Christian Eggers

Ende und Anfang

Die kalte Luft des Herbstes drang durch das offene Fenster meines Zimmers, ein paar hineingeflogene Regentropfen und Blätter boten ein erstaunliches Schauspiel, aber meine Gedanken waren wie so oft an solchen melancholischen Tagen mit der Vergangenheit beschäftigt. Ich ging an das Fenster und starrte in den unfreundlichen Sonnenaufgang. "Ja", dachte ich, "der Herbst ist die Neugeburt des Chaos, alles geht unter, fällt und stirbt , um in einer neuen frostigen Starre aus dem Tod zu treten". Ähnlich muss es wohl auch mir passiert sein. Ich kann mich nur wage an die Zeit vor meiner Wiedergeburt erinnern, keine Personen, keine Ereignisse oder Gegebenheiten sind in meinem Geist haften geblieben. Alles was mir geblieben ist sind Eindrücke, schemenhafte Gedanken, die ich nicht in der Lage bin chronologisch einzuordnen. Ich denke an den Geruch einer Blume, die ich nicht benennen kann, Ich denke den Geschmack eines Gerichtes , das ich wohl sehr zu schätzen wusste, aber kann es keinem Namen zuordnen. Es ist ungerecht. Soviel ging mir verloren, aber was habe ich gewonnen?

Das Alte mit dem Neuen zu vergleichen ist einen mühselige Angelegenheit, besonders wenn man das Neue nicht ändern kann und es auch noch diesem unsäglich sterbenden Herbst gleicht. Wenn ich doch nur mehr über mich selbst wüsste könnte ich mir vielleicht ein anderes Bild von Vergangenheit und Gegenwart bilden, aber was weiß ich schon noch von mir?

Meine Gedanken schweiften zurück, in tiefe Schluchten meines Bewusstseins bis hin zu jenem Tag am Ende des Sommers, der letzte Tag, der mir fast vollständig im Gedächtnis haften blieb.

Ich stammte wohl aus einem adligen oder reichem Hause, denn meine Kleidung war von teurerer Natur, soweit ich mich entsinne. Außerdem war es wohl ein recht geselliger Abend, denn ich war nicht nüchternen Sinnes als ich aus jener letzten Taverne, deren Besuch mein Schicksal besiegelte. Ich frohlockte und war guter Dinge, hatte ich doch jede Menge Bier und Schnaps in meinen Adern, aber eine kürzlich verlorene Wette (ein Lächeln huschte auf über mein Gesicht, denn ich bin mir sicher, dass es immerhin vorteilhaft ist die wahrscheinliche Peinlichkeit, die zu so einer Wette geführt haben musste auch vergessen zu haben ) zwang mich noch zu folgender Tat: Es gingen Gerüchte um, dass der Bürgermeister unserer Stadt sich zu einer örtlichen Angestellten in unserem bekanntesten Liebeshaus hingezogen fühlte. Sollte sich dieses Gerücht als Tatsächlichkeit herausstellen, wäre das ein handfester Skandal in einem ach so moralischen Örtchen, wie dem unseren. Ich hatte natürlich die zweifelhafte Ehre den Beweis für Schuld oder Unschuld des Bürgermeisters zu erbringen und mein Gefühl gab mir die Bestätigung genau jetzt für Derartiges in der richtigen Verfassung zu sein. Mein Weg zog mich also mehr oder weniger gradlinig zu dem "Schandfleck" unserer Stadt. Unterwegs waren die einzigen Gedanken die mich beschäftigten, welche Mittel ich wohl anwenden musste, um die Wahrheit über die bürgermeisterlichen Gerüchte zu erhalten. Ein Grinsen stieg in meinen ohnehin schon geröteten Kopf.

