6:00
Der Wecker klingelt. Ich erwache aus einem unruhigen Schlaf. Düster streckt sich mir der Tag entgegen. Das Bild des wolkenverhangenen Himmels legt sich wie ein Schatten auf meine Seele. Dunkle Schwaden ziehen über den Himmel und kündigen jeden Augenblick einen Regenschauer an.
Es ist kalt. Ich ziehe mich noch einmal unter meine Decke zurück und stelle mir vor, einfach liegen zu bleiben, den Rest des Tages - einfach so. Ich würde auf Arbeit anrufen, krank machen, mich auskurieren - von den schlechten Gedanken. Doch dieses Gefühl schwindet nicht.
Ich strecke mich über den Rand meines Bettes, um das Radio anzuschalten und mich langsam wieder an das Leben zu gewöhnen - langsam in die Hektik zurückverfallen, die das Leben außerhalb dieses kleines Schlupfwinkels aus Schaumstoff und Daunenfedern für mich bereithält.
Statisches Rauschen.
Ich lasse mich auf mein Kopfkissen fallen, die Bettdecke über meinen Kopf werfend. Ich bin versucht zu fluchen, doch das würde die Lage nicht bessern. Ich muß unter Menschen, meine Seele streicheln lassen von einem schmackhaften Brötchen vom Bäcker an der Ecke.
Der Gedanke an die Arbeit danach mißfällt mir sehr, während ich den Geruch meines gestern Abend erst neu bezogenen Kopfkissens einatme.
Ich hole tief Luft, richte mich hastig auf. Völlig verschlafen, mit zerstörter Frisur und eingefallenem Gesicht sitze ich und starre in mein Spiegelbild. Wie jeden Morgen schwör ich mir, diesen Spiegelschrank am Fuße meines Bettes an einen anderen Platz zu rücken und lasse mich wieder nach hinten fallen.
Das Rauschen des Radios dringt an mein Ohr. Herr Gott, wieso muß gerade heute der Sender verstellt sein. Ich setze mich mit unendlichem Kraftaufwand gegen die Schwerkraft und meine Antriebslosigkeit durch und platziere mich auf der Bettkante, direkt vor dem Radio. Ich starre es an. Der Versuch, es zu hypnotisieren, scheitert kläglich. Ich lege meine Hand unkoordiniert auf das Bedienfeld und suche die Taste für den Sendersuchlauf.
Klick!
Das Rauschen verwandelt sich in ein Fiepen. Ich atme tief ein, um meine aufsteigende Wut zu besänftigen und stelle den Frequenzbereich von Kurzwelle zurück auf UKW.
Rauschen!
Mit einem Mal kommt ein unregelmäßiges Rauschen aus einer anderen Ecke des Raumes. Ich drehe mich halb um und sehe zum Fenster hinaus. Der Regen peitscht gegen die Scheiben und biegt die dünnen Äste der Bäume vor dem Hause. Weiße Körner trommeln an die Scheibe. Nochmals versuche ich mein technisches Können an meinem Radio zu erproben, doch es gelingt mir nicht, irgendeinen Sender zu finden. Ich sehe auf die Uhr:
6:12
Noch 48 min, dann muß ich den Weg aus dem Bett ins Bad und zurück ins Schlafzimmer gefunden haben, wo ich mich ankleide - für den Tag in einer hektischen Welt. Schnell aus der Wohnung auf die Straße geflitzt führt mich mein Weg Richtung Arbeit an meinem Bäcker vorbei - Ja, eine Laugenbrezel und 2 Nußecken bitte, und packen sie mir das Brötchen mit den Körnern drauf ein, nein nicht das mit Mohn, das daneben. - Die Frau mit der dicken Hornbrille wird wie jeden Morgen genervt zu dem Körnerbrötchen greifen, dem härtesten, was sie finden kann, es vorsichtig in eine Tüte stopfen und mir in die Hand drücken. Ich werde mit einem Lächeln bezahlen, mich fröhlich verabschieden und meine Schritte zur Arbeit lenken.
6:17
Ich blase meine Backen auf und lasse die Luft langsam wieder entweichen.
