Gerda Schmidt

Handwerk hat goldenen Boden

„Ich kann nicht mehr und brauch mal ne Pause. Das ist ja die reinste Knochenarbeit.“ stöhnte Peter und setzte sich auf den einzigen, freien Stuhl. Andreas war so sehr in seine Arbeit vertieft, dass er gar nicht erst antwortete. Seit drei Tagen versuchte er mühevoll die Wohnung zu renovieren, die er bis Ende der Woche in einwandfreiem Zustand abgeben musste. Dabei war sein neu erworbenes Haus auch noch nicht einzugsfertig. Laut Mietvertrag würde die Kaution von zwei Monatsmieten einbehalten werden, wenn irgendwelche Mängel zu finden seien.

„Warum nimmst Du Dir nicht einen Handwerker dafür. Der würde das besser und schneller hinkriegen. Manche Arbeiten verlangen doch etwas Ausbildung.“ Peter wusste, dass sie es nicht bis zum Wochenende schaffen würden, ordentliche Arbeit zu leisten, Zumal das richtige Werkzeug fehlte.
Andreas hatte es ebenfalls satt weiter zu renovieren, aber er hatte bereits zuviel Geld investiert, um jetzt noch einen Handwerker hinzu zu ziehen. Sein Kredit kam jetzt schon ins schwanken, weil ihm der Banker die Kalkulation ohne Spielraum erstellt hatte. Noch eine Reparatur am Auto oder die Waschmaschine, die den Geist aufgibt, dann könnte er Bankrott anmelden.
„Rede doch mal mit dem Vermieter. Im schlimmsten Fall soll er die Kaution behalten.“ Mittlerweile störte Peter Andreas Sturheit. Mit reinsten Umbauarbeiten hatte er nicht gerechnet.

Die Wohnung lag im Obergeschoß und bot mit ihren Panoramafenstern einen herrlichen Blick über die Stadt. Doch mit nun zwei kleinen Kindern war sie merklich unpraktisch, zumal die Treppe zur Galerie hinauf eine Gefahr für den zweijährigen bot. Lisa und er hatten sich deshalb entschlossen ein Fertighaus zu kaufen. Der Termin der Schlüsselübergabe war auf den 31. Mai anberaumt. Doch die Wohnung hatte riesige Wände, die geweißelt und die Löcher der Nägel neu gefüllt werden mussten. Anfangs sah es ganz simpel aus, doch die Löcher entpuppten sich dann als reinste Verliese, die miteinander verbunden waren. Ein Besuch beim Baumarkt und ein Beratungsgespräch ergaben, dass die alte Bausubstanz gesondert behandelt werden musste. Eine Verödung der Löcher mit einer speziellen Paste war die Grundvoraussetzung. Doch dazu benötigte man auch eine spezielle Einspritzvorrichtung, die über ein Elektrogerät gesteuert wurde. Das Gerät konnte man ab drei Tagen mieten und kostete genau soviel, wie ein kompletter Verputz. Verputzen setzte aber das Entfernen der alten Mörtel- und Kalkschicht voraus. Doch dazu reichten die Zeit und das Geld schon lange nicht. Also beschloss Peter seine handwerklichen Fähigkeiten einzusetzen und sie mit eigenen Ideen zu koppeln. Sein Freund Andreas war bereit ihm dabei zu helfen. Er wählte ein billigeres Ersatzmaterial, den kleinsten Rührer und verkürzte die Zeit des Ansetzen und Rührens um die Hälfte.

„So, jetzt wird diese Soße langsam etwas dickflüssiger und wir können noch heute Abend mit dem Einfüllen beginnen. Das Gerät arbeitet ja alleine über Nacht.“ Peter zog den Testrührer aus der Masse und sah Andreas zufrieden an.
„Nix da, wir beginnen sofort mit dem Einfüllen und drehen die Geschwindigkeit höher. Dann kann ich das teure Ding noch Heute Abend um 20°° Uhr zurückgeben.“ Andreas setzte den Einfüllstutzen auf die Rohre und führte sie in die erweiterten Löcher ein. Mit einem Schwung drehte er die Füllgeschwindigkeit auf Maximum.

„Jetzt gönnen wir uns erst mal ein kühles Bier. Lisa hat uns einige Flaschen in die Kühlbox gestellt.“ Freundschaftlich schlug er Peter auf die Schulter und beide gingen auf den Balkon, um endlich mal wieder frische Luft zu schnappen. Als sie nach einer halben Stunde zurück ins Wohnzimmer gingen, bot sich ihnen ein verheerender Anblick. Die Löcher waren übergelaufen und der ganze Boden mit dem teuren Parkett voll weißer Kalkmasse. Da die Substanz schnell trocknend an der Luft war, konnte man sie nur noch mit einem Spatel entfernen. Doch zurück blieben hässliche, weiße Flecken, die sich zum Teil in die Maserung des Holzes gesetzt hatte. Die Versiegelung war dahin. Beide schauten entgeistert auf das Malheur.
„Das Parkett muss geschliffen und neu versiegelt werden,“ sagte Peter mit gepresster Stimme.
„Ich weiß. Und die Löcher sind immer noch hohl. Schau mal rein. Ich sehe nur gleichmäßig runde Röhren.“ Andreas wurde ganz blass und konnte sich nur schwer beherrschen nicht los zu schreien.
„Was willst Du als nächstes tun? Das ganze Material ist bereits aufgebraucht. Ruf beim Vermieter an und berichte es ihm. Das ist das Beste.“ Drängte Peter nun.
„Nein, ich hole jetzt von dem teuren Material, das angeblich besser sein soll. Ich bin in zwanzig Minuten wieder zurück:“ Er schnappte sich die Autoschlüssel und unten hörte man kurz darauf einen Motor aufheulen.

