Als das Auto durch die Pfütze fuhr, wurde er von oben bis unten nassgespritzt. Der Fahrer hatte es wohl nicht der Mühe wert befunden, auf den einsamen Fußgänger zu achten, der am Straßenrand seines Weges ging.
Er fühlte einen kurzen Wutanfall in sich hochsteigen, beruhigte sich dann aber rasch wieder. Was machte es schon aus? Es nieselte sowieso immer noch, und ein bisschen nässer war da auch schon egal. Außerdem würde es den Autofahrer gar nicht treffen, wenn er jetzt wütend auf ihn war. Vielleicht tat es ihm ja sogar leid, dass er den armen Fußgänger übersehen hatte. Man musste ja immer das Gute im Menschen sehen.
Er lächelte der Frau mit dem Kinderwagen zu, die ihm gerade entgegenkam. Unwillkürlich fiel ihm dieses eine Lied von Paul Simon ein. „The bomb in the baby carriage was wired to the radio.“ Dann gings ironisch weiter. „These are the days of miracle and wonder.“ und „Don't cry, baby, don't cry.“
The days of miracle and wonder... Die Zeit der Wunder... Was hatte er damit wohl gemeint?
War die Zeit der Wunder nicht längst vorbei? Aber wann war sie denn? Eine dunkle Erinnerung schien aus den tiefsten Tiefen seines Unterbewusstseins heraufsteigen zu wollen, und ein kurzer Schauer lief ihm über den Rücken. Aber sie kam nicht.
Irgendwann musste es doch Wunder gegeben haben? Aber wann? Und welche? Was war überhaupt ein Wunder? Vielleicht gab es sie ja doch noch?
Er versuchte, den Gedanken zu verdrängen. Was für ein blödsinniges Thema! Aber die Frage nagte an seinem Bewusstsein und ließ ihn nicht los, so sehr er auch dagegen ankämpfte. Also blieb wohl nichts übrig, als danach zu suchen.
Er sah sich um. Vorne, an der Kreuzung schaltete die Ampel auf Rot, und die Autos hielten an. War es ein Wunder, dass man Maschinen bauen konnte, die sich aus eigener Kraft fortbewegen konnten? Aber man nutzte doch nur einfache physikalische und chemische Gesetze aus. Was wäre denn ein Wunder, dass man erklären kann schon wert? Als er seinen Blick hob, traf ihn ein Regentropfen ins Auge. Es regnete immer noch ein wenig. Wasser. H2O. Nur eine chemische Verbindung. Und die Wolken waren nur eine Ansammlung von Wasser. Und sie waren nur da oben, weil anderswo die Sonne schien und so weiter. Die Geschichte war ja hinlänglich bekannt. Was war hinter den Wolken? Ja richtig, die Sterne. Sie kamen einem Wunder schon näher. Wie vielen Generationen waren sie rätselhaft erschienen? Wie viele Völker hatten in ihnen Götter gesehen? Und wie viele Menschen hatten versucht, in ihnen die Zukunft zu erkennen? Und heute wusste man, dass auch sie nur eine Ansammlung aus chemischen Elementen waren, die nur deshalb strahlten, weil es durch die Gravitation die ein ganz einfaches physikalisches Gesetz war zu einer Kernfusion kam. Und nicht einmal ewig bestehen würden sie. Wie langweilig.
Vielleicht war die Zeit der Wunder ja doch vorüber?
Ein freundlicher Gruß schreckte ihn auf. Eine Freundin stand vor ihm. Er hatte sie gar nicht bemerkt. Freudig lächelnd entschuldigte er sich und grüßte zurück. „Was machst du?“ fragte sie ihn. „Ich suche nach Wundern.“ „Nach Wundern?“ Sie lächelte amüsiert. „Dann sieh dich doch selbst an!“
Es hörte auf zu regnen.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.02.2002.
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