Doris Ruhnau

Vashe zdorovie!

Sven Lorenz stieg pfeifend aus dem Taxi, gab dem Fahrer ein großzügiges Trinkgeld und sprang die Treppen zu seiner Wohnung hinauf. Schnell unter die Dusche, feine Klamotten an und ab zum Feiern. Sein Mitarbeiter-Team hatte er vom Flughafen aus in das Sunshine bestellt. Er hatte ein Millionengeschäft abgeschlossen und das sollte gebührend gefeiert werden.
Zähe Verhandlungen waren vorausgegangen. Vorgestern lenkten die Russen ein und akzeptierten den Vertrag mit kleinen Änderungen. Sein Chef hatte den Änderungen zugestimmt und er hatte mit den Zuliefererfirmen bereits telefonische Vereinbarungen getroffen.
Während der Vertrag neu geschrieben wurde, hatten sie den Abschluss gefeiert. Ein Bote brachte den geänderten Vertrag in das Lokal, er hatte einen flüchtigen Blick auf die Summe geworfen, genickt und alle unterschrieben. Der Vertrag verschwand in der Aktentasche. Der Kater am nächsten Morgen war enorm, aber das Geschäft war gelaufen.
Gut gelaunt stieg Sven in seinen Wagen. Das Lokal war gut besucht. Er fand keinen Parkplatz und fuhr zurück auf die Straße. Dort fand er eine kleine Parklücke, fuhr rückwärts hinein und bremste erschrocken, als er einen dumpfen Ruck verspürte. Nachdem der Wagen gerade in der Lücke stand, stieg er aus und besah sich den Schaden. Die Stoßstange eines alten, schon verbeulten Fiestas war eingedrückt. An seinem Mercedes war nur eine kleine Schramme zu sehen. Sven überlegte kurz, dafür die Polizei zu rufen, lohnte sich nicht, auf eine Beule mehr oder weniger kam es bei der Schrottkiste nicht ein. Er ging in das Lokal und sah seine Kollegen an einen kleinen Tisch hinter einem Rundbogen sitzen. Als Karsten, der jüngste der Mitarbeiter, ihn erblickte, sprang dieser mit seinem Glas Bier auf und rief laut: „Da kommt unser Top-Manager, willkommen beim Fußvolk.“
Sven winkte ab und setzte sich. „War harte Arbeit, aber es hat sich gelohnt und die Firma ist gerettet. –Lasst uns jetzt meinen Erfolg feiern, nicht mit Bier, heute trinken wir Champagner.“
Jörg sah ihn an: „Weißt Du, was das Zeug hier kostet?“
„Aber klar doch!“ lachte Sven. „Wir schreiben es einfach auf die Spesenrechnung.“
„Klar doch“, grinste Karsten „der Chef wird begeistert sein.“
Sven winkte ab. „Sollte ein Scherz sein, geht natürlich alles auf meine Rechnung. Die Gehaltserhöhung und die Provision werden diese Auslage verkraften. – Aber ... wo ist eigentlich Sabrina?“ fragte Sven. „Sie wollte doch auch kommen.“
„Unsere Kleine wird sich bestimmt für Dich herausputzen“, bemerkte Jörg süffisant.
„Die ist doch schon lange hinter Dir her“, zwinkerte ihm Karsten zu.
Die zweite Flasche Champagner war bereits bestellt, als Sabrina kam. „Tut mir leid, aber mein Babysitter hat sich verspätet. – Aber Ihr habt“ mit einem Blick auf die Flaschen, „mich bestimmt nicht vermisst“, bemerkte sie.
„Setz Dich, Binchen, trinke auf meinen Erfolg – auf die fällige Gehaltserhöhung. Ich gehöre jetzt zur Elite – Prost!“ sagte er stolz.
Sabrina nippte nur an dem Champagner.
Weitere Flaschen wurden geleert und die Stimmung ausgelassener.
„Sven, warum trinken wir eigentlich Sprudelwasser? Bestelle Wodka und lass uns auf Brüderchen Russland trinken“, schlug Karsten vor.
