Werner Gschwandtner

Das Einsatzteam, Fall 2

« Das Zwillings-Puzzle »

 

25. Oktober, „Liebes Tagebuch.

Wie versprochen melde ich mich bei dir. Meine Zeit ist gekommen. Heute schreibe ich dir, genau in dieser Minute zum letzten Mal als freier Mann. Gleich beginnt die Hauptverhandlung und ich erkenne meine Schuld. Ich habe mich auf einen schrecklich bösen Plan eingelassen und habe nun dafür die bittere Rechnung zu bezahlen. Du weißt bereits was ich getan habe, auch hast du mich immer vor den Folgen gewarnt. Aber, wie ein kleiner Bub, der trotzig nicht auf die guten Ratschläge seiner Mutter hören will, genau so habe ich auch dein gut gemeintes Zureden übergangen. Es überhört und mich bequatschen lassen. Und damit ist jene Last eingetreten, die niemand mehr von meinen Schultern nehmen kann.“

 

1

 

Heftiger Regen fiel über dem Masterson Manor im ländlichen Gebiet von Warwick. Düstere Gewitterwolken verdunkelten das Land und obwohl es erst gegen drei Uhr nachmittags war konnte man beinahe nicht die Hand vor Augen sehen.

Grollend zog ein Herbststurm über das alte Anwesen und der Wind rüttelte kraftvoll an den geschlossenen Fensterläden.

Mit dem Aufzucken eines Blitzes fraßen sich Scheinwerfer durch das trübe Licht. Schemenhaft wurden die Umrisse eines Rolls Royce sichtbar. Zügig näherte sich der Luxuswagen dem eisernen Eingangstor und kurz bevor das Fahrzeug dieses erreichte schwangen die beiden schweren Flügeltore langsam nach innen auf.

Der Royce rollte durch die Einfahrt und fuhr den Schotterweg, der Mitten durch den sehr gepflegten Garten führte, zum Herrenhaus hinauf.

Ein älterer Herr im schwarzen Anzug und mit einem Regenschirm bewaffnet wartete vor der aus reinem Eichenholz gezimmerte Haustüre.

„Guten Abend Sir, ich hoffe Sie hatten eine angenehme Reise?“

Während dieser Worte trat er an das Fahrzeug. Dann spannte der alte Mann den Regenschirm und öffnete die Wagentüre für den Ankommenden.

„Abend George, danke der Nachfrage. Ist meine Familie versammelt?“ Diese Worte klangen freundlich. Aber sie kamen nur schwer über die Lippen. Langsam stieg ein stark zitternder Fuß aus dem Wagen, ein zweiter folgte und dann endlich, nach beinahe zehn Minuten, arbeitete sich ein zerbrechlicher Körper aus dem Royce. Es war Sir Henry Christoph Masterson, der älteste Vorstandsdirektor des Familien Konzerns, der Masterson & Son Holding Gesellschaft.

Während der uralte Sir Henry langsam mit dem ersten Fuß aus dem Wagen stieg, antwortete George befleißend.

„Die Hyänen sind vollständig versammelt mein Herr, darf ich Ihnen meinen Arm anbieten?“

Dankend hielt sich Sir Henry an dem beinahe genau so alten Arm seines treuen Butlers fest und nach geraumer Zeit hatte das alte Familienaberhaupt den Royce verlassen.

Im wahren Schneckentempo tippelte der faltige Mann, geschützt von dem Regenschirm und ebenso von George, durch den Regen, der offenen Türe  seines Domizils entgegen.

„Ich werde zunehmend älter“, Sir Henry brabbelte diese Wort fast unhörbar seinem Butler zu. Doch Georges feines Gehör konnte selbst diese leisen Worte noch verstehen.

„Aber ich bitte Sie mein Herr, Sie feiern heute doch erst Ihren 99. Geburtstag, Gott und die Queen mögen Ihnen ein noch recht langes Leben bescheren.“

Endlich erreichten die beiden den hell erleuchteten Saloon des Hauses, wo Sir Henrys Tochter, deren Mann und seine beiden Söhne, der ältere ebenfalls mit Ehefrau, auf ihren Vater warteten.

„Meine Kinder“, begann Sir Henry seinen Geburtstag ein zu läuten, „ich weiß ihr wärt froh, wenn ich lieber heute als morgen das Zeitliche segne“, ein leicht empörtes Raunen schwoll an. Cassandra Richport, eine fünfundzwanzig jährige Frau mit weißblonden, schulterlangen Haaren warf dasselbe trotzig über ihre Schulter.

„Du irrst Vater, jeder von uns wünscht dir dass du noch ein langes Leben vor dir hast.“

„Es ist gut gemeint“, Sir Henry nickte seiner Tochter leicht zu, „aber bleiben wir sachlich. Meine Tage sind gezählt. Es besteht durchaus die Möglichkeit dass ich diese Nacht nicht überlebe.“

Die Wanduhr schlug in diesen Moment die fünfte Stunde des Nachmittags. Alle Anwesenden, den Butler eingeschlossen, starrten Sir Henry sprachlos an. Und eine einzelne Träne floss unscheinbar aus dem Augenwinkel Georges.

Schwer atmend ließ sich der alte Mann auf die weiche Couch fallen und holte sechs versiegelte Briefe aus seinem Aktenkoffer.

„Hier, das ist für euch. An meinen Geburtstag, Heute übergebe ich alles was mein ist an euch.“

„Aber wieso Vater? Du wirst noch nicht sterben, das kann nicht sein.“ völlig gebrochen ließ sich der Jüngste der Familie, Edward Luis Masterson neben den alten Mann auf seine Knie nieder.

„Meine Zeit ist gekommen mein Junge. Niemand kann den Lauf der Dinge beeinflussen. Du“, stammelte Sir Henry, „du warst schon immer mein ein und alles. Der einzige der ein wenig Anstand in sich trägt.“

Minutenlang war es still. Keiner wagte auch nur den geringsten Ton von sich zugeben. Das Atmen Sir Henrys wurde schwerer, es schien so als ringe der alte Mann bereits jetzt mit dem nahenden Tode.

„Diese Briefe“, begann Sir Henry nun wieder an alle gewand zu sprechen, „sind eure Anteile an meinen Besitz. Alles wurde testamentarisch festgelegt. Nun seit ihr unabhängig und könnt euren Lastern nach Herzenslust frönen. Und zwar solange, wie euer Anteil es euch erlaubt.“

Zerknirscht blickte sich die Familie an. Sir Henry hatte die Augen geschlossen und lag regungslos auf der Couch.

„Ist er tot?“ fragte Cassandra Edward. Doch bevor dieser den Puls seines alten Vaters überprüfen konnte, trat Henry James Junior, der erste Sohn des Hauses an den Mann heran und berührte die Halsschlagader.

„Kein Grund zur Panik“, gab der dreiunddreißig Jährige kund, „Vater ist nur eingeschlafen.“

Nun gingen alle wieder ihren Beschäftigungen nach. Flugs nahm ein jeder seinen Brief an sich, bis zu guter letzt nur noch zwei Umschläge auf dem runden Couchtisch lagen.

Edward Luis kniete noch immer vor seinen Vater. Auch George verweilte schweigend neben seinem Herrn.

Da öffnete Sir Henry wieder die Augen. Sein Blick war auf einmal klar. So klar wie in den letzten Jahren schon lange nicht mehr. Langsam setzte sich der alte Mann auf und nahm den Brief, der an George Woodart adressiert war.

„Hier“, Sir Henry reichte seinem treuen alten Butler den Umschlag, „Das ist mein Geschenk an dich für deine treuen Dienste. Über sechzig Jahre hast du Tag ein Tag aus auf mich und mein Wohlbefinden geachtet. Du standest zu mir als ich noch ein junger Knabe war bis heute. Ich danke dir.“

Zum ersten Mal duzte Sir Henry seinen Untergebenen. Der, mit dem Ritterorden geehrte Mann, bezeugte damit seine tief empfundene Zuneigung seinem Angestellten gegenüber.

Zögernd nahm George den Brief. Tränen standen in den Augen des Butlers. Für die beiden Männer waren keine weiteren Worte nötig. Sie verstanden sich auch so. Mit einer tiefen Verbeugung zog sich George leise zurück.

Mit Edward alleine geblieben, schloss Sir Henry wieder die Augen. Dabei flüsterte er seinem jüngsten Sohn etwas zu.

