Karin Ernst

Bücher zu verschenken

Bevor wir vor einigen Wochen anfingen, unsere gesamte Wohnung zu renovieren, war eine gute Woche mit Vorbereitungsarbeiten nötig. Mein Mann hatte Urlaub genommen, sonst wäre es nicht in der Ruhe machbar gewesen, wie wir es nun erledigen konnten.

Er besorgte einen Stapel Umzugskartons, und wir begannen zuerst mit dem Einpacken unserer Bücher. Eine Freundin erwähnte vor kurzem, sie hätte 400 Stück. Nur vierhundert, dachte ich und machte mich daran, grob zu zählen, wie viele wir besaßen. Am Ende dieser Schätzung ergab sich eine Zahl von DREItausend.

Uff – das hätten wir beide nicht gedacht. All diese Bücher mussten, bevor Möbel verrückt, damit Teppichboden verlegt werden konnte, abgesaugt und in Kisten verpackt werden. Als mein Mann mich bat, „doch schon mal anzufangen“, überkam mich Panik.
Was sollten wir nur mit diesen vielen Büchern anfangen, wenn die Räume alle neu gestrichen sein würden, fragte ich mich und suchte nach einem Ausweg.

Ich setzte mich erst mal hin, während Werner mutig den Staubsauger aus dem Flurschrank hervorhievte. Nun ja, anfangen mussten wir. So oder so. Aber wo? Bei welchem Regal? Egal, wir fingen im Arbeitszimmer an.

„Halt, ich hab’s“, rief ich plötzlich. „Ich weiß, wie wir’s machen. Wenn wir schon renovieren, dann aber gründlich. Die Gelegenheit ist günstig, auszumisten. Und zwar gleich richtig. Erinnere dich an das Buch, das wir vor kurzem gelesen haben.“

Mein Mann erinnerte sich zwar nicht daran, als ich ihm aber den Titel „Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags“ nannte, fiel es ihm wieder ein. Es hatte ihn sogar so sehr interessiert, dass er es bis zum Ende las.

Wir besprachen in Einzelheiten, dass wir uns von einem Großteil der Bücher trennen wollten. Die meisten waren sowieso gelesen, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass kaum jemand die Zeit hat, ein Buch ein zweites Mal zu lesen. Als wir noch keinen Computer hatten, war Lesen mein Haupthobby, damals konnte ich ein Buch durchaus noch einmal lesen.

Also bat ich, weitere Umzugskartons aus dem Keller zu holen, die wir nebeneinander im Zimmer verteilten: Einen für die ältere Tochter, einen zweiten für die jüngere, einen dritten für unsere Haushaltshilfe, den letzten für Bücher, die wir behalten wollten. So, da standen wir nun. Wie aber anfangen?? Ich seufzte über diese schwere Entscheidung, die mir oblag. Da ich mehr las, als mein Mann, besaß auch ich die meisten Bücher.

„Ich kann das nicht, ich will das nicht. Nein, das will ich alles überhaupt nicht“, maulte ich, und hätte am liebsten die ganze Renovierungsarie abgesagt.

Liebevoll umarmte mich mein Mann. „Wir schaffen das schon. Gemeinsam. Du musst nur sagen, wer was kriegen soll.“
Nun war mir wohler, und ich entschied, irgendwie würde ich es schon auf die Reihe kriegen, die Bücher auszusortieren.

Der Staubsauger begann zu surren, das erste Buch aus dem Regal mit weiblichen Autoren wurde herausgenommen, sorgfältig mit der Staubsaugerbürste abgesaugt, und mein Mann fragte: „In welchen Karton?“

Nun war guter Rat teuer. Hatte ich das Buch gelesen? Ich nahm es in die Hand, blätterte es auf, überflog die Inhaltsangabe auf der Innenseite des Schutzumschlages.

„Ach, Schatz, so sind wir ja in vier Wochen noch nicht fertig. Entscheiden musst du dich schon“, bat mich mein Mann, bereits leicht genervt.

„Ja, aber…. Verstehst du das denn nicht? Ich habe alle Bücher geliebt. Du weißt es! Sie haben alle Geld gekostet. Ich kann mich nicht so einfach davon trennen.“
„Ich weiß, dass es schwer ist, aber es muss sein. Wir waren uns doch einig, dass wir aufräumen. Nun aber hopphopp“, entgegnete er mutmachend.

