Es ist Samstag. Heute ist es soweit. Heute ist der Tag an dem alles herauskommt.
In der Schule hat der Pastor gesagt: „ Ihr müßt alles sagen, „ und sein durchdringender Blick hatte der Kleinen
das Gefühl gegeben, daß er ihr auf den Grund Ihrer Seele gucken könne.
Die Erste Beichte sollte es sein. Alles gestehen was man Böses getan hatte. Oder auch nur Verbotenes.
Was hatte sie zu beichten.
Sie hatte immer gebetet, oft, denn ER war ja ihr Freund, dem sie alles erzählte, was sonst niemand wissen wollte.
Und sie fühlte auch immer eine Antwort. Irgendwie, innen, ganz tief im Herzen.
Aber heute war etwas Schreckliches geschehen. Der Pastor hatte das 6. Gebot besprochen.
Alle Anderen hatte er vorher erklärt. Dieses hatte er sich bis zum Ende aufbewahrt. Also mußte es besonders wichtig sein.
Und dann hatte er es gesagt: Du Sollst nichts Unkeusches denken und tun.
Was war das „ Unkeusches „?. Der Pastor erklärte nur in Andeutungen, daß man sich nicht ohne Kleider anschauen darf, sich nicht berühren darf – und daß, wenn man sich berühren läßt – daß das ein „ Todsünde „
sei. Todsünde, Todsünde, Todsünde – dröhnt es in den Ohren des Kindes.
Eine Todsünde war ganz besonders schlimm. Der Pastor sagt, wer eine Todsünde nicht beichtet kommt in die Hölle, den liebt Gott nicht mehr.
Aber dann liebt er sie schon jetzt nicht mehr. Sie hat so viele Todsünden..
Jeden Abend wenn die Schlafzimmertür sich leise öffnet kommt eine neue Todsünde dazu.
Jedes Mal wenn sie das Ding anfaßt, weil die Hand sie festhält. Wenn sie sich ganz steif macht, wenn die Hand zwischen ihre Beine greift.
Diese vielen Todsünden – wie soll sie die dem Pastor heute beichten? Er wird ihr nie vergeben und auch ER wird sie nicht mehr liebhaben.
Dann hat sie niemand mehr.
Langsam geht sie auf den Beichtstuhl zu. Das Herz schlägt pochend und Angst zieht ihr den Magen zusammen.. Der Geruch von Weihrauch macht alles noch schlimmer.
Vom Kreuz schaut aus düsterer Entfernung Jesus auf sie herab. Und voller Unschuld die Jungfrau Maria – die nie unkeusch war.
Sie öffnet die Tür, kniet nieder und beichtet – alles : Das verbotene Eis in der Fastenzeit, das heimlich stibitzte Glas Obst aus Vaters Keller , die verschwiegene 5 in der Klassenarbeit –
„ Und das was alles ? „ fragt der Pastor . „ Ja, „sagt sie, „ ja das war alles“. „Dann bete einen Rosenkranz mein Kind „ .
Sie geht, setzt sich in die alte harte Kirchenbank - und denkt nur : Jetzt bin ich ganz verloren, ganz allein, ganz schlecht, das schlechteste Kind auf der Welt. Ich habe gelogen, im Beichtstuhl meine Todsünden nicht gesagt. Nun wird die nie mehr verziehen. Von jetzt an kann ich niemand mehr in die Augen sehen.
Sie schleicht sich aus der Kirche. Es ist schon dunkel und sie geht den weiten Weg nach Hause – langsam, denn dort wartet die nächste Todsünde, aber es gibt keinen Ausweg..
Vorheriger TitelNächster Titel" Die Todsünde " steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Kurzgeschichte " Angst ".
Sie sind beide autobiographisch und zeichnen die Ängste und die Verzweiflung eines einsamen kleinen
Mädchens auf.Rita Bremm-Heffels, Anmerkung zur Geschichte
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.02.2002.
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