„Edward“, hauchte er, „ich muss dir ein Geheimnis anvertrauen. Es gibt einen dunklen Fleck in meinen Leben. Eine Sache, bei der ich mir heute nicht mehr so ganz sicher bin, ob sie gerecht war.“

Angestrengt lauschte Edward Luis. Das Geheimnis seines Vaters galt alleine ihm. Es war für den alten Mann ein Geständnis aus der Vergangenheit. Und Edward verfolgte jedes Wort angespannt, bis Sir Henry zum Schluss kam.

„Vergib einem törichten Mann. Ich konnte mich nicht entscheiden, beide bei mir zu behalten. Doch das ist keine Entschuldigung. Nach dem Tod meiner Frau hätte ich alles wieder gut machen können. Doch dazu fehlte mir einfach der Mut.“

Sir Henry sammelte seinen Atem und ein blecherner Hustanfall durchführ den alten Mann. Nach dem sich der Husten ein wenig gelegt hatte sprach er weiter.

„Aber du hast diese Courage.“ Sir Henrys Stimme festigte sich ein wenig. „Sorge dafür mein Sohn, dass er seinen Teil an der Erbschaft erhält. Du bist meine letzte Hoffnung. Deine Geschwister würden nach meinen Tod dieses Gespräch sofort vergessen. Aber ich weiß du bist anders. Du wirst meinen letzten Wunsch in diesem Leben erfüllen. Bitte Edward, versprich mir das.“

Edward Luis blickte seinen Vater gerührt an. Auch in seine Augen traten Tränen. Als Sir Henry langsam seinen Arm hob und versuchte, nach der Hand Edwards zu greifen, fasste dieser beherzt zu und drückte sie fest zum Bündnis.

„Alles was du willst Vater. Ich verspreche dir nach deinen Wünschen zu handeln. Ich liebe dich Vater.“

Sir Henrys Finger erschlafften. Mit Mühe richtete er seinen sterbenden Blick auf Edward. Dann röchelte der alte Mann kurz und Luftblasen, vermischt mit ein wenig Blut, traten aus dem leicht geöffneten Mund.

„Ich... ich liebe... liebe dich auch m... mein Sohn... “

Sir Henry kämpfte mit dem Sensenmann. Die Schatten der Ewigkeit lagen bereits über den Zügen des alten Mannes und nur noch mit eisernen Willen konnte Sir Henry diese Worte, beinahe wie ein Hauchen aussprechen. Dann zuckte der magere Körper noch ein paar Mal auf und blieb am Ende leblos liegen. Die Augen schlossen sich zum letzten Mal. Der Tod hatte das Rennen schlussendlich gewonnen.

 

2

 

Eine Woche später. Am 02. Mai wurde Sir Henry Christoph Masterson im Warwick Central Cemetery beigesetzt. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass noch eine gewaltige Welle des Terrors auf die Familie Masterson zukam. Das Ableben des Familienoberhauptes sollte nur die Spitze des Eisberges sein. Gevatter Tod hatte Einzug in die Reihen der Mastersons gehalten. Doch das wusste niemand, mit Ausnahme einer einzigen Person. In diesen Tagen, begann jenes, zuvor so unschuldige Gehirn, erste Gedanken zu einem mörderischen Plan zu schmieden.

 

3

 

„Sehr geehrte Damen und Herren, die Britisch Airways dankt allen Passagieren dass Sie sich für diesen Flug, London – Vienna entschlossen haben. Wir werden in weniger als dreißig Minuten auf dem Schwechater Flughafen nahe Wien landen. Bitte nehmen Sie Platz und schnallen Sie sich an, danke.“

Edward Luis Masterson blickte auf seine Uhr. Die Zeitverschiebung hatte der junge Mann bereits einkalkuliert. Es war jetzt zehn Uhr Vormittags, am 22. Mai desselben Jahres.

Nachdem die Maschine gelandet war, Masterson den Zoll und die Passkontrolle hinter sich gebracht hatte, verließ er das neue, gläserne Gebäude des Terminals und rief sich ein Taxi.

„Fahren Sie mich in den zehnten Wiener Bezirk, Laxenburgerstrasse 22.“

Der Fahrer musterte den feinen Burschen kurz. Der englische Akzent war unüberhörbar. Dann nickte der glatzköpfige Mann und stieg schweigend aufs Gas.

In Gedanken sah Edward alles klar vor sich. Tage nach dem Tot seines Vaters war ihm die Idee gekommen. Nicht nur den Wunsch Sir Henrys würde er erfüllen, zumindest solange wie es für ihn von Vorteil war. Nein, er würde auch seine Halbgeschwister für ihre Arroganz bestrafen. Edward faltete die Hände zum Gebet. Niemals zuvor hatte der zweiundzwanzig Jährige solche Gedanken gedacht. Doch wie hieß ein Sprichwort so schön „Einmal ist immer das erste mal“, besser konnte es in diesem Fall gar nicht gesagt werden.

Eine knappe dreiviertel Stunde später stieg Edward Luis vor dem Haus Nummer 22 auf der Wiener Laxenburgerstrasse aus. Der junge Mann bezahlte den Taxler und wandte sich dem dreistockigen Wohnhaus zu. Die Fassade war alt, der Verputz bröckelte stellenweise von der Wand. Das Haus hatte keine Sprechanlage. Durch seine Erkundung hatte er erfahren, dass die Zielperson im zweiten Stock, Türe 7 wohnte.

Das Stiegenhaus hätte auch bereits einen neuen Anstrich verdient. Es roch nach gewaschener Wäsche und die verschiedensten Essensdüfte stiegen dem jungen Manne in die Nase. Langsam schritt Edward die beiden Stockwerke hinauf. Es gab keinen Lift und die leicht gewundene Wendeltreppe hatte auch schon einmal bessere Zeiten gesehen. An manchen Stellen waren die Steinstufen schadhaft und wiesen tiefe Riese und Furchen auf.

Tür Nummer 7 befand sich auf der linken Seite des sieben Meter langen Ganges, aus dem Blickwinkel, wenn man die Treppe hinauf kam. Es war die zweite Türe, von insgesamt fünf. Kein Namen und keine Nummer standen auf der braunen Holztür. Ein Radio war zu hören, irgendeine englischsprachige Band schmetterte einen Song durch die Wohnung.

Edward Luis klopfte. Es gab keine Klingel. Das Radio wurde leiser gestellt, dann kamen Schritte der Tür näher und ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht. Einen kleinen Spalt, gesichert von einer dicken Panzerkette, öffnete sich die Tür.

„Ja bitte“, ein unrasierter und verschlafen drein blickender Mann linste aus dem Spalt.

„Womit kann ich Ihnen helfen?“ dann zögerte der Mann. Irgendwie kam ihm dieser Besucher bekannt vor.

„Endschuldigen Sie die dumme Frage mein Herr, aber kennen wir uns?“

Edward schüttelte den Kopf. „Nein Sir“, antwortete der Brite mit seinem englischen Akzent, „noch kennen wir uns nicht. Aber ich bin Edward. Edward Luis Masterson, dein Zwillingsbruder.“

 

25. Oktober, 17:10 Uhr. „Liebes Tagebuch.

Nun sitze ich in einer kleinen Zelle des Gerichtsgebäudes auf der Landesgerichtsstrasse und warte auf meine Überführung nach Stein. Vor fünf Stunden endete meine Verhandlung. Ich weiß, dass ich absolut schuldig war. Schuldig im Sinn der Anklage. Ich leugnete auch nicht. Anders als mein Zwillingsbruder, sehe ich meine Fehler ein. Nur leider viel zu spät. Ja, damals als dieser Mensch an meine Tür klopfte, da hätte ich altes ruhen lassen sollen. Und mein Leben wie gehabt weiter leben. Und mein Geist war ja auch willig, nur das Fleisch war schwach. Aber vielleicht ist dies mein Schicksal und niemand kann seinem Schicksal ausweichen. Es holt einen immer und überall ein.“

 

4

 

Die beiden Männer saßen sich gegenüber. Obwohl der schlaksige Typ im Pyjama im Moment sehr ungepflegt aussah, war die Ähnlichkeit nicht zu übersehen.

„Mein Name ist Robert Grünwald“, etwas verlegen stellte sich der junge Mann vor, „eigentlich hieß meine Mutter Greenwood. Aber als wir beide vor zweiundzwanzig Jahren nach Österreich einwanderten, ersuchte sie um eine Namensumwandlung. Greenwood wurde ins deutsche Übersetzt.“

Masterson nickte. Der Engländer stellte sich abermals vor.