Trotz des vielen Verkehrs schaffte er es tatsächlich in der genannten Zeit und rief Peter runter, damit dieser ihm beim Transport des Materials nach oben half. Kaum hatte er den ersten Sack aufgerissen und die zu rührende Masse angesetzt, machte Peter ihn darauf aufmerksam, dass die Anleitung eine stärkere Maschine vorschreibe.
„Oh nein, das darf doch nicht wahr sein. Jetzt muss ich aber fix das dämliche Ding umtauschen. Komm am besten mit, bevor ich ausraste.“

Nun fuhren beide los und landeten im größten Berufsverkehr. Andreas hupte, überholte riskant, schnitt andere Verkehrsteilnehmer und zeigte etliche Male den Vogel, bevor er auf dem überfüllten Parkplatz warten musste, bevor er einen freien Platz fand. Doch der Tag hatte noch weitere Überraschungen für ihn parat.
„Moment bitte, der Herr war zuerst.“ Sagte der Verkäufer hinter der Abgabestelle.
Andreas zerrissen fast die Nerven, bis er an der Reihe war.
„Ich möchte diesen Rührer zurückgeben und einen stärkern dafür mitnehmen.“ Raunzte er den Mann in der Latzhose an.
„Das tut mir aber Leid. Alle sind zur Zeit verliehen. Kommen Sie nächste Woche wieder. Soll ich etwas für sie reservieren?“ fragte er freundlich zurück.
„Aber ich habe bereits das teure Moltoleck angesetzt und muss sofort einen starken Rührer haben.“ Schrie Andreas nun wutentbrannt aus.
„Das dürfen sie aber nicht länger als 5 Minuten ungerührt stehen lassen, sonst wird die Masse hart wie Beton.“ Redete der Verkäufer im unbeirrt freundlichen Ton weiter.
Nun schritt Andreas ein und packte Peter am Arm.
„Der Mann kann doch nichts dafür, dass Du eine Bruchbude in einen Palast verwandeln willst. Wir können den Termin sowieso nicht mehr einhalten. Lass uns bei Deinem Vermieter anrufen oder einen Fachmann holen.“ Er drehte sich zu dem Verkäufer, der gelassen wartete. Dieser hatte hier schon ganz Szenen erlebt und wurde auch öfters anonym von der Geschäftsleitung auf Kundenfreundlichkeit überprüft.
„Entschuldigen Sie bitte, aber wir haben es eilig.“ Dann zog er den immer noch fluchenden Andreas an der Kasse vorbei zum Auto. Dort ließ er sich die Nummer des Hausbesitzers geben und rief dort an, doch nur ein Anrufbeantworter meldete sich. Frustriert legte er auf. Auf dem Rückweg hielten sie bei einem Parkettverleger und machten einen Termin für Morgen früh ab. Normalerweise wäre das nicht möglich, aber ein Todesfall machte einen Auftrag hinfällig. Wenn das mal kein schlechtes Zeichen ist, dachte sich Peter. Den Rest des Abends räumten sie alles aus dem Raum, damit der Holzfachmann sowenig Zeit wie möglich verlor.

Tatsächlich konnte der Handwerker den Boden noch am selben Tag fertig stellen. Bis am Samstag war der Boden dann wieder begehbar. Das war auch der Termin, an dem der Mieter die Wohnung an den Vermieter zu übergeben hatte. Peter fragte den Handwerker, ob er denn nicht bar und ohne Rechnung zahlen könne, da es sich um eine kleinere Arbeit handele. Der Mann war damit einverstanden und verlangte 395€. Andreas verschlug es fast die Sprache und zähneknirschend gab er ihm die geforderte Summe. Dann rief er Peter an, der wissen wollte, ob alles glatt gelaufen sei.
„Wieso hat er Dir gleich das Geld abverlangt?“ Fragte Peter.
„Weil ich es ohne Rechnung habe machen lassen“ antwortete Andreas voll im Glauben endlich was Überlegtes getan zu haben.
„Mann, bist Du verrückt. Die Rechnung hättest Du doch der Versicherung einreichen und einen Wasserschaden angeben können.“ Peter schnaufte vernehmlich.
„Na, jetzt bleibt ja nur noch der Vermieter übrig. Wie viel Geld hast Du denn bis jetzt ausgegeben?“ wollte der Freund nun wissen.
„Etwa 1200€ alles in allem. Ich trau es kaum Lisa zu sagen. Und die Kaution von 1600€ bekommen wir auch nicht mehr zurück. Das war doch für Tims neues Kinderzimmer eingeplant.“ jammerte Andreas rum.
„Na ich drück Dir die Daumen. Wird schon irgendwie schief geht.

Um 10°° Uhr klingelte es pünktlich an der Wohnungstür und Herr Ingram stand davor. Andreas grüßte und bat ihn herein. Herr Ingram sagte gleich, dass er wenig Zeit habe und schaute sich flüchtig um: Dann fragte er, ob alle Räume leer seien. Andreas führte ihn ins ehemalige Wohnzimmer und bejahte die Frage.
„Sie haben ja den Boden neu geschliffen und versiegelt “ staunte Herr Ingram.
„Nur die Wände sind nicht in einem einwandfreien Zustand“ beschönigte Andreas die Katastrophe.
„Aber das ist doch gar nicht nötig. Hab ich Ihnen nicht gesagt, dass das Haus nächsten Dienstag abgerissen wird?“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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