Jonas Pie

Trance

Es passierte letzte Nacht. Meine Erinnerungen daran sind trotzdem nur noch schwach, bald werden sie nicht viel mehr sein, als eine vage Vermutung, ein Gerücht. Gestern war entgegen seinem Namen Freitag, kein freier Tag. Es war ein anstrengender Tag gewesen, die ganze Zeit auf Achse, Essen nur im Vorrübergehen, gehetzt wie ein Fuchs, der von ein paar reichen Engländern zur Befriedigung ihrer primitiven Instinkte zu Tode getrieben wird. Zu Tode. Ja so hatte ich mich gefühlt. Den ganzen Tag freute ich mich auf mein warmes, wenn auch einsames Bett daheim, stellte mir vor wie ich die Decke über meinen Kopf zog und alles still wurde. Doch als ich endlich, endlich in meiner bescheidenen Wohnung stand, und ich sehnlichst auf diesen Moment der Entspannung wartete, in dem meine Schultern nach unten sanken, der ganze Tag von mir abfiel und eine wohlige Müdigkeit mich hätte durchfluten sollen, passierte gar nichts. Absolut nichts. Ich war wach und angespannt wie vor einer wichtigen Geschäftssitzung und fand keine Ruhe. Ich hatte eigentlich vorgehabt einen Happen zu essen(falls überhaupt etwas da war) und dann in mein Bett zu sinken. Stattdessen griff ich nun zu den einzigen Mitteln, die mir im Kampf gegen Schlaflosigkeit bekannt waren. Meinen bequemen Sessel ein paar Dosen Bier aus meinem Kühlschrank(was auch fehlte, Bier hatte ich immer) und meinen Fernseher. Zwei stunden Dauerschwachsinn auf RTL und drei Dosen Bier(oder waren es vier) später, spürte ich wie der Nebel in meinem Kopf sich ausbreitete. Ich richtete mich überaus mühsam aus meinem Sessel auf, schaltete wie in Zeitlupe den Fernseher aus. Ich ging ins Bad um mir die Zähne zu putzen und kurz darauf sank ich, vom Alkohol benebelt in mein Bett, in keiner Silbe an den morgigen Tag denken , wo ein Kater mich auf Arbeit begleiten würde. Ich weiß es nicht mehr genau, doch ich glaube ich sank innerhalb weniger Minuten in einen tiefen Schlaf. Als ich aufwachte war es noch dunkel, wie die letzten Morgen auch und doch hatte ich die Umstellung von den hellen Sommermorgen auf die vorwinterlichen, dunklen Herbstmorgen noch nicht ganz verkraftet, ich quälte mich aus dem Bett, ging zum Schrank und sucht mir Sachen raus. Soll ich den schwarzen oder den gestreiften Schlips anziehen? Ich nahm den schwarzen und ging ins Bad. Ich war furchtbar müde und hoffte, dass die Dusche mich munter machen würde, wie fast jeden Tag. Doch schon am Anfang fiel mir etwas auf, dass mir merkwürdig erschien. Das Wasser der Dusche wurde nicht richtig warm, und nur langsam, sehr langsam, begann es eine angenehme Temperatur zu erreichen. Und am Ende der täglich gleichen Duschprozedur war ich immer noch nicht wach. Langsam griff ich nach meinem Handtuch und begann mich abzutrocknen. Und da geschah es. Ein winziger Gedanke durchzuckte meinen Kopf, nicht mehr als eine Ahnung, doch stark genug um sich in den Vordergrund zu drängen, wohl auch bedingt dadurch, dass es der erste nicht mechanisch gedachte Gedanke dieses Tages war. Ich schlug mir einmal mit der Handfläche ins Gesicht und erwachte dadurch wie aus einer Trance. Die Ahnung war von einer Vermutung zu einer Befürchtung geworden, vielleicht auch zu einer Hoffnung. Ich lief zurück zu meinem Bett und griff nach dem Wecker. Was der mir erzählte, nachdem ich auf die Lichttaste drückte, konnte ich kaum glauben. Es war 4:30 Uhr und zudem noch Samstag. Erst langsam, begriff ich, wenn auch ungläubig und diesmal schlug ich mir mit der Handfläche gegen die Stirn. Soweit war es also schon gekommen. Ich war an einem Samstag um halb fünf einfach so aufgestanden um auf Arbeit zu gehen. Nichts hatte mich geweckt, nichts hatte meinen Schlaf gestört, ich hatte vergessen das Samstag war. Völlig übermüdet fiel ich wieder in mein Bett, inzwischen mehr glücklich als verärgert über meine eigene Zerstreutheit, dass ich noch mal schlafen konnte, und das solange ich wollte.
Als ich um etwa halb eins mittags aufwachte und mich aufrichtete, dachte ich zuerst ich hätte alles nur geträumt, doch als ich mir durchs Haar fuhr wusste ich, dass es nicht so war. Ich hatte nicht wie sonst morgens noch Restgel im Haar, das ich dann rauswusch. Meine Haare waren weich und frisch gewaschen. Und während ich so da saß und darüber nachdachte wurde mir eins klar:
Ich brauche dringend Erholung.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.10.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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