„Ich bin Edward Luis Masterson. Ich lebte bisher in England. Genauer in Warwick. Meinem Vater gehörte dort die Holding Gesellschaft Masterson & Son.“

„Ist Vater tot?“ Robert Grünwald blickte seinen Zwilling fragend an, dieser nickte.

„Ja Robert. Er starb an seinem 99. Geburtstag. Das war der 25. April.“

Robert schluckte schwer. Obwohl er noch nie seinen Vater gesehen hatte, rührte ihn der Tod seines Erzeugers dennoch.

„Ich verstehe nur nicht“, äußerte sich Robert gespannt, „weshalb du nun zu mir kommst?“

Edward blickte sich in der recht luxuriösen Wohnung um, es gab feine Teppiche, die Fenster waren schalldicht und überhaupt  nichts spiegelte sich hier von der Verfallenheit des Gebäudes wieder.

„Mein Vater bat mich ein tiefes Unrecht, dass er an dir verübt hatte, zumindest für einen kleinen Teil wieder gut zu machen. Er wollte, dass ich dafür sorge, dass du deinen rechtlichen Anteil an der Erbschaft bekommst. Aber... “

Wieder ließ der junge Mann sein Augenmerk durch die Wohnung schweifen:

„Aber du scheinst dein Glück auch gemacht zu haben.“

„Nicht ganz, ich arbeite zwar als Direktoren Chauffeur für die Bank Austria, aber soviel verdiene ich da auch nicht.“

„Woher kommt dann dieser Luxus?“ Edward zeigte offene Neugierde.

„Meine Mutter bekam von deinem Vater, leider wusste ich bisher nicht wer das war, eine finanzielle Unterstützung. Er ließ ihr ein Barvermögen von rund 375 000 Pfund zu kommen. Das sind umgerechnet etwa... “

„6 000.000 Schilling.“ hakten beide Männer gleichzeitig ein.

„So ist es, wenn man das Geld gut anlegt, brav arbeiten geht und nicht über die Stränge schlägt, dann kann man mit dieser Summe hervorragend leben.“

„Darf ich unsere Mutter sehen?“ Edward blickte bittend seinen Bruder an. „Ich kann dir Fotos zeigen“, sagte Robert leise, „leider starb vor drei Jahren meine Mutter an Lungenkrebs. Die Ärzte konnten nichts für sie tun.“

Edward fühlte sich nun echt mies, wieder kam ihn sein Gedankengespinst, das er am Grabe seinen Vaters ersonnen hatte, in den Sinn. Und dieser Plan nahm langsam an überhand.

 

Vier Tage verweilte Edward Luis nun schon in Wien, vor zwei Tagen hatte der junge Mann ein Eiltelegramm an seine Schwester Cassandra geschickt. Er ersuchte das Ehepaar darin, ihn in Wien zu besuchen. Er hätte entdeckt, dass Vater auch hier ein Geschäft aufgebaut hatte.

„Verstehst du meinen Plan“, Edward musterte zufrieden seinen Zwilling. Dieser war nun frisch gewaschen, rasiert und in jedem Detail Edward Luis Masterson ähnlich.

„Sobald Cassandra hier ist gib es kein zurück mehr. Verstanden?“

Robert nickte. „Das Verstehe ich schon, aber weshalb müssen wir das überhaupt tun? Es ist doch genug Geld für alle da.“

Edward Luis verzog verächtlich den Mundwinkel. „Das habe ich dir schon hundertmal erklärt, unsere Halbgeschwister würden niemals teilen, sie raffen ja jetzt schon gierig zusammen, was nicht Niet und Nagel fest ist. Wenn wir in den Genuss von allem kommen wollen, dann müssen wir jetzt handeln.“

 

25. Oktober 1998, 22:00 Uhr. „Liebes Tagebuch.

Vor einer  Stunde wurde ich in der Justizanstalt Krems Stein abgeliefert, ich wurde untersucht, musste mich frisch duschen und hatte dann noch ein längeres Gespräch mit dem Gefängnisdirektor, er sagte, dass wenn ich mich gut führe, nach zehn Jahren, eine Bewährung in Frage käme. Natürlich nur deswegen, weil ich von Anfang an gestanden habe und nun sitze ich in meiner Häftlingsuniform auf der harten Pritsche und sinniere über das Vergangene nach. Ich hatte eigentlich ein gutes Leben, keine Sorgen und auch ausreichend Geld. Weshalb habe ich mich dann auf diesen unsinnigen Plan eingelassen? Vier Tote, davon zwei auf mein eigenes Konto. Ich kann es rückblickend noch immer nicht fassen.“

 

5

 

Edwards Plan war einfach. Die beiden Halbgeschwister, zusammen mit den Ehepartnern zu töten. Dann würde beinahe alles den beiden gehören.

Edward Luis hatte sich angeboten, den ersten Schritt zu tun. Robert wusste, dass er, durch seine Erscheinung das absolut stichfeste Alibi für den jungen Masterson war. Unzählige Stunden hatte Robert unter der Anleitung von Edward Luis die Mimik und das vornehme Verhalten studiert und geübt, jetzt konnte man die beiden nicht mehr auseinander halten.

„In einer Stunde treffe ich mich mit Cassandra und deren Mann im Esterhazy-Park, also um 21h. Ich werde die beiden ins Kino gegenüber einladen.“

„Ins Edison?“ fragte Robert Grünwald, Edward nickte.

„Ja und sie dort im Dunkeln erschießen.“

„Mit welcher Waffe?“

„Na das ist eine Frage, selbstverständlich habe ich mir einen Revolver besorgt. Über das Internet geht so was ganz einfach, erstaunlich was man so alles auf dem Schwarzmarkt findet, wenn man nur weiß wo man suchen muss.“

„Und ich soll mich zur selben Zeit auffällig im ersten Bezirk herum treiben, die besten Lokale aufsuchen und eindrucksvoll meine Identität preisgeben.“ etwas zögernd legte Robert Grünwald das gestellte Alibi Mastersons dar.

„Ja, du nimmst den Mercedes, den ich mir aus einem Rent A Car Verleih geliehen habe. Keiner außer uns beiden weiß, dass es uns zweimal gibt. An diesem Alibi ist bei einer Vernehmung dann nicht zu rütteln und“, Edward Luis überreichte seinem Zwilling ein weiteres Eiltelegram, „dieses Telegram gibst du zuvor, oder nachher auf der Post auf und zwar unter diesen Angaben.“ damit übergab Edward auch noch ein Stück Papier, darauf war ein Name und eine Adresse geschrieben. „Wir müssen auch den Ältesten mit seiner Frau herlocken. Dann ist der Vorhang für immer gefallen.“

 

25. Oktober 1998, 22:30 Uhr. „Liebes Tagebuch.

Hier beginnt nun die Ruhezeit, das Licht wird schon gelöscht und ich bin noch immer alleine in meiner Zelle. Leider bleibt das nicht bei diesem Umstand, aber wer weiß, vielleicht ist das auch besser so. Einzelhaft soll ja eine wahnsinnige Belastung sein. Dann ist der Vorhang für immer gefallen Ja, Edward hatte in einem Punkt, bei diesem Zitat Recht, der Vorhang ist für immer gefallen, für uns. Gute Nacht, ich melde mich Morgen wieder.“

 

6

 

Das Einsatzteam der Mordkommission, Oberinspektor Herbert Bachmann und Polizist Reinhold Jäger, betraten das Edison Kino und schritten zum Saal A. Vor zehn Minuten war die Mitteilung eingegangen, dass nach Beendigung der letzten Vorstellung für diesen Abend zwei tote Menschen in der ersten Reihe zurück geblieben waren.

Der Leiter des Kinos lief nervös vor dem Eingang zu Saal A hin und her, der Filmvorführer stand daneben und war kreidebleich.

„Herr Kutschka?“ Bachmann legte zum Gruß zwei Finger auf seine Mütze, „Sie sind der Leiter dieses Kinos?“

Aufatmend hielt der muskulöse Mann im Mittleren alter in seiner Wanderung inne und reichte den Polizisten die Hand.

