Andrea Göbel

... ach könnten Teddybären reden!

Alles was sie sich wünschte war von den Anderen gemocht zu werden, aber mal wieder hatte man sie nur ausgelacht. Sie war ein bischen dicker als alle ihre Klassenkameraden, aber hieß das etwa, daß sie nicht genauso liebenswert war? Man hatte ihr zumindest schon immer das Gefühl gegeben. Irgendwann hatte sie letztendlich angefangen es selber zu glauben.
Es war ein sonniger Tag, so wie Josey es mochte. Hätte sie nicht in die Schule gemusst, dann würde sie jetzt draußen im Garten auf ihrem Handtuch liegen und den Sonnenhimmel betrachten. Aber die Sommerferien waren erst vor wenigen Tagen zu Ende gegangen.
Nach der fünften Stunde kam ihre Lehrerin noch einmal in die Klasse zurück, da sie ihre Tasche vergessen hatte. Sie konnte sie nicht gleich finden und so fragte sie in die Runde. Peter aus der letzten Reihe meldete sich:
“Die hat Josey aufgegessen!“
Daraufhin fing die ganze Klasse an zu lachen und zu Joseys Erstaunen lachte sogar ihre Lehrerin. Das hatte Josey nun wirklich nicht von ihr gedacht. Alle waren so gemein zu ihr. Leise Tränen liefen über Joseys Wangen, sie sprang auf und lief aus der Klasse. Den ganzen Schulweg über weinte sie. Als sie zu Hause ankam hatte sie noch immer ganz gerötete Augen. Ihre Eltern fragten besorgt was denn passiert sei, aber während Josey erzählte, fingen auch sie an zu lachen und ihr Vater meinte:
“Ja Josey, du bist auch viel zu dick. So wirst Du niemals Freunde finden.“
Weinend lief Josey in ihr Zimmer, welches im Keller lag. Sie mochte den Keller, hier hatte sie wenigstens ihre Ruhe. Da saß sie nun, wie ein Häufchen Elend in der Ecke - zusammengekauert. Ihren Lieblingsteddy Buma hatte sie fest im Arm. Joseys Tränen kullerten über seine Fellwangen und es sah so aus, als würde er mit ihr weinen. Buma schaute sie an, als würde er sagen:
“Kleine Josey, weine nicht! Die Anderen haben keine Ahnung. Ich werde immer Dein Freund sein...“
So saß sie dort, den ganzen Abend. Sie weinte so lange, bis einfach keine Tränen mehr flossen.
Obwohl Josey ihre Eltern angefleht hatte nicht wieder zur Schule zu müssen, wurde sie von ihrer Mutter am nächsten Morgen auf den Schulweg geschickt. Josey ging die Hauptstraße entlang bis sie zur großen Kreuzung kam. Dort stand sie eine Weile und schaute den vorbeifahrenden Autos hinterher. Eigentlich hätte sie nach links gemusst um zur Schule zu kommen, stattdessen bog sie nach rechts ab. Sie ging immer weiter Richtung Stadtmitte. Vor ihr lag ein großer Supermarkt. Josey hatte sich von zu Hause etwas Geld mitgenommen. Sie ging hinein und kaufte sich eine Tafel Schokolade, die mit ganzen Nüssen, denn die mochte sie am liebsten. Außerdem nahm sie noch eine Flasche Cola mit und ging zur Kasse. Als sie bezahlt hatte machte sie sich auf den Weg in den Park. Sie setzte sich auf eine Parkbank und stellte die gekauften Sachen neben sich ab. Eifrig packte sie die Schokolade aus und biss ein großes Stück ab. Eine Mutter kam mit ihrem Kind vorbei. Josey schätzte den Bub etwa auf 7 Jahre. Plötzlich drehte sich der Junge zur Seite, sah Josey an und sagte zu seiner Mama:
“Schau mal was für ein dickes Kind das ist“
Darauf meinte seine Mutter:
“ Ja Janik, das liegt nur daran das sie so viel Schokolade ißt und Cola trinkt. Also iß nicht so viel Süßes, sonst siehst Du irgendwann auch einmal so aus!“
Der kleine Junge verzog angewidert das Gesicht. Josey blieb das Stück Schokolade im Hals stecken. Sie mußte husten. Als sie wieder Luft bekam fing sie an zu weinen.
“Alle Menschen sind gleich“, dachte sie. “Alle sind sie so gemein“.
Josey fragte sich, was sie ihnen allen getan hatte. Sie fuhr sich mit dem Handrücken über ihre Augen um sich die Tränen wegzuwischen, dann nahm sie ihre Geldbörse aus der Hosentasche und zählte den Inhalt. 27,50 DM hatte sie noch. Mit ihrer Geldbörse in der Hand ging sie zurück in die Stadt. Sie kam am Supermarkt vorbei, an einem Blumengeschäft, einer Konditorei und an einer Apotheke, Als sie vor der Apotheke stand packte sie der Gedanke: Ich will so nicht weiterleben! Sie ging hinein. Der freundliche Apotheker fragte sie womit er ihr helfen könne.
“Ich habe Schlafprobleme und brauche dringend etwas dagegen.“
Josey versuchte so erwachsen wie möglich zu wirken. Immerhin war sie erst 13, sah aber schon aus wie 19.
“Ja“, sagte der Apotheker, “welche möchten sie denn?“
“Welche wirken denn am besten?“, fragte Josey.
Der Apotheker verschwand im hinteren Teil der Apotheke, kam mit einer rot blauen Packung zurück und legte sie Josey vor die Nase.
“Hmm“, machte Josey, “und was kosten die?“
“11,90 DM“
Josey rechnete schnell im Kopf, in Mathe war sie schon immer sehr gut gewesen.
“Gut, dann nehme ich zwei Packungen.“
Der Apotheker packte ihr die zwei Schachteln in eine Tüte und Josey bezahlte. Nachdem sie die Apotheke verlassen hatte, ging sie zurück in den Park. Dort angekommen setzte sie sich wieder auf die Parkbank. Sie nahm die Packungsbeilage hervor und laß:
Soweit nicht anders verordnet nehmen Sie bitte vor dem zu Bett gehen zwei Tabletten. Sollten Sie binnen einer Stunde keine Wirkung verspüren, nehmen sie bitte nochmals zwei Tabletten. Dosierungshinweis: Täglich max. vier Tabletten. Bei einer erhöhten Dosis kann das Mittel tödlich wirken. Josey sah auf die Uhr, es war halb zehn, sie machte sie sich auf den Heimweg. Sie wusste, dass sie zu Hause niemanden antreffen würde. Ihre Eltern waren beide berufstätig. Zu Hause angekommen, nahm Josey sich ihre Lieblingsdecke aus dem Schrank und breitete sie auf dem Bett aus, dann holte sie sich ein großes Glas Wasser. Alles sollte schnell gehen. Wenn ihre Eltern in knapp 5 Stunden nach Hause kamen wollte sie bereits tot sein. Wie ein lebloses Stück Fleisch.
“Ja“, dachte Josey, “fettes Fleisch!“
Sie stellte das Glas Wasser auf den Nachttisch und nahm eine der Packungen hervor. Sie hatte zwei gekauft, falls eine nicht genügen würde. Mit zittrigen Fingern fing sie an die Tabletten aus der Packung zu drücken. Am Ende hatte sie 20 Stück vor sich liegen. Josey stand noch einmal auf um sich ein Blatt Papier und einen Stift zu holen. Sie schrieb:

