Rolf Bormuth

Der einsame Mann und die unsichtbare Frau

....im Hintergrund, kaum hörbar, leise Töne einer Gitarre, im Kamin lodern die Flamen und verleihen der kleinen Kneipe einen ganz besonderen Charme. Zwei alte Greise philosophieren über längst vergangene Zeiten, draußen Kindergeschrei. Ich konnte es nicht verstehen. Vor mir eine Karaffe mit Lambrusko. Zwei Gläser. Die Wirtin war sehr freundlich, obgleich ich ihr ziemlich rätselhaft vorkommen mußte.

Ich schenkte mir nach. Das Glas gegenüber bekam auch einen Schluck, etwas ging noch hinein. Stunden sind so vergangen. Einer der beiden Greise entfernte die Aufmerksamkeit von seinem Gegenüber und drehte sich in meine Richtung. Er sprach zu mir, es waren väterlich wirkende Worte. Wie schade, ich verstand nichts. Oder doch? Er spürte, er spürte so viel. Dann schwieg er und drehte sich wieder herum. Er nickte leicht. Dann setzte er seine Unterhaltung fort. Auch die Wirtin schenkte mir wieder einen Blick. Sie war recht klein, ihre hübsche Kneipe, fast als wäre es ihr Wohnzimmer. Ja, ich glaube, es war ihr Wohnzimmer. Das Wohnzimmer ihres Herzens. Ich schenkte der Wirtin ein Lächeln. Wann sie wohl das letzte Lächeln bekommen hatte. Dann wandte sie sich ab, eine Hand in ihr Gesicht. Sie nahm den Arm wieder herunter. In ihrer Hand ein Taschentuch. Verlegen huschte sie in die Küche. Wieder schenkte ich mir nach.

Die Flamme am Kamin wurde kleiner. Der Gitarrenspieler legte sein Instrument zur Seite. “Nein, bitte spielen sie weiter“, dachte ich so laut, daß ich glaubte, man müsse dies noch in den oberen Räumen vernehmen. Aber mein Mund blieb geschlossen, wie versteinert. “Bitte spielen sie weiter,“ flehte meine Seele. Er ging zum Tresen, klopfte auf das alterwürdige Holz, das sicher schon viele tausende Seelen gesehen hatte - Tausende Seelen eingetaucht in die verschiedensten Sehnsüchte. Die Wirtin kam heraus aus ihrer Küche. Sie nahm eine Karaffe, schob sie zu dem Musiker, schenkte ihm ein, den traditionellen Wein aus dieser Region. Sie sprach kein Wort und wortlos wandte sie sich auch wieder ab. Der Musiker nahm die Karaffe, trank einen Schluck, dann hob er das Glas in die Höhe und starrte es an. Warum starrt er so? Es schienen Minuten zu vergehen. “Bitte spielen sie,“ winselte mein leise klopfendes Herz. Aber er starrte. Er starrte so unerträglich lange auf dieses Glas. Kann er darin sein Glück ablesen, stehen darin die Noten für die musikalische Fortsetzung oder ist es seine Art der Religiosität? “Warum starren Sie?“ Hätte ich ihn am liebsten angeschriehen. Aber ich kann doch kein Italienisch.

Ich trank einen Schluck aus dem zierlichen Glas. Ja, es war Verlegenheit. Dann nahm ich das Glas gegenüber, trank stellvertretend. “Bitte....“ Weiter kamen meine Gedanken nicht. Der Mann mit der Gitarre räkelte sich hoch von dem Barhocker, auf dem er längst fest zu rosten schien. Er stellte die Karaffe auf die Theke. Endlich. Dann ging er auf mich zu, starrte mir in die Augen. Er lächelte: “Wenn Ihre Seniorina nun nicht die gleichen Lieder mag?“

Mir stockte es den Atem. Konnte denn der Mann Gedanken lesen? Und woher kann er deutsch? Woher nur wußte er, daß ich deutscher bin? Ich kam mir so klein vor. Er drehte sich herum, ging in seine Ecke, nahm die Gitarre und spielte. “Warum spielt er so traurig“, hätte ich so gerne gewußt. Ich nahm das Glas, doch dann stellte ich es wieder ab. Der Wein wollte nicht in meine Kehle. Und dann war es ihm doch gelungen. Seine Musik nahm mich mit. Mit jedem Ton, den er in den Raum zauberte, umarmten mich die Klänge ein Stück mehr. Ich taumelte, ich war in einem Rausch. Ich schloß die Augen.

