Silvio Hoffmann

Die erste Begegnung

Es war der erste Schultag nach den grossen Ferien. Eigentlich ein Tag wie jeder andere wenn man davon absieht, dass es ein neues Schuljahr war. Doch diesmal sollte doch etwas anders sein. Sie kam neu in unsere Klasse! Oh Gott, sie sah damals schon wunderschön aus und genau das war mein Problem. Ein Mädchen mit ihrem Aussehen und ein kleiner unscheinbarer Junge wie ich...?! Das war einfach nicht möglich. Ich sollte recht behalten, für eine Weile. Für mich war es, glaub ich, Liebe auf den ersten Blick. Ich vergötterte sie schon damals, mußte dauernd an sie denken. Manchmal lag ich stundenlang wach und dachte über sie nach. Was sie wohl mag, welche musik hört sie, was für Filme sieht sie gerne, liest sie und wenn ja, was? Tausend fragen gingen mir durch den Kopf. So verging Monat um Monat und das neue Schuljahr war fast wieder vorbei. Ein Schuljahr voller Qualen in dem sie einen neuen Freund nach dem anderen hatte. Zumindest sah es so für mich aus. Bis dann auf einmal...! Ich saß wie so oft mit meinen Freunden in der Cafètariea als sie sich zu uns setzte. Ich war natürlich total überrascht und auch ein wenig aufgeregt. Es schien Stunden zu dauern bis wir zum ersten Mal miteinander sprachen. Es war nichts aufregendes aber doch eins meiner Lieblingsthemen. Filme, in diesem Fall Horrorfilme. Wir unterhielten uns eine Ewigkeit und danach auch immer öfter. Alles mögliche wurde diskutiert und ausgewertet. Jede einzelne Szene eines Films und jede Epoche unseres lebens wurde analysiert und bewertet. So wurden wir Freunde. Und doch schien es keinen Weg zu geben, der aus uns mehr werden ließ. Ich gab die Hoffnung schon auf und suchte auch meinerseits nach neuen Beziehungen. Die meisten davon scheiterten schon in der Anfangsphase. Heute denk ich, es war wegen ihr. Sie ging mir nicht aus dem Kopf und unsere Freundschaft machte es nicht gerade leichter. Der Grund für diese ausweglose Situation war ihr Freund. Die Gerüchte über ihre dauernd wechselnden Beziehungen waren übertrieben. Sie ging mit ihm seit mehr als einem Jahr und war sehr glücklich mit ihm. Ja, sie war einfach unerreichbar für mich. Bis zu jenem verhängnisvollem Tag. Es war ein Jahr vergangen. Ein weiteres Schuljahr begann und es war wieder ein Tag wie jeder andere. Doch auch diesmal gab es einen Unterschied. Sie war nicht da. Natürlich machte ich mir Sorgen und ging nach der Schule sofort zu ihr. Sie war nicht da. Mein Herz hämmerte schon wie verrückt und die Sorgen begannen zu steigen. Trotzdem lief ich nach Hause und wollte mich hinlegen. Doch ich konnte nicht schlafen. Ich warf mich die ganze Zeit hin und her. Als ich es nicht mehr aushielt rannte ich nochmal zu ihr. Wieder ohne Erfolg. Es war nun schon nach 21.00 Uhr und meine Sorgen stiegen ins unermessliche. Sie hätte mir gesagt, wenn etwas wäre. Sie hätte angerufen! Ich lief jetzt zum Haus ihres Freundes. Auch das blieb ohne Erfolg, doch er machte sich ebenfalls Gedanken um sie. Dann kam mir der rettende Gedanke. Vor kurzem lud ich einen alten Kumpel ein wieder bei seinen Verwandten in unserer Stadt zu wohnen. Er lief vor Jahren weg um seine Eltern zu suchen. Er kam unerwarteter Weise wieder und ich stellte ihn natürlich auch ihr vor. Wir waren oft zu dritt unterwegs und trafen uns auch im alten Lagerhaus, dem Schlupfloch unserer Kindheit. Wie ich so darüber nachdachte fiel es mir wie ein Schleier von den Augen. Seit seiner Ankunft zog eine Mordwelle durch unsere Stadt. Alles Leute die wir beide kannten. Ein Schrei wollte meiner Kehle entspringen doch ich konnte nur noch röcheln. Ihr Freund und ich rannten schneller als der Teufel. Ich wußte sie sind im alten Lagerhaus. So schrecklich der Gedanke war, er ließ sich nicht abschütteln. Oh laß das nicht wahr sein. Meine Gedanken rankten nur um sie und malten die schrecklichsten Bilder. Ich war fast verrückt vor Angst. Ihr Freund folgte mir nur teilnahmslos. Endlich erreichten wir unser Ziel. Ich rannte mit klopfendem Herzen hinein und betete jede Sekunde das sie noch am leben ist. Auf einmal hörte ich den Schuß und kurz darauf ihren Schrei. Die Welt blieb stehen. Unsere gmeinsamen Augenblicke, unsere Streitereien und Diskussionen, unsere Scherze und glücklichen Momente, all das zog an meinem innerern Auge vorbei. Diesmal konnte ich schreien und ich ließ alles raus. Aller Schmerz, alle Trauer, einfach all mein Leid waren in diesem Schrei enthalten. Alles schien endlos! Ich rannte die Treppen hinunter, immer wieder ihren Namen schreiend, als auf einmal ihre Stimme zu hören war. Sie rief um Hilfe. Meine Gefühle in diesem Moment waren