Luna Weizen

SIE in orange sehen

Honig....mhhhhh. Tropfenweise liess sie die bernsteinfarbene Flüssigkeit in die heisse Milch fliessen. Heisse Milch mit Honig war für sie schon immer das beste Mittel um schnell tief und fest einzuschlafen. Und jetzt gerade, während sich langsam ein wohliges Gefühl durch ihren Körper zog, konnte sie es wirklich gebrauchen. Einfach nicht denken, in Tagträume versinken, nicht ins Grübeln kommen. "Sie sollte doch etwas mehr in der Realität leben!" so ihre Eltern. Doch wenn man 17 ist, ist die Wirklichkeit nicht immer der schönste Ort zum Sein. Doch abends im Bett nach dem Löschen des Lichts fällt es ihr schwer in ihre Lichtwelt abzudriften, in der sie ist wie sie sich zu sein wünscht und wo sie ausführt wovon sie sonst nur tagträumt. Nein, gegen 22 Uhr unter ihrer wildgemusterten Bettdecke denkt sie an die Dinge die sie in der Realwelt bedrücken, stressen und zu mancher Zeit auch mal an den Rand des Wahnsinns treiben. Nur schnell einschlafen!
Meistens klappt es, doch heute ist etwas anders. Sie schläft nicht, sie kann nicht schlafen. Ihr ist beinahe als bekämen ihre Gedanken ein Eigenleben. Doch nicht wie gefürchtet ziehen Klausuren, Termine, oder unangenehme Zeitgenossen wie nebelgraue Wolken durch ihre Welt. Langsam verschwindet sie im Licht.
Am nächsten morgen der erste Blick aus dem Fenster. Alles eintönig. Grau in grau, als wären alle Farben über Nacht von der Erde verschwunden. Am liebsten wäre es ihr jetzt einfach wieder rückwärts in ihr noch warmes Bett zu fallen und zu versuchen weiterzuträumen. Doch schon ist die Erinnerung an den eben geträumten Traum verschleiert und sie weis sie wird nicht wieder in ihn zurück finden.
Also hopp die Beine aus dem Bett geschwungen und ein positives Feeling verschaffen.
Das Beste aus den Dingen machen....think positive! Eine Reggae-CD einlegen und die Welt in warmem orange und gelb sehen.
Nachdem sie in die 100% Schafswolle Öko-Socken geschlüpft ist, wie jeden Morgen, denkt sie schon fast nicht mehr an Katrin.
Dejavu, auf dem noch im Dämmerungsdunkel liegenden Weg ins Bad stolpert sie über einen kleinen roten Ball.
Das eiskalte Wasser im Gesicht, ihr Abbild im Spiegel, schon wieder Katrins Lächeln vor Augen. Wie Katrin sie gefragt hat "Stehst Du auf mich?"....heute morgen in ihrem Traum. In ihrem wunderschönen Traum, der mit einem Kuss endete.
Sie ist 17. Sie ist 17 und verliebt, in ihren Augen hoffnungslos.
Es ist erst 7 Uhr und sie tagträumt schon wieder vor sich hin. Doch als sie sich mit offenen Augen im Spiegel betrachtet ziehen die grauen Wolken auf. Sie fühlt sich dumm. Nahezu anmaßend findet sie es bei ihrem eigenen Anblick von IHR, der für sie Unerreichbaren zu träumen. Zu klein und minderwertig kommt sie sich vor.
Zu unmöglich findet sie den Gedanken geliebt werden zu können.
"Zu wenig Selbstbewußtsein" so ihre Freundin.
Sie schließt die Augen, nimmt sich vor sie langsam wieder zu öffenen und sich mit den Augen eines anderen Menschen zu sehen. So langsam und bewußt wie nur möglich hebt sie ihre Lider. Vor ihr steht eine junge Frau. Nicht mehr Kind und noch nicht ganz Frau. Sie ist nicht sehr groß ca. 1,65m, die rot-gefärbten Haare fallen glatt bis leicht gewellt bis in Brusthöhe. Auffällig sind die schön geformten Augen mit den gebogenen Wimpern in dem rundlichen Gesicht. Sie ist offensichtlich übergewichtig, doch ihre Ausstrahlung, das Blitzen aus den blau-grauen Augen bringt alles ins Gleichgewicht.