Die Zähne zusammengebissen ging’s plötzlich hurtig. Ich musste lachen, als mir das Motto einfiel, nachdem ich nun entscheiden würde: Eene meene Mu, und raus bist du. Aber in welchen Karton?

Irgendwann fand ich den Rhythmus, die Bücher, die mein Mann mir, frisch gesaugt, vor die Nase hielt, zu sortieren. Ich wusste, welchen Buchgeschmack meine Töchter hatten, bei meiner Hilfe dachte ich es mir, also ging’s: Das Buch in den Karton, dieses lieber in den dritten, nein dieses in den anderen. Ach so, das liest sie ja nicht, das besser dort …. Es ging voran!

Bei manchem Buch war ich mir nicht sicher. Nein, das wollte ich doch selbst behalten. „Was, das hast du schon gelesen? Dann kommt es nicht zurück in unser Regal“, entschied mein Mann dagegen.

Als wir noch nicht einmal die Hälfte unserer Regale geleert hatten, blieben immer noch so viele Bücher übrig, dass wir eine neue Quelle finden mussten, wohin aussortierte Bücher verschenkt werden konnten. Ich überlegte und begab mich ans Telefon.

Nacheinander telefonierte ich mit verschiedenen Krankenhäusern, einem Frauenhaus, und mit dem Gefängnis in unserer Stadt. Aufgrund eines Fernsehberichtes, an den ich mich erinnerte, wusste ich, solche Einrichtungen würden sich über Bücher freuen. Also hielt ich es für eine großartige Idee zu fragen, ob sie „ein paar Bücher“ gebrauchen könnten.

Beim Telefonieren wurde mein Gesicht immer länger: In den Krankenhäusern gab es genügend Bücher. Dort hieß es, die Patienten würden kaum noch lesen, seitdem es die Möglichkeit gäbe, sich einen Fernseher mieten zu können.

Okay, im Frauenhaus sah es sicher anders aus. Ich griff erneut zum Telefon. Eine lahme Stimme am Ende der Leitung wusste nicht so recht, außerdem hätte sie nur Telefondienst. Sie glaubte aber eher nicht, dass die Frauen „bei uns“ Zeit zum Lesen hätten. Es gäbe auch hier einen Fernsehraum.

Verdammt, dachte ich! Will denn niemand meine Bücher geschenkt haben? Das kann doch nicht sein! Als nächstes war die Justizvollzugsanstalt dran, wie es im Amtsdeutsch heißt. Ein Pförtner mit einer jungen, sympathischen Stimme lachte mich aus.
„Liebe Frau, ist ja lieb und nett, dass Sie Bücher zu verschenken haben. Aber was glauben Sie, mit was sich unsere Gefangenen befassen? Sie besitzen DVDs und andere Spielchen, die heute angesagt sind. Gelesen wird kaum noch. Unsere Bücherei ist beinah verwaist.“
Er wünschte mir viel Glück bei meinem Versuch, die Bücher los zu werden.

Sprachlos berichtete ich meinem Gatten, er staunte ebenfalls. Plötzlich fiel mir eine letzte Möglichkeit ein: Die Stadtbüchereien.

Ich telefonierte mit unserer Stadtteilbücherei, erzählte, ich hätte vermutlich zwei Kartons Bücher zu verschenken, es könnten evtl. auch mehr werden und fragte, ob sie interessiert wären? Sie waren! Jippiii – dachte ich, endlich würden wir auch die restlichen Bücher loswerden.

Also ging’s weiter mit Staubsaugen und Kartons füllen. Immer wieder welche auch in die für die Stadtbücherei. Inzwischen waren wir bei den Regalen im Wohnzimmer gelandet, wo die Klassiker standen, sowie auch Bücher männlicher Autoren. Ja, ich hatte meine Ordnung, sonst hätte ich wohl kein Buch mehr gefunden. So behauptete ich, bei jedem Buch gewusst zu haben, wo es stand.

Am Ende der Aktion hatte ich Mitleid mit meinem Ehemann. Der Arme durfte nun die gepackten Kartons alle in den Keller schleppen. Okay, wenigstens mittels eines Aufzuges, der sich in unserem Hause befand. Dennoch … Außerdem würde die Bücherei sich freuen: Es waren nicht zwei, nein, es handelte sich um vier Kartons Bücher, die sie geschenkt bekommen sollten.