ein Gemisch aus Wut und Glück. Ich rannte noch schneller und auf einmal sah ich sie. In der Ecke kauernd, verängstigt wie ein scheues Reh. So viel Angst in ihren Augen. Ich weiß nicht mehr was ich empfand. Ich glaube mein Herz erstarrte zu eis. Ich rannte zu ihr als der nächste Schuß fiel. Von diesem Moment an lief alles ganz langsam. Zeitlupe beherrschte die Situation. Ich rief: “Nein“ und sprang vor sie. Alles schien so unendlich langsam. Dann kam der Schmerz und ich erkannte voller Glück, die Kugel traf mich und nicht sie! Nun sah ich auch meinen “Kumpel“, wie er da stand, voller Wut und Unsicherheit und doch so unglücklich wie ich nie einen anderen Menschen vor ihm sah. Auf einmal war mein Haß auf ihn wie weggeblasen. Ich empfand nur noch Mitleid. Meine Schulter pochte vor Schmerz und auch er schien zu zittern. “Warum?“ schrie ich. “Wegen dir!“ war seine Antwort “Wegen dir! Alles was ich haben sollte bekamst du.“ Seine Stimme zitterte: “Ich ging fort um meine Eltern zu suchen, doch was ich fand war nur ein Foto meiner Mutter. Wußtest du, dass sie mal einen anderen Namen hatte. Du kennst sie sogar. Wir sind Brüder!!!“ Nun schien mir alles klar zu werden. Die Reaktion meiner Mutter auf ihn. Unsere vielen gemeinsamen Bekannten. Ich konnte nichts erwidern. Tränen liefen mir übers Gesicht. Der Schmerz meiner Schulter schien vergessen, ich war so überrascht und glücklich als er wieder die Waffe auf uns richtete und sprach:
“Ich werde dir alles nehmen was du liebst. Jetzt ist sie dran und dann unsere Eltern. Nur dich werde ich verschonen, damit du genauso wenig hast wie ich vor dir! Dann wirst du erst meinen Schmerz kennen und wir können endlich Brüder sein.“
“Hör auf mit dem Morden! Brüder können wir auch jetzt noch sein. Laß das vergangene ruhen. Ich flehe dich an mein Bruder!“
“Nein! Nur der Tod und der gemeinsame Verlust wird uns zu Brüdern machen. Sie muß sterben!“
“Das werde ich nicht zulassen!“
Mit diesen Worten und meiner letzten Kraft lief ich auf ihn zu und versuchte an die Waffe zu kommen. Nach einer kurzen Rangelei löste sich ein Schuß. Wieder war alles still. Ich hörte die Nachtigal draußen leise ihr Lied singen. Die Kugel hatte ihn getroffen. Ich nahm ihn in den Arm. Überall war Blut. Tränen liefen über unsere Gesichter. Noch immer empfand ich Mitleid und auch Trauer. Leise röchelte er seine letzten Worte: “Mit der Liebe hatte ich nicht gerechnet. Es tut mir leid. Verzeih mir!“ Dann starb John! Ich schloß seine Augen und schleppte mich zu ihr. Erst jetzt bemerkte ich, das ihr Freund davongelaufen war. Auch ihr standen Tränen in den Augen. Ich fragte: “Alles in Ordnung!“ und sie antwortete “Jetzt ja! Dank dir!“. Was folgte, war unser erster Kuss. Er war lang und unglaublich zärtlich. Zum dritten Mal an diesem Abend stand die Zeit für mich still. Alles war vergessen. Alles war unwichtig. Nur sie und ich zählten jetzt.
Am nächsten Morgen jedoch war wieder alles anders. Wir waren wieder in unserer Cafètarier und sie verhielt sich merkwürdig abweisend. Als ich sie darauf ansprach meinte sie nur: “Denk mal darüber nach!“. Später fiel mir ein, das ich ihr nie gesagt hatte, das ich ihn zurück in unsere Stadt holte. Das hatte sie, wie mir ihre Freunde erklärten, erst jetzt erfahren und noch nicht verarbeitet. So ging ich zu ihr um mit ihr zu reden. Doch sie schloss sich in ihr Zimmer ein! Ich brüllte durch die Tür:“Wie kannst du mir das vorwerfen? Ich wußte nichts von unserer gemeinsamen Vergangenheit. Es traf mich wie ein Schlag. Das letzte was ich wollte ist, dass du mit hineingezogen wirst in solche Geschichten. Ich LIEBE dich. Ich hab dich immer geliebt und er hat nicht das Recht, dass kaputt zu machen. Nur du zählst jetzt noch für mich. Meine Eltern kann ich nicht mehr achten und meine Freunde verstehen mich kaum noch! Er hat mir alles genommen. Wenn du mich jetzt auch verlässt, dann hat er wahrlich gewonnen. Bitte laß es nicht zu. Ich werde dich trotzdem immer lieben!“ Dann drehte ich mich um und wollte gehen. Auf einmal öffnete sich ihre Tür und die Stimme eines engels ertönte für mich zum ersten mal:“Du willst also gehen? Dann kann ich dir doch gar nicht das Geschenk geben!“ Ich drehte mich um und wir sahen uns so tief und fest in die Augen wie nie zuvor. Da wußte ich, sie liebt mich auch! Zum zweiten Mal küssten wir uns. Diesmal besiegelte das unsere Liebe. Diesmal verschmolzen unsere Seelen endgültig! Von nun an waren wir eins! Für die Ewigkeit!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.10.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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