Sven bestellte Wodka. „Auf unsere russischen Freunde! Vashe zdorovie!“
Sabrina sah angewidert die geröteten Gesichter und glasigen Augen ihrer Kollegen, die immer mehr lallten. Sie fühlte sich unwohl in diesem Kreise, zumal auch die Witze immer derber wurden. Sie hatte gehofft, sich mit Sven unterhalten zu können, aber der hat ja kaum einen Blick für sie übrig. Sie verabschiedete sich. Die Kollegen protestierten, aber sie merkte, dass dieser Protest nicht ganz ernst gemeint war.
Sven bemerkte, wie der Alkohol ihm in den Kopf stieg, ließ sich aber nichts anmerken und hielt tapfer weiter mit. Sein Blick wanderte zum Eingang. Eine gut aussehende Frau redete mit dem Geschäftsführer, der mit dem Kopf nickte und sich hinter die Theke begab. Kurz darauf begann die Durchsage: „Der Fahrer des Mercedes mit dem Kennzeichen DO-SL 333 wird gebeten, sich an der Theke zu melden.“
Sven war überrascht. War das nicht sein Auto? Sein Mercedes war doch ordentlich geparkt. Er zuckte mit den Schultern, stand unsicher auf und ging auf die Frau zu.
Sie musterte ihn kurz. “Sie beschädigen also andere Autos und hauen einfach ab.“
“Ich ... “
“Haben Sie sich den Schaden überhaupt angesehen? Ihre Nobelkarosse hat übrigens meine Farbe am Lack.“ Ihre Augen blitzten ihn wütend an.
“Nun ja, ich wollte ...“
“Saufen. Klar doch. Ist Ihnen klar, dass das Unfallflucht ist?“
“Hör mal zu, Schätzchen. Wegen einer Lappalie regst Du Dich an einem so schönen Tag auf? Dein Wagen gehört auf den Schrott. Wir regeln das schon und ...“, er hielt inne und grinste „vielleicht noch das eine oder andere. Komm wir gehen nach draußen.“
Dunkelheit schlug ihnen entgegen. Der Parkplatz wurde nur spärlich erleuchtet. Plötzlich stolperte sie. Er fing sie auf und drückte sie fest an sich. Er neigte seinen Kopf, um sie zu küssen. Aber sie wand sich in seinen Armen und versuchte sich aus der Umarmung zu befreien.
„Nun stell Dich nicht so zickig an, Du wartest doch nur drauf“, flüsterte er heiser und versuchte sie wieder an sich ziehen. Sie riss sich los und versetzte ihm einen Tritt. Sven taumelte und fiel hin. Ohne sich umzublicken rannte sie zu ihrem Auto.
Er rappelte sich wütend hoch, klopfte den Dreck von der Hose und ging zurück ins Lokal. Seine Kollegen fielen in lautes Gelächter ein als er vor ihnen stand.
“He, haste Blondie gleich vernascht?“ fragte Jörg anzüglich.
“Ne, schau Dir mal sein Gesicht an. Sie hat ihn abblitzen lassen“, grölte Karsten.
„Aber er hat gelegen, fragt sich nur auf was“, grinste Jörg auf die schmutzige Hose zeigend.
Sven war die Situation peinlich und er füllte schnell die Gläser auf.
Jörg stand alsbald auf. “Es wird Zeit, ich muss morgen früh raus. Wir fahren zu meinen Schwiegereltern.“
“Pah, Deine Alte hat Dir wohl nicht länger Ausgang gegeben“, bemerkte Karsten, „lassen wir uns nicht stören. - Bestell noch ´ne Runde, Sven.“
Das Lokal leerte sich. Sven und Karsten waren die letzte Gäste, als der Kellner mit müdem Gesicht an ihren Tisch kam und die Rechnung auf den Tisch legte. Taumelnd stand Sven auf und stieß dabei die halbvolle Flasche Wodka um, die sich über seine Hose ergoss. Fluchend durchwühlte er seine Taschen. Es war kein Portemonnaie zu finden. Das gab es doch nicht.