“Liebe Mama, lieber Papa
Nie habt ihr mich richtig verstanden. Es hat mich so verletzt das selbst IHR nicht zu mir gehalten habt. Ich möchte trotzdem nicht, daß ihr Euch für meinen Tod verantwortlich macht, denn ich habe diesen Weg selber gewählt. Paßt bitte auf Buma auf oder schenkt ihn einem anderen dicken Mädchen, dann kann er sie trösten. Er war doch mein einziger Freund!
Ich habe Euch lieb,
Josey“

Den Brief legte sie in Bumas Arme und nahm die Tabletten in die Hand. Eine nach der anderen steckte sie diese in ihren Mund und trank immer wieder Wasser dazu. Als sie merkte das sie schon langsam müde wurde, legte sie sich auf ihr Bett und schlief ein. Lange musste sie nicht leiden, der Kampf mit dem Tod dauerte nur einige Sekunden, dann hörte ihr kleines Herz auf zu schlagen. Nur ihr Teddy Buma hatte alles mit angesehen. Er schaute sie an, als könne er alles nicht verstehen. Leise lief eine dicke Teddybärenträne über seine Fellwangen. ... Ach könnten Teddybären reden.

A.G.

Hallo ihr Lieben!
wann ich "... ach könnten Teddybären reden!" geschrieben habe, weiß ich nicht mehr. Es ist auf jeden Fall schon x-Jahre her, trotzdem ist sie über all die Zeit hinweg meine Lieblingsgeschichte geblieben! :) Leider ist das Schicksal der kleinen Josey enger mit mir verbunden, als mir lieb ist... Ehrliche Kommentare sind wie immer gerne gesehen! Ich hoffe, die Geschichte gefällt Euch... LG, Andrea
Andrea Göbel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.09.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Nimm doch die Freiheit dir heraus,
gönne dir ein, zwei Flaschen Gutes,
trag den Gedichtband mit nach Haus,
gleich bist du guten Mutes.

Bebet der Vulkan, die Erde zittert,
wenn ein Asteroid herniederfällt,
bleib locker und sei nicht verbittert,
weil nur die schönste Stunde zählt.

Das Leben ist zu kurz zum Schmollen,
dafür nimm dir nicht die Zeit,
schöpfe Freude und Frohsinn aus dem Vollen,
leg die Sorgen ab unter Vergangenheit.

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