Andrea Göbel

Die zweite Hütte

Mal wieder hatte ich von allem die Nase voll. Zu Hause der Stress und außerhalb der eigenen vier Wände stieß ich nur auf unerschütterliche Intoleranz. Schon oft hatte ich mir überlegt alles hinzuwerfen und einfach einen Schlussstrich zu ziehen. Jetzt war wieder einer dieser verdammten Tage, an dem mich all diese Gefühle plagten. Ich schloss die Augen. Ich wollte einfach nur noch weg, mal ganz woanders… Ein lautes Geräusch unterbrach meine Gedanken. Ich sah aus dem Zugfenster direkt in den Sonnenuntergang. Die Dämmerung versetze mich in unsagbare Ruhe. Auf einer großen weiten Wiese entdeckte ich ein einzelnes Schaf und plötzlich fühlte ich mich genauso einsam wie das Tier. Sehr schnell wurde es dunkel und der Zug rollte mit mir in die Nacht hinein. Es dauerte nicht mehr lange und ich schlief ein...
Als ich aufwachte stand der Zug an der Endhaltestelle. Ich nahm mein Gepäck und stieg aus. Ich hatte nie viel Gepäck dabei, denn alles was ich brauchte, wartete dort wo ich hinwollte schon auf mich. Ein Mietwagen stand wie immer am Bahnhof für mich bereit. Ich räumte meine Sachen in den Kofferraum und machte mich auf den Weg zu meiner Hütte. Als ich dort ankam, musste ich mit Erstaunen feststellen, dass ich nicht alleine war. Jemand hatte eine Hütte genau neben meiner gebaut. Ich wunderte mich ein wenig, denn hier draußen gab es nichts außer einer Trauerweide, die schützend ihre Zweige über meinem Heim ausbreitete und einem kleinen Weiher mit einem Wasserfall, der zum Abkühlen einlud. Ich schaute mich um und seufzte zufrieden. Um in meine Hütte zu gelangen, musste ich zuerst ein paar Efeuranken durchtrennen. Ach, wie lange war ich schon nicht mehr hier gewesen...
Mein neuer Nachbar erwies sich als äußerst hilfsbereiter und freundlicher Mensch. Die kommenden Tage saßen wir oft abends vor unseren Hütten und führten Endlosgespräche. Erst wenn der Nebel um den Weiher strich, und die Arme der Trauerweide in ein fahles Grau tauchte, zogen wir uns zum Schlafen zurück. Eines Abends, der wohl schönste meines Lebens - wir hatten einfach nur dagesessen und den Wasserfall betrachtet - ging ich zufrieden ins Bett. Als ich eingeschlafen war legte sich ein sanftes Lächeln auf meine Lippen. Am nächsten Morgen, als ich meine Augen aufschlug, war es bereits heller Tag. Ich stand mit weit ausgebreiteten Armen, flugbereit auf dem Fenstersims meiner Wohnung im siebten Stock und sah in die Tiefe. Auf einmal war dieses Lächeln wieder da. Ich drehte mich um und kletterte zurück in meine Wohnung. Zufrieden und glücklich schloss ich hinter mir das Fenster - für immer...

A.G.

Hallo ihr Lieben!
"Die zweite Hütte" ist die wohl kürzeste Kurzgeschichte, die ich bisher geschrieben habe. :) An den Entstehungshintergrund kann ich mich nicht mehr erinnern, aber sie war eine meiner ersten Geschichten. Ich hoffe, sie gefällt Euch! (Ehrliche!) Kommentare sind wie immer gerne gesehen... LG, Andrea
Andrea Göbel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.09.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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