Wolfgang Hermsen

Die Engelkonferenz

Eines Tages trafen sich die Engel zu einer Konferenz. Der Anlass war die Menschheit und ihr Verhalten auf Erden. Die Engel stellten fest, dass es immer öfter geschah, dass sich die Menschen Ungeheuerliches antaten. Sie beraubten, ermordeten, bestahlen, belogen und unterdrückten ihre Mitmenschen. So konnte es auf keinen Fall mehr weitergehen. Es musste etwas geschehen. War die Menschheit überhaupt noch zu retten und wenn wie?

Das oberste Gebot der Engel bestand darin, immer den freien Willen eines Menschen zu respektieren. Sie durften nur dann helfend eingreifen, wenn er es freiwillig zuließ oder darum bat und es mit seinem Lebensplan vereinbar war. Die Schutzengel hatten das Meiste an Arbeit. Kleine Kinder mussten vor etlichen Gefahren bewahrt werden und sehr oft war es unglaublich, wie leichtsinnig und dumm sich sogar die erwachsenen Menschen verhielten.

Am schlimmsten war für die Engel jedoch, dass kaum noch ein erwachsener Mensch an ihre Existenz glaubte, geschweige denn sie wahrnehmen konnte. Wie hatte das nur geschehen können? Da gab es mehrere Ursachen, aber es lag wohl hauptsächlich an der schnellen Weiterentwicklung der Menschheit. Es wurden mit dem immer größer werdenden Verständnis der Naturgesetze gleichzeitig die Menschen immer hochmütiger, denn sie meinten, jetzt, da alles mess- und berechenbar war, alle Probleme mit der sich immer schneller entwickelnden Technik meistern zu können. Anfänglich ging es noch ganz gut, denn die Menschen hielten in ihren Familien und Sippen zusammen und auch die Nachbarschaftshilfe funktionierte so zu sagen reibungslos.

Nach etlichen Jahren des stetigen Niedergangs des Zusammenhalts und der gegenseitigen Hilfe wurde somit auch das körperlich seelische Gleichgewicht empfindlich gestört. Die Menschen erkrankten schneller und viele starben schon in jungen Jahren. Das lag einerseits an unmenschlichen Arbeitsbedingungen und andererseits an der schlechten Ernährung, denn die Lebensmittel waren teuer und sehr knapp. Wie war das nur möglich geworden? Das kam von der seit Jahrhunderten immer erfolgreicher betriebenen Einteilung der Menschen in verschiedene Klassen. Da gab es die Adeligen, also die Fürsten und Könige, die Bauern und deren Gesinde und die kirchlichen Herrscher. Die Engel konnten nicht verstehen, wie gerade die Priester, die doch für das Seelenheil der Menschen sorgen sollten, sich als die schlimmsten Unterdrücker erwiesen. Wie viele von ihnen sich aufführten war unbeschreiblich und das auch noch im Namen Gottes. Wenn sich jedoch Einer gegen ihre Machenschaften wehrte, wurde er schnellstens als Gotteslästerer getötet. Doch im Laufe der Zeit verlor die Kirche immer mehr Macht und konnte nicht mehr mit dieser Art von Gewalt herrschen. An ihre Stelle traten andere, weit schlimmere Machthaber. Zuerst freuten sich die einfachen Menschen darüber, dass jetzt die Zeit der Inquisition und Hexenverbrennungen vorbei war. Diese Zeit war zu Ende, das war richtig aber viele Fürsten, Könige und Kaiser, oft arbeiteten die Adeligen und die Kirche Hand in Hand, pressten aus ihren Untertanen hohe Steuern heraus und zwangen viele Männer in den Kriegsdienst. Jeder, der sich weigerte wurde schwer bestraft und meistens mit dem Tod. Doch auch diese Zeit ging vorüber und jetzt wurden die Menschen auf eine viel hinterhältigere Art drangsaliert. Zwischenzeitlich waren Erfindungen gemacht worden, die der Menschheit die Arbeit erleichtern sollten wie etwa die Dampfmaschine. Leider missbrauchten die jetzigen Machthaber, die Unternehmer und Fabrikbesitzer diese Technik. Sie lockten die durch die hohen Steuern verarmte Landbevölkerung in die rasant wachsenden Städte und versprachen ihnen Arbeit und Brot. Dafür mussten sie für einen Hungerlohn in den Fabriken arbeiten, konnten sich aber mehr leisten als vorher auf dem Lande. Wer jung und gesund war, hatte ein Auskommen aber wehe, er wurde krank oder sogar völlig arbeitsunfähig. Manche starben deshalb vor Hunger, andere vor Erschöpfung. In vielen Häusern herrschte Not und Elend und da die Kindersterblichkeit hoch war, gab es sehr viel Nachwuchs. Wie sollte jedoch eine Familie mit acht Kindern überleben können, wenn der einzige Ernährer durch beispielsweise Krankheit oder Unfall kein Einkommen hatte? Glücklicherweise gab es einige hochrangige Personen, die durch die Einführung einer Art Krankenversicherung die schlimmste Not lindern konnten, so dass wenigstens keiner mehr verhungerte.