Sie schließt erneut die Augen um anschließend wieder selbst in den Spiegel zu schauen. Sie ist überrascht, sieht nicht mehr die schlechte Haut, sondern den schönen ein Lächeln formenden Mund. Versucht nicht mehr mit aller Kraft in dem leichten Doppelkinn midestens ein dreifaches zu erkennen. Sie merkt wie sie einen kleinen Schritt auf dem Weg tut sich ihrer selbst bewußt zu werden. Plötzlich wirkt nicht alles ohne Aussicht, es ist nicht mehr so wie bei jedem Schritt erst eine blaugraue Nebelwand durchdringen zu müssen.
Auf dem Weg zu dem Gymnasium das sie besucht fährt sie heute durch den Park. Der Himmel ist grau, aber sie sieht die Knospen an den Bäumen und die Krokusse wie sie langsam, noch des Schutzes der Erde bedürftig die Köpfchen aus dem Boden strecken. Sieht berittene Polizisten, heruntergekommene Penner auf Parkbänken und unermüdliche schwitzende Jogger. Sie fährt auf einer großen Allee, der Sternallee und plötzlich unerwartet ist sie weg. Abgedriftet durch die Nebelwand in ihre Lichtwelt. Unsichtbar für jeden fährt sie auf ihrem Mountainbike zwischen Springbrunnen, Pferdekutschen und Frauen in bestickten Kleidern mit tiefen Dekolletes entlang und alles ist gelb und tieforange.
Mit quietschenden, da angerosteten Bremsen hält sie an einer roten Ampel. Plötzlich ist SIE wieder in ihren Gedanken, Katrin. Unbemerkt eingedrungen wie ein Schatten. Sie denkt an die vergangenen Tage. Morgens Katrin, mittags Katrin, abends Katrin. Doch sie gehörte nicht ihr. Nur manchmal, in den Momenten für die es sich zu leben lohnt. Wenn ihre Augen sich begegneten, wenn es blitzte und Schwärme von vielfarbigen Schmetterlingen vorbeizogen. Wenn sie in ihre Augen eintauchen konnte, so tief. Dieser unbeschreibliche warme braunton hinter den schwarzen Wimpern. Das Funkeln und Glänzen in ihnen, wenn Katrin lachte. Oft hatte sie Katrin so tief in die Augenn geblickt, dass sie alles um sich herum vergaß. Und das einzige was sie in diesen Augenblicken herausbringen konnte war ein unsichers "Was?".
Die Ampel schaltete über orange zu grün. Sie wünschte alle Ampeln würden für immer auf Orange stehen. Kein automatisiertes anhalten bei rot mehr, kein losrasen bei grün. Jeder sollte tun und lassen können wonach ihm soeben beliebte - bei orange. Tagträumerei!
Der Weg zur Schule kam ihr heute aussergewöhnlich lang vor. Es überkam sie das Gefühl bereits seit Tagen unentweglich im Kreis zu fahren.
Es war gar nicht solange her, da stand sie dicht vor Katrin. So dicht, dass sie die Weichheit ihrer Lippen beinahe spüren konnte. Sie wußte, dass ihre Haut unter ihren Händen wie Samt sein würde. Plötzlich war für einen kurzen Moment ihre typischste Eigenschaft, die Angst vor jeglicher Art von Blamage oder Bloßstellung, verschwunden, hatte sich einfach verflüchtigt. Sie hob die Hand und mußte den Arm nicht mehr weit ausstrecken um mit den Fingern vorsichtig über Katrins Wange zu streifen. Dieser Augenblick brannte sich tief in ihrer Erinnerung ein. Auch jetzt kurz vor der Einfahrt des Schulhofes wo sie schon die Fahrradständer sehen konnte, spürte sie wieder IHRE Haut unter den Händen, träumte von IHREN Lippen auf den ihrigen, spürte ihren Körper tanzend dicht am eigenen und sah unendlich tief in IHRE warmen dunklen Augen.
Als sie auf den Hof fuhr und vom Fahrrad stieg sah sie auf dem grauen Steinboden einen kleinen Regenbogen liegen der in seiner ganzen Pracht und Vielfalt schimmerte und leuchtete. Sie steckte ihn in ihre Schultasche und wußte, dass sie etwas ungewöhnlich kostbares gefunden hatte. Nachmittags steckte sie den kleinen Regenbogen in einer Umschlag den sie an KATRIN adressierte.
Jetzt hatte sie Mut und Hoffnung, denn sie wußte sie ist etwas ganz besonderes.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.02.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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