„Ich danke Ihnen, dass Sie so schnell gekommen sind.“

„Keine Ursache, wir wurden schließlich gerufen. Was ist nun wirklich geschehen?“

„Was geschehen ist kann ich nicht sagen, Herr Oberinspektor, aber Fakt ist, dass zwei Tote in der ersten Reihe sitzen.“

„Sehen wir uns das mal an“, sprach Bachmann zu seinen Kollegen. Seit dem Fall, in dem der Juwelier Steinbauer ermordet worden war, arbeiteten die beiden Beamten nun mehr zusammen. Jäger nickte. Hinter den beiden Kriminalisten trabte die Spurensicherung an.

„Mord im Kino, das hatten wir noch nie.“

Mit schnellen Schritten eilten sie den Gang zu der ersten Reihe hinunter und dann sahen sie die Bescherung. Genau in der Mitte, auf den Sitzplätzen 8 und 9 saßen, den Kopf nach vorne gesenkt, eine Frau und ein Mann. Beide hatten einen Schuss in die Nähe des Herzens abbekommen. Ihre Jacken hingen über den Lehnen. Es sah nach keinem Raubmord aus.

Bachmann winkte die Spurenexperten zu sich und während der Polizeiarzt die Toten untersuchte, ordnete der Inspektor an. „Sucht alles gründlich ab, ich möchte wissen, wie so etwas in einem Kino geschehen konnte.“

„Selbstverständlich Herr Oberinspektor“, der Spurenobmann machte sich mit seinen Männern an die Arbeit.

„Ein Schuss aus nächster Nähe“, der Polizeiarzt trat auf Bachmann heran, zog sich dabei die Gummihandschuhe aus und warf sie einem der Prosekturdiener zu, „die beiden waren sofort tot.“

„Wie lange ist es her?“

„Meiner Schätzung nach, da die Körper noch warm sind, Ungefähr vor einer oder anderthalb Stunden. Näheres kann ich er nach der Obduktion sagen.“

„Danke Doktor, Sie wissen ja, den Befund hätte ich gerne noch gestern.“ Herb Bachmann zwinkerte belustigt den Polizeiarzt zu und dieser sagte brummend.

„Das ist mir bekannt Oberinspektor, ich werde mich sofort an die Arbeit machen.“

Die Polizeifotografen hatten ihre Aufnahmen gemacht und die Spurenleute die Fingerprints der Ermordeten zu Vergleichungszwecken genommen. Jetzt konnten die Leichenträger die toten Körper entfernen. Für Bachmann gab es nichts weiter hier zu tun. Er verabschiedete sich von der Spurengruppe und verließ den Saal A. Auf dem Weg zum Ausgang stieß der Oberinspektor auf Reiner Jäger. Dieser hatte die Vernehmung des Kinoleiters, so wie die übrigen Angestellten, vorgenommen.

„Nun, etwas Interessantes gehört?“

„Kann schon sein“, sagte er, „die beiden kamen in Begleitung eines dritten, er war genau so wie die beiden Toten exklusiv ausgestattet. Alle drei schienen aus einer wohlhabenden, wenn nicht sogar stinkreichen Familie zu kommen.“

„Aber wo ist dieser dritte jetzt? Konnte eine Beschreibung abgegeben werden?“

„Eine wage Herb. Ca. 1,75 cm groß, schlank mit englischen Akzent. Die beiden Toten im Übrigen auch.“

„Die sprachen auch mit englischem Akzent?“

„So ist es, es sind auch Engländer.“

„Hast du ihre Papiere gesichtet?“

„Ja, bevor ich mich an die Unterredungen mit den Kinoleuten machte, filzte ich noch die Jacken und die Handtasche der Toten.“

„Sehr gut, wer sind sie?“

„Mister und Misses Richport, sie hieß Cassandra und er Egon Ronald.“

„Na das wird ein hartes Stück Arbeit.“

 

7

 

Die Nacht war für die beiden Beamten noch lange nicht vorbei. Als Bachmann und Jäger ins Einsatzdezernat zurückkehrten, lag bereits der pathologische Befund vor. „Die Waffe, ein 9mm Revolver wurde beinahe direkt an den Körper der Opfer gepresst, nach den wenigen Verbrennungen zu urteilen“, legte der Polizeiarzt nahe, „besteht die Ansicht, dass ein Schalldämpfer benutzt worden war.“ dies las Bachmann vor.

„Das würde erklären, wieso keiner der anderen Besucher etwas gehört hatte, denn obwohl ein krachmachender Actionfilm lief, hätte doch jemand die Schüsse aus dem Film heraus hören müssen.“

„Das denke ich auch“, Jäger überprüfte seine Notizen, „die drei kauften sich Karten für den neuen Bond Film Der Morgen stirbt nie.“

„Die Todeszeit setzt Doktor Frankheimer für 23h fest.“

„Der Film begann gegen 21:15 Uhr und dauerte knapp zwei Stunden. So um die 115 Minuten.“ endete Jäger wissend.

„Das würde bedeuten, der Täter hatte sich in aller Ruhe den Film angesehen und kurz vor dem Ende die beiden Schüsse abgefeuert.“

„Der Logik zufolge muss es so gewesen sein, damit steht wohl außer Frage, die Person, die geschossen hat, muss einen Schalldämpfer benutzt haben.“

„Korrekt“, nachdenklich blickte Oberinspektor Bachmann auf die Uhr. „Jetzt ist es schon zu spät, aber gleich in der Früh werden wir uns mit den Schwechater Flughafen in Verbindung setzten. Ich möchte wissen, wann diese beiden Eheleute aus England eingeflogen sind.“

Die Wanduhr im Büro Bachmanns zeigte viertel nach ein Uhr. Die Nacht war schon beinahe wieder vorbei.

 

26. Oktober 1998, 09:00 Uhr. „Liebes Tagebuch.

Meine erste Nacht im Gefängnis ist vorüber gegangen, sie war recht lange. Ich konnte nicht wirklich schlafen. Insgeheim frage ich mich, wie ich das weitere fünfundzwanzig Jahre durchstehen soll? Das sind umgerechnet 9125 Nächte. Der reinste Horror. Auch wenn ich wirklich nach zehn Jahren auf Bewährung raus kommen sollte, sind das noch immer gute 3650 Nächte, die ich hier fristen muss.“

 

8

 

Die Post Office Main Street und Aplington Road in London, Henry James Masterson trat auf die belebte Strasse und öffnete beim Gehen ein Eiltelegram, das der neue Familienälteste von seiner Schwester erhalten hatte.

„Lieber Bruder - Stopp - Ich bin mit meinen Mann zusammen hier in Vienna - Stopp - Edward hat uns dorthin eingeladen - Stopp - stell’ dir vor, unsere hintertriebener Vater hatte hier in Austria ebenfalls eine Firma gegründet - Stopp - Der Gewinn der hier erwirtschaftet wird ist enorm - Stopp - Edward meinte, du sollst ebenfalls an dieser lukrativen Gelegenheit beteiligt werden - Stopp - Reise also umgehend nach Vienna - Stopp - liebe Grüße, Cassandra - Stopp -„

Henry James’ Augen leuchteten auf, er musste das Telegram zwei, dreimal durchlesen, bis er seine Bedeutung begriffen hatte.

„Noch mehr Kohle“, durchfuhr es sein von Spielschulden geplagtes Gehirn, „endlich bin ich aus dem Wasser.“

Henry James hatte gut reden, durch den Tod seines Vaters kam der erstgeborene Sohn in den Genuss von runde 700 000 Pfund, klar, er hatte bei den verschiedensten Casinos enorm hohe Schulden. Aber selbst dann, wenn er alle Gläubiger auf einmal abfertigte, blieben dem leichtsinnigen Mann noch immer gute 450 000 Pfund. Henry James war jetzt alles andere als ein armer Mann.

 

„Oberinspektor“, Wachtmeister Heiner Seebach reichte Herbert Bachmann den Akt der Spurensicherung, „ich soll diesen Bericht bei Ihnen abgeben.“

„Danke Wachtmeister, hat sich der Flughafen bereits gemeldet?“

„Noch nicht, aber so eine Überprüfung kann dauern.“

„Das stimmt, vielen Dank.“

Seebacher verabschiedete sich und ließ den Oberinspektor alleine. Dieser schlug den Akt auf und las den Bericht der Spurenexperten.

Als nach zehn Minuten Reinhold Jäger ins Büro kam, legte Bachmann den Befund soeben bei Seite.

„Hallo, auch wieder hier?“ müde, eine Grimmasse schneidend ließ sich der junge Kollege in einen Stuhl fallen. Den belustigten Scherz des Partners überging der Polizist.

