Gerhard Kemme

So klein mit Hut

Sylvia zog lächelnd einen süßen Riegel TwixiPic aus dem Automaten der Verlags-Kantine. Der künstliche Saturn-Morgen dämmerte erst langsam. In einer Stunde würde grelles Neonlicht wieder zu intensiver Textarbeit rufen. Noch Zeit haben und in der gravitationsarmen Kantine die Müdigkeit etwas ausklingen lassen, besser als abgehetzt im Büro ankommen. Jemand tippte ihr auf die Schulter: „Huch!“ Kollegin Monika benötigte wieder Jemanden zum Zuhören. „Seit wir die Arbeit gemeuchelt haben, geht alles wieder bestens. Die nervenschonendste Idee des Jahres war es: Unsere Rufnummern aus dem Impressum nehmen zu lassen, Sylvia Schatz.“ „Warum mit Lesern reden, wenn wir uns auch mit Kollegen unterhalten können?“ Das Licht wurde greller und die Redakteurinnen setzten sich in die Sessel und rollten in ihre Büros.

Tatsächlich, der Bildschirm blieb weiß: Weder petzende Leser, noch wutentbrannte City-Bürger, auch kein weinender Suizidaler. Sylvi klickte den Messenger in die eine Bildschirmhälfte und wählte dann wieder Monika an. Die Kollegin besserte ihre Schminke nach. „Magst du mich so mit Lidschatten?“ Der Messenger fing an zu blinken: Anruf von außen. Die Arbeit war wieder unvermeidbar. Das markante Gesicht von Polizei-Oberst Henning schob sich auf den Bildschirm. „Bitte Sylvia, du musst mir beistehen. Ich darf die Rebellen und Erpresser am anderen Milchstraßen-Ende nicht einfach zu den Akten legen. Erinnere dich – die Bande im Mikrokosmos, die gleichzeitig versuchte uns makrokosmisch mit zellzerstörerischen Schwingungen zu bedrohen.“ „Ja, nun erinnere ich, die tanzende Roboter-Gang unter dem Mikroskop! Bisschen weit entfernt, schätze ich mal.“ „Liebe Sylvia, wir haben eine Einladung vom Oberkommando der Saturn-Streitkräfte.“

Einige Stunden später saßen die Reporterin und der Galaktopol –Detektiv in der verbunkerten Kommando-Zentrale. Reges uniformiertes Treiben füllte die Operationszentrale. Statt Lagebeurteilung gab es ein Video vom militärischen Aufmarsch der drei rebellennächsten Sonnensysteme. Die Besprechungs-Teilnehmer erblickten eine Ebene, die bis an den Horizont des fernen Freund-Planeten mit lagernden Truppen bedeckt war. Ein Presseoffizier erklärte die Bilder vom anderen Ende der Galaxy: Diese Einheiten sollen per Shuttle zu den im Orbit wartenden Kampfkreuzern geflogen werden. Dann kam eine junge Soldatin mit raschem Joint im Mundwinkel und hochgeschobenem Helm ins Bild. Zu der von ihr geführten Robotergruppe hielt sie mit einer Art „Fernbedienung“ Kontakt und „zappte“ einen abirrenden Robot wieder zurück zum Sammelplatz der Gruppe. „Werden sie Gnade kennen?“, fragte ein Reporter. Der Kampfroboter löcherte die Luft mit einer knallharten sekundenschnellen Schlagserie. „Fragen sie ihn.“ Dann war das Video beendet und irgendein hochrangiger Kommandeur übernahm die weitere Einweisung.

Sylvia stieß Henning leicht an und raunte: „War ja interessant. Nur, was haben wir damit zu tun bei diesen Entfernungen?“ Eine Holographie zeigte den Angriffsplan der Galaxy gegen den Rebellenplaneten mittels leuchtend dicker blauer Pfeile, welche Hauptstöße gegen die anzugreifenden Planeten markierten sowie kleineren Pfeilen, die in Richtung der Monde deuteten. Der für die Feindlage zuständige General zeichnete die vermuteten vorderen Grenzen der Raumverteidigung der Rebellen. „Dies war der makrokosmische Angriffsplan der benachbarten Sonnensysteme. Eine starker Angriffsverband der Saturnstreitkräfte wird die mikrokosmische Attacke führen und in die Binnenstrukturen des Gegners eindringen bevor die unsere makrokosmischen Kräfte gelandet sind. Hierbei wird er von Polizeikräften unter der Führung von Oberst Henning unterstützt. “ Sylvia war nicht mehr zu halten: „Sehr geehrter Herr Kommandeur, auch ich habe mein Basistraining in Raumverteidigung absolviert und weiß daher ganz sicher, diiieee Entfeernung iiist zu weeeit!!“ Der für mikrokosmische Operationen zuständige Offizier übernahm das Mikro: „Wie Eingeweihte wissen, ist nach den großen Umweltvergiftungen auf den von Menschen bewohnten Planeten der Milchstraße die Galaxy in riesigen Computeranlagen nachgebildet worden und wir führen unbemerkt eine ausschließlich virtuelle Existenz in Großrechnern. Diese existieren fast auf jedem Planeten. Jeder hier Anwesende besteht ausschließlich aus Zahlen und einer intelligenten Informationsverarbeitung. So sind auch die Rebellenplaneten ausschließlich nur Zahlen, die wir mit entsprechenden Decodern in sichtbare Landschaften verwandeln können.“