Der Kellner wurde ungeduldig: “Was ist nun? Soll ich die Polizei rufen?“
“Ich, ich...“ stotterte Sven.
Karsten mischte sich ein. “Lass ... mal, Alfred, Du kennst ... mich. Mein Kollege zahlt morgen. Ehrenwort.“
Alfred notierte die Personalien und verwies auf eine Anzeige, sollte die Rechnung nicht am Abend bezahlt werden.
Schwankend verließen die Sven und Karsten das Lokal.
“Und wie, wie komme ich jetzt nach Hause?“ fragte Sven.
“Nun, per Pedes“, kicherte Markus und ging in die andere Richtung davon.
Sven drehte sich resigniert um und torkelte zu seinem Auto. Der Autoschlüssel fiel ihm aus der Hand. Als er diesen aufheben wollte, erfasste ihn heftiger Schwindel und er fiel hin. Sein Kopf fiel hart gegen den Kotflügel, ihm wurde übel und er erbrach sich. Benommen blieb er liegen. Er merkte nicht, dass ihn jemand hochzog und ins Auto setzte.
Ein grauenhafter Kopfschmerz riss ihn aus den Schlaf. Langsam versuchte er die Augen zu öffnen, schloss sie aber schnell wieder. Die Helligkeit verdoppelte den Schmerz und ließ ihn aufstöhnen. Ein widerlicher Gestank von Schweiß, Erbrochenem und Schnaps schlug ihm entgegen. Er lag mit völlig verdreckten Sachen im Bett. Vorsichtig stand er auf und ging zur Dusche. Der kalte Wasserstrahl ließ ihn erschaudern. Während er auf den Kaffee wartete, der durch die Maschine lief, versuchte er sich an den gestrigen Abend zu erinnern. Sie hatten seinen Erfolg gefeiert - er konnte nicht zahlen - sein Portemonnaie war weg. Aber er wusste genau, dass er es eingesteckt hatte. Aber - da war doch die Frau, deren Auto er beschädigt hatte - sie stolperte - er hielt sie fest – Moment mal - sie hatte das Portemonnaie bei der Gelegenheit entwendet. Dieses Biest! Hatte er ihre Adresse? Nein, sie wollte sich bei ihm melden. - Und - wie war er überhaupt nach Hause gekommen? Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern.
Es klingelte an der Tür. Er wollte es ignorieren, aber der Besucher war hartnäckig. Wütend riss er die Tür auf. Ein türkischer Junge stand vor ihm und hielt einen Umschlag in der Hand.
“Was willst Du? Verschwinde, sonst mache ich Dir Beine“, schrie er den nun verstört dreinblickenden Jungen an.
“Aber, ich ...“
“Hau ab“. Sven schmiss die Tür zu.
Er trank einen Schluck Kaffee und versuchte sich auf den gestrigen Abend zu konzentrieren. Ein anhaltendes Telefonläuten unterbrach ihn abermals. Wütend brüllte er seinen Namen in den Hörer.
“Oh, Entschuldigung ...“, stammelte eine Frauenstimme.
“Was wollen Sie und wer sind Sie überhaupt?“ frage er missmutig.
“Vergessen – mein Auto?“ kam es knapp zurück.
“Ich wüsste nicht ...“
“Ich spreche von meiner verbeulten Stoßstange. Sie müssen den Schaden bezahlen.“
Sven atmete tief ein, dann schrie er: “Das ist eine Dreistigkeit ...“
“Was soll das?“, unterbrach ihn die Frau, “Sie schulden mir Geld.“
“Jetzt mach mal einen Punkt, mir Geld samt Papiere klauen und dann weiteres Geld fordern. Der Schaden ist somit beglichen. Papiere und Scheckkarte bitte schnellstmöglich in meinen Briefkasten werfen, sonst wanderst Du in den Knast.“
„Sie wollen es nicht anders“ kam es schneidend zurück und das Gespräch wurde beendet.
