Manfred Gries

Telefonieren mit ´Ich find deine Stimme schön´

“Guten Morgen, lieber Manfred“, so säuselte sie mit ihrer herrlichen Stimme Sprachfetzen in mein Ohr und Schmetterlinge in meinen Bauch. Die Datumsanzeige auf meinem Kalender in der Küche zeigte deutlich das Jahr 2000 an, Jahrhundertwende. Und so fühlte ich mich auch. Alles schien eine neue Richtung in meinem Leben einzuschlagen und der Telefonhörer übermittelte die Botschaft. “Ich find deine Stimme schön“, klang es vom anderen Ende der Leitung in mein rechtes Ohr. Ich bin Rechtsohrer wenn ich telefoniere und das sagt schon alles.
Jedenfalls war an diesem Morgen noch nicht alles gesagt zwischen mir und ´Ich find deine Stimme schön´. Alles begann sich erst zu entwickeln. Fast täglich erreichten neue Erkenntnisse meine Post - sowohl im Internet wie auch an der Hauswand. Hübsche Bilder begleitenden schöne Worte und das regelmäßige Telefonat schmückte meine Phantasie mit ständig wachsendem Begehren - dem Begehren dieses Geschöpf kennen zu lernen. Was bedeuteten da schon 900 Kilometer Entfernung wenn zwei Herzen füreinander entbrennen. Und so kam es unweigerlich zu jenem Telefonat, das mich nach Wien führen sollte. Punktgenau steckte sie die Reiseroute ab während ich ergriffen lauschte. “Du kommst über St. Pölten auf Wien zu wo du dann am Kreuz Steinhäusl auf die Alander abbiegst, in Vösendorf auf die Südautobahn gelangst und dort in Richtung Norden bis Favoriten fährst. Da verlässt du die Autobahn und gelangst auf den Verteilerkreis.“ Alles klang ganz einleuchtend wenn auch etwas fremd. Namen wie ´Steinhäusl´ und ´Favoriten´ konnte ich halt mit keinem mir bekannten Gegenstand in Verbindung bringen. “Dann biegst du rechts in den Verteilerkreis ein, überquerst die Bahnschienen und biegst an der 2 Ausfahrt ab. 200 Meter weiter befindet sich der Parkplatz am Laabachbad. Dort werde ich dich erwarten.“ Ihre liebliche Stimme tanzte wie eine Melodie auf und ab, die für diesen Abend im Schlussakkord mündete. Voller Erwartung legten wir uns zur Ruhe und harrten des großen Tages, an dem ich die Bahnschienen überqueren würde.
Geplant war dieser für das Wochenende, freitags bis sonntags und da dieses erwartungsgemäß nach dem Donnerstag beginnt, machte ich mich in aller Frühe auf den Weg Richtung Bayern. Eine grobe Routenbeschreibung auf dem Beifahrersitz begleitete mich gen Süden und während Kilometer für Kilometer meines wunderschönen Heimatlandes an mir vorbeizog folgte die Tanknadel unweigerlich ihrem Drang links anzuschlagen. In der bayrische Jura fanden die ersten 450 Kilometer ihr Ende. Das sanfte Anschlaggeräusch nötigte mich eine Pause einzulegen. Damals wusste ich nicht, dass genau dort ein weiteres Abenteuer auf mich wartete. An diesem Tag sputete ich mich und verließ die Tankstelle 10 Minuten später Richtung Bahnschienen, das Telefon neben die Routenplanung platzierend. ´Felder, Wiesen und Auen´ rauschten erneut an mir vorbei und der unentwegte Drang die Bahnschienen endlich zu erreichen hielt meine Gedanken so sehr gefangen, dass weder die Vignettenpflicht noch die Geschwindigkeitsbegrenzung auf österreichischen Autobahnen in mein Bewusstsein gelangte. Seltsam, die anderen Fahrzeuge schienen es alle nicht so eilig zu haben. Wahrscheinlich war ihr Ziel ein anderes. Ein Blick auf das Telefon belehrte mich, dass nun die österreichische Telekom den entsprechenden Service übernahm. St. Pölten erschien auf einem Schild vor meinen Augen. Genau, das hatte sie gesagt, sie, die meine Stimme so schön fand. Weitere Schilder folgten und auch das Steinhäusl gesellte sich nun zu den mir bekannten Begriffen. Die Alander entlang über Vösendorf erblickte ich zum ersten Mal die Lichter von Wien. Nun konnte es nicht mehr weit sein - ah, da war ja auch schon die Ausfahrt Favoriten, die mich auf den Verteilerkreis führte. Aufmerksam suchten meine Augen das Gelände nach den Bahnschienen ab. Aber scheinbar waren diese unter den ständig kreisenden Fahrzeugen verborgen, denen ich in den Verteilerkreis folgte. Zwei Runden später hatte ich das Gefühl für die Ausfahrten verloren. Bislang war doch alles so gut gegangen - verdammt, wo waren nur die Bahnschienen? Die zweite Ausfahrt lag längst mehrfach hinter mir - Schwindel ergriff mein Gemüt - da fiel mir der Parkplatz auf, den das süße Wesen beschrieben hatte. Dort würde sie stehen und mich erwarten. Also nichts wie hin - was bedeuten schon Bahnschienen?
Mein Auto schnaufte noch einmal und kam auf einem freien Platz mitten unter Wiener Fahrzeugen zum stehen. Laabachbad - Endstation. Bewusst Gleichgültigkeit signalisierend öffnete ich die Tür und schaute mich um. So viele Fahrzeuge und doch kein Lebenszeichen. Scheinbar waren die Halter noch am Baden und ich beschloss zu warten. Ungeduldig ergriff meine rechte Hand das Telefon, das sie nach dem öffnen der Beifahrertür neben der Routenplanung fand. Zugegeben - irgendwie sah ich gut aus an diesem Abend in Wien mitten unter einheimischen Fahrzeugen. Und meine Statue ermöglichte mir jenen Panoramablick über den Parkplatz, der ´Ich find deine Stimme schön´ vergeblich suchte hinter den Bahnschienen auf dem Parkplatz, wo sie mich sehnsüchtig erwartete. Zweifel ließen mich ihre Nummer wählen während das Telefon an meinem rechten Ohr verkündete: “Dieser Teilnehmer ist nicht erreichbar“. Mist - irgendetwas war wohl anders hier in Wien. Ein Anruf bei der Auskunft förderte zu tage, dass es sich um eine nicht öffentliche Nummer handele und man mir keine Auskunft geben könne. Dunkelheit legte sich langsam über den Parkplatz mit den einheimischen Fahrzeugen hinter den verborgenen Bahnschienen, auf dem meine männliche Gestalt inzwischen jegliche Gleichgültigkeit abgestreift hatte. Ich rief zuhause an, damit zuhause nach Wien telefonierte um die Dame meines Herzens aufzutreiben. Zuhause meldete ´Erfolg´. Sie würde gleich kommen, wäre aufgehalten worden auf einer Feier. Aber sie habe mich sehnsüchtig erwartet.
Gekonnt gespielte Gleichgültigkeit ließ meine Männlichkeit wieder in vollem Glanz erstrahlen zwischen den Fahrzeugen auf dem Parkplatz vor dem Laabachbad. Schließlich hatte ich den Weg hierher gefunden - dann würde sie das auch schaffen. Es sei denn, die Bahnschienen machten uns einen Strich durch die Rechnung. Die vergehende Zeit förderte hübsche Wienerinnen zu tage, die, ihr Fahrzeug besteigend, für Einsamkeit sorgten. Ich zupfte Blütenblätter - sie ist es, sie ist es nicht. Der Mond erschien über der Tankstelle gegenüber vom Laabachbad, als ein Fahrzeug den Parkplatz betrat. “Da bist du ja endlich“ erklang ihre Stimme in meinem rechten Ohr. Ich hatte mich noch nicht ganz darauf eingestellt, dieses liebliche Wesen nun in Stereo zu hören, real und live auf einem Wiener Parkplatz. Nichts desto Trotz wurde aus den 3 Tagen eine Woche, in der zwei Menschen begannen sich kennen zu lernen. Die Rückfahrt machte mir klar, dass dieser Weg zur Gewohnheit werden würde. Warum ich mich in Wien so gut auskenne? Das liegt sicherlich an den Bahnschienen, die ich inzwischen natürlich gefunden habe. Auch die Sache mit der Telefonnummer hat sich geklärt. Nur ein Problem ist übrig geblieben - das Nacktbaden an der Lobau, das habe ich mir bis heute verkniffen. Als Rechtsohrer leidet meine Männlichkeit einfach an bewusst gespielter Gleichgültigkeit, nackt an der Lobau, ein Handy am Ohr. Und ich möchte auch dann noch ´gut aussehen´. Zum Kuckuck ...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.09.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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