Zu der Erfüllung meiner Wettschuld kam es jedoch nie. Grade als ich schon die Straße mit besagter Institution sah sprangen drei Wegelagerer mit erhobenen Waffen vor mich. Normalerweise wäre meine von Haus aus erlernte Fechtkunst den wahrscheinlich trottelhaften Angriffen meiner Widersacher weit überlegen, aber in mir stieg die Gewissheit hoch, dass ich in der momentanen Form schon Schwierigkeiten haben würde meinen Degen aus dem Gürtel zu ziehen. So fragte ich sie denn, ob sie sich für das Geld interessierten was ich noch bei mir trug, ich sei bereit es zu verschenken. Ich hoffte so die vermeintliche Auseinandersetzung zu vermeiden. Der größte der Ganoven, anscheinend auch der Anführer der Bande, grinste mich mit seinen Zahnlücken an "Geld haben wir schon zu genüge bekommen, die paar Kröten, die du noch nach deinem ausgiebigen Schenkenbesuch besitzt werden uns wohl kaum von unserem Auftrag abbringen". Das Wort "Auftrag" hallte in meinem müden Geist noch nach, als der große Zahnlose schon in den Angriff überging. Mein Instinkt und ich sprangen zurück und sein ausholender Säbel streifte nur mein Cape. Ich fummelte für meine derzeitigen Verhältnisse den Degen sehr schnell aus dem Gürtel und musste schon den nächsten Hieb von dem auf mich zustolzierenden Ungetüm abwehren. Erst jetzt bemerkte ich das diese Menschen keineswegs so ungeschickt mit den Waffen waren wie es ich zuerst glaubte. Der Große hielt seinen Säbel in geübter Stellung, der linke, ein schwarzbärtiger durchschnittlich Gewachsener, schlich sich förmlich an seinem großen Chef vorbei und begann mich mit einem hochwertigen Kriegsbeil zu behaken und hinzukam das der dritte anscheinend noch nicht einmal ein Mensch war wie anfangs vermutet. Dieser Dritte murmelte, unter seinem verbergenden Mantel, seltsame Worte die ich nicht verstehen konnte und verschwand daraufhin in einer selbstherbeigeführten Dunkelheit. Die Sterne schienen diesem Wesen wohl noch zu hell zu sein. Kein Zweifel, es war ein Drow*. Mein Mut sank ins Bodenlose. Verzweifelt klammerte ich mich an meinen Degen und traf die Entscheidung, dass ich mein Leben so teuer wie möglich an diese Auftragsmörder verkaufen würde. Der Kampf entbrannte heftig auf den leergefegten Straßen meiner Heimatstadt. Die anfängliche Plänkelei war nun vorbei. Der Große stürmte vorwärts mit seinem gut geführten Säbel, der Schwarzbärtige trat von links an mich heran immer im Schatten seines Herren und versuchte seinerseits einen Hieb anzubringen und diese seltsame Schwärze nährte sich von rechts. Ich wich soweit es ging vor den drei Schergen zurück und konzentrierte meine spärlichen Angriffe auf den Linken, konnte aber keinen erkennbaren Treffer landen. Meine Konstitution hingegen wurde geringer angesichts der zahlreichen kleineren Schnittwunden die mir der Drow von Rechts zufügte. Seine Schläge waren viel zu schnell für mein Auge und das lag nicht nur an meinem alkoholisiertem Zustand. Die Reaktion meiner Hände wurde ebenfalls langsamer und hinter mir spürte ich bereits den harten Fels einer Mauer. Die schwarze Dunkelheit rechts verzog sich in meinen Gedanken zu einem gehässigen Grinsen. Ich versuchte die Deckung zu halten, doch ich war nun schon zu schwach um noch gegen die wilden Schläge meiner Gegner zu bestehen. Ich spürte wie der lange Säbel des Zahnlosen sich in meinen Rumpf schnitt während ich einen weiteren Axthieb des Bärtigen blockte. Mein Gesicht wurde von Schmerzen entstellt, ich lies meinen Degen fallen und sank an der Mauer langsam zu Boden. Ich senkte meinen Blick auf die Bauchwunde und sah wie das Erdreich sich unter mir von meinem Blut rot färbte. Ich starb. Das erkannten auch meine Kontrahenten, sie sahen ihren Auftrag als erfüllt, und verschwanden so schnell in der Dunkelheit wie sie aufgetaucht waren.

