Barbara BaLo* Lorenz

Pelzmärtel

Wir lebten in einem alten Haus mit großem Garten, der an einen Nadelwald anschloss. An der Grundstücksgrenze war im Zaun ein Holztürchen angebracht, das direkt in den Wald führte. Von dort kam zu uns am 11. November immer der Pelzmärtel. Als es gegen Abend zu dämmern begann, standen wir schon an den Fenstern und drückten uns beim Warten auf ihn die Nasen erwartungsvoll platt.

Die Luft war knusprig und roch nach Schnee und Rauch. Es lag eine Art von Feierlichkeit in der Luft und große Spannung. - Dann war es soweit: ER kam vom Wald her, und seine Laterne leuchtete ihm den Weg. Da packte uns die Aufregung. Was würde er sagen? Würde er uns schimpfen oder loben, und was würde er uns bringen? Er ging ums Haus und klopfte am Vorbeigehen auf die Fensterbretter, daß es uns ganz schaurig zumute wurde. Als es dann an der Haustür klingelte und bumperte, wären wir am liebsten davongerannt. Aber Papa ließ ihn dann ein. Und unsere Augen glänzten, und die Wangen glühten uns.

Aber dann kam es meistens halb so wild. Immerhin waren wir entweder doch sehr brav, oder wurden eben einfach nicht immer erwischt, denn die Schelte hielt sich in Grenzen. Dafür war der Kartoffelsack, den er mitbrachte, immer voll mit roten Äpfelchen, Walnüssen, Pfeffernüssen, Mandarinen, getrockneten Feigen, einer Kokosnuss (auf die Opa immer ganz wild war) und manchmal auch Spielzeug.

Später gab sogar Pelzmärteltage die in Gelächter endeten. Einmal zum Beispiel spielte uns ein Kollege von unserem Vater den „Bulzer“, wie er bei uns auch genannt wird. Er versuchte besonders Ehrfrucht erheischend aufzutreten, verstellte seine Stimme zu einem tiefen Bass und rollte mit den Augen... Bis ihm der Bart vom Kinn rutschte, und wir alle johlten vor Vergnügen.

Einmal kam einer, vor dem versteckte sich Vater im Spaß unter der Eckbank. Der Pelzmärtel jenes Jahres fischte nach ihm mit der Rundung seines Spazierstockes, bis er ihn dann am Wickel hatte und wieder von dort hervorholte. Zunächst waren wir natürlich ganz erschrocken, aber dann begannen der Pelzmärtel und Papa schallend zu lachen, und wir merkten, daß alles ein Jux war. Der Bulzer war ein Kumpel von Vater und alles ein abgekartetes Spiel um uns zu verdutzen.

Ein anderes Mal musste unser Vater von einem Tag auf den nächsten ins Krankenhaus, weil er eine schwere Blinddarmentzündung hatte. So konnte er sich nicht um einen Pelzmärtel-„Darsteller“ kümmern. Da entschied sich unsere Großmutter kurzfristig, diesen Part zu übernehmen. Sie machte ihren Job ganz toll… trat mit donnernder Stimme auf und war ein ganz mächtiger Geselle, wie es schien, bis sie dann den Sack ausgeleert hatte und darin auch ein Pullover für mich war, den sie dann mit ihrer eigenen Stimme kommentierte: „Des wor a ganz günsdichs Schnäpplä. Asu billich und däfüä a nu a dankbors Schdöffla“.
Danach hatten wir dann endgültig den Respekt vor dem „Bulzer“ verloren.

Der nächste, der dann kam und von uns ein Lied wollte, wurde von meinem Bruder und mir mit „Lamberts Nachtlokal“ besungen.

„Kennst Du Lamberts Nachtlokal. Jeder tanzt dort gerne mal….“ Und als wir dann bei „Dort tanzen die Matrosen mit ihren Hosen. Was die da alles machen, das sind Sachen!“ intonierten, wurde es dem recht verdatterten Pelzmärtel auch zu viel.

Seither widmen wir uns den kulinarischen Aspekten des Tages, schlemmen Martinsganz, schlürfen Glühwein und knappern Plätzchen.

Das Schönste an dem Tag bis heute sind aber die Erinnerungen daran, wie einst der Pelzmärtel noch aus dem Wald kam, und wir uns noch ein wenig vor ihm fürchteten.

© Barbara BaLo* Lorenz, 11/2004

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