Er beschloss ein Stündchen zu schlafen. Anhaltendes Klingeln schreckte ihn nach kurzer Zeit auf. Was war denn jetzt schon wieder? Benommen öffnete er die Tür. Vor ihm standen zwei Polizisten.
“Sind Sie Sven Lorenz und Halter des Fahrzeugs E-HJ 333?“ fragte der Ältere.
Sven nickte.
“Wir hätten da ein paar Fragen.“
Sven führte die Polizeibeamten wortlos ins Wohnzimmer.
“Ihr Wagen steht verkehrswidrig in der Feuerwehr-Zufahrt. Fahren Sie ihn gleich weg, sonst müssen wir ihn abschleppen lassen.“
Sven überlegte: “Nein, mein Auto steht vor dem Sunshine. Ich habe den Wagen dort stehen lassen.“
“Dann ist das Auto wohl allein nach Hause gefahren?“ bemerkte der jüngere Beamte.
Sven schaute ihn ärgerlich an. “Was soll der Ton? Ist das ein Verhör? Was liegt gegen ich vor?“
“Können wir die Papiere sehen?“
„Geld und Papiere sind mir gestern gestohlen worden.“
Die Beamten warfen sich einen Blick zu. “Und wie sind Sie nach Hause gekommen?“
Sven schlug wütend mit der Faust auf den Tisch. “Ich weiß nicht, wie ich nach Hause gekommen bin, ich kann mich nicht erinnern. - Warum sind Sie eigentlich hier?“
“Es liegt eine Anzeige wegen Fahrerflucht vor. Sie haben gestern einen Fiesta beschädigt. Wir haben Ihr Auto bereits untersucht.“
Sven sprang auf: “Dieses Biest, sie ist es doch, die mir das Portemonnaie entwendet hat und ...“
“Wir untersuchen nur den Fall der Fahrerflucht. Eine Vorladung werden Sie in den nächsten Tagen erhalten.“
Die Beamten gingen zur Tür. Im Hinausgehen bückte sich der ältere Beamte und hob einen braunen Umschlag auf. “Post für Sie“
Sven warf den Umschlag achtlos auf den Tisch.
Während er sich einen doppelten Wodka eingoss, klingelte es wieder.
Laut schimpfend öffnete Sven die Tür. Sabrina stand mit einem Lächeln vor ihm. „Ich wollte sehen, wie es Dir geht, nachdem ich fast den Notarzt geholt hätte.“
Sven stammelte „Was – wann - warum?“
„Nun, ich habe Dich auf der Straße aufgelesen und gemeinsam mit einem Passanten in Dein Auto gehievt und Dich nach Hause gefahren. Hier sind die Autoschlüssel.“
Sven ließ sich auf das Sofa sinken. Verdammt, wie konnte er sich nur so blamieren.
Sabrina deckte den Tisch und bereitete ein Katerfrühstück vor. Sie gab ihm den dort liegenden Umschlag. Ihm wurde elend als er den Inhalt sah. An seinem Portemonnaie war ein Zettel befestigt: „Das lag auf der Straße.“ Er hatte dem Jungen und der Frau Unrecht getan. Die Anzeige kostete ihn womöglich der Führerschein.
Wieder klingelte das Telefon. Ehe er seinen Namen nennen konnte, brüllte sein Chef los: „Sie verdammter Idiot, hiermit sind Sie gekündigt, auf der Stelle – fristlos! Für den Schaden mache ich Sie persönlich haftbar.“
„Aber wieso?“
Sein Chef lachte irre. „Du warst wohl total besoffen. Wir sind ruiniert.“
„Aber wieso ...? Der Vertrag ist über eine Million.“
„Ja - über eine Million Rubelchen! Das sind 28.500 Euro.“
Sven ließ den Hörer sinken. Zittern sank er in den Sessel. Sabrina eilte zu ihm und hielt ihn fest. „Was ist, Sven?“
Schluchzend schlug Sven die Hände vor das Gesicht. „Vashe zdorovie! Aus und vorbei!“

(c) Doris Ruhnau, August 2004

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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