Als ich vor sämtlichen gepackten Bücherkartons stand, die sich in verschiedenen Räumen stapelten, dachte ich an das Auspacken nach der Renovierung. Nun ja, eine ganze Menge sind dann ja verschenkt, freute ich mich mit leichter Wehmut…

Irgendwann während unserer Renovierung fand sich die Gelegenheit, dass unser freundlicher Helfer sein Auto freigeräumt hatte. Also fuhren er und mein Mann die Bücherkartons nach telefonischer Absprache zur erwähnten Stadtbücherei.

Dort eingetroffen, die Kartons hinein geschleppt, mussten sich die beiden anhören: „Meine Güte, so viele Bücher. Jetzt habe ich zwei Wochen nur damit zu tun, diese Bücher alle einzusortieren.“ Gefreut hatte sich die Dame nicht darüber, dass sie diese geschenkt bekam.

Die beiden Träger störte es nicht weiter, mussten die Kartons jedoch tatsächlich noch in den Büchereikeller bringen. Wir aber freuten uns, sie losgeworden zu sein. Denn schließlich wussten wir eines: Bücher wegzuwerfen, wäre für uns nie in Frage gekommen.

Allerdings gab es eine Ausnahme: Als wir an das unterste Fach unseres Wohnzimmerbücherregals gelangten, befanden sich darin Fach- und Sachbücher meines Mannes. Er schaute jedes an, und entsorgte einige sofort. Ratzfatz ging das, ab in die Kiste für Altpapier.
„Um Gottes Willen!“, rief ich. „Du kannst doch keine Bücher wegwerfen.“
„Liebling, beruhige dich“, antwortete er und lachte.
„Dieses alte Zeug liest kein Mensch mehr.“

Er erklärte mir, dass Fachbücher aus der Wirtschaft oder mit Steuerthemen sehr schnell veraltet wären. Wer sich mit dieser Art Büchern befasst, würde niemals alte Ausgaben benutzen.

Dennoch stutzte ich, als ich ein teures Buch entdeckte, das noch in Originalverpackungsfolie eingeschweißt war. Mit einer Äußerung hielt ich mich zurück, entfernte aber wenigstens die Folie, um sie im Gelbmüll zu entsorgen.

Ein ganz bisschen schlechtes Gewissen hatte auch ich, denn ein Buch hatte auch ich …weggeworfen. Dieses war so mit Kaffe überschüttet worden, dass wir es niemandem mehr hätten schenken können. Wie der Kaffee allerdings auf diesem Buch gelandet war, blieb mir ein Rätsel!

*
*

Nun verrate ich Euch noch ein Geheimnis, das mich immer wieder schmunzeln ließ. Eine weitere Möglichkeit, Bücher zu „entsorgen“, hatte ich bereits vor längerer Zeit entdeckt. Manchmal kaufte ich ein Buch, das sich hinterher für mich als Fehlkauf entpuppte. Weil ich niemanden wusste, der oder dem ich dieses Buch hätte schenken können, packte ich es in eine kleine Einkaufsplastiktüte, und ließ diese unauffällig irgendwo …liegen. An einer Haltestelle, im Bus, oder in der Straßenbahn. Danach setzte ich mich auf einen anderen Platz, behielt den, auf dem das Buch lag, aber im Auge.

Die Leute zu beobachten, die das Buch entdeckten, machte immer wieder Spaß. Erst sich vorsichtig umsehend, schauten sie dann in die Tüte. Dann Erleichterung auf ihrem Gesicht.

Bevor ich das Buch auslegte, schrieb ich in dicken Buchstaben auf die erste Seite: „Zu verschenken.“

Diese Möglichkeit, Papiermüll zu sparen, passt auch bei Illustrierten.

Versucht es mal ….

Ich kann sie nur empfehlen!

*

Eines noch: Nachdem wir im Anschluss an die Renovierung die Bücher wieder einräumten, entschied ich, das eine oder andere Buch währenddessen auch noch auszusortieren. Wohin nun aber mit diesen? Ein neuer Karton wurde geholt, langsam füllte er sich zu zwei Dritteln.

Dieser Karton soll nun ein Geschenkkarton bleiben. Gelegenheiten, ein Buch zu verschenken, gibt es immer mal wieder. Oder???


© Karin Ernst

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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