Hopp. Schon stehe ich vor meinem Bett. Noch etwas wackelig bewege ich mich Richtung Bad.
Gar nicht schlecht. Nach 10 Minuten verlasse ich es wieder, ohne auf der Seife ausgerutscht zu sein und mir den Kopf auf der Badewanne aufgeschlagen zu haben und ohne meine Hände unter kochend heißem Wasser zu verbrühen.
Leise Hoffnungen keimen auf, daß der Tag wird, wie jeder andere vor ihm - hektisch dahingleitend in lauter, beruhigender Monotonie. Schnell ziehe ich meine am Vorabend zurecht gelegte Kleidung an, braune Hose, graues Hemd, schwarze Schuhe, Hut. Nur nicht zu sehr auffallen, in dieser kalten, unwirtlichen Welt.
Schnell vergewissere ich mich, ob die Fenster zu sind, der Herd nicht Gefahr läuft die Wohnung niederzubrennen, ob auch alle Blumen gegossen sind und das Bett gemacht wurde. Alles in Ordnung.
6:40
Ich verlasse die Wohnung. Meine Laune hebt sich von Minute zu Minute. Leise schließe ich die Wohnungstür hinter mir ab, lege den Schlüssel unter den Fußabstreicher mit dem bunten Teddybär, dessen Sprechblase „Herzlich Willkommen“ verkündet. Ich befreie fürsorglich mein Namensschildchen mit der Aufschrift „A. Vorfelder“ vom Staub und schleiche die Treppe herab, lautlos, um niemand aufzuwecken. Wie es scheint, schläft das ganze Haus noch. Kein Kindergeschrei meiner Nachbarn oder ein wildes Gezeter des Hausklatschweibes, die sich morgens gegen 6 an ihr Küchenfenster setzt, um unbescholtene Bürger wie mich mit einem Spruch zu belegen, wie „Frisch heute, nicht wahr“ oder „so ein Mistwetter, Herr Nachbar“ oder noch viel schlimmer, „Wie geht’s ihrer Familie“. Ich laufe dann eiligen Schrittes weiter bis zur nächsten Hausecke, damit sie mich nicht weiter belästigen kann.
Heute herrscht Stille, als ich die Haustür hinter mir zuschlage und meine Nase in die frische Frühlingsluft halte. Ich schaue mich um. Die Regenwolken haben sich inzwischen wieder verzogen und vereinzelte Sonnenstrahlen fallen durch die dicken Wattewolken am Himmel.
Stille. Das Fenster der werten Nachbarin ist geschlossen, die Balkontür im Haus gegenüber, eigentlich immer offen, wenn ich das Haus verlasse, ebenfalls. Ich blicke auf die Uhr, um mich zu vergewissern, daß mein Wecker mir keinen Streich gespielt hat.
6:43
Ich gehe zu meinem Bäcker an der Ecke des nächsten Hauses. Geschlossen! Ich runzele die Stirn. Was ist hier los? Nochmals mustere ich meine Uhr.
6:47
Ich sehe mich um. Erst jetzt fällt mir auf, daß in den letzten Minuten kein einziges Auto an mir vorübergefahren ist, kein Fußgänger , kein Hund, kein Vogel, nicht mal eine Fliege kreuzte meinen Weg. Langsam wird es mir unheimlich.
Ich beschließe zunächst meine Arbeit aufzusuchen. Ich überquere die Straße bei rot, keiner hindert mich daran. Ich gehe durch die Ladenpassage. Niemand. Ich beginne etwas schneller zu laufen, blicke mich um. Niemand.
Die nächste Seitengasse ist meine Rettung vor der Einsamkeit. Fleischer Lehmann, meine Lieblingsfleischerei wird doch offen haben. Ich gehe schneller, renne fast. Wieder blicke ich mich um. Die Straße ist leer. Die Läden - leer! Träume ich?
Da vorn ist die Fleischerei. Aufgeregt laufe ich hin - leer! Ich drehe mich im Kreis, blicke zum Himmel. Die Wolken ziehen lautlos über die Häuser. Ich sehe wieder die Straße entlang ... kein Mensch weit und breit. Wieder sehe ich auf meine Uhr. Zumindest sie existiert und geht noch.
