Bieke Meller

Alltag auf'm Amt

Das Standesamt hat ein Büro, in dem die Aufgebote bestellt werden.
Das ist schön groß und hell mit Blumen und gemütlicher Wartezone. Zwei
Schritte später holt den Bürger die Realität schon wieder ein.
Ich wollte nämlich überhaupt kein Aufgebot, ganz im Gegenteil: nach
inzwischen gescheiterter und geschiedener Ehe, wollte ich meinen
alten Namen wieder zurückhaben.
Die Scheidung war am 18.07.01. Die für die Namensänderung
unbedingt erforderliche Scheidungsurkunde hatte ich erst am 7.11.01 in den
Händen.
Wo das teure Dokument so lange geschlafen hat, weiß ich bis heute
nicht. Aber nun sollte es endlich vorangehen. Mit dem Urteil in der einen
und meinem Kind (5 Jahre) an der anderen Hand ging ich also am
13.11.01 zum Standesamt. Dafür musste ich auf einen kahlen schmalen Flur mit
vergilbten Wänden und abgestoßenen Türen. Der einzige Schmuck
dort ist eine Deutschlandkarte, immerhin schon mit den neuen
Bundesländern. Die Stelle, wo unsere Stadt liegt, ist so abgegrabbelt, daß man sie
nicht erkennt. Leider hängt die Karte so hoch, daß ich mein 20 Kilo
schweres Kind hochheben mußte, um ihm Berlin, Braunschweig,
Zürich, die Ostsee, und was auch immer zu zeigen. Viel haben wir in den
folgenden gut zwei Stunden also nicht über Deutschland gelernt. Dafür umso
mehr über den Gang nach Kanossa. In der ganzen Stadt gibt es genau 3
(in Worten:drei!) Standesbeamte, die diesen unheimlich komplizierten
Vorgang einer Namensänderung nach einer Scheidung durchführen können.
Eine dieser Personen war krank, eine weitere im Urlaub. Blieb eine Person
übrig. Und die war an diesem Vormittag heiß begehrt.
Es gibt keine Sitzgelegenheit im Gang der Amtsstube, damit sich der
"Bittsteller" auf keinen Fall wohl fühle. Ich habe diese Zeit mit
meinem durchfallkranken Kind dort verbracht. Zweimal mussten wir unseren
kostbaren Platz vor der Tür zum neuen Glück mit dem alten Namen
verlassen um wie die aufgescheuchten Hühner durch das halbe Haus
zu rennen auf der Suche nach einer Toilette. Wir haben eine gefunden,
weit weg und einen Hinweis darauf hat es nicht gegeben. Ein Malheur
aber auch nicht! Ich war sehr stolz auf mein Kind!!!
Es gab Leidensgenossen, die nach einer Stunde Wartezeit erfahren
mussten, daß sie vor der falschen Tür gewartet hatten. Eine junge
Frau (Bürobotin, Beamtenanwärterin?) sah die Not des wartenden Pöbel
und versuchte mitleidig wie sie war einen kompetenten Beamten zu
finden. Die gute Absicht ehrt sie sehr, aber Erfolg hatte sie nicht. Es fand sich
niemand, der willens und in der Lage gewesen wäre, die feierliche
Amtshandlung der Namensänderung durchzuführen. Nach über zwei
Stunden Buße, war ich so zermürbt, daß ich mit einer Auskunft,
welche Formulare auszufüllen sind und welche Dokumente beizubringen sind
und was der ganze Spaß kostet zufrieden gewesen wäre, aber dann kam
der einzige Lichtblick des Tages:
Ich saß einer Halbtags-Standesbeamtin gegenüber, die zwar sehr
umständlich arbeitete, mich aber schließlich tatsächlich mit neuem
Namen entließ. Ich mußte meinen neuen alten Namen nämlich nicht
beantragen.
Ich mußte lediglich vor einem Standesbeamten erklären, daß ich
eben diesen Namen fortan führen will. Das war alles.... Sie war sogar so
freundlich, mich zweimal damit anzureden.
Es bleibt das Gefühl einer starren, bürgerfernen, weltfremden
Bürokratie. Ich bin in der freien Wirtschaft tätig. Wenn wir derart
unflexibel wären, und so wenig Kundennähe beweisen würden, wie
ich sie an diesem Tag erlebt habe, wären wir nach 2 Wochen pleite. Es ist
ja garnichts dagegen einzuwenden, daß diese Leute von unseren
Steuergeldern leben. Aber vielleicht sollten sie auch etwas Produktives tun für ihr
Geld (das müssen wir nämlich auch) und außerdem ihren Arbeitgeber
(nämlich uns Steuerzahler) etwas freundlicher behandeln.
Dies war kein besonders spektakulärer Einzelfall, sondern ganz im
Gegenteil der ganz normale Wahnsinn: Alltag auf'm Amt! Und gerade
deshalb ist es so ärgerlich!

Diesen Text habe ich an die Zeitung unserer Stadt geschickt.Eine Woche lang hörte ich nichts von ihnen und dann erschien unter der Rubrik "Alltagsärger" ein Artikel, der meinen Text zur Grundlage hatte, anders kann ich das beim besten Willen nicht nennen. Sie haben nicht nur aus Platznot gekürzt, was ich zur Not noch akzeptiert hätte, sie haben auch Inhalte so verdreht, dass sich die Aussage ins Gegenteil verkehrte. Passend zu dieser kastrierten Version druckten sie dann einen Kommentar der Leiterin des Standesamtes, der mich dann endgültig als jemanden dastehen ließ der zu blöd ist, nachzufragen. Meinen Namen haben sie natürlich trotzdem gedruckt, aber verkehrt. In den folgenden Wochen erschienen dann in loser Folge Leserbriefe, die sich über die Person amüsierten, die in diesem perfekt organisierten Standesamt nicht zurechtkam.Bieke Meller, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.02.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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