Eines Tages hatte jemand entdeckt, dass sich durch einen Krieg viel Geld verdienen lässt. Steckte da vielleicht eine dunkle Macht dahinter? Auf eine grausame Art und Weise bestätigte sich die Theorie vom Geld verdienen. Zwei Weltkriege erschütterten die Menschheit. Hätte es doch nur mehr Menschen gegeben, die gegen jede Art von Krieg gewesen wären. Eines war jedoch sehr seltsam: Viele Menschen beteten in ihrer Not und baten so Gott und die Engel um Hilfe. Dadurch wurde ihnen ihr Leben zwar nicht immer erleichtert aber sie ertrugen es oft besser.

Als nach dem zweiten Weltkrieg endlich eine Zeit des Friedens anbrach, erlebten die Menschen der Nordhälfte der Erde einen Wohlstand, der seinesgleichen suchte. Im Laufe der Jahre glaubten sie leider nur noch an ihren Besitz und trachteten danach, ihr Vermögen erheblich zu vergrößern. Für die Engel war kein Platz mehr im Leben der Erwachsenen. Nur kleine Kinder konnten noch die Engel wahrnehmen. Wenn sie aber von ihnen ihren Eltern berichteten, wurden sie fast alle streng zurecht gewiesen, nicht an Engel zu glauben, denn so etwas gäbe es nicht und das Ganze wäre nur ein Auswuchs ihrer Fantasie. Sie sollten gefälligst davon nicht mehr erzählen. So gerieten die Engel immer mehr in Vergessenheit.

Trotz ihres Wohlstandes wurden die Menschen auf der Nordhalbkugel immer unzufriedener und unglücklicher. Sie merkten nämlich, dass ihnen etwas fehlte, denn ihr Besitz machte sie nicht mehr froh und wenn, dann nur für kurze Augenblicke. Woran lag das nur? Was fehlte ihnen? Sie dachten nur noch an die Vergangenheit oder die Zukunft aber nicht mehr an das Hier und Jetzt. Das Leben hatten sie bei ihrer Jagd nach dem Geld vergessen. Bis sie eines Tages merkten, dass sie sich mit ihrem vielen Geld nicht eine Sekunde zu ihrem Leben dazu kaufen konnten. Daher rührte unter anderem auch die fürchterliche Angst vor dem Tod. Dieses Thema wurde möglichst unter den Teppich gekehrt oder überhaupt nicht angesprochen. Die Menschen taten einfach so, als gäbe es ihn nicht. Spätestens bei einer schweren Erkrankung oder einem Unfall wurden sie schmerzhaft an ihn erinnert. Nach ihrer Genesung verdrängten sie ihn meistens wieder genauso wie vorher auch. Es wurde einfach auf ein ungerechtes Schicksal geschoben, wenn ein Mensch starb, also die Seele den Körper verließ. Diese Seele wurde von Engeln an ihren Platz im Jenseits geleitet. Dort fragte sie sich dann selbst wie es nur möglich gewesen war, dass sie die Engel völlig vergessen hatte.

Warum machten die Menschen es sich selbst nur so schwer? Es war doch so leicht, mit Engeln Kontakt aufzunehmen. Einfach um Hilfe bitten, auf die innere Stimme hören und das Wahrgenommene beachten oder ausführen. Das Problem dabei war jedoch der ach so gescheite Verstand. Er war leider nur dazu geeignet, die täglichen Routinearbeiten zu verrichten oder kleinere Probleme zu lösen. Das eigentlich Verrückte an den Menschen war ihre Ansicht, dass nur Logik und Vernunft ihnen den Fortschritt bringen konnten. Daher verboten sie ihren Kindern auch die Fantasie, eine ganz gefährliche, die Vernunft unterlaufende Erscheinung. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder Mensch Fantasie hätte? Das muss man sich mal überlegen! Besser nicht, denn es könnte dazu führen, dass unsere Welt schöner würde. Das Überlegen zerpflückt alles in so kleine Stücke, dass wir hinterher gar nicht mehr wissen, worum es ging und wir danach Probleme haben, die es vorher nicht gab.

Zu retten waren die Menschen nur dann, wenn sie sich wieder darauf besannen, den Mitmenschen als Bruder oder Schwester anzusehen und ihre innere Führung anzuerkennen. Warum das alles so schwer ist, liegt an der Übermacht des Ichs, also dem Verstand. Wenn er auf seine richtige Größe gebracht wird, kann er zu unserem besten Freund werden.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.09.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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„Stellen sie sich vor, in einer fernen Zukunft befindet sich die Erde und eigentlich das gesamte bekannte Universum unter der Faust einer fremden und äußerst bösartigen Spezies namens Tenebridd. Das Leben, so wie wir es im Augenblick kennen existiert seit zwei Jahren nicht mehr. Die Erde ist dem Erdboden gleich gemacht, kein Standard, keine Sicherheiten mehr und nur noch das Gesetz der Eroberer. Und dennoch, eine Handvoll Menschen, angetrieben von dem Wunsch der Freiheit, kämpfen unermüdlich um das Überleben des Planetens und der restlichen Menschheit.“

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