Paul Walter

Der Stein des Narren

Diese Geschichte ist Howard Phillips Lovecraft und seinem Cthulhu-Mythos gewidmet.


„Der Stein der Narren sieht dem Stein der Weisen zum Verwechseln ähnlich.“
- Verfasser unbekannt


Das Paket war nicht besonders groß. Dafür allerdings beachtlich schwer für seine Größe. Ich bin sicher, dass das Gewicht auch
meine Schreibtisch-Platte biegen könnte, wäre sie nicht so dick. Der Bote hatte unter dem Gewicht des Pakets gestöhnt. Armer
Junge, an so einem heißen Tag auch noch solche Dinger durch die Gegend schleppen zu müssen.


Der Fund
Das Paket war, wie ich feststellen musste, von meinem alten Kollegen Dr. Seifer zu mir geschickt worden. Als ich das Paket
öffnete, kam mir ein leicht abgestandener Geruch entgegen. In dem Paket selbst war neben einem mir unbekannten Gestand,
welcher in Jute eingeschnürt war, noch ein Brief von meinem Kollegen, sowie eine Rolle verschiedener Zeichungen, welche
Hieroglyphen darzustellen schienen.


Dr. Seifer leitete nach meinen Informationen derzeit eine Ausgrabung in Ägypten (Von dieser Ausgrabung musste meiner
Meinung nach auch der Gegenstand in der Jute-Hülle sowie die Zeichnungen sein). Dem Schreiben nach, war es bei der
Ausgrabung, welche Dr. Seifer und sein Team durchführt, zu einem merkwürdigen Vorfall gekommen. Sie waren gerade dabei, die
Überreste eines alten Tempel freizulegen, welcher sich in der Nähe der Stadt Síwah befand.


Der Fundort war bereits merkwürdig gelegen, denn die alten Tempel der verschiedenen Pharaonen-Dynastien lagen immer in der
Nähe des Nils, um den Transport der Steinquader zu erleichtern. Doch Síwah befand sich mitten in der Wüste, zu weit vom Ufer
des Nils entfernt. Der Tempel, der das Objekt der Anstrengungen war, lag circa 10 km süd-östlich von Síwah.


Seine Bauweise war ebenfalls nicht mit der Art anderer Bauten des alten Ägypten zu vergleichen. Das Hauptgebäude ragte mit
dem, was das Dach sein musste, aus dem Sand der Wüste. Die gesamte Struktur des Tempels sah nach einem einzigen Quader
aus. Keine Ritzen hatten sich gebildet, wie es bei anderen alten Bauten der Fall ist. Auch Ultraschall-Untersuchungen zeigten das
Bild eines einzigen großen Steinblocks. Der obere Rand des Gebäudes war mit Hieroglyphen versehen, welche meinem Kollegen in
seinen ganzen Jahren noch nicht begegnet waren. Ihre Größe allein war schon beeindruckend, da ein einzelnes Zeichen etwa so
groß wie der Arm eines Erwachsenen war. Er schrieb, dass er es mit den verschiedenen Codes und Tabellen versucht hatte. Doch
leider waren seine Versuche, die Zeichen zu entschlüsseln, nicht von Erfolg gekrönt. Er teilte mir mit, dass sich in dem Paket
unter anderem eine Abschrift der Zeichen befand.


Die Vorderseite des Gebäudes wurde von den angeheuerten Arbeitern freigelegt. Da der Sand an dieser Stelle sehr weich
erschien, waren Sie angewiesen, vorsichtig zu arbeiten. An einer Stelle nahe der rechten Seitenwand bildete sich ein Sog, welcher
einen der Arbeiter in die Tiefe riss. Nach einigen Minuten hatte sich ein Trichter gebildet, an dessen unterem Ende zu aller
Erstaunen eine Tür sichtbar wurde.


