Benjamin Meyer

Die Flucht

Wir stehen streng in einer Reihe. Dürfen uns kaum bewegen. Um uns herum ist es sehr dunkel, wir können den Boden auf dem wir stehen nur erahnen. Das Einzige was man erkennt ist der dürre Rücken des Vordermanns. Der uns einen Schritt voraus ist, auf dem kalten Weg ins nichts. Unsere Kleidung – Lumpen: alt, dreckig, zerrissen. Übersäht mit Wunden versucht jeder einzelne von uns auf beiden Beinen gerade so zu balancieren, dass man nicht umfällt. Wir sind schwach, schwach und gefangen.
Die Flucht hat und geschwächt und obgleich sie nicht erfolgreich war, hat sich jeder Tropfen Schweiß, jede Narbe und jeder Riss in unseren Hemden gelohnt. Sie lauerten uns in einer dunklen Nacht auf. Sie schrieen mit ihren Fratzen in unsere Gesichter, schlugen uns, beschimpften uns, nahmen unsere Würde und den letzten Funken Selbstvertrauen. Hätten wir gewusst wie sie mit uns umspringen, hätten wir nie ihre Nähe gesucht, hätten nie versucht Vertrauen aufzubauen, hätten wir ihnen nie gesagt, wie wir sie bewundern für ihre Festigkeit. Die wir auch immer gern gehabt hätten. Sie vertrieben uns aus ihrer Nähe, weil wir ihnen zu unsicher waren, unseren Idealen nicht bewusst waren und ihre nicht annehmen wollten. Wir waren gezwungen zu fliehen, vor Angst. Und umso schneller unsere Schritte wurden weg von jeglichem Kontakt desto größer wurde die Angst einen solchen Versuch zu wiederholen.
Wieder geht es einen Schritt voran in der Menschenreihe. Wir können hier nicht weg. Die Angst und die Erfahrung pferchen uns ein. Und so lange uns niemand beweist, dass sich diese Welt geändert hat, kommen wir nicht aus uns heraus, sondern bleiben in diesem Versteck.

verfasst: 20.01.2004Benjamin Meyer, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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