Nicole Heitz

was vom leben übrig bleibt...

„Das wollte ich nicht“, seine Stimme zitterte, „niemals habe ich das gewollt“.
Aber hatte er nicht alles dafür getan, dass alles genauso gekommen war, wie es nun war, warum hatte er nicht vorher bedacht? In seiner Bemühung alles richtig zu machen, keine Fehler zu machen, hatte er nie darüber nachgedacht, was sein Verhalten in ihr auslöste.
„Du bedeutest mir unendlich viel und ich bin auf dem Weg zu Dir“, hatte er oft gesagt. Aber auf diesem Weg hätte er sie an die Hand nehmen müssen, hätte sich begleiten lassen sollen. Alles, was sie wollte, war seine Liebe, sein Vertrauen.

In ihren Träumen nahm er sie lächelnd an der Hand, strahlte sie an, schloss sie in seine Arme, küsste sie leidenschaftlich, konnte allen Menschen zeigen, dass sie genau der Mensch war, der für ihn Zukunft bedeutete. In ihren Träumen war er ebenso stolz auf sie, wie sie es war. Sie, die ihn über alles liebte, alles an ihm, die sie ihn bewunderte, weil er ein besonderer Mensch war – sie ging zugrunde daran, dass er keine Fehler machen wollte. Sie hatte nie verstanden, warum er nicht zu ihr stand, warum er Rücksicht nahm auf Menschen, die Meinungen vertraten, die ihnen nicht zustanden. Warum sah er die Fehler nicht, die er in Bezug auf ihre Gefühle machte? Waren die weniger wichtig? Warum nur konnte sie nicht einfach der wichtigste Mensch in seinem Leben sein? Der Mensch, der ihm alles bedeutete? Der Mensch, den er liebte? Sie hatten sich nichts vorzuwerfen, aber sie fing an sich zu schämen, so sehr zu lieben.

Nächtelang saß sie auf dem Boden vor ihrer Anlage, weinend, Welten lauter Musik im Kopf, trinkend, immer darauf bedacht, sich nicht zu betrinken (er hätte das nie verstanden), aber immer erfüllt von der Sehnsucht, endlich Frieden zu finden, endlich nicht mehr denken zu müssen. Sie hatte niemand sagen können, wie es sich anfühlt, selbst so voll von Liebe zu sein und doch nicht geliebt zu werden. Rückblickend gab es in ihrem Leben wohl nur drei Menschen, die sie wirklich bedingungslos geliebt hatten. Eine davon hatte sie viel zu früh verlassen und die Liebe ihrer Kinder war nie von Bedingungen abhängig, zählte aber in diesem Zusammenhang nicht. Ihr ganzes Leben lang hatte sie geliebt, wie nur Kinder es vermögen, sie hatte verziehen, was eigentlich nicht zu verzeihen war, sie hatte gelitten, um keine unnötigen Diskussionen zu führen, sie hatte sich zurück genommen, weil sie glaubte, nicht wichtig zu sein. Und im Grunde war sie es auch nie gewesen.

Sie hatte sich lange gegen sie Einsicht gewehrt, dass jeder Mensch ausschließlich an sich denkt, kam sich vor, als wäre sie es, die den „Fehler“ machte. Als sie begann, zu verstehen, dass sie niemand jemals so lieben würde, wie sie es sich wünschte, fing sie an, ihr Lebensziel zu vermissen. Was bleibt in der Erinnerung an einen Menschen, der nicht mehr lebt? Seine berufliche Karriere? Das Geld, das er hinterlassen hat? Den moralischen Zeigefinger, den er gegenüber anderen erhoben hat? Nein. Alles, was bleibt, ist die Erinnerung an die Wärme eines Menschen, an seine Größe, über Fehler anderer hinwegzusehen, an die Liebe, die er in der Lage war, zu geben. So wollte sie in Erinnerung bleiben, aber das Bild das andere von ihr malten, war alles, das jetzt bleiben würde. Und als die Verzweiflung zu groß wurde, hielt sie nicht einmal die Liebe zu ihren Kindern zurück.

Als sie in die Tiefe sprang, bat sie ihn und ihre Kinder um Verzeihung, hoffte aus ganzem Herzen, sie würden einmal verstehen können, dass ihr das Gefühl, von allen verraten worden zu sein, die Luft zum Atmen nahm. Sie hatte ihn nie weinen sehen – und ihr letzter Wunsch galt seinen Tränen an ihrem Grab.

© nsh 17.09.04

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.09.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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