Dann leuchtete ein Gate auf und sie kletterten hindurch – um plötzlich wie Schlafwandler in der anderen Welt zu sein: Es war ein Graben außerhalb der im Rechner annavigierten Großstadt. Nicht weit von ihnen entfernt bediente ein Hunderudel lustlos eine Flugabwehrbatterie und suchte den dunklen Weltraum nach „Feind“ ab. Jetzt konnte Sylvia es auch erkennen: Die eigenen Kampfkreuzer hatten die vordere Verteidigungslinie der Weltraumrebellen erreicht. Die Kampfschiffe schoben eine mächtige Feuerwalze vor sich her und kamen rasch näher. Dann starteten wie Hornissenschwärme plötzlich leichte Kampfflugzeuge aus den Großschiffen heraus. Als die Jabos aus den Sonnen heraus fast unerkennbar angriffen, wurde die Lage für das Hunderudel brenzlig. Der Geschützführer, ein Bernhardiner, ließ einige Alibi-Salven abfeuern und bellte zum Abmarsch. Erstaunt sah Sylvia wie diese Kanoniere sich ihr Feldgepäck auf den Rücken legten und das Weite suchten. „Auf!“ Oberst Henning übernahm das Kommando und sie sickerten langsam in die Stadt ein, während die Bodentruppen anscheinend außerhalb der Stadt landeten. In der Rebellencity herrschte ein unbeschreibliches Verkehrschaos und Oberst Henning knallte einem jungen aufgeregt brüllenden Löwen die Autotür zu „Sag mir doch bitte Henning, was sollen wir denn hier noch Wichtiges machen? Virtuelle Rückreise wäre jetzt doch angesagt?“, flüsterte Sylvia. „Nicht mehr möglich, die Technik-Staffel hat das „Gate“ bereits zusammengepackt!“ Irgendwo am Ende der Kolonne sah man die Lastenträger mit den kleinen vollbeladenen Wägelchen . Nunmehr konnte Polizeioberst Henning auch die Ursache des Super-Staus auf der Hauptverkehrsstraße dieser Regierungsmetropole des Planeten NY4593 erkennen: Ein riesiger Panzer mit hochgekurbelter Kanone stand quer auf der Fahrbahn. Ein Frontmann aus der Saturn-Division knallte Abschlepphaken gegen die Panzerwanne und langsam öffnete sich eine Luke. Wummernde Rhythmen schallten über den Platz während der Kommandant, ein Braunbär, tänzelnd seinen muskulösen Oberkörper durch die Kommandanten-Luke zwängte. Henning und auch der Löwe waren nicht mehr zu halten: „Könnt ihr das nicht sehen, Niemand kommt durch. Platz machen, aber dalli!!“ Der Bär blinzelte und gab seine Anweisungen: „Kleiner, komm hoch, geht rückwärts! – Wir sind ein Fahrschulpanzer, nichts anderes. Der Kleine bemüht sich, so gut er kann.“ Nun öffnete ganz vorne sich die winzig kleine Fahrer-Luke und ein Eichhörnchen mit Barett und Kopfhörern kam fragend herauf und fingerte an seinem Rückspiegel. Ruckend kam der Koloss in gang und parkte rückwärts ein. Langsam löste sich der Stau auf – auch der Löwe war beruhigt und lieferte an einem nahegelegenem Supermarkt seine Knackwürste ab. Ratlos kniete die schier endlose Infanterie-Kolonne am Straßenrand. „Ihr könnt euren Befehlsstand dort im Park aufbauen – das haben bisher alle Okkupanten so gemacht“, rief ein mitdenkender NY4593-Bürger. Der übergroße Stadtplan wurde als Lagekarte aufgehängt, einige Uniformierte malten mit farbigen Kreiden ihre Objektkringel und steckten Fähnchen, auf denen die dort vorgesehenen Truppenteile markiert waren. Zum Sammeln ertönte ein Pfiff und der Operations-Offizier rief den Anwesenden zu: „Tagesbefehl, Tagesbefehl. Der Kommandeur gibt den Tagesbefehl.“ Kommandeur Meyer blickte seine Leute vom anderen Ende der Milchstraße über seine Goldrandbrille an: „Wir besetzen die Stadt nach W – Z – H – B – K, d.h. alles, was wichtig, zentral, hoch, oder eine Brücke oder ein Verkehrsknotenpunkt ist, wird von uns als Objekt besetzt. Noch Fragen? Keine!“ Vom Stadtrand her ertönten ein Brummgeräusche, die Truppen der benachbarten Sonnensysteme waren zur Sturmfahrt angetreten und wenig ein kleiner Landepanzer schob sich mit aufgesessener Robotergruppe um die Hausecke. Sylvia traute ihren Augen nicht – sie konnte die Soldatin aus der Fernsehsendung im kleinen Turm hinter der Laserkanone erkennen. „Hallo, wir sahen dich im Fernsehen. Hier ist alles friedlich!“ Gemeinsam mit ihr und den Robotern gelangten Henning und Sylvia zum Machtzentrum des Planeten. Die dortige Regierung war über den Angriff sehr enttäuscht und drohte alles biologische Leben des Universums mit schädlicher Strahlung zu vernichten. Oberst Henning kam dieser Erpresserbande zuvor und gab den Befehl zur Planetensprengung. Riesige Raumtorpedos zertrümmerten NY4593

