine starke Faszination auf mich ausgeübt.

Zugegeben,manche Vorurteile gegenüber den beautiful people haben einen gewissen Wahrheitsinhalt :sind sie egoistisch?,naja,heutzutage muss man ja so sein und das wird sogar von der Werbung propagiert.Sind sie vergnügungsssüchtig?,sowhat,wer gegen das Vergnügen ist soll den ersten Stein werfen,sind die beautiful people teilnahmslos und unpolitisch?,Okay,aber ehrlich gesagt man kann seine Zeit mit besserem verbringen als mit Politik;Zum Beispiel mit Kino,Theater,gute Bücher oder Discobesuche,warum nicht mit dicken Zigarren in Kombination mit bestimmten Drinks die zu Montecristos,Partagas,Cohibas oder Davidoffs passen?.Sind die Geniesser und die beautiful people oberflächlich?,nun,man kann nicht die ganze Zeit über die Beziehung zwischen den Internet und die Logik der deregulierten Kapitalmärkte philosophieren,vor allem wenn die Caipirinhas so verführerisch auf dem Tisch liegen...Die Oberfächlichkeit und alle andere genannten Attributen können problemlos auf andere Gruppen übertragen werden und nach langer Beobachtung kann ich sagen warum ich beautiful people und deren Gesellschaft so gut mag.

Aber zuerst eine kleine aber wahre urbane Anekdote: Eine der besten Partys die ich besucht habe fand im grossen Keller eines besetzten Hauses statt (die bekannte EGO-City),die Gruppe die das Haus besetzt hielt steht der Antiglobalisierungsbewegung sehr nah und manche von meinen Freunden wollten einen Trash-Konzert organisieren und anschliessend eine Elektroclash-Party schmeissen und da kein anderes Lokal gefunden werden konnte (es war ja kurz nach Weihnachten),mussten meine Freunde auf diese letzte Möglichkeit greifen.Die Hausbesetzter waren einverstanden,das Konzert war ein voller Erfolg,die Fete absolut gelungen,das Publikum war mehr als zufrieden,die Sänger und D.J mit den blumigsten Komplimenten überhäuft aber die Hausbesetzter schäumten vor Wut und bebten vor lauter Empörung...wieso denn das?.

Erstens das Publikum: Nicht gerade die Prätorianergarde der Party-Szene aber sagen wir es politisch korrekt: beautiful genug um rein optisch nicht als Antiglobalisierer zu gelten,aber das war nicht der einzige Grund.Der Grund war dass die Party “nicht die Erwartungen der Besetzer entsprach“ oder anders von ihnen formuliert “die Party entsprach nicht die Philosophie des Hauses“ und noch dazu “das war nicht wie eine Party sein soll“.Ayana C und die Organisatoren wurden höflich aber entschieden darum gebeten nie mehr in diesem geheiligten Hochburg des Alternativentums einen Konzert zu beantragen,geschweige denn eine Fete zu organisieren,denn die grösste Sünde des Publikums war sich gut gehen zu lassen,lachen,tanzen,mit Mineralwasser um sich zu schmeissen,johlen,sich gegenseitig zu umarmen und freuen,dass man da überhaupt ist.Diese Episode bestätigte etwas was ich schon lange vermutet hatte.

Geniesser,beautiful people und Party-Volk gehören fast ausnahmslos zu den tolerantesten und offensten Menschen die ich kenne,sie sind frei von krankhaft zwangshaften Gutmenschentum ,bei ihnen findet man kein Spur von verklemmten Messianismus oder sogar von militanten Beglückungsdogmen,ihre Banalität kann rührend sein aber diese betrifft nur sie selber,fast nie ihre Umgebung ausser wenn blöde Sätze fallen und die sind eh schnell vergessen.Der Hedonist,der Geniesser versucht nie ihre geistige Mittelmässigkeit oder (und?) die daraus entstehende Mangel an Lebensfreude durch ein Kollektiv aus Gleichgesinnten zu überkompensieren oder in der schieren Menge an Gleichgesinnten plus gutem Zweck mental zu verdünnen,ausserdem was gibt es ehrlicheres als sein kleines persönliches,egoistisches Portiönchen Glück konsequent zu verfolgen?.Der Hedonist ist entweder nicht in der Lage irgendeine Moral hinter der Form zu erkennen,oder will auch keine erkennen,vielleicht gibt es gar keine Moral oder Botschaft,nur die Form.