6:56
Ich gehe weiter zu meiner Arbeit. Am Eingang sitzt jeden Morgen der Pförtner Mischelreuter, ein älterer Herr, in meinen 20 Dienstjahren hat er an keinem Tag gefehlt. Ich schaue in das Pförtnerhäuschen. Wenigstens er müßte doch - leer! Ich schlucke, mein Puls wird schneller, wie ein Kind am Rastplatz, wenn es dem abfahrenden Bus hinterher sieht. Panik steigt in mir auf.
Ich renne - renne - renne. Der Schweiß läuft mir von der Stirn, mit meinem Taschentuch wische ich ihn weg und renne weiter. Tränen schießen mir aus Verzweiflung in die Augen. Verschwommen sehe ich den Stadtpark vor mir. Über Wiesen, Wege, Zäune, Büsche laufe und springe ich ohne auch nur einen Menschen außer mir wahrzunehmen. Selbst die Enten im Parkteich sind nicht mehr da. Wieder ein Zaun, den ich überspringe, doch meine Beine versagen mir den Dienst. Wimmernd und keuchend liege ich im feuchten Gras hinter einem Busch. Ein Häufchen Elend in einer leeren menschenlosen Welt. Ich bin allein. Ich denke an meine Freunde, Verwandten, an meine Eltern , mein Geschwister. Wo sind sie?
Ich blicke, mehr aus Gewohnheit , auf meine Uhr, wische die über das Ziffernblatt laufende Ameise zur Seite.
7:00
...die über das Ziffernblatt laufende Ameise? .. Laufende Ameise?? Wie ist das möglich? Die ganze Stadt wie ausgestorben. Nur ich , ich ganz allein - und diese Ameise. Mir ist kalt, während ich versuche einen klaren Gedanken zu fassen.
„Paß doch auf“ dröhnt ein Ruf durch den Busch an mein Ohr. Ich horche auf. Mir stockt der Atem. Ich bin nicht allein!
BUMM - Ein Ball trifft meinen Kopf. Mir Schwinden die Sinne. Ich sacke in mich zusammen - Stille!
Stimmengewirr.
Ich komme langsam zu mir. Verschwommen erkenne ich einige Köpfe über mir. Noch immer scheine ich auf der feuchten Wiese zu liegen. Ein Junge mit einer blauen Jacke sieht mir besorgt ins Gesicht.
„Geht es ihnen gut, Wir wollten das nicht.“ Beschämt blickt er in die Runde seiner Freunde, die einen Kreis um mich gebildet hatten.
Ich lächle. Menschen, so viele Menschen. Die Welt ist nicht leer. Kein Leben allein mit einer Ameise. Ich bin glücklich. Mein Lächeln greift um sich, die Jungs helfen mir auf die Beine und entschuldigen sich. Ich grinse wie im Traum.
Einige Sekunden später rennen sie weg und spielen wieder Fußball. Ein Auto hupt hinter mir und Menschen lachen, schreien, reden, brüllen, weinen.
Sie sind wieder da. Alle wieder da!
Was für ein wunderbares Gefühl. Meine Gedanken drehen sich um die eben erlebten furchtbaren Minuten. Mein Verstand entscheidet für mich, daß ich geträumt haben muß. Vielleicht ein teilweiser Verlust meiner Erinnerung infolge des Fußballtreffers und einer anschließenden Ersetzung dieser Erinnerung durch einen Traum. Das klingt doch irgendwie logisch. Ich nicke bestätigend und hake das Thema vorerst ab.
Nachdem ich mich ein wenig an den spielenden Kindern und den anderen Parkbesuchern und ihrer Anwesenheit erfreut habe, steuere ich meine Wohnung an. Ich sollte mich umziehen, denn mit zahlreichen grünen Flecken auf der Hose kann ich mich nicht im Büro sehen lassen. Fröhlich , fast ausgelassen laufe ich los. Ich schaue in die Auslagen der Geschäfte, lächle fremde Menschen an, stolziere bald wie ein Mann von Adel, bald gebe ich mich wie Tom, der Wirt meiner Stammkneipe, cool, und souverän in jeder Lebenslage.