Dann wurde es sehr hell. So weit meine Augen reichten: Wolken. Ich stand auf riesigen Blättern von Lotusblüten. Gitarren spielten ein Liebeslied. Dann sprach eine Stimme zu mir “mag sie denn solch eine Musik?“ Ich wurde nachdenklich. Zögernd stand ich auf und begann umherzuschweben. Nach einer Weile kam ich an eine Wiese voller wundervoller Blumen. Ich bückte mich und wollte die schönste pflücken. Doch bevor ich sie berühren konnte, sprach wieder eine Stimme “mag sie denn solch eine Blume?“ Hmmm, ich weiß nicht. So zog ich die Hand zurück und schwebte weiter bis ich an einen Weinberg gelangte. Tauben, das müßte sie verführen. Ich streckte mich nach den saftigsten Reben. Aber ich erreichte sie noch nicht da kam, was wohl kommen mußte, “mag sie denn......?

Nun wollte ich nicht mehr schweben. “Ich werde hinunterklettern, werde in die kleine Kneipe.....“ Da kam ein heller Punkt auf mich zu. Der Punkt kam näher und näher. Es war ein fliegen könnendes Pferd. Das Pegasus mit riesigen Flügeln. Doch nun erstarrte ich schon wieder. Auf dem anmutigen Tier saß die alte Wirtin. Sie wirkte irgend wie anders, trug ein viele Meter langes, weißes Kleid. Das Pferd verlangsamte seinen Gang, es stoppte. Die Wirtin stieg ab, schaute mir in die Augen: “Sie wird Dich lieben, wenn Du es schaffst, daß sie sogar in einem Gänseblümchen aus Deiner Hand eine Rose sieht.“

Dann öffnete ich meine Augen. Vor mir immer noch das zweite Glas. „Eigentlich eine sehr gemütliche Kneipe“, versuchte ich mich mehr denkend als flüsternd abzulenken. Es sollte doch das Glas meiner Freundin sein. Einer Frau, die ich noch gar nicht kenne. Einer Frau der ich noch nie begegnete.

„Unsinn“, trinke ich gar Wein mit einem Phantom. Und, will ich denn momentan überhaupt eine Frau?
Ich stand auf, wankte für einen Moment, dann ging ich zur Türe, sie knatschte fürchterlich. Ich öffnete sie. Grell schien mir die Sonne entgegen. „Hmmm, wo auch immer die Frau ist, die mich vielleicht lieben würde, sie erfährt die gleichen Sonnenstrahlen wir ich. Schon seltsam, wir haben bereits Kontakt miteinander.

Täuschen wir uns nicht darüber hinweg: Wir alle sehnen uns nach Liebe. Liebe gibt es weder auf Rezept, weder nach Logik, weder nach Gerechtigkeit, weder nach bestimmten Eigenschaften. Liebe hat seine ganz eigenen Gesetze, sie entsteht. Wer an ihrem Kelch kosten kann, ist glücklich, sollte glücklich sein. Liebe ist eines der kostbarsten Phänomene überhaupt. Die Sehnsucht danach kann sehr weh tun und doch gibt es nur einen Weg dahin: Vertrauen und loslassen, nichts erzwingen, sich niemals zersehnen, so schwer das im Einzelfall auch sein mag.

Aber das Schöne ist, es gibt sie. Und wir können sie finden.

Ich wünsche Euch allen Liebe, Euer Rolf
Rolf Bormuth, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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