Ich habe oft bemerkt,dass unter den Hedonisten und Geniesser,erstaunlicherweise auch unter manchen Mathematiker oder Physiker phantasievolle Menschen zu finden sind die sich stundenlang über äussere Reize und Vergnügungsmittel der einfacheren Sorte unterhalten können ohne sie unbedingt sie besitzen zu können oder besitzen zu wollen wie Z.B Sonnenuntergänge,schöne Autos,Frauen,feines Essen,Weine oder Gemälde,sogar mathematische Beweise oder Programmcodes.Wahre Ästheten,echte Geniesser können vor einem schwarzen Mercedes,Bentley oder sogar einen Maybach wie versteinert stehen und ihre Formen bewundern und sich an der Schönheit der Maschine ergötzen ohne sich dabei Gedanken über den Besitzer zu machen oder über den sozialen “Symbol“ der Karrosse,der echte Geniesser denkt nicht mal eine Sekunde daran,dass ein Normalarbeiter in der dritten Welt Jahrzehnten malochen müsste um sich nur die Stossstange eines solchen Wagen zu leisten,die Blechkiste ist nun mal schön und das war´s.

Damit will ich folgendes klarstellen: Beautiful or not Geniesser zu sein,ein Hedonist zu sein ist nicht unbedingt eine Frage der Dicke des Bankkontos,sondern der Ausstrahlung und der inneren Einstellung gegenüber der reinen Form.Man kann zur Gruppe der Top-Verdiener angehören und trotzdem nicht geniesssen was man sich leisten kann,bloss konsumieren und erwerben bevor es konsumiert wird,der Konsumverfallene gehört definitiv nicht in die Kategorie der Geniesser.

Klar,es gibt die Kategorie der beautiful people die auf Konsum getrimmt ist,Konsum von Genussmkittel und Verzehr von Erlebnissen in möglichst schnellen Reihenfolge aber sie sind höchstens langweilig und doch irgendwie harmlos und gerade deswegen bewundernswert,manche sind nicht gerade hell im Kopf aber irgendwie sehen sie zufrieden aus,sie zerbrechen fast nie ihre nicht gerade helle Köpfe mit unnötigen Gedanken und ich finde sie geradezu charmant wenn sie (wie oft im “Greco“ oder “Gloria“) genüsslich Boulevardzeitungen und Klatschmagazinen abwechselnd mit “The Face“ und “Wall paper“ lesen,ihre Welt mag klein zu sein aber sie versuchen nicht diese Welt oder was sie darunter verstehen auszudehnen mit Hilfe von kollektiven Zielen “wie die Welt aussehen soll“ (oder wie Partys sein sollen).

In einer Zeit wo jede Ideologie und politische Vision als Blankoscheck für Ungerechtigkeit und Rücksichtslose Machtausübung sich entlarvte,in einer Welt wo aus vermeintlichen guten Menschen bloss Apparatschiks,Despoten,ihre Henker,deren Opfer und Fanatiker wurde,ist der gesunde Hedonismus eine Beruhigung,in einer Realität in welcher gutgemeinten politischen Utopie als billiger Vorwand oder Lachnummer für künftige Generationen endete ist die Suche nach dem privaten winzigen Glück ein Zeichen von Vernunft.

Kurz und bündig: Ein Partyplakat hat niemanden nur ein Haar gekrümmt (man hat höchstens Kater danach) aber Dogmen und Politparolen haben oft ganze Nationen auf ihrem Weg ins Verderben begleitet.




Die erwähnten Lokalen ("Gloria" und "Greco") sind per excellence die Treffpunkte der Kreativen und Pseudokreativen in Zürich und manche Bekannten von mir würden diese beide Orte am liebsten in die Luft jagen. Georg Kaiser, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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