Das was danach passierte ist sehr schwer in Worte zu fassen. Ich sah mich schon als Teil einer historischen Tragödie. Mit geschlossenen Augen lag ich sterbend an der felsigen Mauer doch spürte ich, dass sich etwas meinem sterbenden Körper nährte. Ich dachte schon an einen Leichenfledderer, wie sie diese Tage häufig zu finden sind, aber dieser hielt auch noch eine Ansprache: " ...so etwas Kostbares zu verschwenden , das liegt wider meines Verstandes... . Oh, du lebst noch Adliger? Ich dachte du wärst schon völlig in die Ewigkeit eingegangen." An der Stimme erkannte ich, dass es sich um eine weibliche Person handeln musste, die sich halb über mich gebeugt hatte und meine Wunde befühlte. "Du wirst sterben" raunte sie in mein Ohr fast neidisch. Als ob ich mir dessen nicht selbst bewusst war. Mir war als verzöge ich mit der letzten Kraft meinen Mund zu einem ironischen Grinsen. "Ich bin doch schon tot, ein bereits Toter redet zu dir meine Dame" hauchte ich zurück. Ich fühlte keinen Schmerz mehr ; ein deutliches Zeichen dafür das ich dem Ende näher war, als jeder Todkranke. "Dann reden wir in den selben Sprache" entgegnete die Unbekannte schmunzelnd. Ich war verwirrt, dass jemand mit einem Sterbenden so spricht, wie mit einem alten Saufkumpanen. Kein bisschen Anteilnahme lag in ihrer Stimme eher ganz gewöhnlicher Alltag. "Die Schnittwunde ist tief, dein Tod qualvoll; willst du dich an jenen rächen, die dir das angetan haben", wisperte sie mit tonloser Stimme. Über Rache hatte ich bis zu diesem konkreten Zeitpunkt nicht nachgedacht, aber das Wort "Auftrag" halte in meinem Gehör wieder und Hass machte sich in meinem Körper breit. Sie schien meinen Hass auch zu empfinden und schwelgte darin wie andere in schönem Gesang. Ich werde dir die Chance geben dich deinen Mördern zu stellen. "Nimmst du meine Heilung an ?", quoll es verführerisch aus ihrem Mund. Ich fragte mich, wie sie das anstellen wollte, nicht mal ein Expertenheiler könnte mich jetzt noch vor dem Unvermeidlichen bewahren, also sagte ich ja und war neugierig, was nun auf meine Antwort hin geschehen würde, aber ich war zu schwach. Meine Sinne schwanden und ich hörte nur noch wie sie die Worte "Trink, trink wenn du existieren willst" sagte und mir ein seltsame Flüssigkeit die Kehle hinunterspülte; es kam mir vor als schmeckte diese Flüssigkeit nach Blut, aber ich konnte diesem letzten Empfinden nicht mehr nachgehen, ich versank in einem mysteriösen Schlaf.
Ich träumte von dem Krähen der Hähne und aufschreienden Stimmen, die etwas grauenvolles entdeckt haben mussten, jemand wurde weggetragen und ein Loch auf unserem Friedhof ausgehoben; das Loch war jedoch viel zu tief, ich wollte ihnen schon sagen, dass ich bereits das Rauschen des unterirdischen Flusses hörte, der unter die Stadt durchfloss, aber sie hörten nicht auf mich. Sie legten einen Sarg hinein. Ich wollte den Trauernden Trost spenden, aber ich konnte sie nicht erreichen, nicht mehr erreichen ...es wurde alles dunkel. Ich hörte nur noch das dumpfe Aufschlagen von Erde auf Holz, dass auch irgendwann verstummte. Dann nahm ich nur noch das Rauschen des Flusses wahr. Komischerweise wurde es immer lauter bis ein gewaltiges Platschen mir meinen Schlaf fast raubte. Es war ein sehr echter Traum musste ich zugeben, denn die Kälte des eisigen Wassers durchdrang meinen ganzen Körper.
Mein Herbst begann. Ich verließ unfreiwillig mein sanftes Ruhebett und es wurde noch kälter. Die Strömung war reißend, irgendwann nur noch schnell, dann gemäßigt, endlich sandiger Untergrund, fast so bequem wie ein feines Bett dachte ich mir und schlief gut und fest.

Langsam kehrten meine Lebensgeister wieder, ich bewegte motorisiert meine Hand zum Kopf. "Ihr hattet großes Glück Fremder, dass ich ausnahmsweise meinen Heimweg von den Mienen am Fluss vorbei genommen habe, ihr wärt fast erfroren in diesen kalten Herbsttagen" Der Mann stellte mir einen warmen Tee auf den Nachtschrank am Bett und verschwand die Treppen hinunter mit den Worten "Im Laden wartet ein Kunde, wenn ihr mich braucht ruft einfach nach Ramirez" Bevor ich ihm danken konnte war er bereits die Treppe hinunter verschwunden.

Das war mein Ende und mein Anfang

Auszug aus Eshkons Chroniken


*Ein Drow ist ein Dunkelelf im Rollenspielsystem AD&D. Dort leben sie vorwiegend unter der Erde und stellen den größten Teil der Bevölkerung des Planten dar, kommen jedoch so gut wie nie an die Oberfläche, da es selbst Nachts viel zu hell für sie ist.
Wenn man sie nicht kennt, kann man sie sich als dunkle Version eines typischen ´Herr-der-Ringe- Elben´ mit dunkler bis schwarzer Haut und weißen Haaren vorstellen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.10.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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