Als ich am Rathaus vorbeigehe fällt mein Blick auf die Uhr in der Turmspitze.
7:23
Ich komme zu spät auf Arbeit, aber irgendwie ist mir das egal. Ich bin einfach nur glücklich, glücklich nicht allein zu sein. Schon fällt mein Blick auf das Werbeschild meines Lieblingsfleischers. „Lehmanns Wurstwaren“ leuchtet mir in roten Lettern entgegen.
Ich muß ihm unbedingt erzählen, was mir passiert ist. Mit behänden Sprüngen hüpfe ich die 5 Stufen bis zur Eingangstür hinauf, öffne sie und sehe zur Theke, wo eine junge Frau eben einem älteren Herrn ein Paket Wurst herüberreicht.
Merkwürdig. Hans, die alte Rübe, hat wohl keine Lust mehr zu arbeiten und stellt neue Kräfte ein. Ich schmunzele und frage nach ihm. Erstaunt sieht die Verkäuferin in mein grinsendes Gesicht und erklärt mir keinen Hans zu kennen, aber sie könne gern den Chef aus dem Pausenraum holen. Noch ehe ich etwas sagen kann, flitzt sie durch den schmalen Eingang nach hinten, dann rechts den Gang entlang und wieder links in den Raum, der als Pausenraum dient. Ich kann es nicht sehen, doch ich weiß es, da ich ungezählte Male zum Doppelkopf spielen mit dem Fleischermeister diesen Weg genommen habe.
Sekunden später tritt ein fremder Mann aus eben diesem Gang hervor und schaut mich an.
Ja bitte, formt sein Mund und seine tiefe Stimme überfährt meine Sinne. Ich frage auch ihn nach Hans Lehmann, und wieder wird mir gesagt, daß es keinen Hans in der Familie Lehmann gibt und gab.
Wie vor den Kopf gestoßen verlassen ich ohne noch ein Wort zu sagen, den Fleischerladen. Die Gedanken schwirren in meinem Kopf herum. Mein Lächeln und meine überschwängliche Laune von vorhin wandeln sich in Verwirrung. Ziellos laufe ich einige Meter weiter, denke nach, weiß nicht, was das bedeutet. Der Blick zur kaum noch zu sehenden Rathausspitze verrät mir die Uhrzeit und gibt mir irgendwie Kraft.
7:35
Ich hole tief Luft und setze meinen Weg nach Hause fort. Nach einigen Minuten stehe ich vor meinem Bäcker. Ein paar Nußecken könnte ich jetzt schon vertragen. Doch irgendetwas will nicht, daß ich den Laden betrete. Ich zögere und blicke in die andere Richtung über die Straße. Ich denke nach und versuche zu ergründen, was mich von dem Betreten des Bäckers abhält.
Ich denke an die Minuten vor 7 Uhr. Ich war allein, und nun sind die Menschen wieder da. Schleichend kehrt die gute Laune zurück. Das Fleischererlebnis hake ich unter Mißverständnis ab und öffne die Tür zum Bäcker.
Die altbekannte Glocke über der Tür ertönt und kündigt mich an. Ein älterer Herr tritt an den Verkaufstisch. Ich kenne ihn nicht.
„Sie wünschen?“, fragt er und blickt mißbilligend auf meine grünfleckige Hose. Ich ignoriere seine Frechheit und lasse mir meine Laune nicht verderben.
2 Nußecken verlange ich aus alter Gewohnheit und krame schon die 2,30 Euro aus meiner Hosentasche.
„Wir führen keine Nußecken!“ Meine Bewegung friert ein. Einen Augenblick verharre ich vor Schreck in meiner Position. Erstaunt und fast flehend verlange ich noch einmal 2 Nußecken.
„Ich sagte ihnen bereits, daß wir keine führen“ Entsetzt ziehe ich meine leere Hand aus der Hosentasche und betrachte sein leicht errötetes Gesicht. Ohne etwas zu sagen drehe ich mich um und verlasse hastig den Laden. Die Tür fällt hinter mir ins Schloß, begleitet von dem Quietschen, das seit Jahr und Tag meinen Weg zur Arbeit säumt. Ich werfe flüchtig einen Blick auf meine Uhr und laufe aufgeregt nach Hause.