„Null Erfolg auf der ganzen Linie, in keines der besseren Hotels ist dieses Paar abgestiegen. Hat sich hier etwas Neues ergeben?“

„Der Flughafen ist noch ausständig, aber das hier ist sehr interessant.“

Bachmann reichte Jäger die Spuren-Akte und dieser begann das Material zu sichten.

„Genau genommen“, sinnierte Jäger, „nicht viel“, dann, auf der letzten Seite, in einer Folie, ein leicht zerknittertes Telegram.

„Na das ist nicht schlecht, wer ist dieser Edward Luis?“

„Kann ich noch nicht sagen, aber so wie er schreibt, dürfte er ein Familienmitglied sein.“

„Vermutlich die dritte Person.“

„Leicht möglich.“

Jäger las die Zeilen noch einmal.

„Hallo Cassandra - Stopp - Habe hier in Vienna eine Geldreserve von dem verstorbenen Sir Henry entdeckt - Stopp - Komm bitte mit deinem Mann hier her - Stopp - einige Millionen warten - Stopp - Bye, auf bald. Edward Luis - Stopp -„

„Den müssten wir finden.“

Bachmann setzte sich ans Telefon und ließ sich wieder mit dem Flughafen verbinden, als der zuständige Ansprechpartner am Draht war, entschuldigte sich der Oberinspektor zuerst einmal, dann brachte er sein neues Anliegen vor.

„Es tut mir leid, aber diese Information brauche ich umgehend.“

„Wir werden tun, was in unseren Kräften liegt. Die Liste mit den Namen Cassandra und Egon Ronald Richport ist bereits zu Ihnen unterwegs.“

„Vielen Dank und noch einmal sorry wegen der zweiten Sache.“

Bachmann legte auf. „Der erste Erfolg ist verbucht. Die Richport Passagierliste ist unterwegs.“

„Na wenigstens etwas, liegt für heute noch was an?“

Oberinspektor Bachmann blickte auf die Uhr. Es war bereits wieder zwanzig Minuten nach 17h.

„Ich denke mal nicht, alles was ich heute noch unternehmen möchte ist, mich mit Scottland Yard zu unterhalten. Die können uns womöglich einiges über diese Leute sagen.“

„Dann verabschiede ich mich für heute, ich brauche ein wenig Schlaf.“

„Tu das, ich mach’ auch bald Schluss.“

 

Voller Nervosität blickte Robert Grünwald auf den Trommler, der auf dem Tisch seiner Wohnung lag. Edward Luis saß dem Zwilling gegenüber und sprach beruhigend auf den jungen Mann ein.

„Sei kein Frosch, es ist ganz leicht. Ich werde diesmal für ein felsenfestes Alibi sorgen und du killst in aller Seelenruhe Henry James Masterson und seine aufgetakelte Zicke.“

„Ich habe Angst, ich glaube nicht, dass ich das kann. Mir war schon bei dem ersten Mord nicht sehr wohl, aber da war ich zum Glück weit weg. Wir sollten aufhören, so lange es noch geht.“

Edward Luis stierte seinen Bruder finster an, dann schüttelte er den Kopf. „Das hättest du dir früher überlegen sollen, jetzt ist es zu spät. Du steckst in der Sache genau so tief drinnen, wie ich selber. Ein Umkehren, einen Rückweg gibt es nicht. Das habe ich dir von Anfang an gesagt.“ endete Edward Luis erbost.

Schweigend blickte Robert Grünwald zu Boden. Er schwitzte. Die Sache wuchs ihn über den Kopf, dennoch wagte er nicht sich gegen den Zwilling auf zulehnen.

„Also gut, ich mach’s. Wann soll ich diesen Henry James treffen?“

„Morgen, ich habe mit ihm bereits gesprochen. Er schöpft keinen Verdacht, im Gegenteil, er kann das Geld schon fast zwischen seinen Fingern spüren. Beide werden Morgenfrüh in Vienna eintreffen. Du wirst am Parkplatz des Flughafens auf die beiden warten.“

„Im Mercedes?“ fragte Robert, Edward Luis nickte.

„Ja, mein lieber Bruder glaubt, dass Cassandra und ich die beiden abhole. Sobald die zwei auf den Wagen zu kommen, schießt du einfach. Dann gibst du Gas und tauchst unter, es ist egal ob dich jemand sieht, ich sorge ja für ein perfektes Alibi.“

Die Funkuhr auf Robert Grünwalds Nachtschrank sprang auf 24, gleich 0:00 Uhr. Der junge Mann konnte einfach keinen Schlaf finden. Tränen standen ihm in den Augen. Er versuchte verzweifelt einen Ausweg, aus einer Situation zu finden, aus der es keinen gab. Hastig wischte er sich das nasse Gesicht ab, dann knipste Grünwald die Bettlampe an und zog sein Tagebuch unter dem Polster hervor. Leicht weinend schlug er es auf und begann zu schreiben.

 

28. Mai 1998, 0:17 Uhr. „Liebes Tagebuch.

Die Ereignisse der vergangenen Tage sind dir ja schon bekannt, aber jetzt sehe ich mich in einem Netz aus Lügen und Intrigen gefangen. Obwohl ich Edward Luis über die Einstellung der laufenden Aktion bat, lehnte dieser ab. Er hat vollkommen Recht, ich sitze genau so tief in der Sache drinnen, wie er. Mit gehangen ist mit gefangen und es reicht schon, dass ich von diesem Vorhaben gewusst und ihm sogar ein Alibi besorgt habe. Ich kann nur hoffen, dass ich Heil aus der Geschichte raus komme. Gute Nacht, bis Morgen.“

 

9

 

Robert Grünwald blickte auf die Uhr. Der Flieger London – Vienna war um 8h gelandet. Jetzt war es bereits 09:10 Uhr, doch die beiden kamen nicht. Unsicher öffnete Robert die Wagentür. Sollte er aussteigen und den Terminal betreten? Doch er entschied doch lieber im Mercedes zu bleiben.

Nervös trommelte er einen Marsch auf das Lenkrad. Zu diesem Zeitpunkt befand sich niemand auf dem Parkplatz. Ja, unzählige Autos standen herum. Aber keine Menschenseele ließ sich blicken.

Der Revolver lag, von einer Landkarte verdeckt, auf den Knien Grünwalds. Der Hahn war gespannt, er brauchte nur noch die Waffe zu entsichern. Vorsichtshalber holte Robert noch einmal die Fotografie Henry James’ und seiner Frau hervor. Ja. Diese beiden würde er sofort wieder erkennen.

Dann, endlich öffneten sich die Glastüren des Terminals und fünf Personen, darunter die beiden Opfer schritten zügig auf den Parkplatz. Während die Mastersons direkt auf den dunkelblauen Mercedes zusteuerten, der zu allem auch noch getönte Scheiben hatte, zerstreuten sich die drei anderen Fluggäste in alle Richtungen.

Hastig warf Robert Grünwald die Landkarte beiseite, packte mit festem Griff den Revolver und entsicherte diesen. Der Lauf blitzte kurz im hellen Sonnenlicht auf. Die beiden hatten es auch gesehen. Erschrocken blieben diese stehen, Henry James machte noch einen Schritt rückwärts, da fielen auch schon die Schüsse. Robert Grünwald war aufgeregt. Er hatte auch die Zielsicherheit seines Bruders nicht. Zumal Edward die Erleichterung durch den Kino Besuch hatte, aber, Robert hatte sich halbwegs im Griff. Er schoss die Trommel leer. Es war ein Sechsschüsser. Edward hatte zwei Kugeln gebraucht und Grünwald feuerte die übrigen raus. Für die beiden Eheleute gab es keine Rettung. Tödlich getroffen sackten sie zu Boden.

Mit dem Aufschrei anderer Leute, die soeben den Terminal verließen drehte Robert Grünwald den Zündschlüssel und stieg aufs Gas. Blitzschnell schoss der Mercedes vorwärts, bog um die Kurve zur Autobahn und verschwand.

 

„Nun, was gab Scottland Yard zum Besten?“ Polizist Reinhold Jäger grüßte seinen Partner und überreichte dem Oberinspektor eine Tasse heißen Kaffees.