Benommen wachte Sylvia in einem einfach aber farbig gestaltetem Raum auf und hörte von fern sanfte Geigenmusik. Heilige mit weißen Umhängen voll funkelndem Sternenstaub standen um ihr Bett herum. „Liebe Sylvia, du bist dort, wo du seit deiner Kindheit hin wolltest – du bist im Himmel“, erklärte ihr eine heilige Frau im Nonnengewand. „Oh, dann werde ich die Redaktion, Monika meine Freundin – den Saturn - niemals wiedersehen?“ „Bewahre, wir sind hier eine Durchgangsstation – momentan mit großen Problemen im Kapazitätsbereich. Froh über Jeden, der mit klaren Zielen hier ankommt. Unser Hausdiener wird das güldene Gate, so programmieren, dass du an deinem Arbeitsplatz in der Redaktion landest.“

Sylvia blinzelte. Tatsächlich, sie saß an ihrem alten Arbeitsplatz in der Redaktion. Der Bildschirm blinkte Monika, ihre Kollegin, und auch Polizei-Oberst Henning baten um Benachrichtigung nach Rückkehr aus himmlischen Gefilden. „Ja, Henning, was war denn das, du hast NY4593 in die Luft gesprengt?“ „Na und? Übrigens war das meine Beförderung zum General. Sylvia, der Fall ist abgeschlossen. Wir warten alle auf deinen Artikel.“ „Hallo Sylvia, hier Monika. Oh, wie schrecklich. In der Redaktion hatte es sich herum gesprochen, dass du im Himmel gelandet wärest – ich wollte schon aus dem Fenster springen, um dich zu besuchen.“ „Liebe Monika, jetzt bin ich wieder an der Arbeit und muss bis zum Redaktionsschluss in fünf Stunden noch meinen Artikel schreiben. Danach laßt uns Tanzen gehen.“

Kolumne der Kriminalreporterin Sylvia Witt:
So klein mit Hut,
ist das Individuum, wenn Polizei-General Henning mit seiner Dienststelle Galaktopol auf Verbrecherjagd geht - ich berichtige – auf Erpresserjagd geht. Die Bande auf NY4593 dachte, sie bekäme Bares von uns – das war ihr Fehler.
Eure Sylvia


Zu dieser Story gibt es eine Rahmenhandlung: Die oberste Polizeibehörde der Galaxy Milchstraße heißt Galaktopol. In der Abteilung für interplanetarische Schwerstkriminalität arbeitet Polizeioberst Henning, der bei seinen Einsätzen hin und wieder von der Reporterin Sylvia Witt begleitet wird. Der aktuelle Fall befaßt sich wie auch in den Geschichten zuvor mit einem Rebellenplaneten. MfG Gerhard KemmeGerhard Kemme, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.11.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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