7:44
Immer noch ist das Fenster meiner Nachbarin geschlossen, obgleich sich etwas verändert hat. Ich bleibe für einen Moment stehen und staune. Vor dem Fenster befindet sich ein roter Blumenkübel mit allerlei bunten blühenden Pflanzen. Am Rand steckt eine blau-orange Windmühle und dreht sich unschuldig im Wind. Die Gardine wird mit einem Mal zur Seite geschoben und das Gesicht eines kleinen Mädchens sieht mich strahlend an. Starr vor Schreck, nicht mehr in der Lage meinen Blick zu lösen, sehe ich es an. Meine Nachbarin haßte Kinder. Sie verteufelte sie. Und nun, ein Kind? Bei ihr in der Wohnung? Ich schlucke hart.
Einige Vögel fliegen über mich hinweg und setzen sich auf einen Ast der alten Eiche hinter mir am Straßenrand. Als ich sie näher mustere, erkenne ich Krähen in ihnen, die lauthals krächzend ihre Ankunft verkünden. Mein Herz rast. Ich will nach Hause.
Zittrig drücke ich die Klinke bis zum Anschlag nach unten und laufe die Treppen hinauf. Ein Hund bellt und ich erschrecke erneut. Nie hat es in unserem Haus einen Hund gegeben. Konzentriert schließe ich kurz die Augen, meine Knie sind weich. Dennoch beschleunige ich meine Schritte, um endlich dieser Welt zu entfliehen und mich in meiner eigenen kleinen Welt zu verstecken. Endlich stehe ich vor der Wohnungstür. Doch ich vermisse meinen Fußabstreicher. Stattdessen befindet sich ein kleines Schränkchen neben der Tür, auf dem 3 Paar Schuhe stehen, 2 große und ein kleineres.
Auf dem Namensschild lese ich meinen Namen: A. Vorfelder. Ich wohne hier! Ohne Schlüssel entschließe ich mich endlich zu klingeln. Meine selbst angebrachte Glocke ertönt und einige Geräusche aus der Wohnung sind zu hören.
Fußgetribbel. Ich sehe kurz auf meine Uhr.
7:57
Schon öffnet sich die Tür zu meinem Reich. Ein kleiner Junge steht vor mir und begrüßt mich freundlich. Ich weiß nicht recht was ich sagen soll und presse ein mühsames Hallo heraus.
An der Klinke hängend turnt er vor meinen Augen an der Tür herum. Schließlich stürmt er zurück in meine Stube und erzählt von einem fremden Mann an der Tür, von mir.
Eine blonde Frau tritt in den Flur, sieht mich an. Unsicher fixiere ich ihre Augen.
„Ähm ... Mein Name ist August Vorfelder“ bringe ich mit bebender Stimme hervor. Sie sieht mich fragend an.
„Kennen wir uns?“ ich bin sprachlos. Ein verlegenes Lächeln huscht über ihr Gesicht.
„Ich .. äh .. nein, nein, ich denke nicht.“ Antworte ich mit rasendem Herzen , dessen Schläge ich bis zu den Schläfen spüre.
Verwundert legt sie ihren Kopf etwas schief und mustert mich mit meinen zerzausten Schopf und der vom Rasen grüngefleckten Hose.
Endlich fasse ich Mut: „Ich wohne hier, da steht mein Name, August Vorfelder“ ich zeige mit ernster Miene auf das Schild neben der Tür. Fragend sieht sie mich an. Etwas genervt schnauft sie und dreht sich zum Inneren der Wohnung um.
„André, kommst du mal.“ Mein Atem verschnellert sich. Hastig und unregelmäßig schlucke ich. Mein Herz sackt mir in die Hose. Meine Augen weiten sich und Panik steigt in mir auf. Ich kann es nicht verstehen, nichts ist mehr so , wie es war. Noch ehe der Mann in den Flur tritt springe ich an ihr vorbei in die Wohnung, hetze an der Küche vorbei und reiße die Badtür auf. Mit lautem Knall werfe ich sie ins Schloß. Schnell den Schlüssel umgedreht - Sicher!