„Ich sprach mit einem Kommissar Starlander, er gab Auskunft, dass das Ehepaar Richport zu der Unternehmer Familie Masterson gehört.“

„Masterson?“ überlegte Jäger und hatte dabei seinen Partner unterbrochen, „Ich habe vor ein paar Tagen irgendetwas über einen Masterson in der Zeitung gelesen. Ich glaube das Familienoberhaupt und der Vorstandsdirektor des Unternehmens ist im Alter von 99. Jahren verstorben.“

Bachmann nickte.

„Dasselbe berichtete mir Kommissar Starlander. Cassandra war das zweite Kind Mastersons. Er hat noch zwei Söhne. Henry James Junior und Edward Luis.“

„Na das ist ein Ding, sind die Berichte vom Flughafen bereits hier?“

„Ja, ich habe sie bereits überflogen. Edward Luis ist am 22. in Wien eingetroffen. Cassandra und Egon Ronald ungefähr fünf Tage später.“

Da kam der Alarm. Mord am Schwechater Flughafen. Zwei Tote.

 

26. Oktober 1998, 12:30 Uhr. „Liebes Tagebuch.

Bisher wurde ich von den anderen Häftlingen in Ruhe gelassen, es ist jetzt Mittagszeit. In einer langen Reihe stehen wir angestellt, um unser Mahl, heute Linsen mir ein wenig Speck, zu erhalten. Brot gibt es auch noch, mir fehlt jetzt schon das übrige Mahl, das ich zuhause immer genossen habe. Aber das werde ich so schnell nicht wieder bekommen. Immerhin habe ich nur einmal Lebenslänglich bekommen, Edward Luis, der alles geleugnet und nichts eingestanden hat, wurde zu der doppelten Strafe verurteilt.“

 

10

 

Wieder brach ein Abend über Wien. Im Büro von Oberinspektor Herb Bachmann brannte noch Licht. Polizist Jäger verfasste den Bericht der beiden Morde und schloss mit seiner Ansicht, dass es sich hier um ein Familien Drama handle.

„Für mich steht fest“, Reinhold Jäger legte seinem Partner die Niederschrift vor, „dass Cassandra nebst Mann und Henry James plus Gattin bewusst nach Wien gelockt worden waren. Die beiden Eiltelegrame, die wir bei den Opfern sichergestellt haben, sprechen eine deutliche Sprache.“

„Das denke ich auch Reiner, aber wieso und von wem?“

„Das wieso ist mir auch noch unklar. Wenn wir diesen Punkt klären könnten, dann schätze ich mal, dass der Fall abgeschlossen wäre. Und die Frage von wem“, Jäger machte eine kurze Pause, „die ist schell beantwortet. Edward Luis.“

„Der Meinung bin ich auch. Nur beweisen können wir es nicht. Noch nicht. Gegen den jüngsten Masterson spricht die Tatsache, dass er Cassandra unter einem erfundenen Vorwand nach Wien gelockt hat. Wahrscheinlich auch Henry James. Auf der Absenderzeile steht zwar Cassandra Richport und das Telegram wird ebenfalls als Cassandra geführt, aber das beweist gar nichts. Das kann auch gestellt sein.“

„Der nächste Hinweis“, übernahm wieder Jäger das Wort, „die Kugeln, die bei beiden Anschlägen benutzt worden sind stimmen überein. Es war dieselbe Waffe, daher derselbe Mörder.“

„Nur eines macht mich stutzig. Das Personal aus dem Edison, genau so wie die Passagiere, die zuvor und danach aus dem Terminal gekommen sind, hat den Täter gesehen. Die Beschreibungen stimmen überein. Aber ist das das Profil von Edward Luis Masterson?“

„Sobald Scottland Yard das Funkbild übermittelt hat, wissen wir mehr.“ Jäger erhob sich und ging ans Fenster, welches er einen Spalt öffnete. „Was mich verwundert ist die Tatsache, dass der junge Masterson in keinem Hotel ab gestiegen ist. Er kam nach Wien und ist mit Sicherheit noch hier, aber wo wohnt er?“

Es klopfte, nach der Aufforderung trat ein westernähnlich gekleideter Mann, mittleren Alters ein.

„Entschuldigen Sie die Störung. Bin ich hier richtig bei Oberinspektor Bachmann, dem Leiter des Einsatzteams?“

„Ja, kommen Sie weiter.“

Der Mann nahm seinen breiten Cowboyhut ab und stellte sich vor.

„Mein Name ist Viktor Breitmann. Ich betreibe den Rent A Car Verleih im ersten Bezirk, auf der Ringstrasse.“

„Bitte nehmen Sie Platz Herr Breitmann“, Bachmann bot den Geschäftsführer einen Stuhl an, „was können Sie uns Berichten?“

„Vor einigen Tagen, genauer am 24. dieses Monats verlieh ich einen dunkelblauen Mercedes an einen Engländer.“ Breitmann holte den Vertrag aus seiner Aktentasche.

„Das Rundschreiben, das wegen dieses Wagens heraus gegeben worden war, ließ mich veranlassen, sofort hier her zukommen.“

Bachmann und Jäger überflogen den Kontrakt. Der Inspektor hatte nach den Augenzeugenberichten des Täters am Flughafen einen Aufruf an alle Autohändler und Verleiher verkündet, in dem nach einem dunkelblauen Mercedes, mit dem Kennzeichen W 777 125 IU gesucht wurde. Besonderes Merkmal Getönte Scheiben.

„Wieso gaben Sie ausgerechnet diesen Wagen her?“

„Der Kunde verlangte einen Luxusschlitten mit verdunkelten Scheiben“, gab der Verleiher offen an, „ich hatte zu diesem Zeitpunkt nur den Mercedes zur Verfügung.“

„Ach so“, Herb Bachmann nickte, „wie sah der Mann aus?“

„Schien ein reicher Kerl zu sein. Teures Gewand, vermutlich Handgeschnitten und nicht älter als fünfundzwanzig.“ Breitmann gab eine sehr genau Beschreibung des Ausleihers an. Dann fügte er noch hinzu.

„Dieser Masterson bezahlte eine Kaution in einer Höhe von 10 000 Schilling. Er hatte aber nur Pfund und so berechnete ich 625 Pfund Sterling. Weiters bezahlte er die Miete für den Wagen zu à 540 Schilling, also 33.75 Pfund pro Tag und Masterson bezahlte für vierzehn Tage im Voraus.“

„Das waren dann?“

„7 560 Schillinge, oder 472.50 Pfund.“

Bachmann nickte. Diese Angaben stimmten mit dem Kaufvertrag ein. Ebenso der Name, die Verleihlizenz für den Mercedes mit der Kennung: W 777 125 IU wurde auf den Name Edward Luis Masterson ausgestellt.

„Vielen Dank Herr Breitmann. Sie haben uns sehr geholfen. Nur noch eine Frage“,

„Ja, fragen Sie.“

Viktor Breitmann erhob sich und setzte seinen Cowboyhut wieder auf.

„Wurde Ihnen gesagt, wo Masterson abgestiegen ist?“

„Nein, Herr Oberinspektor und ich habe danach auch nicht gefragt. Zumal ich diese Angabe auch nicht sofort überprüfen hätte können.“

„Und dann bestünde noch die Möglichkeit, dass der Verdächtige umzieht“, Polizist Reiner Jäger gab auch dies zu bedenken.

Der Verleiher ging. Lange Zeit herrschte Schweigen in dem Büro. Dann, endlich nach beinahe einer viertel Stunde, sprach Oberinspektor Bachmann.

„Ich kann mir jetzt einiges zusammenreimen. Wir haben den Umstand, dass Henry Christoph Masterson gestorben ist, das Testament wurde sicher noch nicht geöffnet.“

„Die Erbschaft“, hakte Jäger ein und Bachmann nickte.

„Aber wieso dann in Wien?“

„Das müssen wir herausfinden. Ich“, Oberinspektor Bachmann schlüpfte in seinen Mantel, „ich werde noch heute Abend nach England fliegen. Kommissar Starlander ist informiert. Er sagte mir zu, dass ich jede Unterstützung haben kann.“

„Gut, ich werde mich derweilen um diesen Masterson kümmern. Irgendwo muss er ja mal auftauchen.“

„Wir geben ihn sofort zur Fahndung frei. Die Indizienbeweise, die wir bisher haben sprechen dafür.“

 

11

 

„Na, geht es dir nun besser?“ Edward Luis blickte seinen Zwilling fragend an. „Es hat doch alles Super geklappt. Sobald das Testament geöffnet wird, gibt es nur noch mich und daher Erbe ich auch alles.“

Es war der nächste Nachmittag.

