Georg Kaiser

stay tuned on channel 6

Das Flugzeug überquert den Himmel wie ein von Gott in die Leere geschossener Pfeil.Meine Reise ist nicht freiwillig,denn familiäre Angelegenheiten zwingen mich für eine kurze Weile in mein Heimatland zurückzukommen.Im Business-class denke ich versunken in meinem Sitz,dass meine Gleichgültigkeit genauso endlos ist wie das Firmament in welchen wir uns alle befinden.

Ich reise allein,es ist besser so,neben mir sitzen viele meiner Landsleute,ganze Familien mit Kind und Kegel die ihre verwandte besuchen.Sie stören mich noch nicht,was zuerst stört ist die Tatsache an einem Ort zu sitzen die von den Umständen gewählt wurde sozusagen,eigentlich sollte ich mich schämen so zu denken,gerade weil sicherlich viele Landsleute gerne an meinem Platz wären aber das Betreten des heimischen Bodens für sie ist mit erheblichen finanziellen Belastungen und organisatorischem Aufwand verbunden und bleibt somit ein schwer zu realisierender Traum...während ich am liebsten auf der Terasse des Cafes “El Greco“ sitzen würde.

Ich lege die Kopfhörer an und durchlaufe das ganze Musikprogramm,Kanal 1: Opera (passt schlecht zu Turbulenzen),Kanal 2:Klassik (passt schlecht zu meiner Laune),Kanal 3:Country (soll ich noch kommentieren?),Kanal 4:Folklore (hätte gerade noch gefehlt),Kanal 5: Pop (von Patagonien bis zur Mongolei zu hören),Kanal 6: Klubmusik (mhhh!),trip-Hop,Elektro,Trance,House und Detroit.Eine angenehme Überraschung,ich drehe auf volle lautstärke und plötzlich ist der Turbinensausen ausgeschaltet,Crew-Meldungen ausgeschaltet,Erwachsenengespräche ausgeschaltet,vor allem das Gequatsche meiner 2 vorderen Sitznachbarinnen über Hunde und Make-up.

Ich war immer etwas nervös in einem Flugzeug aber das Gefühl lässt sich mit etwas alkoholisches erfolgreich bekämpfen,Rotwein und ein leichter Unterdruck in der Kabine verflüchtigen die Nervosität und machen schnell die Tastasche vergessen,dass 7000 Meter uns vom Boden trennt.Die Hostesse schenkt Rioja ein,ein guter Anfang,guter Jahrgang.Die edle tropfen gleiten langsam durch meine Zunge und Rachen während Sven Väth ein Hauch von berliner Club-Sound oder zürcher Dance-Floor in den Adern fliessen lässt.Mein Ohrsinn ist zufrieden,zufrieden ist mein Geschmacksinn,die Hände spüren den kalten Glas mit Rotwein gefüllt,vom Tastsinn könnte man das selbe behaupten,nur meine Augen sind von der umgebenden Realität nicht einverstanden.Die Kabine ist furchtbar eng verglichen mit dem Himmel,die Passagiere bekommen den Mittagessen serviert und fangen an gierig ihre Krevetten zu essen,packen ungeduldig den Besteck oder trinken in die Leere starrend,je weniger Essen sich auf die Plastikteller sich befindet desto müder werden die Gesichter,manche lesen irgandwelche Zeitungen mit halboffenen Augen und zerkauen das Brot mit mechanischen Mundbewegungen.Erstaunlicherweise sind die Kinder still als ob die Müdigkeit der Erwachsenen sie angesteckt hätte (Ich erlebe sonst Kinder in Flugzeugen wie in einem Park),ich mag meine zufällige Fluggefährten nicht,ich mag ihren Blick in den Zeitungen nicht,ich mag weder ihre ausgezogene Schuhe noch ihre zurückgelassene halbvollen Teller nicht,noch weniger ihre halbleere Gläser und die weisse zusammengeknirschte Servietten die sie nicht gebraucht haben.

Plötzlich habe ich eine Idee,warum bloss habe ich nicht vorher daran gedacht?.Die Formel um den Perfekten Augenblick zu schaffen war so simpel,ich wechsle auf einen leeren Sitzplatz neben ein Fenster (immer noch auf Kanal 6),bestelle noch mehr Rotwein und nache das Fenster auf.Es kann beginnen.

Herrlicher Augenblick,graue Schlangen aus Granit und Kalk bilden Bergketten mit gewaltigen Schneedecken auf ihren Rücken,zwischen ihnen zeigt die Erde tiefe Narben in Grün und leichtem Braun wo Flüsse und Täler in Ebenen übergehen,alles scheint inmens und doch so klein:die Autobahnen,die Städte,eingebettet in eine scheinbar unendliche Erdmasse,beschattet von Wolken,die wir durchbohren wie ein von Gott in die Leere geschossener Pfeil,eine nach der anderen,wir gewinnen an Höhe und bald strahlt die Sonne über ein helles Teppich aus Wasserdampf.

Irgendwann ist die Grenze zwischen Erde und Meer sichtbar,unser Flugzeug verlässt den Luftraum über ein ganzes Kontinent,das Meer in massiven Blau nagt an den ariden Küsten in einem ewigen Spiel der Gezeiten am Rande von Stränden und Felsen,das perfekte Moment,die Musik passt zum Reflex der Sonne uber die Wellen des Atlantiks,kleine leuchtende Pünktchen durchqueren die Luft und hinterlassen lange gerade Kondensstreifen und ich finde den Gedanke lustig,dass wir alle in so einem Business-Class-Pünktchen sitzen,ich hätte vielleicht allen gesagt: “Aufwachen!,schaut durchs Fenster!es ist besser als Kino und ohne Spezialeffekten!“ (bleiben wir auf Kanal 6),ich hätte vielleicht sagen sollen: “Seht das Meer und den Himmel,die Sonne leuchtet sogar anders,schaut wie Gewitter entstehen,alles live und im Flugpreis imbegriffen...seht diese majestätische Mauer aus Regen und wie Wasser auf Wasser trifft“.

Aber vielleicht hätten sie nicht gehört,vielleicht hätten sie ein Paar Geldscheinen gelockert,niemand hätte dies ernstgenommen obwohl sie in der ersten Reihe sitzen,diese Einsamkeit stört mich nicht mehr,nicht im geringsten,denn ich habe Meer,Erde,Himmel,Rotwein und Kanal 6.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.11.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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