Ich schnaufe und sehe mich um, nichts scheint mehr an seinem Platz. Die Duschecke ersetzt durch eine kleine Badewanne, der Boiler verschwunden, auf meiner Waschmaschine steht ein Trockner und geht eben seiner Arbeit nach. Panikartig gehe ich rückwärts, stolpere, rutsche fast aus und lande schließlich auf dem Toilettendeckel. Ich wimmere wie vor einer Stunde, hilflos, planlos, allein.
Die Welt kennt mich nicht , ich kenne die Welt nicht. Ich bin hier nicht richtig. Wer bin ich? Fragen überhäufen mein Hirn und sprengen es fast entzwei. Meine Hände umfassen meinen Kopf. Meine Augen kneifen sich krampfartig zusammen. Ich schreie lauthals auf, heule unverhohlen, verzweifle in meinem Badezimmer, das nicht mehr meines ist. Rasend vor Angst stehe ich auf, reise den Trockner von seinem Podest. Er rumpelt auf den Fußboden. Ein elektrisches Zischen aus seinem Inneren - dann ist er still. Mein Fäuste trommeln auf ihn ein, ich kann mich nicht mehr halten, Verzweiflung greift nach meinem Herzen, daß ungeschützt, blubbernd an der Grenze seiner Belastbarkeit angekommen zu sein scheint.
Mit letzter Kraft erhebe ich mich, sehe in den an der Wand hängenden Spiegel. Eine Fratze mit Bart und blondem, strähnigem Haar sieht mich an.
„Wer bist du!!!“ schreie ich das Spiegelbild an. Doch es bildet mit seinem Mund meine Laute nach. Ich umfasse wieder meinen Kopf, mein gegenüber auch, doch ich bin es nicht, ich bin grauhaarig, mit leicht lockigem Haar, anders als das, was ich da sehe. Ich kreische das Bild an, mein Fäuste hämmern die Scheiben ein und ... Mein Wecker ... er klingelt. Ich unterbreche meine Haßausbrüche, sehe völlig von Sinnen zur Tür, warte!
Da, wieder! Mein Wecker, er klingelt! Nochmal! Verrückt vor Freude über dieses bekannte Geräusch stürme ich zur Tür und schlage mit meinem Kopf dagegen...
„Aua“ ich finde mich auf dem Boden meines Schlafzimmers wieder. Am Kopf eine dicke Beule. Blinzelnd blicke ich zu meinem Bett hoch, aus dem ich soeben gefallen sein muß. Tief und ausgiebig hole ich Luft. Und mit einem Mal sind sie wieder da, die Erinnerungen an .. an was? Ein Erlebnis? Ein Traum ? Mit einem Satz stehe ich vor meinem Bett, gar nicht taumelnd, sondern hellwach. Ich blicke aus dem Fenster, die Sonne scheint. Die Uhr zeigt mir die Zeit.
8:00 Ostersonntag. Ein Tag zum Entspannen, für mich ganz allein. Langsam lösen sich Anspannung und Angst. Mein Bett ist völlig verwüstet, mein Pyjama schweißdurchnäßt.
Ein Lächeln schimmert in meinem Gesicht - was für ein Traum!
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Volker Winkler).
Der Beitrag wurde von Volker Winkler auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.10.2004.
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Repuestos: Kolonie der Verschleppten
von Marianne Reuther
Die letzte Unterrichtsstunde war zu Ende, das Wochenende stand bevor. Studienrat Edmund Konrad strebte frohgemut auf seinen blauen Polo zu. Hinterm Scheibenwischer steckte der Werbeflyer eines Brautausstatters, und indem er das Blatt entfernte, fiel ihm beim Anblick des Models im weißen Schleier siedend heiß ein, daß sich heute sein Hochzeitstag zum fünften Mal wiederholte.
Gerade noch rechtzeitig. Auf dem Nachhauseweg suchte er in einem Blumenladen für Lydiadie fünf schönsten Rosen aus und wurde, ehe er sich versah, durch eine Falltür in die Tiefe katapultiert ...
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