Rolf Bormuth

Ach, hat da nicht jemand gepfiffen?

Sie war jung und hübsch. Um es genau zu sagen, verboten hübsch. So ging sie vor den Spiegel, lächelte hinein, freute sich des Tages, um sodann zum Kleiderschrank zu schweben. Dort ergriff sie ein kurzes sexy Röckchen, zog es an, dazu eine Bluse mit verführerisch tiefem Ausschnitt. Viel zu viel des Guten. Wahrscheinlich hätte sie die Atmung der Männer noch mit einem alten Kartoffelsack als Vollverkleidung zum Stocken gebracht. Dann noch ein schneller Blick in den Spiegel und hinaus auf die Piste. Die Sonne wehte ihr ins Gesicht und ließ ihre Augen glänzen wie Diamanten am schönsten Ring. Sie schlenderte über einen großen Marktplatz. Aber kaum daß ihre grazilen Beine diese Arena zu schmücken vermochten, zischten ihr auch schon die ersten Pfiffe entgegen. Überall. Als könnten auch die Tauben wie Männer pfeifen, glaubte sie kaum noch an das Märchen, männliche Zeitgenossen, würden einem nur auf der Bodenebene begegnen können. Sie schaute hoch zu den Wolken und mutmaßte selbst von dort Pfiffe über Pfiffe.

Völlig entnervt und auch ein wenig böse legte sie eine 180 Grad Kehrtwende ein und tingelte zurück in ihr Zuhause. Dort konnte sie aber nicht anders als sich noch einmal einen Blick in den Spiegel zu gönnen. "Wenn ich Mann wäre...!" Grinste sie ganz keck vor sich hin......

Die Jahre schwammen dahin. Das Mädchen wurde älter, sie bekam Kinder, ein paar Falten, ein paar Gramm.....

Dann ging sie wieder vor den Spiegel und wieder zum Kleiderschrank und.... ja, und sie ging wieder über den Marktplatz. Es war ein lauer Sommertag, die Vögel zwitscherten, der Brunnen plätscherte. Aber sonst war es ruhig. Es war geradezu idyllisch. "Ha! ... hat da nicht jemand gepfiffen?" Wollte sie gehört haben und zupfte sich das Röckchen zurecht.

Es hatte niemand gepfiffen.

Zuhause angekommen ließ sie sich lustlos in den Sessel fallen. Sie nahm eine Zeitschrift zur Hand, blätterte darin umher, legte diese zur Seite, ergriff das Blatt erneut, zischte wahllos durch die Artikel, legte den Fetzen wieder hin. Es zieht, stellte sie fest. Dann räkelte sie sich hoch, trottete ins Bad, direkt zum Spiegel. Sie kontrollierte ihren Lippenstift, die Lidschatten, alles... Dann klingelte das Telefon. Es war die Bekannte aus dem Sportstudio. „Hey, ich sage Dir, heute habe ich das wieder erlebt, die Männer sind ja so nervig, ständig pfeifen Sie einem hinterher, ich halte das nicht aus – grrrr!“

„Ja, das finde ich auch aber weißt Du, das ist alles eine Sache, welche Selbstsicherheit Du ausstrahlst, ich habe das total im Griff, mir pfeift niemand nach. Das wirst Du auch noch lernen und dann zu schätzen wissen!“

 

Was ist die Quintessenz von dieser Geschichte? Dankbarkeit? Ertappt! Wenn uns etwas gar zu leicht gegeben, vergessen wir oft dessen Bedeutung, nehmen es als Selbstverständlichkeit hin oder halten gar die Nase sehr hoch für etwas das nicht mal eine besondere Leistung begründet.

Hübsch zu sein ist keine Leistung, sondern ein Geschenk der Natur. Und wer sich darüber aufregt, wenn ein paar etwas gröber strukturierte Kerle pfeifen, sollte sich überlegen, ob man gerne tauschen würde gegen: „niemand pfeift aber dafür ist man mit Häßlichkeit gestraft.“ Na da ist sicher klar, wie die Entscheidung ausfallen würde.

Zur Definition Schönheit selbst:
Unter den weisesten unter allen sind wir uns einig: mit Zunahme der Antipathie nimmt jede Schönheit bis zur Unendlichkeit ab. So wollte ich eine Nie-au-mi Campelbell (Name leicht geändert) nicht für draufbezahlt auch nur für einmal ins Theater ertragen müssen, während eine Frau, die ich liebe jeden Tag schöner wird und auch morgens zerknautscht aus dem Bett geschält, eine Prinzessin ist.
Rolf Bormuth, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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