Als mein Kollege sich nach Freilegung der Türe in das Innere des Tempels aufmachte, warf er erst einen Blick in die
Dunkelheit. Die Luft, welche ihm aus dieser Tür entgegenkam, schmeckte nach seinen Angaben faulig. Andere
Tempelanlagen seien hingegen stets trocken und ohne einen Geruch gewesen. Das Licht seiner Taschenlampe reichte tief in die
Dunkelheit hinein. Doch war es meinem Kollegen nicht möglich, das Ende dieses Raumes auszumachen. Auch konnte er keinen
Boden oder Stufen erkennen, welche von der Tür wegführten. Er entschied sich daher, eine der Taschenlampen in die Tiefe zu
werfen. Etwa sechs Meter unterhalb kam die Lampe auf dem Sand auf und rutschte noch einen oder zwei Meter weiter den
Sandberg hinunter.


Nachdem ein Scheinwerfer sowie eine Strickleiter in der Tür installiert worden waren, machte sich mein Kollege mit einem
weiteren Mitarbeiter seiner Expedition auf, das Innere des Tempels zu untersuchen. Der Scheinwerfer leuchtete den Bereich um
den Fuß der Leiter mit einem Radius von circa 2 Metern eher schlecht als recht aus. Die Forscher hatten dafür zwei starke Lampen
und einen weiteren Scheinwerfer mitgebracht, welchen sie jetzt aufstellten. Als das Licht angeschaltet wurde und der Schein den
Raum erhellte, waren Geräusche wie von huschenden Insekten zu vernehmen, welche Schutz in der Dunkelheit suchten.


Bei genauerer Betrachtung des Raumes zeigte sich aber, dass die „Türen“, durch welche die Forscher in das Innere des Tempels
gelangt waren, in Wahrheit Fenster sein mussten. Die eigentliche Tür, oder besser gesagt, das eigentliche Tor befand sich dicht
unterhalb der Fenster. Die Flügel waren so fest geschlossen, so dass selbst in den geschätzten 3500 Jahren noch kein Sandkorn
hindurch gekommen war. Die Fenster waren jedoch nie verschlossen gewesen, da der Boden voller Sand war. Hier und dort
zeigten sich im Sand auch Spuren wie von Käfern. Wahrscheinlich waren Strudel, wie sie einen der Arbeiter das Leben gekostet
hatten, bereits öfter aufgetreten. Hier und da ragten aus dem Sand die Knochen andereer unglücklicher Opfern dieser Strudel.


Auf der Seite, welche dem Tor gegenüber lag, befand sich eine Art Altar. Seine Besonderheit war, dass die Fläche des
Opfersteins 3 Meter über dem Boden aus der Wand ragte. Sie war vier Meter breit und tief, sowie zwei Meter dick. Mit einer
zweiten Leiter gelangte mein Kollege auch auf diesen Stein, welcher aus der Wand herausgemeiselt zu sein schien. Auf diesem
Altar fanden sich in großen Schalen die Reste menschlicher Skelette, welche den Anschein erweckten, von riesigen Zähnen
zerkaut worden zu sein. Andere Überreste waren fein säuberlich abgefressen worden, wie es normalerweise bei
verschiedenen Ameisenarten vor kam. Inmitten dieser Überreste stand auf einem Podest eine Statuette aus schwarzem Stein.
Nach dem ersten Blick könnte man die Statue für einen stehenden Pharao halten. Die etwa 30 cm große Figur hielt ihre Arme
jedoch gerade gen Himmel gestreckt. Auch der Kopfschmuck hatte nichts Ägyptisches an sich. Er sah mehr wie ein
dreieckiges Diadem aus. Die Figur trug keinen typischen Rock, sondern eher eine Robe, welche mit kleinen Prismen besetzt war.
Anfangs dachte mein Kollege, das Material wäre Schiefer. Doch dafür war es zu hart. Er packte die Statuette und brachte sie zur
näheren Untersuchung mit an die Oberfläche.