„Ich hoffe nur, dass es so ausgeht, wie du gesagt hast.“ Robert hatte seinen Mut und Zuversicht nicht wieder gefunden.

„Warum auch nicht, sobald mich die Behörden schnappen, leugne ich. Sie werden auf Grund der Zeugenberichte ein Indizienverfahren einleiten und da komme ich dann mit den unseren Zeugen daher. Unsere Rolle in den verschiedensten Lokalen und Casinos, während der Tatzeit ist das perfekte Alibi. Da sie ja nur nach mir suchen.“

Robert Grünwald schüttelte zweifelnd den Kopf.

„Ich habe kein gutes Gefühl. Was, wenn es ganz anders kommt?“

Edward sagte darauf nichts. Er erhob sich nur schroff und ließ den aufgewühlten Zwilling alleine.

 

Reinhold Jäger sondierte die Fakten in dem Mastersonfall. Seit beinahe einen Tag war Oberinspektor Bachmann nun schon in England. „Hoffentlich bringt Herb einen kleinen Streifen Licht von dieser Reise mit.“

Diese Gedanken machten sich im Kopf des Polizisten breit. Die Fandung nach Masterson lief seit gestern Abend. Dennoch hatte sie noch keine Erfolge erzielt.

Da klingelte das Telefon. Nachdem Jäger abgehoben hatte, meldete sich eine Funkstreife des 1. Bezirks.

„Nach der Beschreibung der Person, die von Ihnen heraus gegeben wurde, ist er es.“

„Haben Sie zugegriffen?“

„Nein, noch nicht. Er hat sich soeben eine Opernkarte für die heutige Aufführung des Othello gekauft. Sie beginnt um 20:30 Uhr.“

„Das ist in einer halben Stunde, wie lange läuft das Stück?“

„Nach den Angaben des Kartenverkäufers so um die zwei Stunden.“

„Gut, halte die Stellung Kollege. Ich komme hin.“

Geschwind warf Jäger den Hörer auf die Gabel und fertigte hastig den Akt Masterson an. Nach einer guten Stunde legte er die Mappe auf den Schreibtisch seines Partners und war wie der Wind aus dem Büro. Jäger eilte auf die Strasse, wo er das nächste Polizeiauto entehrte.

 

Es war schon spät, als Oberinspektor Bachmann das Taxi verließ und bezahlte. Seine Armband Uhr zeigte auf die zehnte Abendstunde.

Im Dezernat war nur noch der Notdienst vertreten und Bachmann holte sich aus der Kantine eine Kanne frischen Kaffees. An Ort und Stelle trank er eine Tasse, als Kommissar Nicolette herein kam. Er grüßte den Kollegen und meinte belustigt.

„Wieder zurück? Reinhold Jäger ist heute Abend wie ein geölter Blitz abgezischt. Hat sich etwas Neues ergeben?“

„Ich habe schon ein paar Informationen mitgebracht, aber mit Reiner habe ich noch nicht gesprochen. Wissen Sie, wohin er ist?“

„Nein, auf jeden Fall hatte er es sehr eilig.“

Nachdenklich schritt Bachmann in sein Büro. Auf seinem Schreibtisch lagen die neue Aktmappe und ein Zettel. In Jägers fahriger Schrift stand da zu lesen

„Habe eine heiße Spur von Masterson aufgenommen. Hänge mich dran.“

Und dann noch die Namensinitiale. Bachmann legte den Zettel leicht lächelnd beiseite und nahm Platz. Er hatte nur einen Haufen Gerüchte mitgebracht. Aber in jedem Gerücht, steckt ein Körnchen Wahrheit.

 

12

 

„Da, die ersten Besucher verlassen die Oper.“ Jäger wies den Polizisten an seiner Seite an, die Kollegen, die an den übrigen Ausgängen postiert worden waren, zu informieren. Er selber, da er in Zivil war, trat näher an den Steigenaufgang zu und musterte wie ganz nebenbei die Gäste. Dann endlich kam er. Edward Luis Masterson schritt keinen halben Meter an Jäger vorbei und ging zu dem dunkelblauen Mercedes, der unweit parkte. Dieser Wagen hatte die Kennung W 777 125 IU.

Vorsichtig, ohne dabei den Verdächtigen aus dem Auge zu lassen, rief Jäger den Kollegen Mayer, den er vor einer Stunde mit einem Zivilfahrzeug angefordert hatte.

„Peter, starte und komm’ vor den Haupeingang. Schnell.“

Es kam keine Antwort. Aber noch innerhalb der nächsten Minute hielt ein weiser Mazda an und die Beifahrerseite öffnete sich. Noch stand der Mercedes eingeparkt, aber der Motor lief schon.

„Wir halten uns hinter diesen Wagen, aber nicht zu dicht auffahren. Ich möchte nicht das Masterson uns sieht und in die Irre führt, oder sogar Abhängt.“

„Kein Problem Reiner. Ich mach das schon.“

Der Mercedes schien Sorglos zu sein. Gemächlich setzte er sich in Bewegung und reihte sich ein. Gespannt nahm der Mazda die Verfolgung auf. Es dauerte nicht lange, da hielt der Mercedes auf der Laxenburgerstrasse und parkte sich bei der Nummer 16 ein. Masterson stieg aus, Peter Mayer hielt unweit mit laufenden Motor an und Reinhold Jäger verlies das Fahrzeug.

„Mach eine Runde und halte dich bereit, wenn ich dich brauche Funke ich.“

„Geht klar.“

Jäger warf die Türe zu und beobachtete aus dem Augenwinkel Masterson. Dieser sperrte den Mercedes ab und ging die Strasse hinunter. Er kam genau auf den Streifenpolizisten zu. Keiner der beiden schenkte dem anderen auch nur eine Sekunde lang die Aufmerksamkeit. Aber Jägers Sinne waren auf das Höchste gespannt.

Edward Luis tänzelte beinahe, zufrieden pfeifend hielt er vor der Nummer 22 und blickte sich zuerst einmal um. Jäger hatte sich vorsichtshalber in einen dunklen Torbogen gestellt. Für Masterson war er nicht sichtbar, aber der Polizist konnte alles genau beobachten. Edward fühlte sich als Gewinner. Er verschwand im Haus 22 und noch bevor das Tor zufiel, war Jäger zur Stelle und schlüpfte noch im letzten Augenblick hindurch. Dann schnappte das Schloss zu.

Mastersons Schritte waren zu hören. Er hielt jetzt an. Gefühlsmäßig war das im zweiten Stock. Auf leisen Sohlen hastete Jäger die Stufen hinauf, das Klingen eines Schlüsselbundes wurde hörbar. Jetzt konnte Jäger den Verdächtigen wieder sehen. Tatsächlich, Edward Luis stand im zweiten Stock vor der Türe 7 und steckte soeben den Schlüssel ins Schloss.

Eine Minute später warf Masterson die Türe zu und die Schritte entfernten sich. Eine Stimme schien etwas zu fragen. Aber das konnte Jäger nicht genau verstehen.

„Peter“, raunte Reiner in sein Funkgerät, „kannst du mich hören?“

„Klar Reiner, ganz deutlich.“

„Ich bin hier auf Nummer 22. Zweiter Stock, Tür 7. Ich bin der Ansicht, wir sollten sofort zugreifen.“

„Dann schnappen wir ihn uns.“

Jäger hörte noch wie eine Wagentüre zu flog, dann schaltete er das Funkgerät ab. Es dauerte nicht lange, da wurde das Haustor geöffnet und hastige Schritte kamen näher.

„Er ist noch drinnen. Ich glaube sogar, dass noch ein zweiter in der Wohnung ist.“

„Du klopfst und ich gebe dir Feuerschutz.“

Reiner Jäger trat an die Türe und klopfte kräftig. Das Stimmengewirr hörte auf. Es verging eine Minute, dann wurden schlürfende Schritte laut und eine zaghafte Stimme fragte.

„Wer ist da?“

„Die Polizei, bitte machen Sie auf. Ich hätte ein paar Fragen.“

Jetzt wurde es hektisch in der Wohnung. Der Mann hinter der Türe verlor seine Fassung. Beinahe weinerlich begann er mit sich selber zu schimpfen. Kollege Mayer stand mit der Waffe schussbereit in Position. Wieder klopfte Jäger.

