Jan Schürings

Es wird angegrillt!!!

Ort des Geschehens: Irgendwo in einer beliebigen Reihenhaussiedlung im Ruhrgebiet
ungefährer Zeitpunkt: Im Jahre des Herrn 2002
genauer Zeitpunkt: 27. April im Jahre des Herrn 2004
exakter Zeitpunkt: 27. April im Jahre des Herrn 2004, 14.07 Uhr

An einem lauschigen Samstagnachmittag, beschließt der 35-jährige Familienvater Michael T. seinem jüngsten von zwei Söhnen eine Freude zu machen und zu Ehren seines 7. Geburtstages ein paar bei Aldi günstig erstandene Bratwürstchen auf den kleinen Grill ("Der kostete nur ? 9.99 bei Hornbach") zu legen. Als die drei Stückchen Kohle glühen, beginnt er voll Freu deuntertatkräftigerMithilfeseinerbeidenSöhnedieWürstchenzugrillen.br
Bis zu diesem Zeitpunkt geht alles noch seinen gewohnten Gang. Doch dann....

14.28 Uhr:

Der im Garten des Nachbarhauses liegende Kfz-Schlosser und Schalke-Fan Herrman K. nimmt den Duft mit seiner noch leicht angeölten Nase auf und wird aufmerksam. Ohne sich von seiner Liege zu erheben, ruft er nach seiner Frau, die nichts ahnend im Wohnzimmer die Brigitte liest:
"Iiiiiiiiiiiiiiiiiilse, hasse gewusst, datt dieses Wochenende schon angegrillt wird?"
"Nee, Hermann, wusstich nich. Datt is doch ers April, datt kann noch nich sein, datt is sich nich der offeziälle Tärmin! Wer tut denn sowatt?"
"Der bekloppte Schlipsträger von nehman! Datt lassich nich auf mich sitzen! Ilse, watt ist an Fleisch im Kühlschrank?"
"Genuch, Hermann, genuch! Würstchen, Rippchen, Bauch. Alles, watte gern am essen bis!"

Von dieser positiven Nachricht angespornt, springt Hermann von seiner Liege auf, eilt in den Keller und kommt kurz darauf mit seinem Grill "Rustikal", einem 5 kg Sack Kohle und diversem Grillbesteck wieder hervor.
"Ilse, ruf Vatta un Mutta, wir grillen an!"

14.32 Uhr:

Der CB-Funker und Hobby-Lauschangreifer Horst L. (Codename: Das Gehör) empfängt die Worte "Wir grillen an!" über seine zum Empfangsgerät für Nachbarschaftsgeschwätz umbebaute Mikrowelle und beginnt wie elektrisiert den Funkspruch "Eswirdangegrillt-DasGehör!"hinausindieWeltzujagen.EineunbekannteMengeanFunkernempfängtdieseBotschaftundmachtsichaufdenWeg.br
14.57 Uhr:

Peter M. sieht beim Gassi gehen mit seinem Hund zwei unbekannte Personen mit Grill, Holzkohle und Bier bepackt im Hause von Horst L. verschwinden. Kurz darauf hält ein Golff II mit quietschenden Reifen vor dem Haus. 5 Ballonseidejogginganzug tragende Personen springen mit Rippchen, Bauchfleisch und Steak bewaffnet heraus und verschwinden ebenfalls im Hause Horsts. Diese Provokation kann der 47-jährige leidenschaftliche Briefmarkensammler nicht auf sich sitzen lassen. Mit einem markigen "Jetzt wird angegrillt" begibt sich direkt in seinen Garten, geht nicht über's Moos und feuert seinen Grill Marke "Kohlenpott" (da ist der Name noch Programm) mit Hilfe des Blasebalgs Modell "Politiker" (Heiße Luft und sonst nichts) an.

15.08 Uhr:

Erste dichtere Rauchschwaden ziehen durch das Wohngebiet. Ein besorgter Mitbürger verständigt die Feuerwehr, die jedoch nach Sondierung der Lage unverrichteter Dinge wieder abzieht und nach Rückkehr auf dem Werkshof der Wache ein aus mehreren Baumstämmen bestehendes offenes Feuer entfacht, um dort zuerst mehrere halbe Schweine zu grillen und anschließend eine Löschübung für die Jungendfeuerwehr zu veranstalten.

15.28 Uhr:

In allen Gärten ertönt nun in voller Lautstärke die Stimme von Werner Hansch, der die ersten Vorberichte zum Spiel Schalke-Dortmund abliefert. Der durch die Vielzahl der Radios verursachte Dolby-Surround-Sound veranlasst eine Schar Flugenten dazu, spontan wieder Richtung Süden zurückzufliegen.

15.28 Uhr und 32 Sekunden:

Ein Inferno an Vogelscheiße bringt den Grill des Familienvaters Michael T. fast zum Erlöschen und mehrere Würstchen werden auf einen Schlag ungenießbar. Das Geplärr des 7-jährigen Sohnes mischt sich zur abartigen Stimme von Werner Hansch.

15.35 Uhr:

Auf dem nur einen Vogelschiß entfernten Sportplatz des hiesigen Fußballvereins beginnt der jährliche Tag d eroffenenTürunterdemMotto"DerSVgrilltan!".MehrereSchwenkgrillsverrichtenbegeistertihrenDienst.br
15.42:

Die ersten dichteren Rauchschwaden von 15.08 Uhr bekommen nun Verstärkung und verursachen Anflüge von Bodennebel. Autofahrer schalten verwirrt Ihre Nebelscheinwerfer ein.

15.59 Uhr:

Der frühpensionierte ehemalige Bahnangestellte Friedhelm K. hat die Faxen jetzt dicke. Er kann diese Provokation nicht auf sich sitzen lassen und informiert seinen Club "Freunde der Modelleisenbahn e.V." ("Jungens, es wird angegrillt! 16.30 Uhr in meinem Garten!"). Kurz darauf sieht man ihn in seinen Garten stürzen. Dort angekommen hebt er an seinem Dreibein-Grill, der von ehemaligen Kollegen eigens zu seiner Pensionierung aus drei Eisenbahnschwellen geschweißt fest in seinem Garten installiert wurde, per Motorwinde den Rost über mehrere Zentner Kohle. Mit Hilfe von 20 Litern Brennspiritus gelingt es ihm in kürzester Zeit den Grill auf Betriebstemperatur zu bringen.

16.17 Uhr:

Der besorgte Mitbürger versucht erneut die Feuerwehr zu alarmieren. Es hebt aber niemand ab!

16.30 Uhr:

Der Club "Freunde der Modelleisenbahn e.V." trifft ein. Ein Kühl-LKW (12 Tonnen) hält vor dem Haus von Friedhelm K.

16.32 Uhr:

Die oben bereits erwähnten dichteren Rauschschwaden verdichten sich weiter. Dämmerung tritt ein. Die einheimischen Vögel verschwinden in ihren Nestern. Einige Fledermäuse werden am Himmel gesichtet.

16.34 Uhr:

Schalke geht 1:0 in Führung. Herrman K. verbrennt spontan einige Exponate der Tigerenten-Sammlung seiner Tochter sowie eine eigens zu diesem Zweck käuflich erworbene BVB-Fahne.
"Hömma, Friedhelm, mit Dein protzigen schwenkgrill krisse auch keine besseren Wöschkens hin als ich. Ich bin nämmich viel filigraner am grillen als du, du schmale Rippe!"

16.37 Uhr

Friedhelm K. holt mit leicht irrem Gesichtsausdruck einen weiteren 10-Liter Kanister Brennspiritus aus seinem Gartenhäuschen. "Den Hermann mit sein Popel-Grill mach ich feddich. Den qualm ich anne Wand!"

16.39 Uhr:

Der Wettersatellit der ARD sendet merkwürdige Daten zur Bodenstation.

16.41 Uhr:

Die ersten Lampions gehen an. Horst "Das Gehör" L. zündet ein Dutzend Pechfackeln an und stellt sie in seinem Garten auf. Eine nahe bei einer Pechfackel vor sich hin wachsende Jungtanne fängt spontan Feuer. Es kommt zu einer immensen Rauchentwicklung.

16.42 Uhr:

Die Straßenlaternen gehen an.

16.44 Uhr:

3 Bewohner des Altenheims "Ruhe sanft" verirren sich auf ihrem wöchentlichen Spaziergang in der Dunkelheit. Der von den besorgten Pflegern verständigte Polizeibeamte murmelt nur "Wir kümmern uns um die Würstchen." und legt wieder auf.

16.46 Uhr:

Auf Grund dichter Rauchschwaden wird das Dach der Arena "Auf Schalke" während des Spiels geschlossen. Werner Hansch klagt via Radio über ein merkwürdiges Brennen in den Augen.

16.49 Uhr:

In der ARD-Bodenstation beginnt man hektischzuwerden.br
16.52 Uhr:

Mit Hilfe von einem weiteren Eimer Brennspiritus, alten Bettlaken und dem Matratzenrost seines Bettes (Gelsenkirchener Barock) errichtet Friedhelm K. zur besseren Orientierung in seinem Garten ein Leuchtfeuer.

16.53 Uhr:

Der besorgte Mitbürger schließt die Fenster und legt sich dezent röchelnd flach auf den Boden seiner Küche.

16.54 Uhr:

Schalke schießt das 2: 0. Werner Hansch: "Ein geiles Tor! Er hat einfach seinen Schlappen auf die Pille gehalten und den Torwart älter aussehen lassen, als ich je werde."
Herrman K. entzündet mehrere bengalische Feuer. Einige Funker, die sich auf dem Weg von der Toilette zurück verirren, spießen Ihre Würstchen auf Stöcke und halten sie in die bengalischen Feuer. Die Würstchen nehmen eine seltsame blau-weiße Färbung an.

16.57 Uhr:

Ein Heißluftballon macht bei seiner Notlandung im Garten von Michael T. den Grill dem Erdboden gleich. Die Freunde von Horst L. nutzen die Gelegenheit und entwenden im Schutz der Dunkelheit die Ballonseide, um sich von Ihren Freundinnen neue Trainingsanzüge schneidern zu lassen.

16.59 Uhr:

Dem Hund von Peter M. gelingt es mit einigen schnellen Haken den Freunden der Modelleisenbahn e.V. zu entkommen.

17.11 Uhr:

Jörg Kachelmann warnt auf Grund von eindeutigen Satellitenbildern im Anschluß an die Tagesschau vor einem Wetterumbruch und möglichen Orkangefahren über einer Reihenhaussiedlung im Ruhrgebiet.


17.17 Uhr:

Das Spiel Schalke vs. Dortmund ist aus. Ein Großteil der Fans ("Olé, olé, super Schalke!") verirrt sich beim Verlassen des Stadions und findet sich wenig später auf der A 42 wieder. Dort warten Sie auf die Straßenbahn.

17.27 Uhr:

Der Betriebsleiter der letzten Zeche im Ruhrgebiet veranlasst eine Doppelschicht, um der plötzlich auftretenden Nachfrage nach Kohle gerecht zu werden. Jedoch zu Schichtbeginn er scheintniemand.br
17.32 Uhr:

Die Kohle geht aus. Um die verbliebenen Frischfleichreste ihrer Bestimmung zuzuführen, werden Wohnzimmergarnituren, Küchenstühle und Gartenhäuschen zu Kleinholz verarbeitet.

17.45 Uhr:

Der Besitzer des Heißluftballons sucht vergeblich nach dem dazugehörigen Personenbeförderungskorb.

18.05Uhr:

1live-Stauschau: "A 42 zwischen Dortmund und Duisburg, 32 km Stau in beide Richtungen wegen Nebel, Rauch, Personen auf der Fahrbahn, die einfach nur dort stehen und Personen auf der Fahrbahn, die Baumstämme aus einem Naherholungsgebiet in ein Wohngebiet schleppen."

18.07 Uhr:

Werner Hansch wird vom Arzt des FC Schalke 04 behandelt. Diagnose: Rauchvergiftung. 2 Monate Krankenschein - die Fußballwelt atmet auf.

18.18 Uhr:

Der Fußballverein versucht durch Verfeuern der Torpfosten noch den Restbestand an Würstchen zu grillen und unter den letzten Gäste zu verteilen.

19.48 Uhr

Friedhelm K. hat keinen Brennspiritus mehr.
Horst "Das Gehör" L. liegt unter den verkohlten Resten seiner Jungtanne und knabbert verstört an einem Knochen.
Peter M. sucht seinen Hund und findet ihn, als dieser gerade sein Bein am Grill von Hermann K. hebt und die letzte Glut zum erlischen bringt.
Hermann K. versucht als letzten hilflosen Akt der Verzweiflung die "Brigitte" seiner Frau zu verbrennen. ("Wenne datt machs, lassich mich scheiden!")
Michael T. fährt mit seinen beiden Söhnen zu McDonalds.
Der besorgte Mitbürger löscht die Nummer der Feuerwehr aus seinem Kurzwahlspeicher.
Die Feuerwehr wiederum verhindert mit Mühe und Not das der Brand der Feuerwache auf den Fuhrpark übergreift.
Die Polizei beginnt mit der Suche nach dendreiBewohnerndesAltenheims"Ruhesanft"undfindetsieaufderA42.br Der Besitzer des Heißluftballons klaut den besinnungslos auf dem Rasen liegenden Funkern und Freunden von Horst L. die Trainingshosen.
Jörg Kachelmann muss wegen grober Fehlinterpretationen von Satellitenbildern seinen Dienst quittieren.
Die Freunde der Modelleisenbahn e.V. finden mit Glück eine Straßenbahnhaltestelle und fahren nach Hause ohne vorher auf der A42 zu halten.

22.05 Uhr

1live-Stauschau: "A 42 zwischen Dortmund und Duisburg, 1 km zähfließender Verkehr in beide Richtungen"

Sonntag, 06.07 Uhr

Die ersten Sonnenstrahlen bahnen sich durch die abziehenden Rauchschwaden. Eine dicke Rußschicht liegt über dem gesamten Wohngebiet.
Aber jetzt ist schon wieder klar - nächsten Samstag wird wieder gegrillt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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