Die ersten Arbeiter, welche die Statue sahen, als sie meinem Kollegen aus dem Tempel helfen wollten, ergriffen panisch die
Flucht. In Ägyptisch riefen sie etwas davon, dass sie den Narren befreit hätten. Viele hörten die Rufe und folgten den ersten
Arbeitern. Sogar der Vorarbeiter, welcher sich nicht als abergläubisch bezeichnet hatte, geriet ins Wanken. Von Ihm erfuhr mein
Kollege, dass sich ein uralter Kult in Síwah befinden soll. Dieser Kult, möge es ihn nicht geben, soll einen einzigen Diener der
Götter anbeten. Mehr konnte mein Kollege nicht erfahren. Mit seinen aus London stammenden Mitarbeitern brach mein Kollege
die Expedition ab. Die Statuette aus dem Tempel aber sandte er mir, da er wusste, dass ich mich mit allerlei mysteriösen Dingen
beschäftige. Denn die Statuette zeigte keine der bekannten Gottheiten des alten Ägypten.


Suche nach dem Ursprung
Ich beschloss, die Ägyptologie bei meinen Recherchen auszuschließen. Wenn mein Kollege Seifer nichts mit den Zeichen und dem
Steingebilde anfangen konnte, wäre es wenig nützlich. Er ist schließlich ein Experte auf diesem Gebiet der Archäologie. Zuerst
widmete ich mich der Statue, welche aus einem seltsamen, schwarzen Gestein hergestellt worden war. Zur Untersuchung des
Materials gelang es mir jedoch nicht, etwas von dem Gebilde herunter zu kratzen. Darum ging ich mit dem kompletten
Fundstück hinüber in den Bau der Fakultät für Geologie. Die Kollegen dort bestätigten mir, was ich bereits vermutet hatte. Das
Stück bestand aus Obsidian, wenngleich es deutlich fester als andere Proben in dem Labor war. Doch leider konnten sie mir
nichts über seine Entstehung sagen. Die radiologischen Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass das Obsidian keinen Stoff
enthielt, welcher in den verschiedenen Vulkanen der Erde zu finden sei. Trotzdem bestand die Statuette aus echtem
Obsidian. Auch waren sich meine Kollegen einig, dass das Werkstück älter als die ägyptische Kultur sei.


Zurück in meinem Arbeitszimmer fertigte ich ein Skizze der bizarren Figur an, welche die Statue darstellte. Nach dem ersten Blick
könnte man die Statue für die Abbildung eines Pharaos halten. Die Figur hielt ihre Arme in der typischen Stellung, als hielten sie
die Zeichen der Macht. Anscheinend hatte Dr. Seifer bei seiner Beschreibung der Statue einen Fehler gemacht. Doch der
Kopfschmuck hatte nichts Ägyptisches an sich. Er sah mehr wie ein dreieckiges Diadem aus. Auch trug die Figur keinen
typischen Rock, eher eine Robe, mit kleinen Prismen besetzt. Mit dieser Skizze und den Abschriften der Hieroglyphen im Gepäck
begab ich mich in die Bibliothek. Doch leider brachte das Studium der verschiedenen Schriften keinen richtig brauchbaren
Hinweis auf die Herkunft der Zeichen und der Statue. Nach fünf Stunden beschloss ich, dass es bereits sehr spät war und
verschob weitere Nachforschungen auf den nächsten Tag.


Jedoch brachte die Forschung in den älteren Büchern, welche ich gestern nicht zu Rate gezogen hatte, keine weiteren
Erkenntnisse über die Figur selbst oder die Herkunft der Figur. Ein wenig ratlos telefonierte ich schließlich mit einem alten
Bekannten, welcher sich als Professor für Archäologie in der Miskatonic University of Arkham, Massachusetts, seinen
Lebensunterhalt verdiente. Genau wie ich, beschäftigt sich auch Prof. Dr. William Mesemer ausgiebig mit
mysteriösen Fundstücken. Doch hatte er mir während meines Studiums bei Ihm nie über seine Arbeiten berichtet. Als ich Ihm von
der Statue und den rätselhaften Hieroglyphen erzählte, merkte man deutlich an seiner Stimme, dass etwas Aufregendes in ihm
vorging. Er lud mich am Ende unseres Gesprächs nach Arkham ein, und bot mir an, eine oder zwei Wochen zu bleiben.
Gemeinsam wollten wir das Geheimnis dieses Pharaos lösen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.09.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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