„Was ist, ich habe nicht ewig Zeit.“

„Ja, ja“, kam es durch die Tür, „ich mach ja schon auf.“ der Typ auf der anderen Seite schien mit seinen Nerven vollkommen am Ende zu sein.

Die Türe ging auf. Der Mann der Jäger nun im Pyjama gegenüberstand, war Masterson. Oder doch nicht. Es gab keinen Unterschied. Aber wie hatte er sich so schnell um gezogen? Und wieso war dieser Mann so mit den Nerven herunter, dass er schlicht weg heulte? Masterson war zuvor noch vergnügt pfeifend durch die nächtliche Strasse getänzelt. Fragen über Fragen.

„Herr Masterson?“ fragte Jäger. Doch der Typ schüttelte zaghaft den Kopf. „Nein, mein Name ist Grünwald. Robert Grünwald.“

Obwohl er bereits seit zweiundzwanzig Jahren in Wien lebte, war der leichte englische Akzent nicht zu überhören.

„Ich möchte Herrn Edward Luis Masterson sprechen.“

Zögernd hielt Grünwald inne. Sein Blick schweifte zur Wohnzimmertüre, die verschlossen war. Dann richtete sich sein Augenmerk wieder den Polizisten zu.

„Ich kenne keinen Masterson.“ Sagte er stockend.

„Waren Sie heute noch aus?“ fragte Jäger beiläufig. „Nein.“ Grünwald schüttelte den Kopf.

„Wie kommt es dann, dass ich diesen Herrn Masterson in Ihre Wohnung gehen habe sehen?“

Der Mann begann am ganzen Leib zu zittern. Sein Blick senkte sich.

„Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es eine Strafhandlung darstellt, einem Flüchtigen, oder auch einem Verdächtigen Unterschlupf zu gewähren.“

Jetzt konnte Grünwald nicht mehr. Er brach auf seine Knie zusammen und weinte drauf los. Seine Hand zeigte auf das Wohnzimmer. Wortlos stieg Jäger, gefolgt von Kollege Mayer, über das Häufchen Elend hinweg. Zehn Minuten später war alles vorbei. Masterson, aber auch Grünwald wurden auf das Revier gebracht. Jäger informierte über Funk Oberinspektor Bachmann. Dieser ordnete sofort die Überstellung an.

 

26. Oktober 1998, 14:00 Uhr. „Liebes Tagebuch.

Es kam wahrhaftig ganz anders, als Edward vorher gesehen hatte. Sein konstruiertes Alibi nützte im Nachhinein auch nichts mehr. Ich war zu diesem Zeitpunkt vollkommen fertig und hatte auch keine Lust, die Sache noch zu verschlimmern. Für mich gab es nur einen Weg, um halbwegs glimpflich aus dieser Sache heraus zukommen. Ich musste ein umfassenden Geständnis ablegen und das werde ich auch tun.“

 

13

 

Die Zeitungen brachten die Story über diesen Fall auf der ersten Seite. Es war beinahe unglaublich, aber durch die Tatsache, dass Masterson einen Zwillingsbruder hatte, von dem niemand etwas wusste, dieser Umstand hätte beinahe zu einem perfekten Plan, zu der perfekten Ermordung der Geschwister Mastersons geführt.

Die Alibis, die Masterson angab, wurden zwar überprüft, aber in Anbetracht des glaubwürdigen Geständnis Roberts Grünwalds als null und nichtig erklärt.

Edward Luis Masterson schwieg, oder er leugnete. Alles Gute war nun von diesem Mann abgefallen. Jetzt benahm er sich nur noch wie ein eiskalter Profi. Obwohl alles klar auf der Hand lag, weigerte sich Masterson die Vorwürfe anzunehmen. Beinahe hätte er es geschafft. Aber er hatte einen großen Fehler gemacht. Jedes andere Indiz wäre rechtlich gesehen zu widerlegen gewesen. Die Eiltelegrame. Sie bedeuteten nichts in der Rechtssprechung. Die Augenzeugen. Wäre Robert Grünwald nicht zusammen mit Masterson gefasst worden, dann wären Edward Luis’ Alibi ins Gewicht gefallen. So aber hielt sich Masterson für viel zu gerissen. Deswegen hatte er es versäumt sich eine offizielle Bleibe zu suchen. Ein Hotelzimmer irgendwo, sodass keine Spur zu Robert Grünwald führen konnte. Aber Masterson stieg sofort bei seinen Zwillingsbruder ab. Er wohnte dort und so verlor er alles.

 

Es war ein Tag vor der Hauptverhandlung. Der 24. Oktober 1998, gegen 17:10 Uhr. Oberinspektor Bachmann und Polizist Jäger sprachen noch ein letztes Mal über diesen Fall miteinander. Reinhold Jäger wurde, durch die logische Einsetzung seiner Person, zum Polizeidetektiv befördert und Fix von der Wiener Kripo, Abteilung Gewaltverbrechen übernommen. Bachmann überreichte seinem Partner die Beförderung und sagte. „Ich wusste es Reiner“, in seiner Stimme lag Wissen, „schon beim Einsatz « Reiter » habe ich dein Talent und deine Verbissenheit und auch Weitsichtigkeit erkannt.“

„Es war eigentlich ein schlauer Plan.“ Sagte Jäger abschließend.

Bachmann nickte. „Das ist wahr. Jeder Mensch, den ich in London und Warwick auf Edward Luis Masterson angesprochen habe, berichtete nur Gutes über ihn. Hätte er den Fehler mit der Bleibe nicht gemacht, hätte er uns nicht direkt zu Grünwald geführt, dann wäre sein Plan perfekt gewesen und eventuell sogar aufgegangen.“

„In der Wohnung habe ich auch noch die Waffe sichergestellt“, gab Jäger kund, „es waren keine Patronen mehr in der Kammer. Nur leere Hülsen. Die Fingerabdrücke von Grünwald waren darauf, ebenso verwischte von Masterson. Sie haben es gemeinsam gemacht. Jeder ein Paar.“

„Ja, aber Masterson war die treibende Gewalt.“ Herb Bachmann unterzeichnete die Akte und schloss sie. „Grünwald wurde mit dem Druck, der durch diese Tat auf ihm lag nicht fertig. Er verlor die Nerven und versuchte zu guter letzt noch das Beste aus seiner Lage zu machen.“

 

24. Oktober 1998, 18:55 Uhr. „Liebes Tagebuch.

Die letzte Nacht. Morgen Früh ist meine Verhandlung. Ich weiß genau, dass ich diesen Gerichtssaal nicht als freier Mann verlassen werde. Meine Schuld ist beinahe genauso groß wie die von meinen Zwillingsbruder. Aber, im Gegensatz zu Edward Luis, habe ich mich reuig und geständig gezeigt. Ich bedaure sehr, dass ich mich auf diesen Plan habe eingelassen. Aber ich kann es nun nicht mehr ändern. Geschehen ist geschehen. Der Lauf der Gerechtigkeit wird über meine Schuld richten. Und die wohlverdiente Strafe wird keiner von meinen Schultern nehmen können. Gute Nacht. Ich schreibe noch einmal, bevor die Verhandlung beginnt. Ein letztes Mal als freier Mann.“

 

 

« Das Einsatzteam
Fall 2,

Das Zwillings-Puzzle »

Kriminalfall von 2002

© Werner Alexander

www.litterarum.at

„Literatur für Jung & Junggebliebene“

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Werner Gschwandtner).
Der Beitrag wurde von Werner Gschwandtner auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.02.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Werner Gschwandtner als Lieblingsautor markieren

Buch von Werner Gschwandtner:

cover

Rebel Crusade 2. Dunkler Schatten von Werner Gschwandtner



Im zweiten Band seiner Trilogie beschreibt Werner Gschwandtner den Angriff einer unbekannten Macht auf die Menschheit.

In seinem spannenden Science-Fiction-Roman verwirklicht der Autor seine Vorstellungen vom 6. Jahrtausend. Der Leser gewinnt Einblicke in die künftige Technik und wird gepackt von der Frage, ob die Menschen die Konfrontation mit dieser gewaltigen Bedrohung und den vernichtenden Angriffen überstehen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Krimi" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Werner Gschwandtner

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Mein Gefährt´ Monsieur Baum. Leseprobe 2 von Werner Gschwandtner (Kinder- und Jugendliteratur)
Der Türsteher von Goren Albahari (Krimi)
Der kleine Stern und der Löwe von Anschi Wiegand (Zwischenmenschliches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen