Harald Haider

Wenn Rosen verwelken (Teil 1)

1.SUSAN



MITTWOCH, 16.Mai 2001

"Können wir uns irgendwo treffen?" Susan wurde richtig warm ums Herz, als diese Frage im kleinen Chatmenü am Monitor ihres neuen PC erschien. Ihr Chatpartner hat sie ihr gerade geschickt. Sie hatte darauf schon längere Zeit gewartet. Auch, wenn ihre Mutter sicher Bedenken hätte, sie wollte ihn wirklich persönlich sehen, mit ihm Gesicht zu Gesicht sprechen und natürlich auch miteinander flirten. "Nichts, was ich lieber täte", tippte sie als Antwort in die Tastatur. Wo er sich wohl mit ihr treffen wollte? Wie würde das Treffen mit ihm verlaufen? Susan malte sich schon die schönsten und romantischsten Erlebnisse aus, als auf dem Bildschirm eine neue Nachricht von ihrem neuen Schwarm erschien. "Wie wär's diesen Samstag?" "Diesen Samstag wäre es ideal", schrieb Susan zurück. "Sehr gut, wie wär's um 22 Uhr in der 'Trance Town'?" Die 'Trance Town' war eine der angesagtesten Diskotheken der Stadt. Susan war schon öfters mit ihrer Freundin dort gewesen. "Ok, ich werde pünktlich sein... ich kann es kaum noch erwarten, bis wir uns endlich sehen!" "Geht mir genauso", antwortete ihr Chatfreund. "Also, bis Samstag. Habe dich wahnsinnig gern. Bye!"
"Bye", verabschiedete sich Susan. Sie hatte 'Angel021' vor einigen Wochen im Chat kennen gelernt und sich sofort mit ihm ausgezeichnet verstanden, und je öfter sie mit ihm chattete, desto mehr empfand sie für ihn und er ihrem Gefühl nach ebenso viel für sie. Er hatte so eine charmante Art, zeigte viel Humor und schmiss nur so mit Komplimenten um sich. Seiner Beschreibung nach hatte er schwarze, lockige Haare, schöne dunkle Augen und einen muskulösen Körper. 'Angel021' war 1,88m groß, wog 87 kg und hatte einen südländischen Teint. Sein wirklicher Name war Brian und er wohnte wie sie in Arlington, einer Stadt südlich von Dallas im Bundesstaat Texas. Susan seufzte, als sie wieder an ihn dachte. Empfand er wirklich genauso viel für sie wie Susan für ihn? Wenn es doch schon Samstag wäre. So hieß es für Susan noch drei Tage und drei Nächte auf ihren Schwarm zu warten. Der Ruf ihrer Mutter weckte Susan aus ihren Gedanken. "Sue, es ist schon fast elf Uhr. Du hast doch morgen einen wichtigen Test, da musst du doch ausgeschlafen sein! Leg' dich ins Bett!" rief sie aus dem Badezimmer. "Mum, ich gehe gleich, muss nur noch die Schulsachen für morgen zusammenpacken." Susan schnappte sich ihren Schulrucksack und verstaute darin ihre Lernunterlagen.
Sie besuchte im Moment die dritte Klasse des Arlington College und sie musste zugeben, dass es ihr bis jetzt entscheidend besser geht, als sie erwartet hatte. Sie braucht, wenn sie während des Unterrichts aufpasst, nach der Schule nur die wichtigsten Themen noch mal wiederholen und dann saß der Stoff meistens fest in Susans Kopf. Am nächsten Tag hatte sie tatsächlich einen Test, und zwar in Physik, was für sie der ärgste Schulgegenstand überhaupt war, 1. war das Fach uröde und 2. fanden alle Schüler den alten Professor Baxter, der ihr Physiklehrer war, zum Kotzen. Aber was soll's, diese eine Stunde würdet auch vorüber gehen und gelernt habe ich auch genug dafür, dachte sich Susan. Ihr konnte kaum noch jemand ihre gute Laune verderben. Sie freute sich einfach schon zu sehr auf Brian alias 'Angel021'. Sie schmiss den Rucksack in die Ecke und trat anschließend aus ihrem Zimmer und ging ins Badezimmer, wo sich ihre Mutter gerade die Haare abtrocknete. "Und, hast du wieder gechattet?" fragte sie Susan. "Ja, habe ich, und zwar mit einem sehr süßen Jungen", antwortete Susan keck. "Sicher wieder mit dem, über den du dauernd schwärmst, stimmts?" konterte ihre Mutter. "Richtig, na und? Er ist sehr charmant und respektiert mich." Jackie Thompson schüttelte ihren Kopf. Susan und die Jungen. Bis jetzt hatte sie leider noch nicht sehr viel Glück mit dem anderen Geschlecht gehabt. Die meisten Jungen nützten Susan nur aus und hielten nichts von einer festen Beziehung. Susan, die sowieso eine sehr sensible Person war, brach das immer fast das Herz, wenn ihr ein Junge wieder einen Korb gab. Seit ihre Tochter diesen neuen Chatfreund kennengelernt hat, schwärmte sie fast jeden Tag von ihm. Hoffentlich steigerte sich ihre Tochter nicht allzu sehr in diese neue Bekanntschaft hinein, denn es konnte ja leicht möglich sein, dass dieser angeblich soooo süße Typ gar nicht soooo süß ist und Susan ausnützt wie alle anderen Jungs, die sie bisher hatte. In diesem Fall würde Sue wieder voll deprimiert sein und sich wieder wochenlang i! n ihr Zimmer verkraulen. Aber es würde wahrscheinlich sowieso nichts mit ihrer Tochter und diesem Typen werden. Wer weiß, vielleicht kommt er aus dem verregneten Chicago oder dem sonnigen Florida. Es wäre schon ein sehr großer Zufall, wenn ihr neuer Schwarm aus der Gegend käme. Sie konnte ja nicht ahnen, wie falsch sie mit dieser Theorie lag.
"Mum?" Susans Stimme riss sie aus ihren Gedanken. "Äh... was?" "Du bist so abwesend ... über was hast du nachgedacht?" fragte ihre Tochter besorgt. "...nichts wichtiges, mein Schatz... komm, putz' dir noch die Zähne und dann ab in die Heia!" "Mum, ich bin doch kein kleines Mädchen mehr, aber... du hast ja recht...", Susan machte einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass es schon zehn Minuten vor elf war, "es ist doch schon ziemlich spät." Sie holte ihre orange Zahnbürste aus dem gleichfarbigen Zahnputzbecher hervor und drückte sich etwas von der minzefarbenen Zahnpaste darauf. "Ok, dann gute Nacht, Sue!" sagte ihre Mutter und musste kurz darauf vor Müdigkeit gähnen. "Dir auch, Mum, gute Nacht!" antwortete Sue etwas unverständlich, während sie mit der Zahnbürste im Mund umherfuhr.
Jackie Thompson verließ das Badezimmer und ging ins Schlafzimmer. Kurz darauf war auch Susan fertig und drehte noch das Licht des Badezimmers ab, bevor sie sich in ihr Zimmer begab, um sich auch endlich ins Bett zu legen. Da fiel ihr Blick auf den Monitor ihres PC, den sie vergessen hatte, herunterzufahren. Unten im linken Eck blinkte die Nachricht auf, dass Sue eine neue E-Mail bekommen hat. Voller Neugier klickte Susan mit dem Mauspfeil darauf und wenige Augenblicke darauf öffnete sich ein kleines Fenster. Die Nachricht war von 'Angel021'. In der Mitte des Fensters war eine rote Rose zu sehen und darunter stand:

'Für meine schöne Rose, Susan! Ich kann Dich einfach nicht vergessen!
P.S.: Bis Samstag beim 'Trance Town'!'

Sue schmolz beim Lesen förmlich dahin. Brian alias 'Angel021' war aller Ansicht nach wirklich ein ganz besonderer Junge, nicht so wie die in ihrer Schule. Er konnte so charmant sein, ihre beste Freundin Rebecca würde zwar so etwas wie dieses Mail kitschig und 'zu schön um wahr zu sein' finden, aber für Susan war es das Größte. Während sie ihren PC herunterfuhr, musste sie wieder seufzen. Dann schlüpfte sie geschwind unter die Bettdecke und legte sich mit ihrem Kopf entspannt auf die kuscheligen Polster. Wenn doch schon Samstag wäre, dachte sie. Sie sah noch einige Minuten an die Decke und dachte noch lange an ihn, bis sie schließlich kurz vor halb zwölf in einen tiefen und friedlichen Schlaf versank.


SAMSTAG, 19.Mai 2001

Die nächsten Tage vergingen schneller, als Susan befürchtet hatte. Der Physiktest musste verschoben werden, weil Professor Baxter erkrankt war und erst wieder die Woche darauf zum Unterricht erscheinen würde. Auch sonst gab es nichts Aufregendes. Einmal ertappte sich Sue dabei, wie sie so nebenbei auf ihren Notizblock ein großes Herz und hinein in Blockbuchstaben 'Brian" kritzelte. Dann war es soweit, es war Samstag. Susan war schon um neun Uhr früh, als sie aufstand, total aufgeregt. Diesen Abend würde sie den süßesten Boy treffen, den sie je kennen gelernt hatte. Noch einmal dachte sie an das Mail von ihm und schmunzelte gleich wieder. Kein einziger Freund, den sie bisher hatte, gab ihr so viele Komplimente wie er. Er war für sie etwas ganz besonderes geworden, einer, auf den man zählen konnte, in guten und in schlechten Zeiten, einer, der sie in den Arm nahm, wenn sie einmal traurig ist und der mit ihr lacht, wenn sie gut drauf ist. So stellte sie sich ihn vor. So musste Brian einfach sein. Er musste ein Junge mit einem sehr guten Charakter sein, dem man sein Herz ausschütten kann, der ein Mädchen immer respektiert und immer hinter ihr steht, wenn man ihn braucht. Ja, Brian, heute Abend ist es soweit. Endlich. Susan machte noch ihr Bett und ging runter in die Küche, wo ihre Mutter schon eifrig das Frühstück machte. "Guten Morgen, Sue", wurde sie von ihr freundlich begrüßt. "Gut geschlafen ?" "Ausgezeichnet, Mum, danke der Nachfrage." "Äh... Mum, heute gehe ich mit Becki fort, ok ? " Susan konnte ihrer Mutter nichts von ihrem Treffen mit Brian sagen, noch nicht. Was Jungen betraf, wollte Jackie Thompson immer, dass Sue sie erst richtig kennen lernen sollte, bevor sie mit ihnen fortginge, und wenn sie wüsste, dass ihre Tochter diesen Abend ein heißes Date mit ihren süßen Chatfreund hat, den sie ja noch nie gesehen hatte, sie würde es ihr unter keinen Umständen erlauben. Ja, Mum würde es schon noch früh genug erfahren, wenn es dann mit Brian klappt...nein, es musste einfach klappen. Nachdem Sue genüsslic! h ein Käsebrötchen verdrückt hatte, trank sie noch den Rest des Kaffees aus der Tasse und fragte: "Und, Mum, darf ich heute mit Becki fortgehen?" "Sicher, aber komm mir ja wieder wohl behalten nach Hause, ok?" "Versprochen, danke, Mum!"
Doch dieses Versprechen wird sie nie einhalten, Sue wird an diesem Abend nicht mehr nach Hause zurückkommen.

Es war kurz vor sieben Uhr abends, als Susans Handy piepste. "Hallo Sue", schrillte eine laute Stimme durch den Lautsprecher. "Hi Becki!" "Sue, hast Du heute Abend Lust mit mir ins Kino zu gehen, der neue Film mit Brad Pitt, "Ocean's Eleven", würde mich sehr reizen, Dich nicht?" "Ah, Becki, heute Abend geht es leider nicht...ich hab schon was vor..." "Wie heißt er?" Rebecca Wilson war schon seit mehr as acht Jahren Sue's Freundin und wusste sofort, wenn was los war. Becki besucht wie Sue das städtische College, sie sind aber in verschiedenen Klassen. Trotzdem hören sie so gut wie jeden Tag voneinander. Bei Susan und ihr war es so, dass sie fast ausschließlich zusammen fortgingen, außer...ja, außer, es waren Männer im Spiel.
"Brian, Brian ist sein Name", war Susans überraschte Antwort. Becki kannte sie echt schon viel besser, als sie dachte. "Und wie hast Du ihn kennen gelernt?" "Ich glaube, das war einfach nur Schicksal!" "Schicksal? Und was werdet ihr zwei Turteltäubchen heute noch unternehmen?" "Wir treffen uns beim "Trance Town", dann werden wir weitersehen...ha ha ha!" Rebecca freute sich mit Susan mit. Hoffentlich war dieser Brian wirklich das wert. "Dann viel Spaß, Sue!" "Tut mir leid!" "Ah, macht doch nichts, Brad Pitt und George Clooney werden uns schon nicht davonlaufen, oder? Dann schauen wir uns denn Film eben nächste Woche an, oder?" "Genau, also... ich rufe Dich morgen in der Früh sofort an und berichte Dir alles über ihn!" Susan war echt froh, dass ihre Freundin so verständnisvoll war und sich mit ihr mitfreute. "Ich habe nämlich das Gefühl, dass das der Richtige ist, weißt Du, Becki?" "Toi, toi, toi, freut mich, dass Du so happy bist... und ich warte auf Deinen Anruf. Ciao!" "Ciao, schönen Abend noch!" Susan legte das Handy wieder auf ihren Schreibtisch und schritt rüber zum Kleiderschrank. Was sollte Sue heute Abend anziehen? Es musste was besonderes sein, weil es ja auch ein ganz besonderer Abend war. Ihr Blick fiel einen kurzen Blick auf den Spiegel, der an der Innenseite des Schranks befestigt war. Sie musterte ihr Gesicht. Wie würde sie Brian gefallen? Sie hatte ihm zwar eine kurze Beschreibung von ihr gegeben, aber wie stellte er sich sie vor? Lange schwarze Haare, dunkelgrüne Augen, 1,71m, schlanke Figur... so ungefähr hatte sie sich ihm im Chat vorgestellt. Nachdem sie sich noch einmal kurz im Spiegel ansah, stürzte sie wieder über ihre Kleider.

Während sich Susan für 'ihren' Brian rausputzte, trat ein Mann mit einem schwarzen Trenchcoat, den er sich bis zum Hals zugemacht hatte und der für diese Jahreszeit viel zu heiß und unpassend war, in die sehr beliebte Diskothek 'Trance Town'. Er musterte das Innenleben des Gebäudes. Um diese Zeit waren noch kaum Besucher da, nur einige Mitarbeiter bereiteten sich schon auf eine heiße Nacht vor. Selbstbewusst, aber trotzdem misstrauisch und vorsichtig schritt er zur Bar und stützte sich an die Theke. "Kann ich Ihnen helfen?" Der Barkeeper hatte die Gestalt gleich gesehen und trat zu ihm. "Ah... ja, ich hätte eine Bitte, könnten Sie diese Nachricht diesem Mädchen geben", der seltsame Mann im Trenchcoat gab dem Mitarbeiter ein Kuvert und zeigte ihm ein Foto, "sie wird so um 10 Uhr kommen." "Kein Problem, wenn ich sie bei all den Leuten nicht übersehe, gern. Soll ich ihr sonst was ausrichten?" "Nein...doch, sagen Sie ihr, dass ich sie schon schrecklich vermisse und schon auf sie warte, ok?" "Ah, ihre Freundin! Ok, wird gemacht!" Der Mann nahm eine Geldbörse aus der linken Seitentasche des Trenchcoats und nahm einen 10-Dollar-Schein heraus. "Da, danke im Voraus, damit sie mein Mädchen nicht übersehen. Ich hoffe, sie sind verlässlich." "Ich bin immer verlässlich!" konterte der Barkeeper und schnappte sich den Geldschein. "Ok, danke für ihre Hilfe." Der Mann im Trenchcoat drehte sich von der Theke weg und verließ mit schnellen Schritten den Raum. Der Barkeeper schaute ihm kopfschüttelnd nach. Verrückter Kerl, dachte er sich und er lag damit nicht einmal falsch.
Der seltsame Mann blieb kurz vor dem 'Trance Town' stehen, dann drehte er sich nach links und ging die Strasse hinunter. Zwei Ecken weiter stand ein älterer Ford, dessen beste Zeiten schon lange vorbei waren. Überall blitzten große grässliche Rostflecken durch den blauen Lack. Der Mann schritt zur Fahrertür und stieg ein. Da blieb er einige Minuten einfach sitzen und blickte ins Leere. Dann zog er das Foto, das er dem Barkeeper gezeigt hatte, aus der rechten Jackentasche. Er sah es sich lange an und flüsterte anschließend vor sich hin: "Susan, bald gehörst Du mir, bald...."

Nach langem Überlegen und Umherprobieren hatte Susan die Wahl getroffen. Sie stand im Badezimmer und sah sich zufrieden in den Spiegel. So, Brian, ich bin bereit! Selbstbewusst schnappte sie sich ihre Handtasche und schritt runter ins Erdgeschoss. Ihre Mutter sah sich gerade 'Emergency Room' an, welche eine ihrer Lieblingssendungen war, als Sue das Zimmer betrat. "Ah, Sue, gehst Du schon?" "Ja,...hmm...Mum?" "Was ist?" "Mum, könnte ich Deinen Wagen nehmen? Beckis Auto ist gerade in der Werkstatt, etwas mit den Bremsen ist nicht in Ordnung. Jetzt hat sie gefragt, ob ich fahren könnte." "Na gut, aber passt auf, ok?" Ihre Mutter stimmte widerwillig zu, obwohl sie ein schlechtes Gefühl hatte. "Schaut, dass ihr so bald wie möglich wieder zurückkommt." "Ja, Mum, mach Dir keine Sorgen...und danke noch mal! Ciao!!!" "Viel Spaß, Sue! Tschüß!" Sue verließ das Haus und schritt zum in der Auffahrt geparkten Wagen ihrer Mutter, einem Toyota Corolla. Obwohl sie schon seit knapp zwei Jahren den Führerschein hatte, besaß sie noch kein eigenes Auto. Sie wollte das Geld zuerst in ihr Philosophiestudium stecken. Mit gemischten Gefühlen saß sie im Wagen und steuerte in durch die Nachbarschaft. Sie musste wieder ihre Mutter anlügen. Wenn die wüsste, dass Becki statt bei ihr im Wagen wahrscheinlich daheim in ihrem Zimmer auf dem Bett lag, mit einer Packung frischer Popcorn in der Hand und sich einen romantischen Film reinzog. Susan war es gar nicht recht, wenn sie ihre Mutter anlügen musste, aber dieses Mal, dass fühlte sie, war es richtig.
Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Es war zwanzig nach neun. Sie würde noch ungefähr weitere zwanzig Minuten bis zur 'Trance Town' brauchen. Sie drückte flink einige Tasten beim CD-Player und kurz darauf erfüllte "Angel" von Shaggy die Nacht. Susan sang leise mit: 'You're my angel, you're my darling angel...'. Ja, Brian war ihr Engel und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie ihm endlich begegnet. Ihrem (Todes)Engel...

Etwas früher als geplant kam Susan bei der Disco an. Sie suchte sich einen in der Nähe gelegenen Parkplatz, was trotz der noch frühen Zeit ein schon schwieriges Unterfangen war. Nachdem sie einige Minuten umhergefahren war, entdeckte sie einen Platz, der direkt an der linken Seite vom 'Trance Town' lag. Susan stieg aus, schloss ab und ging gemütlich zum Eingang. An diesem Maiabend war es noch ziemlich mild, darum fror sie in ihrem Kleid nicht. Gleich nachdem sie das Gebäude betreten hatte, sah sie sich um. War er schon da? Und wenn ja, wo? Das 'Trance Town' war für die Jugend von Arlington der beliebteste Treffpunkt, wenn man Spaß und Abwechslung haben wollte. Zwar war die Diskothek vor wenigen Monaten negativ in den Schlagzeilen gewesen, weil ein Wahnsinniger mit einer Spritze bewaffnet, unschuldige Besucher stach. Angst davor, auch ein Opfer dieses Idioten und mit irgendwas infiziert zu werden, hielten sich viele Jugendliche die nächsten Wochenenden von der "Trance Town" fern, bis schließlich vor knapp drei Wochen der Täter geschnappt wurde. Zum Glück hatte er nur normales Wasser in den Spritzen gehabt und kein giftiges Mittel und der Verrückte verwendete keine Spritze ein zweites Mal. So konnte man sicher sein, dass kein Opfer mit dem HIV-Virus infiziert wurde. Angesprochen darauf, warum er das gemacht hat, sagte der "Disko-Schreck", wie er schon genannt wurde, nur lässig, dass ihm langweilig war und ein wenig ,Action' erzeugen wollte. Kaum war der Fall gelöst und die Spritzenangriffe beendet, strömten auch die Besucher wieder in Scharen in die Diskothek. Auch Susan war einige Zeit nicht mehr in der "Trance Town" gewesen. Sicherheitshalber. Das schon recht aufgeregte Mädchen drängte sich bei den vielen Jugendlichen vorbei. Fasziniert blickte sie durch die Disco. Die Architekten und Planer hatten wirklich ganze Arbeit geleistet, als sie das "Trance Town" vor einigen Jahren zum Leben erweckten. Die Innenräume waren in tiefen Blautönen gehalten, was eine besondere Atmosphäre hervorrief. Es sollte das Leb! en unter Wasser symbolisieren. An der Wand hing ein riesiges Haimodell, ein großer Rochen war an der Decke befestigt und an den Wänden waren große Luftblassen, Quallen und Algen aufgemalt. Susan schritt mit einem Ohr die Rhythmen von "Redemption" ,gemixt von DJ Lerby, horchend, an der Bar vorbei, als eine Stimme ertönte: "Halt! Warte!" Sie fuhr herum. Der Barkeeper, ein kleinerer Typ mit blonden in die Höhe gegelten Haaren, hatte ihr nachgeschrieen. Fast hätte er Susan bei den vielen Leuten übersehen. Sie trat erstaunt zu ihm. "Ja, bitte? Hast du mir gerufen?" "Jetzt hätte ich dich fast übersehen! Eine Nachricht wurde für dich abgegeben...hier!" Der Barkeeper gab ihr ein Kuvert. Susan war total baff. Dann erstarrte ihr Blick. Diese Nachricht musste von IHM sein, Brian, er hatte ihr einen Korb gegeben, sicher, so musste es sein! Sie öffnete mit zittrigen Händen den Umschlag und nahm einen kleinen Zettel heraus.

Liebe Susan!

Mir waren hier zu viele Leute. Ich fände es viel netter, wenn wir zwei einen schönen Spaziergang durch die Stadt machen würden, reden, über uns.
Ich hoffe, Du bist jetzt nicht enttäuscht, aber ich will Dich nicht mit allen anderen in dieser Disco teilen, ich möchte einen romantischen Abend mit Dir verbringen.
Wenn Du meine Gefühle teilst, dann komm zu mir.
Ich warte vor dem Stadtpark auf Dich!

Brian

P.S.: Ich habe Dich wahnsinnig gern!

Susan atmete tief durch. Zum Glück, es war kein Korb! Einerseits teilte sie seine Gedanken mit ihm, andererseits fühlte sie sich irgendwie unwohl. Sollte sie seiner Mitteilung folgen oder doch besser hier bleiben? Jetzt hatte sie sich schon so lange auf diesen Moment gefreut, nein, heute Nacht musste sie ihn sehen, auch wenn es mitten in der Nacht im Park geschieht. Ja, sie würde ihrem Gefühl folgen. Sie wollte gerade gehen, als ihr der Barkeeper noch nachrief: "He, ich soll dir noch ausrichten, dass dein Freund dich schon schrecklich vermisst und schon auf dich wartet!" Susan musste grinsen, als sie das hörte. 'Dein Freund' sagte der Barkeeper. Ja, schön wär's, dachte Sue. Sie blickte noch mal durch die Runde und verließ in raschen Schritten die Disco. Vor dem Gebäude fragte sie sich, ob sie zu Fuß zum Park gehen oder den Wagen nehmen sollte.
Sie entschied sich wegen der noch milden Temperaturen und des kurzen Fußwegs von knapp 5 Minuten für Ersteres. Obwohl die Strassen gut beleuchtet und noch einige Personen unterwegs waren, war Susan nicht ganz geheuer. Sie hatte so ein mulmiges Gefühl in der Bauchgegend. Wenn sie doch schon bei Brian wäre.

Da ist sie, meine Rose. Meine wunderschöne Rose. Und jetzt gehört sie bald mir. Mir allein. Die Gedanken kreisten wild durch den Kopf des Mannes in dem Trenchcoat, der sein rostiges Auto schon vor einer Stunde verlassen hatte und nun hinter einem Baum knapp zwanzig, fünfundzwanzig Meter vom Parkeingang entfernt, kauerte. Er beobachtete sie mit Lust. Ihr schöner Körper kam durch das enge schwarze Kleid, welches ihr bis zu den Knien ging, noch mehr zur Geltung. Ihr schwarzes Haar schimmerte im Licht der Straßenlaterne. Ihr schien ein wenig kalt zu sein, weil sie hatte ihre Arme verschränkt und ging vor dem Parktor auf und ab. Der Mann senkte seinen Blick und verschwand leise hinter den nahe gelegenen Büschen.

Wo war er nur? Wartete Brian vielleicht am anderen Eingang auf der anderen Seite des Parks?
Nein, er würde sicher gleich kommen. Susan stand unter einer Straßenlaterne direkt vor dem Haupteingang des Stadtparks. In den letzten Minuten war es schon etwas kühler geworden, ein leichter Wind zog durch die Straßen. Sue fröstelte ein wenig. Damit ihr warm blieb, ging sie einige Schritte hin und her. Sie machte einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war schon fast eine Viertelstunde nach zehn. Wo blieb er nur? Susan wurde ein wenig nervös. Da schrieb er in der Nachricht, die sie vom Barkeeper bekommen hatte, dass er schon auf sie wartet und nun war er nicht da. Männer! Man kann sich nicht auf sie verlassen.

Der Mann im Trenchcoat hatte sich auf die Lauer gelegt. Bald würde er zuschlagen. Es dauert nicht mehr lange. Er zog ein weiteres Mal das Foto von Susan aus der Tasche. Er hatte es vor der Schule geschossen, die Sue besuchte. Er hatte damals in seinem Wagen gesessen und begierig das unschuldig wirkende Mädchen beobachtet. Durch Zufall kam er an ihren Nickname- sie nannte sich BlackGirl2000- suchte sie im heimischen Chatroom und sprach sie gleich an. Nach und nach fing sie an, etwas für ihn zu empfinden. Auch auf die Frage nach einem Treffen stimmte sie sofort zu. Er hatte es geschafft, sie hierher zu locken. Sie wartete auf 'Brian'. Brian. In Wirklichkeit hieß der Mann im Trenchcoat Paul und war seit mehr als einem halben Jahr arbeitslos. Viele Leute meinten, er sei verrückt, nicht mal er selbst wusste, ob da nicht doch etwas Wahres dran war. Er wusste nur eins, dieses Mädchen da vorne unter der Straßenlaterne, dieses hübsche Mädchen, würde gleich SEIN Mädchen sein. Das wusste er ganz sicher...

Es war nun schon zwanzig nach zehn. Susan wurde langsam ungeduldig. Will mich dieser Typ nur verarschen? Na toll, es wäre wirklich zu schön gewesen. So, fünf Minuten gebe ich ihm noch, aber wenn er bis dann nicht hier ist, dann fahre ich zurück und besuche noch Becki. Wäre sie doch mit ihr ins Kino gefahren, das wäre sicher amüsanter gewesen als mitten in der Nacht an der Strasse zu stehen und auf ihren 'Traummann' zu warten, der sowieso nicht zu kommen schien. Sue nahm den Zettel mit der Nachricht von Brian aus ihrer Handtasche. Sie überflog ihn noch einmal. Es konnte nur dieser Park sein, in Arlington gab es nur einen Park. Diesen Park. Und der war um diese Uhrzeit doch schon ziemlich unheimlich. Die großen Eichen und Trauerweiden wirkten im Dunkeln wie riesige unreale Ungeheuer. Die Blätter rauschten im frischen Sommernachtwind. Aber das Beängstigenste für Susan waren die Schatten. Schatten, überall Schatten. Fremde Umrisse und Figuren, die sie nicht identifizieren konnte. Sie führte ihren beunruhigten Blick Richtung Parkeingang. Der steinige Weg, der in das Zentrum des Areals hineinführte, verschwand im Nichts, im Dunkel der Nacht. Nein, es ist genug! Ich gehe! Enttäuscht wollte sie sich gerade auf den Rückweg zum 'Trance Town' machen, als sie ein Geräusch aus dem Inneren des Parkgeländes vernahm. "Brian? Bist Du das?" Susan war verwirrt. "Brian, wenn Du das bist, komm heraus...hallo?" Nichts regte sich. Dann plötzlich ein Räuspern, kaum fünfzehn Meter von ihr entfernt. Obwohl ein Teil von Sue total verängstigt war, glaubte der andere Teil, Brian, auf den sie so lange gewartet hat, wäre im Park. Vielleicht hatte er tatsächlich am anderen Ende des Geländes auf sie gewartet und war jetzt durch den Park herübergekommen. Susan machte kleine Schritte nach vorne. Sie stellte fest, dass sie bereits einige Meter im Inneren des Parks stand. "Brian?" kam ein leises Rufen aus ihrem Mund. Sie machte noch ein paar Schritte nach vorne. Vielleicht hatten ihr nur die Nerven einen Streich gespielt. Ja, das muss es wo! hl gewesen sein. Leider. Nichts wurde aus ihrem Date. Mit der Tatsache, Brian heute nicht mehr zu treffen, wollte sie sich wieder auf den Weg aus dem Park machen. Doch als sie sich umdrehte, stand er da. Ein Mann in langem schwarzen Trenchcoat, den er sich so weit zugemacht hatte, das man sein Gesicht kaum erkennen konnte. Sue stand wie angewurzelt da. Sie war starr vor Angst. "Hallo, Susan!" flüsterte der Mann. Brian? War das Brian? "Brian? Bist du Brian?" kam es stotternd aus Susan 's Mund. "Nein, ich bin nicht Brian...es gibt keinen Brian...." antwortete der seltsame Mann mit einem unheimlichen Unterton. Endlich wach Sue aus ihrer Erstarrung auf. Sie rannte so schnell sie konnte davon. Weiter, weiter hinein ..immer weiter hinein in den Park...sie musste zum anderen Ausgang kommen. Oh Gott!!! "Sussaaann!" hörte sie die Stimme des Mannes hinter sich. Sie musste schneller sein...So schnell es ging, zog sie sich im Weiterlaufen ihre hochhackigen Schuhe aus, warf sie hinter sich und lief barfuss weiter. Tränen liefen über ihr Gesicht. Warum? Was wollte der Mann von ihr? "Sussaannnnn! Gleiiich gehööööörst Duu miiiirr!" schrillte seine unheimliche Stimme durch das Dickicht der Bäume. "Miiir allleinnn..!!!" Sue rannte weiter, immer weiter durch den matschigen Weg, der noch total durchweicht vom gestrigen Regenschauer war. Ein paar mal rutschte sie beinahe aus, so glitschig war der Boden unter ihren bloßen Füssen. Sie hatte nun schon knapp die Hälfte des Weges geschafft. Die Geräusche hinter ihr waren verstummt. Keine Laufschritte, kein unheimliches Schreien. Susan zwang sich einen kurzen Blick hinter sich zu werfen. Niemand war hinter ihr. Alles rund um sie herum war ruhig. Sie wurde langsamer. Wo war er? Hatte er aufgegeben? Sie drehte sich im Kreis, blickte durch die Dunkelheit. Sie horchte auf jedes Geräusch. Sie schien ihn abgehängt zu haben. Susan atmete tief durch. Ihr Herz pochte laut in der stillen Finsternis. So, jetzt nur schnell weg von diesem in der Nacht sehr unheimlichen Ort, raus aus dem Stadtp! ark. Sue wollte sich nur noch kurz vergewissern, ob der seltsame Typ doch nicht mehr hinter ihr her war. Woher hatte er ihren Namen gekannt? War er Brian? Wenn nicht, wer war es dann beziehungsweise wo war dann Brian? Was wollte er von ihr? Fragen über Fragen kreisten durch ihren Kopf. Sie konnte sich in ihrem Schockzustand kein rechtes Bild machen. Zu überraschend, erschreckend, Angst einflößend war dieses Erlebnis und Susan wollte nun nur noch eins: Heim zu ihrer Mutter, in ihre Arme. Während sie noch ein letztes Mal zurück durch die Bäume starrte, sprang der Mann rechts von ihr aus dem Gestrüpp. Er musste sich geschickt und leise von der Seite aus angeschlichen haben. Susan schrie auf, doch der Mann hatte sie durch seine Wucht zu Boden geworfen. Ihr flog ihre Handtasche aus der Hand ins Gras. Der Mann legte sich auf sie und fing damit an, seine Hose zu öffnen. Noch während Susan vor Angst wimmerte, begann er das hilflose Mädchen zu vergewaltigen. Neinnn, nein, warum? Susan hatte Todesängste. Würde sie jemals wieder ihre Eltern sehen? Was würde dieser unheimliche Kerl mit ihr machen, nachdem er mit ihr fertig war? Sie fing an zu schluchzen, leise vor sich hin zu weinen. Mum, Dad ...helft mir....Sue verließen die Kräfte. Ihr wurde schwarz vor den Augen. Auf einmal stand der Mann auf, grinste das Mädchen an und kniete sich vor sie hin. Er drückte sie mit der rechten Hand nieder und griff mit der anderen in die Seitentasche seines Trenchcoats. Sue sah mit Entsetzen, wie der Mann ein Messer herausnahm. "Hilfe!Hiiiiiiillllllllfffffffeeee !!!!" Das Mädchen schrie, schrie immer weiter, während ihr die Tränen ihre Wangen runterkullerten. "Aaauuuuuuuu!!!" Susan schrie auf, als der Mann ihr das erste Mal das Messer in die Rippen bohrte. "Hab keine Angst, gleich ist es vorbei....meine Rose." Als der Mann das sagte, wusste Susan, mit diesem Psychopaten hatte sie geflirtet, ihr Herz ausgeschüttet, sie hatte sich in ihn verknallt, ohne ihn ein einziges Mal gesehen zu haben, sie hielt ihn für den perfekten Freund....! sie hatte sich geirrt. Und sie wusste noch was...sie würde NIE wieder ihre Eltern sehen, NIE wieder. Außer... sie nehme noch ein letztes Mal alle ihre Kräfte zusammen und würde versuchen, ihrem sicheren Tod zu entkommen. Ja, sie musste sich zur Wehr setzen. Susan wartete einen kurzen unachtsamen Moment des psychopathischen Mannes ab, stützte sich vom Boden ab und versetzte dem Vergewaltiger mit ihrem rechten Knie einen starken Tritt in die Magengegend. Dann kratzte sie ihn in die linke Hand, was tiefe Wunden hinterließ. Er reagierte sehr überrascht, doch bevor es Sue schaffte, sich vom nassen Gras aufzurappeln, war er wieder voll bei Sinnen, wütend über die Widersetzungskraft seines Opfers. Er knallte ihr mit seiner linken Hand voll in ihr Gesicht. Susan sackte zusammen. Sie röchelte leise nach ihren Eltern, wissend dass es nun wohl endgültig vorbei war. "Böse Göre! Das war nicht gut!" Der Mann im Trenchcoat griff sich kurz an die schmerzende Magengegend. Hätte ich mich nicht gewehrt, vielleicht...ja, vielleicht hätte er mich dann gehen lassen...aber nun...Ein weiterer Stich in den Unterleib beendeten ihre Gedanken. Noch ein letztes Mal bäumte sie sich auf, versuchte diesem Angriff zu entkommen, doch der Mann hockte direkt über ihr und setzte zu seinem finalen Stoss an. Ein letztes Mal drang ein schon durch das Blut im Munde des Mädchens gedämpftes Hilfeschreien durch die Nacht, bevor es wieder still wurde. Der Mann beugte sich zufriedengestellt über sein Opfer, mit seinen Fingern prüfte er den Puls von Sue. Kein Puls. Der dritte Stich, der genau ins Herz getroffen hatte, beendete Sue's Leben. "Susan, schau, es ist vorbei!" sagte er in die Nacht hinaus. Er griff in ein weiteres Mal in die Seitentasche und holte etwas heraus. Das legte er auf den mit Blut besudelten Oberkörper des Mädchens. Dann sah er sie ein letztes Mal an, bevor er in der Dunkelheit der Bäume verschwand. Die Leiche von Susan lag im matschigen Boden, voller Blut. Auf ihrem Kleid lag eine verwelkte Rose. Ihre (Lebens-)Zeit war abgelaufen! ...















2.SPUREN





SONNTAG, 20.Mai 2001

Es war kurz nach 7 Uhr morgens, als Inspektor Dumont am Stadtpark von Arlington ankam. Er war schon zeitig aus dem Schlaf geweckt worden, weil es einen Mord gegeben hat. Ein junges Mädchen wurde im Park erstochen aufgefunden. Dumont parkte seinen Wagen gleich neben dem Streifenwagen, der vor dem Parkeingang stand. Langsam und misstrauisch durch die Gegend blickend stieg er aus dem Fahrzeug und schritt durch das große Parktor. ARLINGTON PARK- West Entrance glänzte es in goldenen Lettern herunter, einladend für alle Menschen. Nichts außer den Polizisten und den Absperrungen konnte darauf schließen lassen, welch dramatisches Verbrechen vor wenigen Stunden hier verübt worden war.
Und wieder ein Mord. Dumont hatte es oft schon so satt. Warum müssen nur so viele grauenvolle Verbrechen geschehen? Na ja, aber er war doch dafür da, diese Delikte zu lösen und die Täter zu ihrem verdienten Gefängnisaufenthalt zu bringen. Leider konnte auch die Polizei von Arlington nicht alle Verbrechen aufklären, viel zu viel wertloses Gesindel lief auf den Straßen umher. Theoretisch könnte auch dein eigener Nachbar ein irrer Psychopath sein oder die liebe alte Dame von nebenan das Mitglied einer gnadenlosen Terroristengruppe. Na, vielleicht ist das ein wenig übertrieben, aber heutzutage war schon alles möglich. Andre Dumont hat in seinen bisherigen Fällen alles Mögliche erlebt, erschreckende Sachen, an Details wollte er gar nicht mehr zurückdenken. Während Dumont den Schotterweg des Parks entlangging, kreisten die wildesten Gedanken durch seinen Kopf. Wahrscheinlich war er selbst ein bisschen verrückt, dachte er sich und musste tief durchatmen. Aber es stimmte doch. Was ihm als junger Polizist so jeden Tag unterkommt, das konnte er damals in der Polizeiakademie nicht ahnen. Dort lernt man zwar alle Gesetze, Verfassungen, Rechte, Pflichten usw., aber auch bei all den Übungseinsätzen kann man nie die Gnadenlosigkeit des rauen Alltags kennen lernen. Die erlebt man erst, wenn man die erste Leiche vor sich sieht, ein unschuldiges Wesen, erst in der Blüte ihres Lebens, dem durch einen Geistesgestörten das wertvolle Leben ausgehaucht worden ist. Und warum? Ja, warum nur? Wenn man das so leicht erklären könnte. Dumont blickt ernst nach vorne und erblickte einen Polizeibeamten, der hastig auf ihn zuging. "Inspektor Dumont?" fragte er. "Ja, der bin ich. Wo ist denn die Leiche? " "Kommen sie mit, ich zeige sie ihnen. " antwortete der Beamte und wartete darauf, dass ihm Dumont folgte.
Auf dem Weg zum Mordopfer wurden gerade die Schuhe, die Susan sich bei der Flucht ausgezogen hatte, von einem anderen Polizisten sichergestellt. Ein paar hundert Meter weiter lag sie nun. Drei Leute von der Spurensicherung und ein weiterer Beamte standen rund um sie und durchsuchten die Umgebung.
Ihre leeren Augen starrten in den Himmel. Überall an ihrem Körper klebte Blut. Sie ist verdammt hübsch gewesen, bemerkte der Inspektor, als er die Leiche ansah. "Wer hat die Leiche entdeckt?" war seine erste Frage. "Eine ältere Dame war mit ihrem Hund spazieren und dieser hat sie dann auf das Mädchen aufmerksam gemacht", beantwortete der Polizeibeamte neben ihm die Frage. "Sie sagt, sie hat alles so gelassen, wie sie es vorgefunden hat und gleich die Polizei verständigt."Raubmord? `" fragte Dumont einen Mitarbeiter der Spurensicherung. "Kann man, glaube ich, ausschließen. Wir fanden ihre Handtasche gleich neben ihr. Handy, knapp 80 Dollar, ... alles noch drinnen." "Und Vergewaltigung?" hackte er neugierig nach. "Ja, schaut ganz danach aus. Das Mädchen hatte in der Mordnacht auf jeden Fall Geschlechtsverkehr." "Hat man das Mädchen schon identifiziert?" "Ja, Inspektor, in ihrer Tasche war der Führerschein, ihr Name war Susan Thompson, sie wohnte außerhalb der Stadt bei ihren Eltern. Ein Polizist ist schon bei der Mutter gewesen", antwortete der andere Beamte, der sich das erste Mal zu Wort meldete. "Wie alt war sie?" fragte Dumont weiter. "Sie wurde gerade mal neunzehn Jahre alt." gab ihm der Beamte wiederum die Antwort. "Man kann anhand der Spuren davon ausgehen, dass das Opfer vor ihrem Mörder zuerst geflüchtet ist, sie warf voraussichtlich ihre hochhackigen Schuhe weg, um schneller laufen zu können, doch hier musste sie der Täter dann eingeholt... und sie dann mit einem scharfen Jagdmesser erstochen haben." erklärte ihm einer der Spurensicherer. Dumont war betroffen. Ein so unschuldiges Mädchen musste sterben. Und er stellte sich erneut die Frage, auf die es nie eine vernünftige und zufrieden stellende Antwort geben würde: Warum? "Wann wurde sie ermordet?" wendete er sich gleich wieder an den Beamten. "Zwischen 22 und 23 Uhr letzte Nacht." kam schnell die Antwort aus dem Mund des Gefragten. Dumonts Blick fiel auf etwas, dass auf dem toten Körper des Mädchens lag. Es war eine Rose. Eine verwelkte Rose. E! in paar Blütenblätter waren durch den leichten Wind von der Pflanze gelöst und einige Meter davongeweht worden. Der Inspektor deutete darauf. "Die muss ihr der Täter nach dem Mord hingelegt haben." wurde er gleich von den Beamten aufgeklärt. "Irgendwelche Spuren von dem Täter?" "Ja, unter den Fingernägeln des Mädchens sind Blut und Hautreste. Es könnte leicht sein, dass es den Mörder kratzte, als sie sich zur Wehr gesetzt hat. Außerdem könnte die Untersuchung möglicher Spermaspuren Aufschluss geben. Und nach der Tat hatte er es wahrscheinlich sehr eilig. Wir vermuten durch viele abgeknickte Äste bei den Büschen und Bäumen, dass er in diese Richtung geflüchtet ist", erklärte der Polizist und deutete mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand Richtung Norden. Das hatte nichts zu sagen. Es half auch nicht weiter bei der Aufklärung des Falles, da es nur zwei Eingänge in den Park gab und der Täter den nördlichen Teil bei der Flucht gewählt hatte. Da gab es nichts Außergewöhnliches. Er betrachtete noch einmal kritisch das Mordopfer. Es ist einfach unmenschlich. Wenn Menschen zu Bestien werden und die Lust zum Morden erwacht, hat das nichts mehr mit Menschlichkeit zu tun. Wie gesagt, dann hatte man es mit Bestien, mit unkontrollierten, aber doch sehr wohl ausgefuchsten Monstern zu tun. Ruhe in Frieden, Susan Thompson. Ein Räuspern bewegte ihn, nach links zu blicken, wo zwei Männer mit schwarzen Anzügen mit einem blechernen Sarg den Weg entlangkamen. "So, unsere Arbeit ist vorerst erledigt", sagte einer der Beamten, deutete dem anderen und die beiden machten sich auf dem Weg zum Streifenwagen. Während sich die Männer in den schwarzen Anzügen daran machten, das tote Mädchen in den Blechsarg zu heben, beobachtete Dumont die Spurensicherer, die gerade in den nahe gelegenen Gebüschen nach Spuren suchten. Er dachte nach. Etwas machte ihm bei diesem Mord Kopfzerbrechen. Irgendetwas. Nachdenklich folgte er den Männern in den Anzügen, die gerade auf dem Weg zurück zum Leichenwagen waren, um Susans toten Körper ins Leichen! schauhaus zu bringen. Dumont sah den Männern zu, wie sie den blechernen Sarg mit unheimlicher Routine hinten im Wagen verstauten, in den Wagen stiegen und langsam den Tatort verließen. Armes Ding, dachte er an das tote Mädchen. Sie wirkte so unschuldig. Obwohl er schon viele Leichen gesehen hatte, wurde es noch immer nicht zur Routine. Bei jedem Verbrechen dachte sich Dumont, es hätte nicht sein müssen. Von einigen seiner Kollegen wurde er deswegen als 'Weichling' bezeichnet.
Hauptsächlich lag dieses besondere Mitgefühl auch daran, dass er in seiner Kindheit schon ein dramatisches Ereignis durchleben musste. Seine um zwei Jahre ältere Schwester wurde vor fast fünfundzwanzig Jahren, als die beiden noch Kinder waren, Opfer eines Mordes. Die damals sechsjährige Elizabeth ging an diesem für die ganze Familie Dumont unvergesslichen Tag am Nachmittag zum Herumtollen zum nahe gelegenen Spielplatz, den man sogar vom damaligen Haus der Dumonts sehr gut überblicken konnte. So machte sich Mrs. Dumont auch keine Gedanken, als ihre Tochter von zu Hause losging. Was Andre sich bis heute nicht verzeihen kann, ist die Tatsache, dass er damals keine Lust hatte seine Schwester zu begleiten. Er wollte sich lieber seine Lieblingscartoons im Fernsehen ansehen. So ging seine Schwester alleine los - und wurde nicht mehr lebend gesehen. Als es dunkel wurde und Liz, wie sie von allen liebevoll genannt wurde, noch immer nicht zu Hause erschienen und auch am Spielplatz keine Spur von ihr zu finden war, trommelten Andre Dumonts Eltern innerhalb einer halben Stunde einen fast zwanzig Personen großen Suchtrupp aus Nachbarn, Bekannten und Verwandten zusammen. Sie suchten stundenlang - ohne Erfolg. So verständigten die Eltern die Polizei. Die stellten sofort drei Gruppen mit Hunden zusammen, um nach dem Mädchen zu suchen. Doch es wurden keine Spuren von ihr entdeckt. Die Polizei war schon dabei die Suche abzubrechen, bis am 14. August 1976, sechs Tage nach dem Verschwinden, ein Förster, der gerade bei einem Routinegang durch den Wald war, unter einem Haufen Ästen eine Mädchenleiche entdeckte. Andre Dumont war damals gerade mal vier Jahre alt, als seine Eltern neben ihm unter Weinkrämpfen das Mädchen als ihre verschwundene Tochter identifizierten. Wenige Tage später konnte man bereits den Täter fassen. Anhand Kratzspuren, welches das kleine Mädchen beim Überlebenskampf dem Mörder zugefügt hatte, konnte William Monterrey, ein Nachbar der Dumonts, der makabererweise auch freiwillig nach dem Mädchen mitgesucht ! und den Eltern von Andre Dumont immer wieder Mut zugesprochen hatte, überführt werden. Trotz weniger Beweise war der Mann gleich geständig. Seit er sich vor kurzem von seiner Freundin getrennt hat, ging ihm etwas in seinem Leben ab. Und als er die süße Liz da so heimgehen sah, da überkam es ihn einfach. Wie sich herausstellte, hatte Monterrey das Mädchen beim Nachhauseweg mit dem Vorwand, ihr eine Süßigkeit zu geben, in sein Haus gelockt, darin missbraucht, danach erdrosselt und die Leiche im nahe gelegenen Wald zwischen Zweigen versteckt. Er wurde in Folge zu lebenslanger Haft verurteilt, aber das Leben, welches er von den Dumonts zerstörte, sollte nie mehr so sein wie früher. Seine Mutter Marie wurde total depressiv, war häufig in psychiatrischer Behandlung, ihre Ehe mit Andres Vater Eric ging zugrunde. Nun lebten sie getrennt, sie in Dallas, er war wieder nach Kanada zurückgezogen, von wo die Dumonts stammten. Sie waren kurz nach der Geburt ihrer Tochter nach Dallas gezogen, weil Eric Dumont einen tollen Job in einer Speditionsfirma bekommen hatte. Nachdem der Mord an seiner Tochter die Ehe zerbrochen hat, kündigte er und ließ sich wieder in Montreal nieder, wo er nun seinen Briefen zufolge als Buchhalter in einem kleinen Angelgeschäft arbeitete. Dumonts Mutter arbeitete in Dallas bis zu dem Verbrechen an ihrer Tochter Liz in einem Kleidergeschäft außerhalb der Stadt. Dort war sie immer als sehr seriöse und freundliche Arbeitskraft gelobt worden. Nach unzähligen Therapiestunden war sie erst drei Jahre später fähig, überhaupt eine Arbeit halbwegs konzentriert ausüben zu können. Dauernd musste sie Beruhigungstabletten und Spritzen nehmen, sie wurde fast abhängig davon. Andre Dumont musste mit Entsetzen an diese vergangenen Jahre zurückdenken. Seine Kindheit war sehr traurig, still, manchmal fast erdrückend. Seine Teenagerzeit hatte auch nicht viel für ihn übrig. Auf Grund seiner ruhigen Art und seiner Verschlossenheit fand er kaum Freunde und die wenigen, die er hatte, sah er kaum. Obwohl er 1976 noch e! in kleiner Bub war, verstand er damals trotzdem, dass etwas nicht mehr stimmte. Das alles rund um diesen Mord hat ihn sehr geprägt. Andre Dumont war ein sehr misstrauischer, nicht leicht zugänglicher Mann geworden, was auch dazu führte, dass er bis jetzt, fast dreißig Jahre alt, noch immer keine wirklich feste Beziehung mit einer Frau gehabt hat. Zu sehr hat er Angst, dass ihm so etwas Schreckliches wie damals wieder widerfahren könnte. Aber seit seiner Schulzeit stand nur für ihn nur noch ein Berufswunsch fest: er wollte Polizist werden und alle, die Menschen Leid zufügen, hinter Schloss und Riegel bringen. Dieses Ziel hat er nun geschafft, auch wenn ihm die Arbeit bei der Mordkommission viel mehr Nerven kostet, als er vorher vermutet hatte. Mit den ersten Mädchenmorden, die er mit untersuchen musste, kamen die Erinnerungen an damals wieder, aber nie so stark wie dieses Mal. Er hatte das Gefühl, dass dieser Mord erst der Beginn von etwas wirklich Hässlichem werden würde. Wie er schon wenig später feststellen sollte, sollte es noch schlimmer, hässlicher werden, als er vermutete.
Dumont sah noch einmal zum Parkeingang zurück, wo sich ja in der Nacht zuvor ein schreckliches Verbrechen ereignet hatte, stieg dann in seinen Wagen und machte sich auf den Weg zu Susans ehemaligem Zuhause. Das war eines der Aufgaben, die sich Dumont am liebsten sparen wollte, doch auch das Befragen der Eltern der Mordopfer gehörte leider zu seinen Pflichten.

Harrington Street 27, ja, hier ist es. Dumont blickte mit strengem Blick aus seinem Auto, als er rechts in die Strasse einbog, wo Susan Thompsons (ehemaliges) Zuhause war. Er musterte das Haus, während er davor parkte und hastig ausstieg. Es war ein größeres Haus mit kaminroten Dachziegeln, beigefarbenen Hausanstrich und einer schönen Holzterrasse. Der Inspektor stieg die steinernen Stufen zum Haus hinauf und klingelte an der Tür. Er wartete kurz, wollte gerade noch mal läuten, als die Haustür von innen geöffnet wurde. Im nun offenen Türrahmen stand eine Frau, die unter normalen Zuständen sicher nicht älter als fünfunddreißig Jahre aussah, in den letzten Stunden musste sie um viele Jahre gealtert sein. Ihr vor Tränen verklebtes Gesicht wirkte wie das von einer fünfzigjährigen Frau. Sie zitterte am ganzen Körper, schluchzte vor sich hin. "Mrs. Thompson?" "Jaaa?" kam leise, verzweifelt das Wort aus dem Mund von Jackie Thompson. "Ich bin Inspektor Dumont von der Mordkommission. Könnte ich Ihnen kurz ein paar Fragen stellen? Ich weiß, wie schwer es jetzt für sie ist, aber ich werde es so schnell wie möglich machen, ok?" "...na gut.." Jackie Thompson trat von der Tür weg und ließ den Polizisten eintreten. Die Frau führte ihn rechts ins Wohnzimmer, das sehr elegant eingerichtet war. "Setzen sie sich bitte!" Sie zeigte auf das Sofa, welches links vom Eingang des Raumes stand und Dumont nahm Platz. Mrs. Thompson setzte sich direkt gegenüber auf einen Stoffsessel. "Mrs. Thompson, wann haben sie ihre Tochter zuletzt gesehen?" "....gestern Abend ... so gegen neun Uhr.... " Ihre Stimme brach ab. Sie begann zu weinen. "Ich habe sie sooo geliebt, sie war unser einziges Kind... oh Gott....." Dieses war einer von den Momenten, in denen Dumont nie wusste, was er nur machen sollte. Aufmuntern, trösten...nein, in so einer Situation, wie sie dieser Mutter gerade widerfuhr, konnte man gar nichts tun, das war das Problem, man konnte ihr nicht helfen. "Entschuldigung, aber... " " Mrs. Thompson, ich verstehe ihre Gefühlausbrü! che voll und ganz, ich weiß, wie weh so ein Verlust tun kann, ich selber habe auch meine kleine Schwester verloren. Das wird zwar nicht im Geringsten ein Trost sein, aber sie müssen sich wirklich nicht entschuldigen!" Dumont hoffte, damit das Gespräch mit der Mutter wieder fortsetzen und schnell durchziehen zu können. "Hatte ihre Tochter einen Freund?" Jackie Thompson blickte Dumont mit starrem Blick an. Sie schüttelte ihren Kopf. "Nein,... nicht das ich wüsste. Wissen sie, Sue hatte nie wirklich Glück mit den Männern. Zuletzt hat sie nur sehr gerne mit einem Jungen gechattet, den sie beim Surfen kennen gelernt hatte....", sie schluchzte bei jedem Wort, das sie von sich gab, "...Sue fand ihn furchtbar nett..." Dumont blickte neugierig von seinem Notizblock auf, den er aus seinem Mantel geholt hatte, um kurze Notizen machen zu können. "Wissen Sie, ob Susan ihn irgendwann getroffen hat, von wo er kommt oder sogar, wie er heißt?" "Nein, leider...im Chat nannte er sich 'Angel' oder so...warum fragen Sie?" "Nur reine Routinefragen, ...wir müssen jeder Spur nachgehen..." "Wissen Sie, was ich überhaupt nicht verstehen kann? Susan hatte sich gestern mit ihrer Freundin Rebecca Wilson verabredet...warum konnte dann das passieren.....warum?" Susans Mutter redete vor sich her, Dumont hatte das Gefühl, dass sie ihn nicht selber ansprach, nein, sie fragte vielmehr einfach in die Welt hinaus...WARUM?...Warum musste ihre geliebte Tochter sterben? "Könnte es sein, dass die Freundin von Susan alleine heimgefahren ist und ihre Tochter noch..." Dumont kam nicht zum Ausreden. "Rebecca kann gar nicht selber zurückgefahren sein, weil meine Tochter das Auto hatte..." Andre Dumont blickte verwirrt auf. Doch die im Raum stehenden Fragen sollten wenige Sekunden später aufgeklärt werden, weil plötzlich eine Gestalt das Wohnzimmer der Thompsons betrat. "Entschuldigung, die Tür war offen... Mrs. Thompson...es tut mir so leid...." Das Mädchen mit den langen brünetten Haaren, das gerade eingetreten war, ging zu der schluchzenden Mutter! , umarmte sie und fing selber an leise vor sich hin zu weinen. "Das ist Rebecca Wilson, die Freundin...von Sue..." Rebecca trat zu Dumont und reichte ihm die Hand. Inspektor Dumont erwiderte ihre Geste und stellte sich dem Mädchen vor. "Mr. Dumont, was ist mit Susan geschehen?" Becki sah ihn mit verweinten, verzweifelten und sehr ernsten Augen an. "Wie konnte das passieren?" " Ms. Wilson, wann haben Sie Susan Thompson das letzte Mal gesehen?" "...äh...gestern am Vormittag in der Schule..." Dumont wusste jetzt wirklich nicht mehr, was los war. "Ich habe gedacht, sie haben sich gestern Abend mit Susan getroffen?" Jetzt blickte Becki verwirrt. "..Was?" "Haben Sie sich NICHT mit Susan getroffen?" "..Neinn, wie kommen Sie nur darauf...?" Rebecca Wilson wirkte hilflos. Sie war hierher gekommen, um Näheres zu diesem schrecklichen Ereignis zu erfahren, Mrs. Thompson zu trösten, und nun wurde sie selber mit Fragen gelöchert. "Ja, ...ich wollte mit ihr zwar ins Kino gehen,...aber..." "Aber was...?" fragte Dumont neugierig. "...ja, sie hatte ja ein Date mit einem Typen namens Brian. Sagen Sie, könnte der was mit diesem...Mord...zu tun haben?" fragte das Mädchen den Inspektor mit zittriger Stimme. "...Oh Gott...." schluchzte Mrs. Thompson plötzlich auf. Ihre Tochter hatte sie belogen. Wegen einem Jungen. Susan hatte gewusst, dass sie es ihr unter Umständen nicht erlaubt hätte, mit diesem Jungen auszugehen. Woher kannte sie diesen Brian überhaupt? Sue hatte in letzter Zeit doch nur Gedanken für diesen Typen im Chat gehabt...dieser Typ im Chat...ER musste dieser Brian sein.... "Becki?" "...Ja, Mrs. Thompson?" "Hat Sue dir gesagt, woher sie diesen Brian kannte?" "Nein,... nein!" schüttelte Becki den Kopf. Andre Dumont musste gerade derselbe Gedanken wie Mrs. Thompson durch den Kopf gegangen sein, denn plötzlich meinte er: "Äh,... könnte ich mal den PC ihrer Tochter ansehen?" "...äh... sicher... kommen sie mit!" Jackie Thompson stand auf und wandte sich zur Treppe, die in den ersten Stock hinaufführte. Oben befanden sic! h Bad, Schlafzimmer und... Susans Zimmer.
Inspektor Dumont und Rebecca Wilson folgten ihr hinauf. Er musterte das Zimmer ganz genau. Es war modern eingerichtet, an der Wand klebten Poster von Brad Pitt und Ben Affleck. Dann wandte sich Dumont zum PC, der auf einem Holzschreibtisch links beim Fenster stand. Er schaltete ihn ein und während das Gerät startete, wandte er sich wieder an Mrs. Thompson. "Welches Auto fuhr Susan gestern?" "Wissen sie, sie nahm immer mein Auto zum Fahren. Ich besitze einen älteren Toyota Corolla, das Kennzeichen ist AR-16085-XR." antwortete die Frau. Sie hatte sich ein wenig gefasst. Andre Dumont fasste sein Handy aus dem Mantel und suchte die Nummer vom Revier aus seinem Speicher. Dem Polizisten, der sich meldete, gab er den Auftrag nach Mrs. Thompsons Wagen fahnden zu lassen. Vielleicht würde der Wagen die Polizei zum Mörder führen. Inzwischen hatte sich bereits der Windows2000-Desktop geöffnet. Dumont fuhr mit dem Mauspfeil zum Icon, der ihn ins ,Microsoft Outlook', dem Programm, mit dem man E-Mail versenden und empfangen konnte, brachte. Er klickte darauf und es öffnete sich ein großes Fenster.
Dumont zog den Pfeil zum Menü "Empfangene Nachrichten". Es öffnete sich ein weiteres Fenster, welches die Nachrichten, die Susan in den letzten Wochen vor ihrem tragischen Tod erhalten hatte, beinhaltete. Die meisten Mails stammen von Rebecca Wilson, anderen Schulkollegen und Verwandten. Doch Dumonts Interesse wurde beim vorletzten Mail geweckt. Es stammt von einem gewissen 'Angel021'. Er klickte mit der Maus darauf. Daraufhin öffnete sich ein Fenster, welches Dumonts Blick erstarren ließ. Auf der Nachricht befand sich eine Rose, groß in der Mitte platziert, blühend, wunderschön. Das war er! Die Rose! Und die Zeilen darunter festigten endgültig den Verdacht.

"Für meine schöne Rose, Susan! Ich kann Dich einfach nicht vergessen!
P.S.: Bis Samstag beim 'Trance Town'!"

Die Diskothek 'Trance Town' lag keine zehn Minuten vom Tatort entfernt. Auch Mrs. Thompson und Rebecca haben sich inzwischen das Mail gelesen und lagen sich nun in den Armen, wissend, dass dieser "süße" Chatfreund Susans höchstwahrscheinlich ein kaltblütiger Mörder war. Beiden liefen Tränen übers Gesicht. Sie hatten ihre Tochter bzw. beste Freundin verloren. Durch ein perverses Arschloch, der sie ohne Mitleid vergewaltigt und danach gefühllos abgestochen hat wie ein Schwein im Schlachthaus. Dumont sah die beiden an, dann wandte er sich suchend wieder um, fand den Drucker, schaltete ihn ein und kurz darauf kam das E-Mail des geheimnisvollen Verehrers in Papierform aus dem Gerät. Er nahm den Zettel, faltete ihn sorgfältig einmal in der Mitte zusammen und steckte ihn sich in die linke Manteltasche. Mit schnellen Fingerbewegungen schaltete er die beiden Geräte wieder aus, stand auf und trat wieder zu den beiden Frauen, die zusammengekauert auf Susans Bett Platz genommen hatten. "Mrs. Thompson, ich verspreche Ihnen, wir werden den Mörder ihrer Tochter schnappen." "Warum hat er das gemacht? Warum gerade Susan?" wisperte die Frau. "Sie hatte einfach das Pech, den falschen Kerl zu treffen, leider..." Andre Dumont konnte nicht ahnen, was diese einfach so dahergesagte Aussage von ihm bei der Mutter bewirken sollte. Sie fing an hemmungslos zu weinen, dazwischen schluchzend: "Sue hatte immer Pech mit den Jungen, aber.....keiner wollte sie...umbringen...oh Gott!!!!!" Sie grub ihr entsetztes Gesicht in ihre Arme, weinte immer weiter.
Dumont stand fassungslos da und hätte sich am liebsten selbst eine runtergehauen. In dieser Situation war er innerlich sogar ein wenig froh, als plötzlich sein Handy piepste. Schnell fasste er es aus seiner Jackentasche. "Ja, Dumont?" "Inspektor? Wir haben das Fahrzeug des Opfers gefunden, es hat in der Nähe von der Diskothek "Trance Town" gestanden. Außerdem will sich ein Barkeeper dieser Disco an einen Mann erinnern, der letzte Nacht eine Nachricht für ein Mädchen hinterlassen hat. Und dessen Beschreibung passt genau auf Susan Thompson." Der Beamte klang mitgenommen. "Ah, interessant. Kann sich der Barkeeper an das Aussehen des Mannes erinnern?" Dumont hatte Lunte gerochen. Nun war es so gut wie bewiesen, dass Susan Thompsons Chatfreund in diesem Mordfall verstrickt ist. "Leider konnte er sich nicht an sein Gesicht erinnern, nur, dass er sehr blass wirkte und einen langen schwarzen Trenchcoat anhatte. Der seltsame Typ zeigte ihm ein Foto von einem Mädchen, also höchstwahrscheinlich von dem Mordopfer, und gab ihm einen Brief, den er dann übergeben sollte. Das Mädchen sei dann ungefähr gegen zehn Uhr nachts in die Disco gekommen, also knapp drei Stunden nach dem Mann und der Barkeeper gab ihr dann diesen Brief. Kurz darauf verließ sie dann das Gebäude. Was dann genau geschah, konnten wir leider noch nicht feststellen." "Danke für die Informationen. Ich werde in knapp einer Stunde zum Revier kommen...äh, und lassen sie den Wagen untersuchen. Vielleicht finden wir irgendeine Spur." "Wird gemacht, Inspektor. Dann bis später." Dumont steckte das Handy wieder in seine Jacke. "Was ist, Inspektor?" Jackie Thompson sah ihn mit ängstlichen Blicken an. "Ihr Auto wurde gefunden und der Verdacht, dass der Chatfreund ihrer Tochter mit ihrem Tod etwas zu tun hat, erhärtet sich." Rebecca Wilson hatte inzwischen die am ganzen Leibe vor Aufregung zitternde Frau wieder fest in ihre Arme genommen, sich selbst wieder halbwegs unter Kontrolle. "Wurde denn dieses Schwein gesehen?" fragte sie. "Äh... ja, höchstwahrscheinlich.! Leider konnte der Zeuge keine gute Beschreibung von ihm machen, aber keine Sorge, wir kriegen ihn schon. Ganz sicher." Doch Dumont selbst war nicht ganz so sehr davon überzeugt. Wahrscheinlich keine brauchbaren Zeugenaussagen, kaum Spuren, es sah wirklich nicht gut aus, doch für die Tatsache, dass man die Leiche erst vor knapp drei Stunden gefunden hatte, konnte man wenigstens schon die Tat so halbwegs rekonstruieren. Dieser Chatfreund, dieser "Angel21", ER war der Schlüssel zur Lösung. ER hatte mit Susan Thompson ein Treffen bei dieser Disco vereinbart, hatte eine Nachricht für sie hinterlassen, wahrscheinlich zu einem anderen Treffpunkt gelockt, vielleicht sogar zum Tatort selbst. ER war die einzige brauchbare Spur, die sie zurzeit hatten. Dumont kam eine Idee. Ms Diana Hawkins von der Computerabteilung der Polizei könnte im Chat nach diesen "Angel21" Ausschau halten. Es könnte sogar sein, dass sie sogar herausfinden konnte, von wo ER surft. Mit diesen Gedanken wandte sich Inspektor Dumont an die Mutter. "Mrs. Thompson, ich möchte mich für ihre Hilfe bedanken. Ich weiß, wie sehr jetzt der Schmerz in Ihnen nagt, darum schätze ich es sehr, dass sie so offen gewesen sind, um uns bei der Aufklärung dieses Verbrechens zu helfen." Dann trat er zu Rebecca Wilson. "Ich bleibe noch bei ihr", sagte sie. "Sehr lieb von Ihnen, es ist gut, wenn sie jetzt jemanden hat." Jackie Thompson war inzwischen von Susans Bett aufgestanden und ging mit zittrigen Schritten zur Tür. Dumont folgte ihr die Stufen runter zur Haustür. Da fiel sein Blick auf ein eingerahmtes Blick, rechts an der Wand. Es zeigte die Mutter, die einen Arm um ihre nun verstorbene Tochter geschlungen hatte und daneben ein Mann, vermutlich der Vater von Susan. "Ist das ihr Mann?" fragte er und zeigte auf das Foto. "Äh, ja...er ist gerade auf Geschäftsreise in Boston. Er kommt mit der nächsten Maschine. Susan war für George das.....Schönste auf der Welt. Leider verbrachte er viel zu wenig Zeit mit ihr, da er so oft geschäftlich unterwegs ist." Vor den näc! hsten Worten rannen ihr wieder Tränen über die Wangen. "Jetzt...jetzt ist es leider zu spät...nun kann er nie...entschuldigung..." Das war zuviel für die Frau. Sie brach wieder in Tränen aus. Rebecca war auch aus Susans Zimmer gekommen und ging nun in schnellen Schritten zur weinenden Mutter runter, um sie trösten zu können. Das würde ihr zwar nicht gelingen, aber trotzdem, in diesen Stunden durfte man diese Frau, die momentan ein ,menschliches, nervliches Wrack' war, aber nicht allein lassen. Und auch Rebecca selbst brauchte jemanden, bei dem sie ohne Bedenken ihrer Trauer freien Lauf lassen konnte. Sie führte Mrs Thompson zu der nahe gelegenen Coach und die Frau setzte sich, langsam wieder zur Ruhe kommend. "Mrs. Thompson, nochmals Danke für ihre Hilfe. Ich werde später noch einen Beamten zu ihnen schicken, der nach dem Rechten schauen wird." Die Frau nickte nur. Sie war momentan zu schwach zum Reden, zu schwach für alles. Dumont warf noch einmal einen kurzen Blick auf sie, dann trat er aus dem Haus und schloss die Tür hinter ihm. Da blieb er stehen, musste kurz verschnaufen. Diese Arbeit, den Eltern nach dem Tod ihrer Kinder Fragen stellen zu müssen, gehörte zu den nervenaufreibendsten Sachen im Polizeidienst. Er fasste in die Jackentasche und holte eine schon halbleere Packung Marlboro heraus. Er zündete sich eine Zigarette an und zog einmal fest an. Er steckte die Packung wieder in die Tasche und trat langsam zu seinem Wagen. Was war das doch für ein "toller" Tagesbeginn gewesen. Andre Dumont blickte auf seine Armbanduhr. Kurz vor hal bzehn.ErwürdesichgleichaufdenWeginsRevierbegeben.UngefährgegenzehnUhrmüssteerdortsein.ErtratzuseinemWagen,setztesichhineinundstartetedenMotor.MitderAbsicht,amReviergleichderComputerspezialistinMs.DianaHawkinsihreneueAufgabemitzuteilen,verließerdieHarringtonStreetRichtungInnenstadt.br>
Während Inspektor Andre Dumont mit seinem Dienstfahrzeug das Haus der Thompsons hinter sich ließ, saß nur wenige Meilen davon entfernt ein Mann gemütlich in einem schon an vielen Stellen aufgerissenen Ledersessel in einem kleinen Haus ,welches von innen wie auch von außen einen erbärmlichen Eindruck machte. Er las sich gerade die "Dallas Morning News" durch. Der Mann hatte sie sich von dem unten an der Straße stehenden Zeitungsbehälter geholt. Normalerweise las er sonst fast nie Zeitungen, wirklich sehr selten. Doch an diesem Tag war es etwas anderes. Er suchte nach etwas Bestimmten. Er blätterte neugierig die Seiten durch, und bereits auf Seite 5 wurde er fündig. Der Mann blickte angestrengt auf den Artikel, las ihn sich hochkonzentriert durch.

ARLINGTON,TX- In der Nacht auf heute wurde die 19-jährige Susan T. Opfer eines kaltblütigen Mordes. Sie wurde im Stadtpark von Arlington durch drei genaue Messerstiche in den Oberkörper getötet. Ein Raubmord wird ausgeschlossen, viel mehr geht man von einer Vergewaltigung aus. Das Mordopfer muss ihrem Täter direkt am Tatort in die Arme gerannt sein, sie konnte aller Anschein nach zuerst flüchten, doch wenige hundert Meter weiter muss sie ihr Mörder gefasst haben. Dort kam es dann zur Bluttat. Eine verwelkte Rose, die der Täter offenbar bei Susan T., die als kontaktfreudiges und wegen ihrer netten Art als sehr beliebtes Mädchen von nebenan bekannt war, nach dem Mord hinterlassen hatte, gibt der Polizei einige Rätsel auf. Bisher gibt es noch keine konkreten Hinweise, auch Zeugen haben sich bis jetzt noch keine gemeldet. Der Kommissar der Arlingtoner Polizei Edward Payton meinte in einem Interview, das er auch nicht mit späteren Zeugenaussagen spekuliert, die Tat geschah ja erst gegen 23 Uhr und um diese Zeit wären kaum mehr Menschen im oder vor dem Park unterwegs. Man hofft nun, dass man nach der Obduktion des Mädchens mehr über das Gewaltdelikt sagen kann.
Wenn Sie Hinweise zu diesem schrecklichen Verbrechen haben, dann rufen Sie die Nummer (972)333-5652 oder richten Sie sich direkt an die Polizei von Arlington.

Zufrieden blickte der Mann von der Zeitung auf. Er legte sie auf dem neben dem Sessel stehenden Tisch, der auch schon ein wenig wackelig aussah, stand auf und ging durch das heruntergekommene Zimmer. Es war wie auch die restlichen Räume sehr schmutzig, dreckige Kleidungsstücke lagen verstreut auf seiner Couch und den restlichen Möbelstücken. An manchen Stellen bröckelte schon Putz von den Wänden, Spinnweben hingen an den Ecken der miefenden Räume. Doch dem Mann war seine Behausung ziemlich egal. Erstens, weil er sowieso die meiste Zeit unterwegs war und zweitens hatte er momentan ganz andere Gedanken zu verschwenden. Er ging zur Couch hinüber und nahm ein Foto, das darauf lag, in die Hand. Es zeigte ein hübsches blondes Mädchen. 17, vielleicht 18 Jahre alt. "Juliette", flüsterte vor sich hin, mit Erregung blickte er gebannt auf das Bild in seiner Hand, "Juliette, Du wirst meine nächste Rose sein, schon sehr bald...". Er trat zur an den Angeln schon leicht angerosteten Haustür, zog sich seine davor stehenden Schuhe an und nahm sich noch den schwarzen Trenchcoat vom Kleiderhaken neben der Tür, bevor er das Haus verließ und das Foto in die rechte Seitentasche steckte.

Tanson,...Tedford,...Thompson, ja, Susan Thompson alias ,BlackGirl2000' aus Arlington! Endlich! So, und jetzt suchen wir nach 'Angel021'...nein.nein, kein 'Angel021' zu finden, leider." Diana Hawkins blickte vom PC auf. "Könntest du herausfinden, mit wem Miss Thompson alles gechattet hatte?" fragte Dumont und schaute die Computerspezialistin hoffnungsvoll an. "Ja, ich probiere es, also...", sie tippte wie verrückt auf der Tastatur herum, auf dem Monitor öffneten sich verschiedene kleine Fenster. Ein Polizist hatte kurz zuvor noch schnell den Computer von Susan Thompson abgeholt und hierher gebracht. Diana erhoffte sich, herauszufinden, mit wem Susan gechattet bzw. wo ihre Chatpartner zu dieser Zeit gesessen haben. Zuerst hatte sie im Internet umhergesurft und in einigen Chaträumen nach einer registrierten Susan Thompson gesucht und schon nach einer Viertelstunde war sie in der ,Texas Chatworld' fündig geworden. Und laut den Daten handelte es sich zu hundert Prozent um das Mordopfer. "Andre?" "Hm...ja..?" "Ich habe im Computer des Mädchens umhergesucht und ,interaktive Adressen' ihre Chatkollegen gefunden. Also, sie chattete vorwiegend mit -erraten- ,Angel021' und dieser chattete ebenfalls von Arlington aus. Das kann ich hiermit schon mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Darum können wir die Suche auf die Stadt selbst konzentrieren...er muss ihr wirklich den Kopf verdreht haben, weil allein in den letzten zwei Wochen chattete sie an neun Tagen mit ihm, meistens stundenlang, zuletzt drei Tage vor ihrem Tod. Laut der IP - Adressen hat dieser Typ immer vom selben Ort aus mit Susan gechattet bzw. auch die E-Mails gesendet. Sie ist genau identisch, das heißt, dass es sich um einen ISDN-Server handelt, bei dem man sich immer mit derselben Nummer ins Internet einwählt. So, ich gebe diese ,Adresse' nun in das Suchprogramm meines Computers ein...." Andre Dumont sah ihr bewundernd zu, wie schnell und präzise sie mit diesen Rechnern umgehen konnte. "So, geschafft, nun müssen wir auf das Ergebnis warten. Das kan! n eine Weile dauern." Andre blickte nachdenklich vom Bildschirm auf. "Danke für deine Hilfe, Diana!" "Kein Problem, ich werde noch im Chat nach diesem ,Angel021' fragen, vielleicht kann jemand Hinweise zu seiner wirklichen Identität machen, ok?" Dumont war echt froh, dass sich seine nette Kollegin von der Computerabteilung so viel Zeit nahm, um ihm bei diesem Fall unter die Arme zu greifen. "Das wäre echt toll von dir, danke! Hoffentlich halte ich dich nicht von einer anderen Arbeit ab." "Keineswegs, ich brauche sowieso immer neue Herausforderungen. Er verabschiedete sich von ihr und verließ ihr Arbeitszimmer Richtung Leichenschauhaus. Ein Beamter hatte ihn vorhin darüber informiert, dass die Obduktion bereits abgeschlossen war.

Kurz nach Mittag betrat Inspektor Dumont die Leichenhalle von Arlington. Es wehte ihm eine kühle Brise entgegen, als er die Tür öffnete. Der Gerichtsmediziner Dr. Arthur Patterson stand neben der Leiche von Susan Thompson, die auf einem der eisernen Obduktionstische lag, zugedeckt mit einem weißen Tuch. Dr. Patterson drehte sich um, als er das Öffnen der Tür hörte. "Ah...Inspektor...ich habe sie bereits erwartet", wandte er sich an Dumont. "Sie wollten mich sprechen?" fragte dieser gleich zurück. "Ja, ich wollte Ihnen etwas zu der abgeschlossenen Autopsie des Opfers sagen....wir haben Blut und Hautpartikel unter den Fingernägeln der rechten Hand gefunden", berichtete der Gerichtsmediziner. Dumont fragte nach: "Hat man sonst noch irgendwelche Spuren gefunden?" "Ja, die wunden Stellen im Genitalbereich schließen auf eine Vergewaltigung, es wurden auch Samenspuren gefunden. Ich habe schon Proben von allen Stellen ins Labor nach Dallas gegeben. Wenn wir Glück haben, könnten wir schon bald den Namen des Mörders wissen." Der Mediziner trat zur aufgebahrten Leiche, zog das Tuch davon runter und zeigte mit seiner rechten Hand auf den Oberkörper von Susans leblosen Körper. "Die Todesursache waren, wie schon vermutet, die Stiche in den Oberkörper. Einer der Stiche, vermutlich der letzte, traf das Herz, was das Leben von Mrs. Thompson beendete. Wir haben zwar noch eine Wunde am Hinterkopf gefunden, die dürfte von einem Kampf mit dem Täter stammen." Mit einer gewissen Enttäuschung nickte Andre Dumont zum Bericht des Mediziners. "Wie lange wird es dauern, bis man die Spuren analysiert hat?" fragte er den Arzt. "Kann ich leider nicht sagen. Ich habe zwar den Leuten gesagt, dass dieser Fall Priorität hat, aber vor morgen früh wird es sicher keine Resultate mehr geben." "Ah, danke...rufen Sie mich wieder an, wenn es wieder was Neues gibt. Meine Nummer haben sie ja." Er verabschiedete sich bei Dr. Arthur Patterson und verließ sehr rasch den kühlen Raum.

Endlich Mittag! Juliette Sanders trat erfreut zu ihrem Spind. An diesem Sonntag war zwar kein regulärer Schultag, doch die Schüler mussten doch alles für den Maiball, der den Samstag darauf stattfinden würde, vorbereiten. Aber jetzt hieß es : Endlich nach Hause! Sie zog einen kleinen Schlüssel aus der Hosentasche und öffnete damit das Schloss des Spinds. Als sie gerade ihre Schulsachen rausholen wollte, die sie noch fürs Lernen benötigte, fiel ihr Blick auf das unterste von den drei Regalen, die in dem Spind befestigt waren. Da lagen eine wunderschöne rote Rose und darunter ein weißes Kuvert. Überrascht starrte die 18-jährige Juliette auf das Geschenk. Wie kam es in den Spind? Wer hat es da reingelegt? Was stand im Brief? Wenigstens die letzte Frage wollte sie so schnell wie möglich beantwortet haben. Voller Neugier nahm sie das Kuvert, öffnete es und zog einen Zettel heraus. Zuerst überflog sie nur die geschriebenen Zeilen, dann wurde sie langsamer und las schlussendlich Wort für Wort durch. Während dem Lesen erröteten ihre Wangen und sie begann schüchtern zu grinsen. Als sie mit dem Lesen fertig war, begann sie nochmals von vorne.





Liebe Juliette!

Diese Rose ist für Dich. Ich hoffe, sie gefällt Dir.
Leider kann sie nicht die Schönheit ausdrücken, die Deiner würdig ist.
Ich beobachte Dich schon seit Wochen und ich finde Dich einfach großartig.
Du bist wahnsinnig hübsch, reizend und bist ganz anders als die anderen Mädchen, die ich so kenne. Du bist sympathisch und sooo süß.
Ich möchte Dich gerne kennen lernen.
Ich werde mich bald wieder melden.
Bis bald, meine Rose

Ein Verehrer

Juliette wusste nicht, was sie sagen sollte. Da bekam sie nun einmal einen schönen Brief von einem Jungen und wusste dann nicht, von wem er stammt. Nachdenklich steckte sie den Zettel wieder zurück in das Kuvert, nahm auch die Rose aus dem Spindregal, roch einmal kräftig an der Blüte und gab beides in ihren gelben Schulrucksack. Sie nahm ihn auf die Schulter und schloss den Spind. Dann ging sie mit einem Grinsen auf dem Gesicht Richtung Schulausgang, wo ihr Fahrrad stand. Dieser Verehrer, wer war er wohl? Sie sollte es bald genug herausfinden. Sehr bald.


MONTAG, 21.Mai 2001

"Diana, gibt es etwas Neues?" Mit schnellen Schritten trat Andre Dumont ins Bürozimmer der Computerspezialistin. Es war kurz nach zehn Uhr morgens. Am letzten Tag konnten leider keine weiteren wichtigen Hinweise oder Spuren zum Mordfall ,Susan Thompson' mehr ermittelt werden. Der Barkeeper des ,Trance Town' wurde am Nachmittag zum Revier gebeten, um eine Zeugenaussage abzugeben, doch es konnte nichts Neues als beim ersten Gespräch am Vortag herausgefunden werden. Er konnte keine konkrete Beschreibung des Mannes abgeben, den er in der Mordnacht in der Disco getroffen hatte, und auch sonst hatte er schon alles bei der ersten Stellungsnahme den Beamten gesagt. Mit einer gewissen Enttäuschung hatte Andre Dumont am ereignisreichen Sonntag gegen fünf Uhr abends sein Büro verlassen und zu seiner Wohnung gefahren, in der er sich noch schnell kalt duschte und sich dann auf seine Couch legte und einfach nachdachte. Es war ein turbulenter Tag gewesen. Nach seinem Besuch bei Dr. Patterson musste er der lokalen Presse Stellungsnahmen abgeben. Kein Hinweis, kein richtiger Zeuge, es war zum Haare raufen! Dumont nickte schließlich nach knapp einer Stunde des Nachdenkens ein, wachte erst wieder mitten in der Nacht auf, wo er sich in sein gemütlicheres Bett begab, um seinen jedoch unruhigen Schlaf fortzusetzen. Er musste oft an Mrs. Thompson denken, sie hatte ihn an seine Mutter erinnert, als die Polizei damals die Nachricht überbrachte, dass seine Schwester Liz Opfer eines Gewaltverbrechens geworden war. Ähnlich wie bei Jackie Thompson brach für seine Mutter die Welt zusammen. Warum, warum nur? Sie war kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Zuletzt fuhr Dumont jede zweite Woche zu seiner Mutter, und jedes Mal war Liz eines der Hauptthemen der beiden. Dieser Schweinehund William Monterrey hat das Leben von Marie Dumont für immer zerstört. Mit diesen grausamen Erinnerungen schlief Dumont endgültig ein, bevor er um halb sechs Uhr in der Früh wieder aufwachte und sich für die Arbeit zurechtmachte. Mit der Hoffnung, dass wenigsten! s seine Kollegin von der Computerabteilung, Diana Hawkins, etwas Neues herausgefunden hatte, stieg er in seinen Dienstwagen und fuhr Richtung Revier. Zuerst wurde er ins Büro von seinem Vorgesetzten Edward Payton gerufen, um diesen die bisherigen Ergebnisse der Ermittlungen mitzuteilen. Nach dem etwa fünfzehnminütigen Gespräch verließ er das Zimmer des Polizeikommissars und noch bevor er zurück in sein Büro ging, schritt er zu Mrs. Hawkins' Bürozimmer. "Ah, Herr Kollege, du bist es!" Diana Hawkins drehte sich vom Computermonitor weg, richtete ihren Blick Richtung Dumont. "Ja, ich konnte herausfinden, von welchem Server aus dieser ,Angel021' chattete. Er surfte vom ,Cool Spirit' - Internet-Cafe von Arlington aus, also könnte es jeder Besucher gewesen sein, der öfter im Cafe war. Ich rief dort schon an. Die Frau am Telefon sagte mir, dass es Dutzende Jungen gibt, die beinahe jeden Tag im Cafe am PC hängen." "Danke für die Mühe...!" Andre Dumont trat an den Schreibtisch von seiner Kollegin, beugte sich rüber und gab ihr einen von der Frau nicht erwarteten Kuss auf ihre linke Wange. "Danke, ich finde es wirklich toll von dir...., äh, ich werde einen Beamten mal in dieses Internet-Cafe schicken, er soll einige Aussagen aufnehmen." Andre Dumont sagte das voller Abwesenheit. Er hatte diesen Kuss nicht geplant, er kam instinktiv, aus seinem innersten Gefühl heraus. Seit Mrs. Hawkins vor knapp fünf Monaten zu diesem Revier versetzt worden war, hatte er selten mit ihr zu tun. Manchmal sahen sie sich auf den Gängen des Reviers, aber persönlicher war es zwischen den beiden kaum geworden. Sie duzten sich, ja, weil es Diana und auch Andre so lieber war. Es machte das Arbeiten mit Kollegen gemütlicher. Und nun dieser unschuldige Kuss auf die Wange. Andre spürte ein Kribbeln im Bauch. Es schien, als ob er sich in seine Kollegin ein wenig verknallt hatte. Was Dumont nicht ahnen konnte, war, dass auch Diana ihren Kollegen äußerst sympathisch und attraktiv fand und den Augenblick, als Dumont sie auf die Wange küsste, genos! sen hatte. Natürlich, es wäre ihr noch lieber gewesen, wenn er ihre Lippen geküsst hätte, aber es war ein Anfang. Dumonts Gedanken wurden schnell wieder in die Realität zurückgeholt. Zuerst galt es einen kaltblütigen Mord zu lösen. "Entschuldigung, weil ich...dich..." Wiederum wurde er von seiner Kollegin unterbrochen. "Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen...und ich helfe dir sehr gerne." "...das höre ich gern....Diana..." Diesmal störte Dumont das Piepsen seines Handys. Mit ein wenig Wut im Bauch nahm er den Apparat aus der Jackentasche. "Ja, bitte?" "Inspektor Dumont, hier ist Dr. Patterson von der Gerichtsmedizin." Die Stimme des Mediziners klang aufgeregt.

Da fährt sie. Juliette, meine Rose. Das Mädchen saß auf ihrem Fahrrad und radelte gerade gestresst zur Schule. Sie wohnte mit ihren Eltern und ihrem um sechs Jahre jüngeren Bruder Brad in einer Eigentumswohnung, knapp drei Kilometer vom Arlington College entfernt. Sie hatte sich an diesem Morgen wieder mal verschlafen. "Scheiße!" Mit einem verärgerten Blick auf die Armbanduhr trat sie noch schneller in die Pedale. Schon fünf vor Acht. Der Unterricht begann schon in wenigen Minuten. Endlich, da war ja schon die Schule. Gekonnt vom Fahrrad geschwungen, legte Juliette nur noch schnell ein Schloss am Rad an und rannte mit ihrem gelben Rucksack auf dem Rücken ins Gebäude. Wenige Meter vom Schulgebäude entfernt parkte ein alter, an einigen Stellen schon angerosteter Ford. Am Lenkrad saß erregt ein Mann im Trenchcoat, mit Genuss dem fast zu spät zum Unterricht gekommenen Mädchen ins Schulgebäude laufend nachblickend. Oh, Juliette! Nachdem er noch einige Minuten Richtung Schuleingang starrte, in der Hoffnung, dass seine Rose vielleicht wieder herauskam, startete er schließlich den Motor des Wagens an. Mit krachendem Geräusch fuhr der Mann vom Parkplatz weg, mit seinen Gedanken noch immer bei seiner Rose.

"Ja, Doktor, was gibt's?" "Äh...Mr. Dumont, ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll...heute früh bekam ich die Ergebnisse der dem Opfer abgenommenen Spuren. Die Analytiker ließen ihre Werte durch den Polizeicomputer von Dallas laufen...und tatsächlich, nach einiger Zeit wurden sie fündig....wir wissen jetzt, wen Susan Thompson vor ihrem Tod gekratzt hat, ...wer sie vergewaltigt hat..." Der Blick von Dumont wandte sich seiner Kollegin zu, die ihn neugierig anblickte. "Aha, das sind ja hervorragende Nachrichten, Dr. Patterson! Wie heißt der Täter?" Die Antwort des Mediziners ließ auf sich warten. Dumont vernahm ein skeptisches Seufzen des Arztes. "Ich bin echt verwirrt...." "Was meinen Sie..., wie heißt nun der Mörder von Ms. Thompson?" "Der vermeintliche Täter heißt Paul Sylka. Er wohnte in einer kleinen Wohnung im Osten von Dallas...er steht im Computer wegen einiger Delikte. Schon früher hat er Frauen angegriffen..." "Super, und wo wohnt er jetzt?" fragte Dumont. Einige Sekunden war Totenstille am anderen Ende der Leitung. Mit leiser Stimme sprach dann Dr. Patterson zum Inspektor. "Mr. Dumont, es ist so,..., Sylka hat keine Anschrift mehr..." "Was meinen sie, Doktor?" hackte Dumont nach. Was hatte Dr. Patterson denn? "...Paul Sylka arbeitete in einer Autoproduktionsfirma im Industrieviertel von Dallas. Im November letzten Jahres gab es ein großes Feuer in der Fabrik..." Die Stimme des Arztes verstummte wieder. "Doktor...und was hat das mit diesem Sylka zu tun?" Dumont wurde langsam ungeduldig. Warum konnte Dr. Patterson ihm nicht einfach sagen, wo dieser Mistkerl wohnhaft war, damit man ihn so schnell es ging festnehmen konnte? "Mr. Dumont,...Paul Sylka...wurde Opfer bei diesem Feuer....die Spuren unter den Fingernägeln von Susan Thompson, die gefundenen Samenspuren, sie stammen von einem Mann, der....", der Doktor musste tief durchatmen, bevor er weiterreden konnte. " Paul Sylka.... der Mörder, nach dem wir suchen,...er ist am Hauptfriedhof von Dallas begraben,..."
"Was? Dr. Patterson, was wollen sie mir damit sagen?" Dumont war verwirrt. Diana sah ihn voller Neugier an. Er schüttelte den Kopf hin und her. Was soll das sein. Ein geschmackloser Witz. Den 1. April hatten wir ja schon. Die unglaubliche Antwort gab ihm Patterson. "Mr. Dumont, ich kann es selber nicht erklären, aber der vermeintliche Täter Paul Sylka...er ist schon seit über einem halben Jahr tot..."













3.PAUL SYLKA





"Miss Sanders!" "Äh...ja, bitte?" Juliette wachte durch die strenge Stimme ihrer Englischprofessorin Mrs. Hackelbuck aus ihren Tagträumen auf. "Miss Sanders, wo waren Sie bloß wieder mit ihren Gedanken?" Das Mädchen errötete. Während sich die nervige Lehrerin wieder der Tafel zuwendete, um mit ihren bunten Kreiden Grammatikregeln weiter raufzukritzeln, drehte sich Juliette um, schaute durch die Klasse. Besonders musterte sie die Jungen. Wer von denen könnte wohl in sie verknallt sein? Welcher Junge schrieb ihr diese netten Briefe und schenkte ihr schöne rote Rosen? Sie wandte sich wieder der Beschäftigung zu, der sie vor Mrs. Hackelbucks Ermahnung nachgegangen war. Sie hatte sich eine Liste aller Schüler der ganzen Schule angefertigt, welche für diese romantischen Gesten in Frage kämen und welche auch am Sonntag wegen der Ballvorbereitung in der Schule anwesend waren. Einige Namen hatte sie schon durchgestrichen, weil der eine, Jason Preston, seit Donnerstag eine neue Freundin hatte und ein anderer potenzieller Kandidat, George Dyer, doch nicht so viel von ihr zu halten schien. Der nächste Name auf der Liste war James McGovern. Er war neunzehn Jahre alt, also ein Jahr älter als Juliette, hatte schwarze Haare und einen muskulösen Körper. Sie fand ihn ziemlich süß und ihr neuer Verehrer musste einfach süß sein. James könnte es wirklich sein. Doch dann fiel Juliette etwas ein. James konnte es auch nicht sein. Während die Schüler noch eifrig am Arbeitsplan für den Ball tüftelten, musste er schon wieder zum Baseball-Training seines Vereins. Und er war da schon zu spät dran, um auch noch Spinds aufzuknacken und seinen Liebesbeweis zu hinterlegen. Nein, leider, auch James konnte es nicht sein und wenige Sekunden später war sein Name von der angefertigten Verehrer-Liste eliminiert. Schon wollte Juliette zum nächsten Namen schreiten, als die schon bekannte Stimme ihrer Lehrerin zu ihr durchdrang. "Miss Sanders! Ich sage es Ihnen zum letzten Mal, passen Sie endlich auf! Wenn Sie den Unterricht zu langweilig find! en, können Sie ruhig nach Hause gehen. "Und die nächsten Worte richtete Mrs. Hackelbuck genervt an die ganze Klasse, die knapp zwanzig Schüler umfasste. "Es ist nun mal Euer letztes Jahr. Wir wollen ja nur, dass am Schluss jeder bei der Abschlussprüfung durchkommt! Also macht doch beim Unterricht mit, dann habt ihr auch zu Hause nicht mehr so viel zum Lernen, oder etwa nicht?" Die Lehrerin blickte durch ihre übergroße Brille durch die Tischreihen. Von dem einen oder anderen Platz kam ein Seufzen, was soviel bedeuten sollte wie "Hören Sie auf zu quatschen, wir haben es eh verstanden!" Juliette hatte inzwischen die Liste in ihren Rucksack gesteckt. Irgendwie war es ihr peinlich, dass die Lehrerin dauernd sie anredete. Die anderen in der Klasse passen doch auch nicht auf. Juliette blickte genervt auf die Uhr. Zum Glück, nur noch zwanzig Minuten, dann endlich frei! Da an diesem Montagnachmittag die Lehrer eine Konferenz hatten, war Gott sei Dank nach dieser Unterrichtseinheit beziehungsweise in ungefähr einer Viertelstunde dieser Schultag zu Ende. Mrs. Hackelbuck hatte sich auf den Lehrersessel begeben und gab den Schüler einen verständlichen Wink, doch das Englischbuch aufzuschlagen. "So, blättert bitte auf Seite 67 und macht die Übungen 4 und 5. Wer fertig ist, gibt mir die Arbeiten ab." Uff! Das fehlte gerade noch! Aber was soll's? Juliette las sich die Aufgabenstellung genau durch und stellte fest, dass sie kaum noch Lust hatte, mit einem kurzen Aufsatz über Texas und einer kompliziert aussehenden Grammatikübung zu beginnen. Dann kam ihr der rettende Gedanke. "Mrs. Hackelbuck? Ich müsste auf d ieToilette!"DieLehrerinrollteihreAugen,dochnicktesieschließlichnachgebend.KaumhattedasMädchendieKlassentürhintersichgeschlossen,schnauftesiekurzeinmaltiefdurch.DannbegabsiesichumdochaufNummersicherzugehenaufdieMädchentoilette,diesichdirektnebendenSpindfächernderSchülerbefand.DortbliebsieknappfünfMinuten, blickte noch mal auf ihre Uhr -noch knapp zehn Minuten- u! nd entschied sich die restliche Zeit doch wieder in die Klasse zu gehen. Es käme der Lehrerin doch ein wenig komisch vor, wenn Juliette fast fünfzehn Minuten auf der Toilette verweilen würde. Außerdem war der Unterricht eh schon so gut wie gelaufen. Also trat sie wieder aus dem Raum heraus. Als Juliette dann wieder an den Spinden vorbeischlenderte, fiel ihr Blick auf eines, welches einen kleinen Spalt geöffnet war. Als sie die Nummer darauf genau ansah, erstarrte sie. Es war ihr Spind. Neugierig trat sie vor das Fach und öffnete es ganz. Und da lag wieder wie am Tag davor ein Kuvert, und auch dieses Mal lag daneben eine wunderschöne rote Rose. Juliette wurde sofort wieder warm ums Herz. Schon wieder eine Nachricht von IHM! Sie wusste zwar nicht, wen sie mit diesem IHM meinen sollte, doch sie malte IHN sich in ihren verträumten Gedanken aus. Er musste ein unbeschreiblich romantischer und charmanter Typ sein. Ungeduldig und voller Erwartung riss sie das Kuvert auf und zog den Inhalt heraus. Sie schlug den Zettel auf und sah ihn sich zuerst an, dann fing sie an ihn zu lesen, förmlich zu verschlingen.

Liebe Juliette!

Ich bekomme das Bild Deines wunderhübschen Gesichts einfach nicht mehr aus meinem Kopf!
Ich schmelze bei Deinem Anblick immer wieder dahin.
Ich würde Dich wirklich sehr gerne mal treffen, Dir meine Gefühle für Dich persönlich ausdrücken! Wenn Du mich auch kennen lernen möchtest, hinterlege in Deinem Spindfach einen Brief von Dir! Ich werde mich sehr bald wieder bei Dir melden!

Bis dahin, Kuss
Dein Verehrer.

Darüber war das Bild einer Rose aufgedruckt. Einer Rose, die gerade blüht, wächst, sich zu ihrer Schönheit entwickelt.
Juliette seufzte vor sich hin. Wer war ER bloß? ER musste ihr diesen Brief schon in der Früh reingelegt haben. Weil sie zu spät zum Unterricht gekommen war, hatte sie nicht mal Zeit, zu ihrem Spind zu gehen. Bis jetzt. ER wollte, dass sie diesen Brief findet. Darum ließ ER diesmal das Spindfach einen Spalt offen, damit sie seine Nachricht bekommt. Sie wollte sich den Brief noch einmal durchlesen, als eine schrille Stimme durch den Schulflor hallte. "Miss Sanders! Kommen Sie sofort wieder in die Klasse!" Mrs. Hackelbuck stand im Türrahmen des Klassenzimmers, in dem sie gerade unterrichtete. "...Entschuldigung, ich komme schon, einen Moment noch..." Juliette verstaute den Brief wieder im Kuvert und legte ihn wieder ins Regal des Spinds. Nach dem Unterricht würde sie ihn sich dann holen. Sie schloss noch schnell das Fach und begab sich genervt wieder in die Klasse, um die restlichen fünf Minuten noch abzuarbeiten.

"Tot?" Dumonts Stimme überschlug sich fast, als er ins Handy zurückschrie. "Es ist den untersuchenden Leuten wirklich kein Fehler unterlaufen?" "Nein, Inspektor, wir haben konkrete Beweise, dass der Mörder von Susan Thompson und der Mann, der vor einem halben Jahr bei einem Brand ums Leben kam, ein und derselbe ist, auch wenn das nicht zu erklären ist...Mr. Dumont, die Blutproben stimmen mit hoher Sicherheit überein. Paul Sylka war Samstagnacht im Park...Paul Sylka hat Miss Thompson vergewaltigt und kaltblütig erstochen...aber wie?" Dr. Patterson hatte es selbst die Stimme verschlagen. Wie konnte man auch diese neue Beweislage interpretieren? Ein toter Kerl steigt aus seinem Grab und bringt schnell ein Mädchen um, wir sind doch hier nicht bei beliebten Teenagerserien wie ,Buffy' oder so! Das hier ist die harte Realität! Aber es blieb eine Frage bestehen: Wie? Wie konnte ein Mann jemanden töten, wenn er schon seit längerer Zeit selbst tot war? Dumont drehte sich im Kreis, sein Handy am Ohr, dauernd zu seiner Kollegin schauend. Diana Hawkins konnte noch nicht ahnen, was ihr Kollege gerade erfahren hatte. Doch sie sah ihm an, dass er sehr beunruhigt aussah, irgendwie fassungslos. Und das war Andre Dumont auch. "Könnten Sie mir die Akte von Paul Sylka faxen lassen, von der Sache beim Gericht bis zum Tod, ok?" Dr. Patterson stimmte ihm zu und teilte dem Inspektor weitere Informationen mit. "Vielleicht fragen Sie sich, warum Sylka damals nicht verurteilt wurde. Das hat einen ganz interessanten Grund. Zu der Zeit, als er diese Frau angegriffen hatte, war er unter psychiatrischer Behandlung wegen erhöhter Aggressivität und Depressionen. Darum erklärte man ihn vor Gericht zu unzurechnungsfähig. Er besuchte diese Behandlung weitere Monate, bevor er durch das Arbeitsamt einen kleinen Job in dieser Autowerkstatt fand. Sylka freundete sich mit einem Kollegen an, der ihn bei sich wohnen ließ. Die müssen sich sehr nahe gestanden sein, weil nach dem Unfall der Mann nie mehr in der Arbeit auftauchte. Er schickte ein knap! pes Kündigungsschreiben an den Leiter der Firma und ab diesen Moment hatte man nichts mehr von ihm gehört. Er ist auch aus seiner Wohnung ausgezogen. Darum weiß man momentan nicht seinen Aufenthaltsort. "Macht nichts, es braucht auch nicht von Bedeutung sein." Dumont versuchte alle Möglichkeiten zu kombinieren, doch irgendetwas passte nicht zusammen. "Wissen Sie was, wären Sie so nett und könnten mir auch die Akte von Sylka aus der psychiatrischen Anstalt, wo er in Behandlung war, besorgen?" "Kein Problem, ich wollte sowieso noch einmal beim Revier in Dallas wegen der Sache anrufen. Da kann ich auch das noch dazwischenflicken." "Danke...ich hoffe, nachdem ich mich durch diese Aufzeichnungen gekämpft habe, entdecke ich mehr Licht im Dunkeln als bisher." "Viel Glück...Mr. Dumont...ich lasse die Akten gleich zu Ihnen durchfaxen." "Vielen Dank, Doktor!" Andre Dumont steckte sein Handy wieder in die Seitentaschen seiner Jacke und wandte sich Mrs. Hawkins zu, um ihr die neuesten Ergebnisse, so verrückt und unglaublich sie auch klangen und auch waren, mitzuteilen.

Der Mann, der ein paar Stunden zuvor noch erregt Juliette Sanders nachgestarrt hatte, stand nun in seinem Haus -wenn es den Begriff ,Haus' überhaupt verdient hatte, es glich eher einer kleineren Ruine- vor einem hölzernen, von Holzwürmern schon ein wenig angenagten Tischchen, auf denen lauter Fotos von einem Mädchen darauf schön geordnet lagen. Der Mann musterte lustvoll die selbstgeschossenen Bilder. Sie ist noch hübscher, als es Susan war! Und sie wird bald mir gehören,...wie ich auch Susan bekommen habe....nicht mehr lange..! Er nahm sich das eine oder andere Foto, blickte es voller Erwartung an, bevor er es wieder zu seinem ursprünglichen Platz zurücklegte. Ein Foto zeigte das Mädchen auf dem Fahrrad, ein anderes beim Joggen und wieder ein anderes vor dem Schuleingang. Der Mann hatte sie nun seit einigen Tagen im Blickfeld gehabt. Er hatte immer seinen alten, aber noch immer funktionierenden Fotoapparat in seinem Wagen liegen, man wusste ja nie, ob er leicht seine Rose vors Visier bekam. Er fand das Mädchen sehr sexy, wahnsinnig süß. Und sie würde bald in seinen Händen liegen. Sehr bald... Er trat vom Tisch zurück und setzte sich auf dem daneben stehenden Holzstuhl. Der Mann atmete tief durch. Er schloss seine Augen und dachte nach. Dachte an Susan Thompson, der er im Chat aufgelauert war und sie dann nach allen Regeln der Kunst mit seinem Charme gefangen hatte. Dachte an Juliette Sanders, wie er sie bald treffen würde. Ihm wurde es gar nicht wirklich bewusst, dass er ein kaltblütiger Vergewaltiger und Mörder war. Er wollte nur das, was ihm bisher in seinem Leben verwehrt geblieben ist: Schöne junge Mädchen. Und das holte er sich jetzt. Auch wenn er über Leichen gehen musste, denn wenn schon er nicht diese unschuldigen Mädchen bekommen konnte, dann sollte sie in Zukunft auch kein anderer mehr bekommen! Sie gehörten ihm,...sie waren seine Rosen. Er schlug die Augen auf. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass seine Schönheit in wenigen Minuten die Schule verlassen würde. Seine Nachforschungen haben e! rgeben, dass für den Nachmittag eine Lehrerkonferenz in Juliettes Schule geplant war und daher der Nachmittagsunterricht entfiel. Der Mann schwang sich aus dem Stuhl und trat zur Haustür, nahm sich noch seinen Trenchcoat vom Kleiderhaken und verließ voller Erregung sein Haus. Mit der Hoffnung, wieder einige unwiderstehliche Fotos von seiner Rose knipsen zu können durchquerte er den Schotterweg, der von der Tür zur Strasse führte, und schwang sich in sein altes Auto, dass wenige Augenblicke später unter einem lauten Aufheulen des Motors den Parkplatz hinter sich ließ.

Dr. Artur Patterson rannte in seinem Büro auf und ab. Er durchdachte alle neuen Ergebnisse. Irgendetwas stimmte nicht. Nur was? Seufzend ließ er sich auf seinen Ledersessel hinter dem Bürotisch fallen. Dieser Sylka konnte nicht tot sein...doch wer war dann die Leiche, die man beim Brand in der Autofabrik gefunden hatte...oh Gott...es schoss ihm ein schrecklicher, aber durchaus logisch erscheinender Gedanke durch den Kopf. Mit vor Nervosität zitternden Fingern tippte er aufgeregt eine Nummer in die Tastatur seines Telefons.

Juliette, da bist du ja! Der Mann im Trenchcoat nahm seinen Fotoapparat vom Beifahrersitz seines verrosteten Wagens und nahm das Mädchen, das gerade auf dem Nachhauseweg war, ins Visier. Klick! Klick! Mit schnellem Tippen schoss der Mann Bild um Bild, gefesselt von dem Anblick der Unschuld, die dieses Mädchen ausstrahlte. Erregt drückte er immer und immer wieder auf den Auslöser, bis Juliette mit ihrem Fahrrad um die Ecke verschwunden war. Dann legte der Mann den Apparat wieder auf den Sitz neben ihm und blickte lustvoll auf die Stelle, wo seine Rose gerade abgebogen war, auch wenn diese schon lange nicht mehr in Sichtweite war. Oh Juliette, meine Süße! Mit einem Grinsen auf den Lippen startete er den Motor und fuhr dem Mädchen nach.

Zum Glück war an diesem Nachmittag schulfrei! Jetzt nur schnell daheim eine Kleinigkeit essen, dann noch die Hausaufgaben machen, und um drei Uhr würde dann ihre Freundin Sarah kommen. Sollte Juliette ihr was über ihren süßen Verehrer erzählen,...? Nein, vielleicht später. Es könnte leicht sein, dass sie ihr diese Aufmerksamkeiten nicht gönnt, weil Sarah Cox war eine der Personen, die selber erst Glück und Geborgenheit haben möchten, bevor sie sich über solche Erlebnisse von Freunden mitfreuen konnte. Aber egal. Juliette würde es ihr schon sagen,...aber erst, wenn sie wusste, wer dieser Verehrer bloß war. Langsam radelte sie Richtung Wohnhaus der Familie, mit den Gedanken wieder einmal bei den Briefen. Nicht nur der Wille des Jungen, seine Gefühle für sie mitzuteilen, es war vielmehr die Art, der Stil, wie ER es tat, die Juliette nicht aus ihrem Kopf bekam. Auch so musste ER ein echter Romantiker sein, wie sie an den Rosen bemerkte. Sie hatte sich noch mal die Namen der selbst geschriebenen ,Verehrer-Liste' durchgedacht und kam zum Ergebnis, dass es vermutlich keiner der Verdächtigen war. Zwar waren einige heiße Kandidaten im Rennen, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass sie ihren neuen Verehrer womöglich noch gar nicht kannte. Darum: Wer war ER? Eines wusste sie jedenfalls, sie wollte es so bald wie möglich herausfinden. Und das würde sie auch...

"Das ist ja wirklich irr! Wie ist so etwas möglich...nein, das ist nicht möglich...." Diana Hawkins saß geschockt über die Mitteilungen ihres Kollegen Andre Dumont in ihrem Bürosessel, den Mund vor Fassungslosigkeit weit offen stehend. Dumonts Worte rasten durch ihren Kopf. Ein Mann, der tot war, konnte kein Mörder sein, vor allem nicht, wenn der Tod des Täters schon viel länger her war als der des Opfers...Sie musste tief durchatmen. "Und wie geht's jetzt weiter?" wendete sie sich wieder an Dumont. "Puh,...keine Ahnung. Jetzt warten wir mal auf die Akten von Sylka, vielleicht löst sich dieses unmögliche Rätsel doch. Dr. Patterson sagte auch, dass Paul Sylka längere Zeit in psychiatrischer Behandlung war. Wäre gespannt, was der Grund für seine schlimmen Gewaltanfälle war. Na ja,...möchtest du einen Kaffee?" Der Inspektor blickte seine attraktive Kollegin freundlich an. "Sehr gerne, Andre!" Diana Hawkins fand es toll, dass sie endlich mehr Kontakt zu ihrem Kollegen hatte, er war ihr schon öfters aufgefallen, doch sie hatte zuvor kaum was mit ihm zu tun. Sie fand Dumont echt spitze. Doch nun tat er ihr richtig leid, weil die verrückten Wendungen in diesem Mordfall strapazierten seine Nerven merkbar viel mehr, als ihm lieb war. Dumont war aus ihrem Zimmer gegangen, auf dem Weg zum Kaffeeautomaten. Diana blickte ihm mit Mitgefühl nach. Er versuchte, sich selbst ein wenig abzulenken. Von diesem Nerven zermürbenden Fall, von den Vorgesetzten, die ihm sicher schon Druck machten. Doch bei diesen Versuchen merkte man ganz klar, dass ihm das nicht wirklich gelang. Zu oft war er mit seinen Gedanken ganz wo anders, bei dem Täter, seinen Absichten, seiner Lebensgeschichte und vor allem die Frage, wie ein Toter einen Mord verüben konnte. Doch diese Frage würde sich schon bald beantworten, leider ein bisschen zu spät...

Juliette parkte ihr Fahrrad vor dem hohen Gebäude, machte das Sicherungsschloss noch dran, und ging dann zur Eingangstür. Mann, der Lift dauert heute wieder lange! Ah...endlich! Nachdem sie per Aufzug in den fünften Stock gefahren war, betrat sie die in dieser Etage gelegene Wohnung der Sanders - Familie. Geschickt aus ihren Sandalen geschlüpft trat sie in die Küche, wo sie sich eine Tiefkühlpizza aus dem Kühlschrank holte und ins Rohr des Herdes schob. Lecker,...Salami! Während ihr Mittagessen so richtig warm wurde, setzte sie sich auf den Balkon, wo Juliette sich noch ein wenig bräunen lassen würde, bevor sie sich über ihre Lieblingsspeise stürzen konnte.

Da oben sitzt sie und lässt ihren schönen Körper bräunen...Juliette...Oh Juliette! Die rechte Hand des Mannes griff instinktiv zum neben ihm liegenden Fotoapparat rüber, nahm ihn und stellte das Visier Richtung Balkon von den Sanders. Klick! Klick! Wie auch schon wenige Minuten zuvor schoss sich der Mann im rostigen Wagen in einen richtigen Wahn, drückte immer wieder auf den Auslöser, bis er schließlich merkte, dass der Film aus war. Er drückte weiter, in der vergeblichen Hoffnung, dass der Apparat noch irgendwelche Reserven für weitere lustvolle Fotografien frei legte. Nach knapp einer halben Minute kam er wieder aus seiner Traumwelt zurück, in die Realität. Er legte das alte Gerät wieder auf den Beifahrersitz zurück und blickte einfach zum Balkon hinauf, wo das hübsche Mädchen einen Zettel in die Hand genommen hatte und ein wenig darin schmökerte. Ihre braunen Haare glänzten im Licht der Sonne. Sie sah richtig verträumt aus. Erregt seufzte der Mann vor sich hin. Er konnte es kaum noch erwarten, bis dieses Mädchen endlich ihm gehören würde. Nur ihm, und sonst keinem anderen mehr... Der Mann blieb noch knapp zehn weitere Minuten in seinem Auto sitzen, bis Juliette den Balkon verließ und in die Wohnung zurückging. Kurz ihr noch nachblickend, setzte er schließlich seinen Wagen, welcher gegenüber des Wohngebäudes, in dem Juliette Sanders wohnte, geparkt war, in Bewegung und fuhr die Straße hinunter, zurück zu seiner Behausung, um in seinem selbst eingerichteten Fotolabor die unwiderstehlichen neuen Aufnahmen seiner Rose zu entwickeln.

"Hier, bitte! Aber pass auf, er ist noch sehr heiß!" Andre Dumont reichte seiner Kollegin den Plastikbecher voll gefüllt mit cremigen Kaffee. "Danke!" Diana Hawkins nahm den Becher und stellte ihn sich auf den Bürotisch. Anschließend setzte sie sich nieder und sah Dumont erwartungsvoll an. "Und, wie lange wird es noch dauern, bis die Akten hergefaxt werden?" fragte sie ihn. Ungeduldig blickte der Inspektor auf seine Armbanduhr und antwortete mit einem mürrischen Unterton. "Ich hoffe bald..." Er nahm einen großen Schluck aus dem Becher und musste danach wegen der wirklich noch sehr warmen Temperatur des Getränkes kurz durchatmen. Er blickte Diana an. "Ich weiß, dass ich mich jetzt schon zu sehr in diesen Fall hineinsteigere, für die Tatsache, dass ich erst seit nicht einmal zwei Tagen daran arbeite, kommt es mir schon wie eine halbe Ewigkeit vor. Es ist so ein komisches Gefühl. Ich verspüre es die ganze Zeit, wenn ich an den Mord und den Täter denke. Und ich muss sehr oft an das denken. Kaum ein Mordfall nahm mich bisher so mit wie dieser. Womöglich auch, weil ich das komische Gefühl habe, dass dieser Mord erst der Anfang ist...." "Der Anfang....wovon...?" Diana Hawkins hörte interessiert zu. Dumonts Worte bestätigten ihren Verdacht über seine Gedanken. Sie hatte Recht behalten. Dumont fuhr fort: "Ich weiß nicht,...aber ich habe so ein mulmiges Gefühl, dass ich...wir noch sehr viel zu überstehen haben...in dieser verzwickten Sache. Ich weiß, ich muss mich wie ein selbstmitleidiger, pessimistischer und durchgeknallter Ermittler anhören, den dieser Fall nervlich ans Ende seiner Kräfte treibt..." Er sah seine Kollegin mit einem traurigen Blick an. "Nein, du siehst eher wie ein Ermittler aus, der so schnell wie möglich diesen Schweinehund hinter Gittern bringen will und so lange dir das nicht gelingt, macht dich diese Gewissheit total fertig." Diana versuchte Dumont damit ein wenig zu helfen, doch ein Teil von ihr haderte auch mit Dumonts letzten Worten: ,...den dieser Fall nervlich ans Ende seiner Kräfte tre! ibt'. Sie passten wirklich zum momentanen Zustand von ihrem Kollegen, sie hatte Angst, dass sie womöglich Wirklichkeit würden. Dumont war ein zu sensibler Typ, um so etwas schnell wieder zu verarbeiten, sich zu regenerieren. In diesem Augenblick läutete der Telefonapparat auf ihrem Schreibtisch. "Ist Inspektor Dumont bei Ihnen?" fragte die Sekretärin der Mordkommission. "Ja, ist er!" "Ich wollte nur, dass er weiß, dass er ein wichtiges Fax bekommen hat, es stammt vom Polizeirevier in Dallas." "Ah,...ja...danke...ich werde es ihm ausrichten..." Sie verabschiedete sich bei der hilfsbereiten Mitarbeiterin und legte den Hörer wieder auf die Gabel des Telefons. "Andre....die Faxe sind da!" "....na endlich...!" Mit einem kurzen Winken verließ er das Zimmer von Diana Hawkins und machte sich auf den Weg in sein Büro. Die Computerspezialistin blickte ihm sorgvoll nach. Dann ließ sie sich seine Worte noch mal durch den Kopf gehen: ,...den dieser Fall nervlich ans Ende seiner Kräfte treibt.' Ja, er hatte Recht. Es würde wahrscheinlich soweit kommen. Armer Andre! Mit den Gedanken bei ihrem Kollegen merkte sie gar nicht, dass der Kaffee inzwischen fast schon kalt geworden war.

Andre Dumont stürmte förmlich zum Faxgerät in seinem Bürozimmer. Sieben Seiten lagen auf dessen Ablage. Der Inspektor nahm sie voller Neugier mit einem Griff und setzte sich auf den Bürosessel. Er nahm sich den ersten Zettel und fing an den Inhalt schnell zu überfliegen.

Polizeirevier Dallas, Texas


Akte 21368/85 16. November 2000

Name: Paul Sylka
Nationalität: US-Staatsbürger
Geboren: 23. September 1967 in Dallas, Texas
Gestorben: 13. November 2000 in Dallas, Texas
Todesursache: Brandopfer(siehe Akte 24536/72)

Lebenslauf:

Paul Sylka wurde am 23.09.1965 im City Hospital in Dallas, Texas geboren. Er wuchs in einer Handwerksfamilie auf. Sein Vater Dan besaß eine eigene Tischlerei, bis er aufgrund von Herzanfällen 1995 in Frühpension gehen musste. Er starb am 03.05.1999 auf Grund eines weiteren schweren Schlaganfalls. Paul Sylka war ab diesem Tag elternlos, da auch seine Mutter Jessica zwei Monate nach seinem einundzwanzigsten Geburtstag, am 13. 11. 1987, bei einem Autounfall ums Leben kam. Ab dieser Zeit entwickelte P. Sylka erstmals große Aggressionsanfälle gegenüber seiner Mitmenschen. Er musste seine Arbeit in einem Fotogeschäft aufgeben, da er psychisch überfordert war. Er war sehr gereizt und verschlossen.

Plötzlich stoppte Dumont. Er las die letzten Zeilen noch einmal durch und sein Blick erstarrte. Paul Sylkas Todestag war auf den Tag genau dreizehn Jahre später als der tödliche Unfall seiner Mutter...13. 11.2000, 13.11.1987...das konnte doch kein Zufall sein. Die Beamten mussten diese Gemeinsamkeit übersehen oder kein Interesse gezeigt haben. Doch dem Inspektor brannten schon wieder alle Gehirnzellen. Dieser Sylka gab ihm immer mehr Rätsel auf. Nach einem tiefen Durchatmen las er weiter.

Darum kam er ab Jänner 1988 in die psychiatrische Behandlung bei Dr. Steve Conroy. In unregelmäßigen Abständen, meist nach Konflikten mit dem weiblichen Geschlecht oder mit dem Gesetz, suchte Sylka immer wieder seine Praxis auf. Mit Hilfe von Dr. Conroy fand er zunächst Arbeit in einem Fachgeschäft für Computer-Hardware & Software. Doch mit dem Tod seines Vaters wurden die gezähmten Aggressionen wieder aktiv und Paul Sylka wurde immer unberechenbarer. Er blieb jetzt dauerhaft in Dr. Conroys Behandlung, bis diese mit Juni 2000 beendet wurde, da Sylka ab diesem Zeitpunkt wieder arbeitsfähig und für seine Mitmenschen keine Gefahr zu sein schien. Er fand einen kleinen Job in einer Autoherstellungsfabrik, bei der er bis zu seinem Tod am 13.11.2000 arbeitete. Er wurde eines von fünf Opfern bei einem verheerenden Brand im Gebäude.
Seine Leiche wurde am Zentralfriedhof in Dallas begraben.

Delikte:

17.11.1987:
Paul Sylka bricht beim Begräbnis seiner Mutter zusammen. Als ihn sein Vater zum Hausarzt bringt, fängt er wie wild um sich zu schlagen an und verletzt die Sprechstundengehilfin im Gesicht. Sie trägt bis heute eine kleine Narbe an der Stirn. Sylka wird vom Opfer angezeigt und zu einem Schmerzensgeld von 3.500 Dollar verklagt.

4.12.1987:
P. Sylka fängt an der U-Bahn-Station eine Schlägerei an, bei der ein unschuldiger Mann leicht verletzt wird. Sylka verbringt eine Nacht im Polizeirevier und wird dann wieder auf freien Fuß gesetzt.

30.04.1993:
P. Sylka belästigt eine junge Frau in einem Restaurant, wird handgreiflich. Der Freund der Dame stößt dazwischen und beginnt mit ihm eine kleine Rauferei. A lsdiePolizeikommt,versuchtSylkazuflüchten,dochdieBeamtenkönnenihnrechtzeitigfassen.DadieFrauvoneinerAnzeigeabsieht,kannernichtfestgehaltenwerden.br
23.06.1996:
Paul Sylka stiehlt zwei Pornomagazine in einer Trafik. Er wird vom Trafikanten selbst gestellt, der die Polizei verständigt. Die nimmt ihn fest und gibt ihm eine Geldstrafe von 80 Dollar.



15.10.1997:
P. Sylka beschädigt Geschäftseigentum im Computershop, in dem er zu dieser Zeit angestellt ist. Obwohl es nicht bewiesen werden kann, behauptet ein Mitarbeiter, es war Absicht und gibt der Polizei zur Aussage, das Sylka aggressiv und leicht reizbar wäre. Nach einer Entschädigung von 850 Dollar wird die Anzeige dieses Angestellten zurückgezogen, da der Firmenleiter kein Aufsehen erregen wollte. Auf Grund von Dr. Conroys Überredungskunst behält Sylka die Arbeit, wird aber ins Lager versetzt.

09.05.1999:
Bei der Beisetzung seines Vaters bekommt Sylka einen von seinen nicht steuerbaren Anfällen und bedroht einige der wenigen Begräbnisbesucher. Vor dem Friedhof legt er sich mit einem ehemaligen Freund seines Vaters an und schlägt ihn zu Boden. Der Mann trägt zwei Rippenbrüche und Prellungen am Oberkörper und im Genitalbereich davon. Sylka wird angezeigt, wird aber zum wiederholten Male auf freien Fuß gesetzt, da er das Schmerzensgeld in Höhe von 3.300 Dollar zahlen kann und noch immer unter Behandlung steht.

20.07.1999:
P. Sylka belästigt eine Schülerin auf dem Nachhauseweg. Er greift sie an intimen Stellen an und bedroht sie mit schlimmen Folgen, wenn sie die Polizei einschalten würde. Das Mädchen bleibt tagelang stumm, doch bricht sie dann in einem Weinanfall alle Versprechen an Sylka. Er kann jedoch nicht verhaftet werden, weil erstens zu wenig Beweise für die Schuld von Sylka vorliegen, und zweitens, weil er von Dr. Conroy von der Psychiatrischen Heilanstalt als ,unzurechnungsfähig' beurteilt wird und außerdem momentan in einer schweren Behandlungsphase wäre.

13.11.2000:
Es gibt einen schweren Brand in der Autoherstellungsfirma, in der Sylka arbeitet. Bei dem Feuer sterben fünf Mitarbeiter, unter ihnen Sylka selbst. Obwohl es der Firmenleiter nicht beweisen kann, wird gemunkelt, dass Sylka selbst diesen Brand gelegt hat. Er fiel einige Male wegen Sticheleien an seinen Kollegen auf. Seine verkohlte Leiche wurde vier Tage später am Zentralfriedhof von Dallas begraben.

Nachdem Andre Dumont die ersten Seiten zu Ende gelesen hat, lehnte er sich zunächst in seinen Sessel zurück und durchdachte alle gerade aufgenommenen Informationen. Sylka war zweifellos ein Mann mit einer gestörten Psyche gewesen. Der Tod seiner Eltern war ein Mitgrund, doch Dumont hatte das Gefühl, ob nicht doch etwas anderes dahinter stecken könnte. Er nahm noch mal die durchgelesenen Zettel in die Hand und überflog den Inhalt noch einmal. Sieben Mal hatte Sylka mit der Polizei zu tun, darunter zweimal wegen sexueller Belästigung, dreimal wegen Körperverletzung und je einmal wegen Diebstahls und absichtlicher Beschädigung von Verkaufswaren. Bei allen Punkten kam die Aggressivität, die Unberechenbarkeit von Paul Sylka zu Tage. Was fand in seinem Kopf statt? Welche Gedanken spukten ihm darin herum? Dumont dachte angestrengt nach. Er versuchte sich ein wenig in die Psyche von ihm hineinzusehen, doch es schien ihm nicht zu gelingen. Am besten wäre es sicher, weiterzulesen. Vielleicht konnten die kommenden Seiten ein wenig das erklären, was in Sylka vorging. Darum nahm er die nächsten Seiten des Faxes zur Hand und begann die Mitschriften von Dr. Steve Conroy zu untersuchen.





Psychiatrische Heilanstalt Dallas
Hunther Street 64
US, Dallas, Texas

Name des Patienten: Paul SYLKA (*geboren 23.09.67)
Beginn der Behandlung: 09.01.1988
Vorläufiges Ende der Behandlung: 17.07.2000

,Vorläufiges Ende der Behandlung', das klang für Dumont ein wenig makaber wegen der Tatsache, dass der Patient ja schon unter der Erde lag(oder legen müsste).

Behandelnder Arzt: Dr. Steve Gerome CONROY


Zusammenfassung der grundlegenden Meinung des behandelnden Arztes über den Zustand des Patienten:

Paul Sylka kam das erste Mal Anfang Jänner 1988 in meine Praxis. Er machte einen unruhigen, aufgebrachten Eindruck. Als ich ihn auf seine Mutter ansprechen wollte, wurde seine Stimme sehr laut und ungehalten. Doch nach knapp einem Monat Behandlung wurde er zugänglicher, ließ die Schutzmauer, die er um sich aufgebaut hatte, fallen und fing an, mit mir in diszipliniertem Maße zu kommunizieren an, nur das Thema um seine Mutter durfte ich nie anschneiden, da er sonst seine Schutzmauer wieder um sich aufreihte. Sein Vater erzählte mir einige Male, dass Paul Sylka auch zuhause kaum etwas sprach beziehungsweise in abnormalem Zustand war. Ich beließ es damit, den Patienten nur noch über Themen zu befragen, über die er mit mir sprechen wollte, besser gesagt, über die er mit sich sprechen ließ. Er war schon zu Beginn der Behandlung einer der schwersten Patienten, die ich je behandelt hatte. Dann aber, eines Tages, als er wieder zur Therapie zu mir kam, schaffte ich es erstmals, ein wenig in seinen Kopf, in seine Gedanken zu blicken. Zuerst saß er nur so da, sagte kein Wort, doch nach ungefähr zehn Minuten brach er sein Schweigen. ,Sie hat mich verlassen, sie hat mich einfach allein gelassen.' Auf meine Frage, wen er denn damit wohl meine, zuckte er zusammen und redete erneut kein Wort. Ich wusste, ich musste das Gesprächsthema gleich wieder ändern, sonst wäre ich an diesem Tag wohl nicht mehr an ihn rangekommen. Aber als ich ihn auf etwas anderes ansprechen wollte, sagte er mit trauriger, leerer Stimme ihren Namen. Den Namen des Mädchens, das er liebte. Den Namen des Mädchens, das ihm das Herz gebrochen hatte. Sie hieß Janette. Wie sich in den kommenden zwei Stunden herausstellen sollte, war sie seine erste richtige Liebe, er hatte sie einige Wochen zuvor kennen gelernt. Zunächst fühlte sie sich bei ihm geborgen, sie empfand anscheinend einiges für ihn. Doch dann, einen Tag vor dieser Aussprache, hatte sie ihn verlassen. Aus welchem Grund, wollte Paul Sylka mir nicht sagen, doch ich habe den Verdacht, das seine An! fälle, seine auf irgendeine Art unheimliche Persönlichkeit, auch seiner Liebe oder Rose, wie er sie nannte, Angst eingeflößt hatte. Das könnte wirklich der Grund für die Trennung gewesen sein. In den kommenden Wochen hatte ich nur damit zu tun, Sylka zu überzeugen, dass es noch mehr Frauen auf der Welt gab als Janette, doch es schien, als würden meine Ratschläge immer an seiner wieder um ihn aufgereihten Schutzmauer zerschmettern, bevor sie auch nur in Reichweite des Empfängers kam. Er erzählte mir davon, dass sie zunächst ihn tröstete, weil sie ihm leid tat, weil er so depressiv war. Und sie musste sich auf irgendeine Weise von ihm angezogen gefühlt haben, obwohl Sylka ehrlich gesagt, keine Schönheit war und auch keine Spur von Attraktivität ausstrahlte. Aber trotzdem, es scheint, als hätte er eine besondere Art von Charme gehabt, die Frauen anziehen. Und doch wollte er nur was von Janette wissen. Nur sie wollte er. Er begehrte sie förmlich. Und nach seinen Beschreibungen nach muss sie wirklich eine echte Schönheit gewesen sein. Seine Rose wurde jedenfalls zum Hauptgesprächsthema der folgenden Wochen. Immer, wenn ich einmal auf ein anderes Themengebiet kommen wollte, wehrte er ab und fing einfach wieder von ihr zu erzählen an, nicht mehr auf meine Stimme oder auf irgendwelche sonstige Geräusche achtend. Er befand sich in seiner eigenen Traumwelt, in der er noch immer mit seiner Janette zusammen war, glücklich, vereint. Paul Sylka war besessen von ihr. Er wollte sie besitzen. Er begehrte sie, ihren Charakter, ihren Körper, ihre Schönheit. In den darauf folgenden Wochen war er anfällig, Frauen, die Janette ähnlich sahen, zu belästigen. Er hatte aus diesem Grund auch einige Male Schwierigkeiten mit der Polizei. Nur durch meine Überzeugungskraft, schaffte ich es, den Patienten von der ihm bevorstehenden Haft zu bewahren. Aber ich bestand dafür darauf, dass Sylka in meine Klinik einzog, damit ich noch mehr über ihn erfahren konnte, auch wenn er meistens nur auf seine große Liebe anzusprechen war. Was mich wu! nderte, war, dass Sylka kein einziges Mal über den Tod seines Vaters sprach, ich habe das Gefühl, dass seine Psyche schon soweit verworren war, dass er nichts mehr rund um ihn erlebte. Er versteckte sich immer mehr in seiner Traumwelt, wollte ungestört sein, nur an seine Rose denken. Als sich sein Zustand binnen Monate wieder um einiges besserte, wollte ich ihm eine weitere Chance geben und suchte ihm einen kleinen Job in einer Autoherstellungsfabrik. Ich hoffte, dass er die Sache diesmal disziplinierter anstellte als 1997, als Sylka durch meine Mithilfe in ein Computergeschäft eingestellt wurde. Dort hatte er einige Aggressionsanfälle und zerstörte teures Geschäftsinventar. Aber es schien immer besser zu werden. Wie ich erfuhr, freundete er sich mit einem Arbeitskollegen an, unter dem Gesichtspunkt gesehen, dass er die letzten Jahre überhaupt nie welche Freunde hatte, außer seine Liebe Janette, war diese Folge für mich mehr als nur ein positives Zeichen. Vielleicht hätte er ein neues Leben begonnen, auf jeden Fall kein normales, doch ein Leben. Wenn nicht dann dieser schreckliche Brand in der Fabrik gewesen wäre. Es wird behauptet, dass Sylka selbst das Feuer gelegt habe, doch dieser Aussage kann ich nichts abgewinnen, da Sylkas Aggressionsanfälle immer geringer geworden sind und er sich auch wieder viel zugänglicher und offener gezeigt hat. Auch wenn er ein wirklich seltsamer Kauz gewesen ist, einen Brand zu verursachen, das habe ich ihm zuletzt nicht mehr zugetraut.
Für mich war Paul Sylka ein Patient, an den ich sehr oft zurückdenken muss. Er bleibt für mich ein ewiges Rätsel. Trotz aller Bemühungen konnte ich nie feststellen, wer er wirklich war.

Dr. Steve Genome Conroy

Darunter war noch gedruckt:

Für weitere noch ausführlichere Informationen melden sie sich bitte bei uns unter der Telefonnummer (972)875-3228/13.
Wir werden ihre Fragen mit großer Diskretion behandeln.

Dumont richtete sich auf. Er legte die Zettel auf den Bürotisch. Sylka war ein echt kranker, von Frauen besessener Psychopath gewesen. Eigentlich ein eindeutiges Indiz dafür, dass er für den Mord an Susan Thompson verantwortlich war. Wenn er nicht tot wäre... Dumont fuhr sich mit seinen Zeigefingern an seine Schläfen und massierte sie. Er war müde, müde wegen all den Gedanken, die er sich zerbrochen hatte. Für ihn sollte alles logisch sein, es war auch logisch. Paul Sylkas Spuren wurden auf der Leiche des Mädchens gefunden, er war auch schon einige Male an Frauen handgreiflich und... er begehrte Frauen. Und noch etwas hatte Dumont erkannt: Sylka nannte seine Liebe immer ,meine Rose'...genauso wie der Mörder von Susan in den Mails, die er ihr geschrieben hatte. Das würde auch die verwelkte Rose bei der Leiche erklären. Doch es gab ein Indiz, an welchem der Inspektor zerbrach: Paul Sylka war tot. Lag seit einem halben Jahr unter der Erde von Texas. Andre Dumont nahm den letzten Zettel zur Hand. Es war der Bericht von der Feuerwehr Dallas über den Brand in der Autoherstellungsfabrik mit der Aktennummer 24536/72. Der Ort, an dem der Hauptverdächtige im Mordfall Thompson das Zeitliche gesegnet hat. Auf dem Zettel fanden sich kaum weitere Hinweise. Es war ein normaler Unfall gewesen, nichts wies auf Brandstiftung hin, doch trotzdem, die genaue Brandursache konnten sie bis heute nicht feststellen. Die Feuerwehr nahm an, dass eine Maschine plötzlich überladen und explodiert war. Die Folge war, dass zehn Personen von der Außenwelt abgekapselt waren. Ein Flammeninferno trennte den Weg in die Freiheit. Doch es konnten noch ein paar Leute gerettet werden, außer fünf Angestellten, darunter Paul Sylka. Sie kamen im Feuer um. Dumont wusste, was er als nächstes machen wollte. Zunächst würde er Diana Hawkins über die neuen Hinweise informieren, dann würde er sich auf die Suche nach Sylkas großer Liebe machen. Janette hieß sie. Sie könnte Dumont vielleicht noch einiges zu der Psyche von ihrem Ex-Liebhaber erzählen. Und w! arum sie ihn verlassen hatte. Aber die Antwort auf diese Frage glaubte Dumont selbst zu wissen. Doch wie konnte er diese Janette finden? Vielleicht würde ihm dieser Dr. Conroy helfen, Sylkas Seelenklempner. Ihm hatte dieser Irre ja das Aussehen seiner ,Rose' beschrieben. Das könnte Andre Dumont weiterhelfen.

"Psychiatrische Anstalt Dallas, guten Tag. Hier spricht Dr. Steve Conroy." "Ah, Dr. Conroy, ich heiße Andre Dumont und bin von der Mordkommission in Arlington und möchte Ihnen einige Fragen zu einem ehemaligen Patienten von Ihnen stellen." "Sicher, um wen geht's denn?" "Um Paul Sylka." Der Inspektor musste einige Sekunden auf eine Antwort des Psychiaters warten. "...ah...Paul Sylka...der ist schon seit einiger Zeit tot...was wollen Sie denn über ihn wissen?" "Sylka sprach in ihren Therapiestunden doch lange Zeit mit Ihnen über seine Liebe, eine Frau namens Janette. Könnten Sie mir vielleicht sagen, wie er sie Ihnen beschrieben hat?" Dumont musste wieder einen kurzen Augenblick warten, doch dann begann der Doktor zu erzählen. "Janette war seiner Beschreibung nach groß, hatte lange blonde Haare, schöne große blaue Augen, ein verführerisches Muttermal auf der linken Wange, eine üppige Oberweite und war sehr humorvoll. Bis sie ihn verlassen hatte. Das brach Sylka das Herz. Aber warum bloß möchten sie das alles wissen, Mr. Dumont?" "Ich möchte mehr über die Gedanken von diesem Verrückten erfahren..." zischte Dumont hervor. Diese Aussage tat ihm sogleich wieder leid, da es bei Conroy eine wütende Resonanz hervorrief. "Paul Sylka war nicht verrückt, nur missverstanden und ausgenützt. Alle, die ihm etwas bedeutet hatten, verließen ihn. Erst der Tod seiner Mutter, dann seine Rose. So nannte er sie immer. Aber er war nicht verrückt. Sie haben überhaupt keine Ahnung, was in seinem Kopf vorging." "...und wissen sie, was in seinem Kopf vorging?" kam die konternde Frage vom Inspektor. "Nein,...auch ich konnte nie wirklich zu ihm vordringen, aber für mich war er ein Patient,...nein, ein Mensch, für den auf dieser Welt kein Platz zu sein schien. Erst sein Tod konnte alle seine Feinde befriedigen, alle, für die er auch nur der Verrückte von nebenan gewesen war..." Stille. Dann redete Conroy weiter. "...aber ich hätte auch gerne gewusst, was wirklich in ihm vorging...nur eines weiß ich, er war besessen von den Personen, d! ie ihn respektiert haben, die ihn geliebt haben...das war zunächst seine Mutter und dann Janette. Ansonsten wollte er nichts Böses anrichten. Diese Anfälle, die er hatte, er selbst konnte sie nicht steuern...lassen Sie Paul in Frieden ruhen. Diese Ruhe hat er sich verdient..." Dumont saß an seinem Schreibtisch und war froh, als er schließlich das Gespräch mit Steve Conroy beenden konnte. Gereizt legte er den Hörer des Telefons auf die Gabel und schrieb sich die Aussehensmerkmale von Sylkas Liebe auf seinen Notizblock auf. Trotz denen würde es verdammt schwer werden, diese Janette zu finden. Aber sie war eine weitere heiße Spur in diesem verwirrenden Fall. Und man musste jeder Spur nachgehen.

Diana Hawkins surfte durchs Internet, auf verschiedenste Sites von der Polizei Dallas, in andere , auf deren es über Mordrituale ging. Die verwelkte Rose bei der Leiche von Susan Thompson. Was hatte sie zu bedeuten? Angestrengt suchte sie nach ähnlichen Vorkommnissen bei anderen Morden. Es wurden schon oft Leichen mit Gegenständen gefunden, meist waren das Sektenmorde oder ähnliches. Seufzend gab sie die nächste Adresse ein, um weiter zu suchen. Wenn sie schon nicht zusammen mit Andre Dumont auf Mördersuche gehen konnte, wollte sie ihm wenigstens mit dieser Art von Nachforschungen helfen. Doch sie hatte keinen Erfolg auf der Suche nach weiteren Hinweisen in diesem Mordfall. Als sie schon resignierend die Internet-Verbindung unterbrechen wollte, sagte ihr ein Gefühl, dass sie sich noch in den lokalen Chat von Arlington, der ,Texas Chatworld', in dem ja auch Susan Thompson gechattet hatte, reinklicken sollte. Zunächst fand sie auch im Chatraum nichts besonderes, doch dann blieb ihr Blick auf einem Wort hängen. Auf der Liste der anwesenden Chatter leuchtete auch folgender Nickname auf: ,Angel021' ...




































4.JULIETTE





Der Mann im schwarzen Trenchcoat war schon auf dem Weg zu seiner verfallenen Behausung, als er mit seinem rostigen Ford am ,Cool Spirit' vorbeifuhr. Das ,Cool Spirit' war eines der beliebtesten Internet-Cafes der Stadt...und auch eines der billigsten. Für einen Dollar konnte man ohne Einschränkungen eine Stunde surfen. Zuerst wollte der Mann weiterfahren, doch dann fuhr er fast automatisch an den Straßenrand. Er hielt an, warf noch einmal einen kurzen Blick auf seine alte am Beifahrersitz liegende Fotokamera, auf dessen eingelegten Film unwiderstehliche Aufnahmen seiner Rose nur darauf warteten, entwickelt und dann bewundert zu werden. Dann schloss er den Wagen ab und betrat das Internet-Cafe. Um die Mittagszeit waren wie auch diesmal nur wenige Jugendliche vor den Computern. Die Angestellte saß gerade selbst vor dem Monitor eines PCs, achtete nicht auf den neuen Besucher. Erstens, weil so viele Leute dieses Gebäude besuchten, sodass man sowieso den Überblick über alle Personen verlor, aber auch zweitens, weil sie diesen Mann kannte. Er war schon öfters hier gewesen. Meistens surfte er knapp zwei bis drei Stunden im Netz umher, ging dann zur Kassa, zahlte ohne Probleme das Geld und verschwand wieder. Der Mann trat bei der jungen Frau vorbei und suchte sich einen Rechner am Ende des Raumes und stellte die Internet-Verbindung her. Instinktiv gab er die Adresse der lokalen Chatsite ein und wenige Sekunden darauf landete er bei der Anmeldung zum Chatraum. Ohne zu zögern gab er seinen Nickname ein... ,Angel021'.

Nachdem Juliette genussvoll die Salami-Pizza verschlungen und danach schnell die Englisch-Hausaufgabe in ihr Heft gekritzelt hatte, legte sie sich wieder auf den Balkon. In ihrer linken Hand hatte sie die Rose ihres Verehrers, auf dem kleinen Tischchen neben dem Liegestuhl lagen seine zwei Briefe. Immer wieder musste Juliette überlegen, wer nun dieser Kerl bloß war. Da schloss sie einen Entschluss. Sie würde IHM einfach wirklich eine Nachricht in ihrem Spind hinterlassen und darauf warten, bis er kam, natürlich versteckt hinter einer Ecke. Sie musste erfahren, wer ihr diese Liebesbeweise zukommen ließ. Sie setzte sich auf, holte sich einen Zettel und einen Kugelschreiber und begann mit dem Brief. Was sollte sie bloß hineinschreiben? Zuerst einmal sich für die schönen Rosen und die charmanten Briefe bedanken! Eifrig schrieb sie die ersten Zeilen auf das Papier. Und wie jetzt weiter? Aufgeregt überlegte sie, wie sie weiter schreiben sollte. Nach knapp einer halben Stunde hatte sie endlich den Brief fertig. Juliette las ihn sich noch einige Male durch, auf der Suche nach Opfern des Fehlerteufels, aber sie hatte den Eindruck, als ob die Nachricht in Ordnung war. Morgen früh würde sie ihn gleich in ihrem Spind verstauen und auf ihren Verehrer warten.

Ah, wer ist denn da alles im Chat? ,Ravergirl',...nein, das ist so eine fette 18-Jährige, die sich für etwas Besseres hält. Er hatte zwar schon ein paar Mal kurz mir ihr gechattet, doch sein Interesse galt anderen Mädchen. ,Sue1104',...auch nicht, zwar süß, aber zu jung. Nein, der Mann im schwarzen Trenchcoat war auf der Suche nach einem neuen atemberaubenden Mädchen. Er sah sich die Liste der eingeloggten Chatter am Rand des Fensters an, suchte aufgeregt alle Nicknames weiblicher Internet-Surfer heraus. Einige der zu dieser Zeit anwesenden Chatter kannte der Mann, zuerst fand er keinen Namen, die ihn von einem wunderbaren Mädchen überzeugte. Immer wieder überflog er die Liste der eingeloggten Jugendlichen, die sich im Moment über Probleme in der Liebe oder in der Schule unterhielten, ohne befriedigt zu werden. Doch dann wandte sich sein Blick auf eine Nachricht, die im oberen Feld des Bildschirms erschien und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem hinterlistigen Grinsen. "'Rose' betritt den Channel." Mit vor Erregung zitternden Fingern zog er den Mauspfeil auf den Namen des gerade eingetroffenen Mädchens. Seines neuen Opfers...

Diana Hawkins wusste zunächst nicht, was sie machen sollte. Sie starrte aufgeregt auf den Bildschirm und den Namen, der zu lesen war. "Angel021", er war im Chat! Der vermutliche Mörder von Susan Thompson! Die junge Frau fuhr sich mit beiden Händen nervös durch ihr langes brünettes Haar, blies tief durch. Einige Fragen flogen in ihrem Kopf herum. War das DER "Angel021"? War ER im "Cool Spirit"? Oder chattete ER von wo anders? Was sollte sie bloß tun? Andre...er würde wissen, was zu tun war. Hastig durchkramte Diana ihren Schreibtisch, fand schließlich ihr Notizbuch mit der Nummer ihres Kollegen. ...Durchwahl 45... Sie tippte so schnell sie konnte die Nummer ein und wartete angestrengt darauf, dass Andre Dumont den Hörer in seinem Büro abnahm und ihr half. Doch er hob nicht ab. Dauernd ertönte der Besetztzeichen durch den Telefonhörer. Das auch noch! Sie wandte sich wieder dem Computer zu und suchte nach dem Namen des Gesuchten....ah, er war noch da,...aber was sollte sie unternehmen. Da kam sie zu einem verhängnisvollen Entschluss. Diana Hawkins legte ihre schmalen Finger auf die Tastatur, überlegte noch kurz und gab dann ein Wort in den Computer ein. Sie wusste, es gab jetzt nur noch einen Weg, um herauszufinden, ob dieser "Angel021" DER "Angel021" war, nach dem alle suchten. Sie suchte mit dem rechten Zeigefinger die ENTER-Taste, betätigte sie und fand sich als ,Rose' im Chatraum wieder.

Währendessen hatte Andre Dumont sein Gespräch mit Dr. Conroy schon längst beendet und wählte nun die Nummer der Polizei von Dallas, um nach Sylkas großer Liebe suchen zu lassen. Der Inspektor hatte so ein Gefühl, dass diese junge Dame ein größeres Teil in diesem verflixten Puzzle war. Darum lag ihm sehr viel davon, sie ausfindig zu machen. Während er auf das Freizeichen wartete, musste er kurz seinen Kopf schütteln. Er untersuchte diesen Fall mit dem Hintergedanken, dass Paul Sylka noch lebte und wirklich der Mörder von Susan Thompson war. Das Problem, mit dem Dumont nicht zurechtkam, war das, dass rein theoretisch diese Vermutung unmöglich war. Sylka war tot und lag am Zentralfriedhof von Dallas begraben. Er war durchgeknallt gewesen,...doch er war tot. Oder? Die Stimme einer jungen Polizistin riss ihn aus seinen Gedanken, die sich doch immer um dasselbe drehten und trotzdem nicht wirklich zu erklären waren. "Äh...hier spricht Inspektor Andre Dumont von der Mordkommission in Arlington. Ich hätte eine Bitte. Ich suche nach einer Frau. Leider kann ich nur einen Vornamen und ein paar Aussehensmerkmale aufzählen." Die nette Dame am anderen Ende der Leitung antwortete: "OK, was können Sie mir zu der Person sagen?" Dumont zählte rasch alle Merkmale auf, die ihm kurz zuvor Dr. Steve Conroy, der auch nicht gerade ,normal' zu sein schien, mitgeteilt hatte. "Ich weiß, dass ist fast nichts, aber ich hoffe, sie können mir so bald wie möglich eine Liste aller in Frage kommenden Frauen ins Revier faxen." "Wird gemacht. Ich werde mich beeilen, Mister Dumont." "Danke für die Hilfe! Auf Wiederhören!" Dumont legte den Hörer wieder auf die Gabel und dachte wieder nach. Wie soll er nun weiter vorgehen. Das für den Inspektor nervendste war, dass man kaum Hinweise hatte, die Vorgehensweisen zuließen. Keine Zeugen, keine Spuren(außer welche eines seit einem halben Jahr Verstorbenen). Es war zum aus der Haut fahren! Andre erhob sich aus seinem schwarzen Ledersessel und kreiste durchs Bürozimmer und fasste sich auf den Kopf. We! nn ihn so einige seiner Kollegen gesehen hätten, sie hätten ihn glatt als total überfordert und ausgelaugt eingestuft, aber Andre Dumont war es nicht, besser gesagt, er wollte es sich nicht eingestehen, dass dies bald passieren konnte, wenn dieser Fall das verwirrende und mysteriöse Netz weiterspann und man nicht zu einer glaubhaften Lösung kommen sollte. Aber Dumont wollte nicht aufgeben. Das war er sich schuldig. Und Susan Thompson. Und ihren Eltern. Dieser Psychopath musste geschnappt werden. Und zwar so bald wie möglich. Doch was sollte er tun? Zunächst würde er auf die Liste aus Dallas warten. Vielleicht könnte diese Janette endlich mehr Licht in diese Angelegenheit bringen. Andre heckte einige Hoffnung in ein Gespräch mit Sylkas ehemaliger Liebe. Es würde sicher viel Aufschluss auf Sylkas Psyche machen. Ja, diese Janette musste gefunden werden, so schnell es ging. Er musste mit ihr reden. Über Sylka. Doch zu einem Gespräch sollte es nie kommen.

Knapp zwanzig Minuten, nachdem Dumont bei der Polizeizentrale in Dallas um die Suche nach dieser Janette gebeten hatte, kam die Polizistin, die Andre am Apparat hatte, kreidebleich die Gänge hinunter gerannt. Direktor Roy Carson saß gerade in seinem Büro, als Andrea Waynes ins Zimmer gestürmt kam. "Entschuldigung, Mister Carson, aber ich glaube, sie sollten sich das ansehen." Die junge Frau reichte ihm einen Zettel. "Ein Andre Dumont von der Polizei in Arlington hat vorhin angerufen und nach einer Frau, die hier in Dallas leben sollte, gesucht. Ich habe seine von ihm bekommene Beschreibung in den Computer eingegeben und in der städtischen Personendatenbank nach dieser Frau gesucht. Und ich bin mir fast sicher, dass ich sie gefunden habe..." Mrs. Waynes zeigte auf das Blatt Papier. Erstmals warf der Mann einen Blick darauf. Oben stand der Name einer Frau: Janette Peeters. Darunter ein Foto eines hübschen jungen Mädchens Anfang zwanzig. Unter dem Bild war eine kurze Beschreibung von ihr zu lesen. Beim letzten Absatz stand dann geschrieben:

Geboren am: 3. Juli 1978 in Dallas /Texas
Gestorben am: 19. Mai 1999
Todesursache: Getötet in ihrem Wagen durch drei Stiche ins Herz durch einen Unbekannten, der bis heute nicht gefasst werden konnte.

"Sind Sie sicher, dass die gesuchte Frau dieses Mädchen auf dem Foto ist?" wendete sich Roy Carson wieder an seine Mitarbeiterin. "Es muss diese Dame sein. Zu keiner anderen im Computer passen alle Merkmale so perfekt zusammen. Es scheint so, als müssten wir Mr. Dumont eine schlechte Nachricht übermitteln." "Nein, Andrea, ich mache das schon selbst. Ich möchte nämlich zu gern erfahren, ob der Mord an diesem Mädchen in Arlington mit dieser Janette Peeters etwas zu tun hat, weil ich habe so ein Gefühl, dass sich in dieser Stadt etwas zusammenbraut." Der Direktor lehnte sich in seinen Sessel zurück und legte den Zettel auf den Schreibtisch. "Ah, danke, Mr. Carson. Dann gehe ich wieder." Verlegen schloss die junge Frau die Tür. Carson blickte ihr kurz nach. Dumont also, wie interessant! Dann wandte er sich seinem Telefon zu und tippte die Nummer der Polizei von Arlington.

,Angel021': Kommst Du auch aus Arlington?
,Rose': Ja.
,Angel021': Und was machst Du gerne?
Diana dachte angestrengt nach. Was sollte sie schreiben? Wie konnte sie schnell herausfinden, ob sie mit einem harmlosen Kerl oder mit einem psychopathischen Killer chattete? Was waren die Vorlieben dieses Typen?
,Rose': Fortgehen, Kino,...aber am liebsten kuschle ich.
,Angel021': Mit wem?
Diana spürte, dass sie die Neugier des Mannes geweckt hatte.
,Rose': Am liebsten wäre es mir mit Dir...
,Angel021': Aha...wie stellst Du Dir mich überhaupt vor?
Jetzt wusste Ms. Hawkins, was zu schreiben war.
,Rose': Muskulös, sexy, braungebrannt, südländischer Teint.
Diana hatte ihm genau die Merkmale aufgezählt, die der Mörder Susan Thompson in seinen Mails mitgeteilt hatte. Sie musste einige Augenblicke warten, bis sie eine Antwort bekam.
,Angel021': Es kommt mir so vor, als könntest Du mich konkret vor Dir sehen. Genau so sehe ich aus.
,Rose': Und wie stellst Du Dir mich vor, mein Engel?
,Angel021': Dunkle Haare, wunderschöne Augen, schlanker Körper, bezauberndes Lächeln...ich könnte noch Dutzende von weiteren Sachen aufzählen, aber...
,Rose': Ich habe wirklich dunkelbraunes Haar und bin schlank.
,Angel021': Meine Rose, wie viele Jahre blühst Du denn schon?
Meine Rose, er hat meine Rose geschrieben. Aber war das ein eindeutiger Beweis für die Identität dieses Kerls? Nein, leider. Diana hatte sich ja auch den Nickname: ,Rose , gegeben, also, war das kein Beweis. Sie hatte noch gar nichts in der Hand. Es blieb ihr jetzt nur noch eine Möglichkeit: Diana musste weitermachen...
,Rose': 21.
Diana war zwar schon 26 Jahre alt, doch erstens schien der Mörder auf jüngere Mädchen fixiert zu sein und zweitens sah sie laut ihrer Freunde jünger aus als sie war. Darum musste sie diese Notlüge anwenden.
,Angel021': Ich werde in einem Monat 27. Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn Du mit mir feiern würdest.
Diana hatte ihn am Haken. Das dachte sie wenigstens.
,Rose': Sicher doch, wenn ich Dich bis dahin besser kennen lerne. Weil ich finde, Du bist ein echt netter Kerl.
,Angel021': Das bin ich auf jeden Fall, meine süße Rose. Und Du wirst mich schon besser kennen lernen.
,Rose': Was machst Du überhaupt beruflich?
,Angel021': Momentan arbeite ich als Künstler. Ich male und fotografiere sehr gerne. Mich würde es sehr reizen, ein Porträt von Dir zu schaffen. Was hältst Du davon?
,Rose': Hört sich interessant an. Richtig verführerisch.
Diana fühlte sich auf einmal unsicher. Sie wusste nicht, warum, aber es überkam sie ein komisches, kaltes Gefühl.
,Angel021': Und was machst du beruflich, meine Süße?"
So, das war es. Jetzt musste Diana ihre Fantasie spielen lassen. Welche Arbeit würde ihn reizen? Ok, versuchen wir's damit...
,Rose': Momentan studiere ich und gelegentlich verdiene ich mir als Fotomodell etwas Taschengeld.
,Angel021': Oh, das hört sich verdammt verlockend an. Könntest Du mir ein Bild von Dir schicken?
,Rose': Aber nur, wenn Du mir auch eines von Dir schickst!
Diana musste wiederum einige Sekunden auf eine Antwort warten.
,Angel021': Natürlich. Wie ist denn Deine E-Mail-Adresse?
So, jetzt musste Diana nachdenken. Sollte sie dem Typen ihre wirkliche E-Mail-Adresse geben. Wenn nicht, welche dann? Nein, sie musste es tun.
,Rose': sie lautet: dianahawkins@hotmail.com . Und Deine?
,Angel021': ah, Diana heißt Du also. Ein schöner Name.
,Rose': Deine E-Mail-Adresse?
,Angel021': Liebe Diana, du hast sicher einen Freund, oder?
,Rose': Leider nein. Ich wollte aber eigentlich deine E-Mail-Adresse wissen.
,Angel021': sorry. angel021@aol.com . Ich warte schon auf Dein unwiderstehliches Foto.
,Rose': Mir geht es genauso.
,Angel021': Meine Süße, ich muss leider gleich aufhören. Ich habe nämlich noch einen Fotoauftrag zu erledigen. Aber am liebsten wäre mir eine Session mit Dir, Rose.
,Rose': Ja, das wäre toll. Schade, dass Du schon gehen musst. Aber ich weiß ja, wie ich Dich erreichen kann.
,Angel021': Also, bis bald, meine blühende Schönheit!
Noch bevor Diana Hawkins eine weitere Frage stellen konnte, erschien folgende Zeile am Monitor. ",Angel021' verlässt den Channel."

"Ja, hier spricht Direktor Roy Carson von der Polizei Dallas. Könnte ich bitte Direktor Payton sprechen?" Nach einer kurzen Wartezeit wurde er mit seinem gewünschten Gesprächspartner verbunden. "Hier Direktor Payton!" "Hallo, Ed, wie geht's? Ich bin's, Roy Carson aus Dallas." "Ah, Roy, was verschafft mir die Ehre? Hast ja lange nichts mehr von Dir hören lassen...also, was gibt's?" Carson kam gleich zur Sache. "Ed, bei Euch ist ja momentan die Hölle los. Dieser Mordfall an dem Mädchen muss Euch wirklich Sorgen bereiten..." Er sprach unschuldig weiter. "Wer ist eigentlich für den Fall zuständig? Nein lass mich raten,....Andre Dumont?" Hawkins seufzte. Er wusste, was jetzt kommen würde. "Roy, was willst Du?" "Willst Du wirklich dieses Nervenbündel so einen Fall bearbeiten lassen? Dumont? Der hat doch nicht alle Tassen im..." Carsons bösartige Stimme wurde von Payton unterbrochen. "Roy, sei ja ruhig! In den drei Jahren, die Inspektor Dumont für uns arbeitet, hat er wirklich vorbildliche Polizeiarbeit geleistet, wir hatten nie mit ihm Probleme. Ich weiß, dass das damals in Dallas ein wenig komplizierter war, aber..." "Aber was?" schnauzte Carson. "Ich meine, er wird damals auch nicht den besten Vorgesetzten gehabt haben. Für Dich war ja schon seit seinem ersten Arbeitstag ein Loser. Da braucht es Dich nicht zu wundern, wenn Dumont von Dir die Schnauze voll hatte und um Versetzung gebeten hatte!" Das hatte gesessen. Aus dem Hörer vernahm Edward Payton nur ein wütendes Schnaufen. Dann meldete sich der nervende Carson wieder zu Wort. "Weißt Du überhaupt, dass Dein toller Inspektor lauter toten Menschen nachjagt? Glaubt er vielleicht, DIE hätten das Mädchen auf dem Gewissen. Wahrscheinlich haben SIE das arme Ding so erschreckt, dass sie gestorben ist...warum wendet er sich nicht gleich an die ,Ghostbusters'?" Ein sarkastisches Lachen ertönte aus dem Hörer. Dieser verdammte Schweinehund! "Ich wünsche Dir viel Glück bei diesem Fall, weil Glück wirst Du dringend brauchen. Dumont wird diesen Fall niemals lösen, aber ! tröste Dich..." Carsons' Stimme wurde wieder bösartig. "...vielleicht stellt sich ja der Täter selbst. Ansonsten sehe ich keine Hoffnung für Dich. Also, Ed, ich wollte Dich nur helfen. Stell Dumont von dem Fall ab und ich schicke Dir zwei fähigere Leute, die blitzschnell den Mörder hinter Gittern bringen. Die suchen nämlich nicht nach Toten..." Edward Payton donnerte verärgert den Hörer auf die Telefongabel. So ein dummes Arschloch! Er saß noch einige Minuten da und musste sich über Carsons' Bemerkungen ärgern. Nein, er würde Dumont weiterarbeiten lassen. OK, bei einigen Fällen, die ihn an den Mord an seiner Schwester erinnern, versetzt er sich zuviel hinein, doch ansonsten ist er ein sehr verlässlicher und sorgfältiger Mitarbeiter, der dringend sein weiteres Vertrauen benötigte. Aber was quasselte Carson da von Toten? Payton wusste nur von dem Mädchen im Park, was hatte Dumont bloß herausgefunden. Am besten war es, ihn selber zu fragen. Er nahm sein Telefon und wählte die Durchwahl von Andre Dumonts Büro. Nach siebenmaligem Läuten legte er den Hörer wieder auf. Wo war denn dieser Dumont schon wieder. Schnell suchte er nach der Handynummer des Inspektors.

"He, Diana! Wie geht's?" Diana Hawkins drehte sich überrascht um und sah Andre Dumont im Türrahmen stehen. Sie wusste nicht, ob sie ihm vom Chat mit ,Angel021' erzählen sollte. Nein, es wäre besser, erst damit herauszurücken, wenn sie mehr über diesen Kerl herausgefunden hatte. "Ah, Andre! Na ja, viel Arbeit....und was hast du herausgefunden?" So! Diana versuchte, gleich Andre losreden zu lassen, bevor er etwas merkte. Sie hatte noch immer ein mulmiges Gefühl und musste sich zusammenreißen, um ein glaubwürdiges Lächeln hervorzubringen. "Nicht viel. Dieser Sylka war bis zu seinem Tod sieben Mal mit der Polizei in Konflikt gekommen, auch wegen Körperverletzung und abnormalen Handlungen gegenüber jungen Frauen. Mir gibt nur eine Spur Hoffnung. Sylka sprach mit seinem Psychiater oft über seine große Liebe. Ihr Name war Janette und sie verließ unseren vermeintlichen Mörder. Das hinterließ bei ihm ein traumatisches Verhalten. Er wurde nicht damit fertig, dass diese Frau ihn nur verlassen hat. Und nun versuche ich, diese Frau ausfindig zu machen. Vielleicht bringt sie uns weiter." Diana hatte ihm interessiert zugehört. "Andre, aber wenn dieser Sylka tot ist, was hilft uns dann die Suche nach dieser Frau?" "Na ja, ich habe so eine Vorahnung. Dr. Conroy, der Betreuer von Sylka hat angemerkt, dass er diese Janette immer ,Rose' nannte. Ich glaube, sie könnte uns weiterhelfen. Außerdem passt mir etwas in Sylkas Akte nicht zusammen. Irgendetwas ist faul." Diana sah Dumont voller Bewunderung an. Er war mit Leib und Seele ein Bulle. Ok, man musste auch einer sein, aber Andre wirkte in diesen Minuten für sie wie ein ganz Großer. "Überfordere dich nur nicht, Andre!" schoss es plötzlich aus ihr hinaus. Die Sorge um seine Gesundheit war nicht vergessen. "Ich finde es lieb von dir, dass du dich um mich sorgst, aber ich muss nun mal alles Mögliche versuchen, um diesen Mörder zu fassen." Er betrachtete ihr hübsches Gesicht, ihre schönen Augen. "Diana?" "Hm?" "Wenn diese Sache vorbei ist, hättest du Lust, mit mir mal Essen zu ! gehen?" Diana Hawkins war positiv überrascht. Endlich hat er mich eingeladen! "Liebend gerne, Andre!" Sie stand auf und berührte mit ihrer Hand sanft sein Gesicht. Dann flüsterte sie fast: "Aber pass bitte auf dich auf..." Andre wusste nicht, was er sagen sollte. Er strich ihr durch ihr langes Haar und sah sie unentwegt an. "...Versprochen!" stammelte er. Und wieder mal war es das Piepsen seines Handys, welches diese wunderbare Ruhe störte. Mit einer Wut im Bauch zog er das nervende Gerät aus seiner Tasche und sah am Display die Nummer von Payton, dem Polizeidirektor. "Was will denn der jetzt?" dachte er laut nach. "Ja, Dumont?" "Ah, endlich erreiche ich sie. Wo sind sie gerade?" "Bei Diana....äh...Miss Hawkins in der Computerabteilung. Ist was passiert?" "Nein, könnten sie schnell zu mir heraufkommen. Ich muss mit ihnen sprechen." "Ok, bin schon auf dem Weg..." Verärgert beendete er das Gespräch und wandte sich noch einmal an Diana. "Also, ich muss zum Boss. Leider. Aber wie schon Arnold Schwarzenegger im ,Terminator' sagte: Ich komme wieder!" Diana musste schmunzeln. Jetzt hatte sie ihn schon so weit gebracht, dass er anfing, Sprüche zu reißen. Sie kamen sich näher, keine Frage. Und Diana fand es schön. Sie winkte dem hinauseilenden Inspektor nach und begab sich anschließend wieder hinter ihren Schreibtisch, wo noch viel Arbeit auf sie wartete.

"Anhand dieses Faxes, welches mir Direktor Carson gerade aus Dallas zukommen ließ, müsste es sich bei der gesuchten Frau um Janette Peeters handeln. Ihren Wunsch auf ein Gespräch mit der Dame kann ich leider nicht erfüllen." "Warum denn nicht?" kam gleich die Frage von Dumont. "Na ja, Ms. Peeters ist seit dem 19.Mai 1999 tot. Sie wurde in ihrem Wagen erstochen aufgefunden. Was den Verdacht, dass dieser Sylka für mehrere Morde verantwortlich ist, erhärtet, ist die pikante Tatsache, dass diese Frau auch mit drei gezielten Stichen in den Oberkörper getötet wurde, genauso wie Susan Thompson." Kam die erschütternde Antwort von Payton. "Was haben sie gesagt? Wann ist Ms. Peeters getötet worden?" "...am 19.Mai 1999, warum fragen...Oh mein Gott!" Direktor Paytons Gesichtsausdruck konnte man ablesen, dass er dieselbe Theorie wie Dumont hatte. Dieser Sylka, ob nun tot oder nicht, tötet seine Opfer immer an einem 19.Mai. So war die Theorie, die Praxis war komplizierter. "Es gibt übrigens noch eine Gemeinsamkeit von Daten in Sylkas Akte. Seine Mutter starb an einem 13.11., genauso wie dreizehn Jahre später auch Sylka selbst. Na ja, aber wer soll dann der Täter sein?" Payton sah den fast verzweifelten Blick in Dumonts Augen und ermutigte ihn: "Inspektor Dumont, ich weiß, dieser Fall wird immer verwirrender, ...aber ich glaube, sie sind der richtige Mann dafür." "Danke, Direktor Payton, ich weiß das zu schätzen, darum ist es jetzt besser, wenn ich wieder bei meiner Arbeit weitermache." Dumont erhob sich aus dem Stuhl und verließ wenige Sekunden danach das Büro von Direktor Payton. So, nachdem er dem Boss jetzt alle Neuigkeiten zum Fall anvertraut hat, konnte es jetzt weitergehen. Aber wie sollte er nun vorgehen? Die heiße Spur, Janette, ist auch nicht unter den Lebenden und so die Chance, Näheres zu Sylka heraus zu bekommen wieder geringer geworden. Dr. Steve Conroy, Sylkas ehemaliger Psychiater, dürfte nichts mehr wissen, was von Bedeutung wäre. Aber Dumont sah noch eine Chance: den ehemaligen Arbeitskollegen und Mit! bewohner von Paul Sylka aufzuspüren. Vielleicht konnte mit seiner Hilfe einiges geklärt werden. Voller Zuversicht schritt Andre Dumont zu seinem Büro, um unverzüglich die Suche nach diesem Mann zu veranlassen.
"Danke für ihre Hilfe! Auf Wiederhören!" Dumonts Anruf bei ,Chevrolet Texas' war sehr hilfreich gewesen. Es war die Firma, in der Sylka zuletzt gearbeitet hatte...und wo er ums Leben kam. Der Mitarbeiter, der mit Sylka zusammengewohnt hatte, war ein mexikanischer Einwanderer und hieß Ramon Hernandez. Sein letzter gemeldeter Wohnsitz war außerhalb von Dallas, aber diese Wohnung war nun schon längst weitervermietet worden. Andre Dumont wandte sich zu seinem Computer und sah in der Verbrecherkartei nach diesem Hernandez nach und wenige Sekunden später fand er tatsächlich eine Akte. Oh, wie interessant! Der Mexikaner war sowohl in seiner Heimat als auch in den Vereinigten Staaten schon mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Ladendiebstähle, Drogenbesitz und Körperverletzungen standen bereits auf der Liste seiner Delikte. Ohne noch irgendwelche Zeit zu verlieren, gab Dumont per Anruf gleich die Suche nach diesem Mann heraus.


DIENSTAG, 22.Mai 2001

Ha, jetzt wird das Geheimnis um die Identität meines süßen Verehrers bald gelüftet werden. Den Brief gut sichtbar am Spind befestigt huschte Juliette sogleich um die Ecke und wartete gespannt. Sicher, die Chance, dass ihr Märchenprinz jetzt sofort den Brief abholen würde, war mehr als gering, aber wenn es ein Mitschüler war und davon musste sie doch ausgehen, würde es wenigstens seine Neugier wecken. Ihre hübschen blauen Augen ein wenig zugekniffen, konzentriert, ja fast wie hypnotisiert auf ihren Spind blickend, harrte sie aus. Noch knapp zehn Minuten bis zum Unterrichtsbeginn! Hoffentlich geht's sich die Zeit aus, um ihn auf frischer Tat zu ertappen .EineschrilleStimmehinterihrließsieausihrenGedankenreißen."He,Juliette,wasmachstdennda"EswarEmilyWatson,eineMitschülerinvonJuliette.SiekonnteeinerichtigeNervensägesein."Ah,Emily,dubistes!"zischteesdurchJuliettesLippen.SoeineFreude!"Wiegeht'sAllesimLot"fragtedasklein gewachsene Mädchen mit den übergroßen Brillen. "Ja sicher, es passt schon alles!" Und jetzt, verschwinde wieder! Ihr Wunsch wurde leider nicht erfüllt. Emily Watson bohrte weiter an ihren Nerven. "He, hast du schon fleißig Mathe gebüffelt? Hä, ich checke es nämlich gar nicht. Das wird sicher morgen ein Reinfall! Hä hä, so was Blödes!" Oh, dieses nervende Kichern! Aber Juliette hätte wirklich fast aufs Lernen vergessen! So ein Scheiß, da steht mir heute noch ein prima Lernnachmittag bevor... "Natürlich hab ich schon gelernt....und du wirst es schon schaffen, glaub mir!" Juliette hoffte, Emily irgendwie loswerden zu können. Und tatsächlich schien sich die Nervensäge wieder auf den Weg zu machen. "Ok, wenn du meinst! Ja, hoffentlich hast du recht, obwohl es ist ja wirklich so ein blöder Stoff. Komplizierter geht's ja kaum mehr. Hä hä! Also, ich gehe schon mal in die Klasse. Kommst auch?" "Ja ja, gleich...muss nur noch schnell was aus meinem Spind holen..." Erleichtert registrierte sie Emilys Nicken und ihr Verschwinden in das Klassenzimmer. So, ! und jetzt wieder zurück auf meinem Beobachtungsposten! Sie drehte sich wieder um die Ecke und erstarrte. Das gibt's doch nicht! Oh nein! Mit großem Bedauern, fast Entsetzen, musste sie zur Kenntnis nehmen, dass der Brief von ihrem Spind weg war. Sie hatte ihren Verehrer verpasst. Wütend hüpfte sie auf der Stelle hin und her! Scheiße! Nein, nein, nein! Sie rannte zu ihrem Spind, begutachtete ihn ungläubig von oben nach unten, aber außer einigen Rostflecken und bereits ausgebleichten Stickern war nichts Außergewöhnliches zu erkennen. Auch auf dem Boden lag kein rotes Kuvert. Irgendwer hat es weggenommen. Und jetzt wich Juliettes Wut der Unwissenheit. Hatte ihr Verehrer den Brief an sich genommen, wie es ja auch geplant war, oder...nein, warum sollte jemand anderes einen fremden Brief klauen? Nein, ER hat ihn sicher. Hoffentlich gefällt er ihm. Dieses dumme Gans Emily! Sie hat alles vermasselt. Wut stieg wieder durch ihren Körper. So, die braucht mich heute ja nicht mehr blöd anreden. Dann setzt es aber was! Verärgert wendete sie sich von ihrem Spind ab und machte sich auf den Weg zu ihrer Klasse.

Während Juliette fast trotzig ihre Klasse betritt, öffnete der Mann im Trenchcoat ganz sachte ein rotes Kuvert. In seinem alten Ford sitzend, zog er langsam einen weißen Zettel heraus.
Oh, Juliette, meine hübsche Rose! Beinahe hättest du mich ertappt, aber ich war einfach zu gerissen für dich. So, jetzt schauen wir mal, was du mir geschrieben hast. Er faltete den Zettel auseinander und begann erregt zu lesen.

Lieber Unbekannter!

Ich habe mich über deine wunderschönen Briefe sehr gefreut!
Du scheinst ein sehr romantischer Typ zu sein.
Ich bin zum Entschluss gekommen, dass du anders als die meisten anderen in meiner Schule bist. Nach langem Überlegen musste ich sogar feststellen, dass du ziemlich einzigartig in deiner Art bist.
Keinem anderen von den Jungen traue ich es zu, so schmeichelnd zu schreiben.
Obwohl ich es ziemlich interessant finde und einen kleinen Nervenkitzel bekomme, wäre ich wirklich nicht abgeneigt, deine wahre Identität zu erfahren.
Es wäre mir sogar ein großes Anliegen, dich privat kennen zu lernen.
Ich hoffe, dass du mir meine Bitte erfüllen könntest, da mir sehr viel daran liegt.

Kuss,
Deine Juliette

P.S.: Lass mich bitte nicht allzu lange warten!(Ha ha)

Keine Sorge, meine Liebe, ich werde dich nicht lange warten lassen, darauf kann ich dir mein Wort geben...

"Was? Das kann doch nicht ihr Ernst sein!" Andre Dumont konnte es nicht fassen. Wie ein Anruf nach Dallas herausstellte, hatte die Polizei kein Foto von Paul Sylka in ihrer Datenbank. Sie beharrten zwar darauf, dass mindestens eines von ihm gespeichert sein müsste, aber er schien so, als ob sich die Aufnahmen in Luft aufgelöst hätten. Und auch ein weiterer Anruf, diesmal nochmals zur Psychiatrischen Heilanstalt ergab dieselbe Antwort. Wie konnte es sein, dass alle Fotos von Sylka, die im Umlauf sein müssten, verschwunden sind. Ja, es wurde immer geheimnisvoller und Dumont wusste momentan keinen Weg heraus.
Auch die Fahndung nach Ramon Hernandez brachte vorerst kein Ergebnis. Es war zum Haare raufen. Er brauchte Ergebnisse, Spuren. Aber alle, die er fand, lösten sich wie Staub in Luft auf. Fassungslos knallte Andre den Hörer auf die Gabel und setzte sich in seinen Bürosessel. Wer bist du? Ja, WER bist du? Er ließ die Frage durch seinen Kopf wandern. Paul Sylka, ein Mann mit scheinbar unendlich vielen Rätseln.

Während Inspektor Dumont auch bis zum Abend noch keine weiteren brauchbaren Ergebnisse ermitteln konnte(trotz nochmaliger Durchsuchung von Susan Thompsons Zimmer und des Wagens der Mutter), packte Juliette total genervt und ausgepowert ihre Mathematikunterlagen weg. So, mehr geht nicht mehr. Und auch noch sturmfreie Bude! Ihre Eltern sind nämlich heute zu einer Firmenfeier ihres Vaters eingeladen worden und Juliette brauchte nicht mitgehen. Zum Glück! So, was gibt's denn heute Abend so in der Glotze? Flink griff sie zum Fernsehgerät und zappte durch alle Sender, bis sie bei den ,Friends' Stopp machte. So, vorher die Arbeit, jetzt das Vergnügen! Da registrierte sie ein unruhiges Knurren in der Magengegend. Sie hatte heute noch gar nichts gegessen. Wie wär's mit einer Pizza? Voller Vorfreude schwang sie sich zum Kühlschrank, öffnete ihn eilig-und seufzte. Schade, keine Pizza mehr da! Enttäuscht wollte Juliette sich wieder an den Rückweg machen, als ihr ein Gedanke kam. Ich lasse mir einfach eine Pizza kommen, es hat vor kurzem sowieso in der Nähe ein Nähe Pizzaladen mit Lieferservice aufgemacht, das war's! Juliette, ich muss mich wirklich jetzt selber loben. Tolle Idee! Sie suchte sich aus der Postablage das vor kurzem geschickte Flugblatt der Pizzeria ,Alessandro' heraus und flitzte voller Heißhunger zum Telefon, um die Bestellung aufzugeben. "Hier Pizzeria ,Alessandro'! Was kann ich für Sie tun?" meldete sich eine typisch nach Italiener klingende Stimme. "Ja, hallo! Ich hätte gerne eine Salamipizza mit viel Pfefferoni. Könnte sie mir jemand bis neun Uhr vorbeibringen?" "Ja, kein Problem! Wie lautet ihre Adresse?" "Baker Street 18, ich wohne im fünften Stock, Tür Nummer 64. Mein Name ist Juliette Sanders. Ok?" "Ok, kein Problem. Um neun Uhr ist die Pizza bei ihnen. Ich wünsche ihnen einen guten Appetit." "Danke, freu mich schon. Auf Wiederhören!" Erfreut legte Juliette den Hörer wieder auf die Gabel und setzte sich wieder zum Fernseher, wo Ross und Rachel gerade wieder eine ihrer Beziehungskrisen durchmac! hten. Verträumt verfolgte Juliette die Serie und merkte danach zunächst gar nicht, dass es schon kurz nach neun war.

Pünktlich fünf Minuten vor neun hielt der Pizzabus vor dem Wohnhaus. Als der Lieferant mit der Pizza aus seinem Wagen steigen wollte, fiel ihm im Rückspiegel ein Schatten hinter dem Bus auf. Als er noch einmal hinsah, war aber nichts mehr zu sehen. Muss ich mich geirrt haben! Schließlich war es um diese Zeit schon etwas düster und da konnten einen die Augen leicht einen Streich spielen. Der Pizzamann schloss die Fahrertür und machte sich auf dem Weg zur Tür, als er ein Knacken hinter ihm wahrnahm. Erschrocken drehte er sich um. Alles wirkte ruhig. Mann, Luigi, was ist heute nur mit dir los? Verwundert drehte er sich wieder Richtung Eingangstür. Doch bevor er sie öffnen konnte, erklang ein Räuspern hinter ihm. Wieder drehte er sich um. Das Letzte, was er wahrnahm, bevor sich ein Jagdmesser tief in sein Herz bohrte, war ein seltsamer Mann in einem schwarzen langen Trenchcoat. In dessen Jackentasche steckte eine Blume. Eine verwelkte Rose. Dann brach Luigi Pierini auf dem Asphalt zusammen und starb.

Nachdem ,Friends' aus war und schon ,Sex and the City' anfing und der Pizzalieferant noch immer nicht da war, obwohl es ja schon zehn Minuten nach neun war, wurde Juliette ein wenig ungeduldig. Sie wollte schon zum Telefon gehen und den Leuten bei der Pizzeria Feuer unterm Hintern machen, als die Haustürglocke ertönte. Zuerst kurz einmal, dann zweimal schnell hintereinander. Ja, das musste ihre Pizza sein! Hmmm! Sie nahm ihre Geldbörse vom Wohnzimmertisch und ging zur Tür. Zuerst sah sie durch den Spion und entdeckte vor ihrer Tür einen Mann mit einer grünen Kappe mit der unübersehbaren Aufschrift ,Alessandro' auf dem Kopf. Außerdem trug er ein Namensschild, ,Luigi' stand darauf. Obwohl der Lieferant einen langen Trenchcoat trug und einen mysteriösen Blick hatte, war Juliette nur eines wichtig: die Pizzaschachtel in seiner Hand. Ihre Hand griff zum Sicherheitsschloss und öffnete es mit einer flinken Bewegung.

Ah, ich höre sie schon kommen! Jetzt gehört sie gleich mir...hoffentlich schöpft meine Süße nicht Verdacht, aber mit der Kappe, dem Namensschild und der lecker duftenden Pizza in der rechten Hand wird schon alles klappen. Aha, wenn ich mich nicht irre, schaut sie mich gerade durch den Spion an. Ja, soll sie nur, meine bezaubernde Rose, sie kann es ruhig tun.

"Ich mach' schon auf!" Juliette öffnete fast hastig vor Hunger die Wohnungstür und blickte ihrem Mörder das erste Mal richtig in die Augen. Als sie sein düsteres Grinsen und das aufblitzende Messer in seiner linken Hand bemerkte, war es schon zu spät...


MITTWOCH, 23.Mai 2001

Es war gegen zwei Uhr morgens, als Viviane und Howard Sanders leicht angetrunken und in heiterem Gefühlszustand im fünften Stock aus dem Lift stiegen. Howard erzählte seiner Frau gerade bereits zum fünften Mal an diesem Abend denselben Witz, und obwohl beide die Pointe schon auswendig kannten, mussten die zwei trotzdem vor der Haustür kräftig auflachen. Ja, der Alkohol hat sicher das Wesentliche zum lockeren Gemütszustand von Juliettes Eltern beigetragen, aber es würde auch das letzte Mal für sehr lange Zeit sein, dass sie über etwas so richtig herzhaft lachen sollten. Während dem Gelächter drehte Viviane bereits den Haustürschüssel im Schloss um und öffnete die Türe langsam. Zuerst konnten sie nicht bemerken, welch dramatisches und grausames Ereignis hier vor wenigen Stunden stattgefunden hatte. Wie auch, es war auf den ersten Blick nichts Verdächtiges zu entdecken. Mrs. Sanders zog ihre Stöckelschuhe aus und wankte barfuss durch das Vorzimmer. Ihr Mann lächelte ihr glücklich nach. Und dann kam der Schrei. Ein so durchs Mark gehender Schrei, dass Howard Sanders ihn in seinem ganzen Leben nicht mehr aus seinem Kopf bringen würde. "Juliette...NEIN!" So schnell er konnte lief der Ehemann in Richtung ihres Schreis, ins Wohnzimmer. Und als er den Raum betrat, schreckte er zuerst voller Schock zurück. Juliette Sanders lag halbnackt auf dem Wohnzimmertisch, überall klebte Blut, ob an Gesicht, Bauch oder Beinen. Auch auf den Möbel und den Fußboden war alles rot besudelt. Und obwohl beide Elternteile unter großem Schock standen, konnten sie die große Stichwunde in der Herzgegend nicht übersehen. Auch nicht die verwelkte Rose, die auf Juliettes blutigem T-Shirt lag.

Oh nein! Nein! Liz! LIIIZZZ!! Das Handy riss Andre Dumont aus seinem Albtraum. Seit er an diesem Fall arbeitete, träumte er jede Nacht von seiner toten Schwester. Er sah, wie der Mörder sie umbrachte und er konnte in diesen Traum nicht eingreifen, nur nutzlos zusehen, wie ihm sein geliebtes Schwesterchen entrissen wurde. Erstmals seit langem war Dumont über das sonst eher lästige Handypiepsen eher erfreut, obwohl ein Blick auf die Uhr verriet, dass etwas passiert sein musste. Es war nämlich erst drei Uhr morgens. Und auf dem Display blinkte auch schon die Nummer des Reviers auf. Noch ein wenig ruhelos wegen des Albtraums musste er erst noch einmal tief durchatmen, bevor er den Anruf annahm. "Ja, hier Dumont! Was gibt's?" "Herr Inspektor, ich habe sehr schlechte Nachrichten..." Und obwohl Andre Dumont noch gar nichts vom Mord an Juliette Sanders wissen konnte, sagte ihm der Unterton des anrufenden Beamten schon alles. "...es hat ein zweites Opfer gegeben, nicht wahr?" "...woher...naja, im Grunde genommen, sind es zwei Opfer, Herr Inspektor. Beide gestorben durch Stiche ins Herz. Vermutlich derselbe....Herr Inspektor?" Dumont hatte bereits aufgelegt.

Juliette, nun ist es vorbei. Zugegeben, es war wirklich leichter als ich dachte. Susan hat sich wenigstens gewehrt aber du...du konntest nicht realisieren, dass ich dich töten wollte. Auch als ich dich vergewaltigte, ließ du alles über dich ergehen. Braves Mädchen! Der Mörder saß in seinem Drehsessel, vor ihm ein brennender Mülleimer. Darin schmolzen gerade Fotos von einem schönen Mädchen in sich zusammen. Bei näherem Betrachten sah man, dass das Mädchen Juliette Sanders war. Der Mann legte leise vor sich herflüsternd weitere Aufnahmen ins Feuer. Die rote Glut verschlang sie auf der Stelle. Du hast nie geschluchzt, Tränen rannten über dein Gesicht, aber du machtest es mir wirklich leicht. So gefällt es mir. Ich wusste doch, dass ich auf dich zählen kann. Und als ich das erste Mal das Messer in deinen Körper rammte, konnte ich die Ergebenheit, die Resignation in deinen wunderhübschen blauen Augen sehen. Na ja, meine Rose, du bist Geschichte. Nun werde ich mir eine Neue suchen, wunderschön blühend, nur auf mich wartend, nur auf mich. Hmm...wie wär's mit... Der Mann im schwarzen Trenchcoat drehte sich voller Tatendrang zu seinem Laptop. Wenn man diesen Raum genau betrachtete, fiel auf, dass darin eine wahre High-Tech-Ausrüstung vorhanden war. Neben dem Computer lagen Wanzen überall umher, außerdem eine Reihe von verschiedenster Software und Hardware und direkt daneben Hackeranleitungen und Spionagebücher. Mitten in dieser fast unwirklich wirkenden Welt saß der Mann im schwarzen Trenchcoat voll Eifer vor seinem Laptop, nach etwas suchend.
So, jetzt sehen wir einmal nach, wer du wirklich bist, meine Süße Diana. Mit flinken Fingerbewegungen tippte der Mann im Trenchcoat alle möglichen Befehle in die Tastatur des Laptops. Als das Ergebnis seiner Suche mitsamt Foto auf dem Bildschirm anschien, huschte ein gehässiges Lächeln über sein Gesicht. Ich glaube, du hast ein wenig gemogelt, liebe Diana. Du bist gar nicht 21. Aber, ehrlich gesagt, wenn ich mir so dein Foto ansehe, du siehst wirklich verdammt sexy aus, echt verführerisch,...auch wenn du eine hinterlistige Polizeischlampe bist...































5.DIANA





"Der Mann starb durch einen einzigen präzisen Stich ins Herz. Man fand ihn hier hinter dem Busch. Er ist voraussichtlich genauso lang tot wie das Mädchen. Todeszeitpunkt bei beiden war zwischen neun und zehn Uhr nachts. Wie wir bereits feststellen konnten, hatte der Mann den Auftrag eine Pizza zu diesem Haus an Türnummer 64 zu liefern. In dieser Wohnung wohnte das Mädchen, unser zweites Opfer. Wie uns der Chef der Pizzeria erklärte, hat sich Luigi Pierini, so ist der Name des Toten, seit seiner Fahrt zu diesem Wohnhaus nicht mehr gemeldet. Er wollte ihn schon als vermisst melden, weil er einen Unfall befürchtete. Weil er auch nicht an sein Handy ging, machte er sich schon Sorgen. Kommen Sie, Inspektor Dumont, da vorne haben wir auch etwas gefunden, was uns merkwürdig vorkommt." Dumont nickte dem Kollegen von der Mordkommission, dessen Name Jason Warwick war, zu und folgte ihm zu einer Reihe von Mülltonnen, die zum Wohnhaus gehörten. Warwick war erst am Vorabend aus seinem Urlaub zurückgekommen. Ansonsten unterstützte er Andre Dumont bei den Fällen, so gut er konnte. Aber ehrlich gesagt mochte ihn Dumont nicht besonders. Warwick hatte einfach eine ziemlich eigenartige Art, war oft ein komischer Kauz...aber Dumonts musste sich zugestehen, dass sich das einige, und das waren nicht gerade wenige, über ihn auch denken werden. Darum war er im Prinzip trotzdem heilfroh, überhaupt einen Gehilfen zu haben, der ihn bei den Ermittlungen unterstützen konnte. Gratuliere, Herr Kollege! Kaum zurück und schon gab's wieder einen Haufen Arbeit. Dumont betrachtete neugierig die Bewegungen seines Kollegen, der sich zielstrebig einer bestimmten Mülltonne näherte. Warwick öffnete diese und ließ Dumont einen Blick gewähren. In der Tonne lagen eine Pizzaschachtel und eine Kappe, die sich auf dem zweiten Blick als die eines Pizzaunternehmens entpuppte. ,Alessandro' stand mit geschwungener Schrift darauf. Ja, so hieß die Pizzeria, in der das Mordopfer gearbeitet hatte. Was Dumont aber wirklich beunruhigte, war die Tatsache, dass ! beide Fundgegenstände voller Blut befleckt waren. "Wann wurde der Pizzaauftrag aufgegeben? Und von wem?" fragte Dumont Mr. Warwick. "Wie uns der Pizzeriatyp erzählt hat, wurde die Bestellung um 20:33 Uhr aufgegeben. Von einem Mädchen namens Juliette Sanders...dem zweiten Mordopfer." "Kann ich jetzt den Tatort des zweiten Mordes sehen?" fragte Andre voller Mitgefühl. Was war geschehen? Reihen von Gedanken schwirrten durch seinen Kopf. "Ja sicher, kommen sie", kam prompt die Antwort. Dumont folgte dem Mann zum Wohnhaus, betrat es und wartete mit ihm auf dem Lift. "Die Wohnung ist in der fünften Etage", erklärte Warwick ihm. Schon nach wenigen Sekunden öffnete sich der Aufzug und die beiden Männer fuhren zu jenem Stockwerk des Gebäudes, in welchem sich in deren Nacht ein schreckliches Szenario zugetragen hatte. Kaum hatten sie den Aufzug verlassen, bemerkte Dumont schon drei Beamte von der Spurensicherung, die am Stiegenhaus und vor einer Wohnung Spuren aufsammelten, der Wohnung mit der Türnummer 64. Auf dem Türschild stand ,Familie Sanders'. Warwick und Dumont traten in die Wohnung ein. "Das Opfer liegt da vorne im Wohnzimmer, hier entlang!" Inspektor Dumont folgte dem Mann zum Tatort. Zuerst konnte er das Mädchen nicht genau sehen, weil ein Beamter gerade vor ihr hockte, aber als er sich wegdrehte, verschlug es Dumont fast den Atem. Der leblose Körper des Mädchen war über und über mit Blut befleckt. Er lag auf dem gläsernen Wohnzimmertisch, eine Hand hing herab und strich leicht den Teppich, der früher leuchtend orange gewesen sein musste, aber nun ebenfalls nur noch rot war. Rot vom Blut von Juliette Sanders. Wieder war es ein verdammt hübsches Mädchen gewesen, dachte sich Dumont. Warum? Wieso nur? Die ewig ihn quälenden Fragen geisterten wieder durch seine Gedanken. Und da sah er sie, die Rose. Sie lag auf dem nun mehr roten Hemd des Mädchens, verwelkt, aber trotzdem die Schönheit nicht verloren. Genauso wie bei Susan Thompson. Dumont war sprachlos. ER hatte wieder zugeschlagen. Er hatte fast schon geh! offt, dass es jemand anderes war, jemand, der einem nicht so viele Rätsel aufgab wie dieser Mörder. Zwar hatte er es schon befürchtet, dass ER wieder gemordet hat, aber wahr haben wollte er es nicht. Und ein Nachahmungstäter? Nein, diese Tat wurde zu präzise, zielsicher und gnadenlos ausgeführt. Der Mörder hatte auf seine Chance gewartet und dann erbarmungslos und ohne Rücksicht auf weitere Menschenleben zugeschlagen. Und so eine dunkle Seele, die konnte nur ER haben. "Inspektor Dumont?" Warwick führte ihn direkt zur Leiche. "Wir fanden drei Einstiche im Oberkörper, zwei davon waren vermutlich tödlich. Außerdem wurde sie vergewaltigt." Hoffentlich erst, nachdem sie tot war. Dumont hoffte, dass bereits der erste Stich den Schmerz beendete und sie nicht weiter leiden ließ. Was er nicht wusste, war, dass Juliette langsam und qualvoll starb, sich bis zur letzten Sekunden ihres Lebens weigerte, zu sterben. Vergebens. "Wir fanden das hinter der Couch", deutete Warwick Dumont und zeigte ihm ein glänzendes Etwas. Bei genauer Betrachtung sah er, dass es ein Namensschild war, das man sich anknipsen konnte. Auf der Vorderseite stand in geschwungener Schrift ,Luigi' darauf, der Name des toten Pizzalieferanten. Es war sein Namensschild. Und plötzlich leuchtete Dumont das Szenario ein. Er konnte sich vorstellen, was zuvor hier passiert war. "Ich habe eine Vermutung, Mr. Warwick", stammelte er. "Welche, Inspektor Dumont?" "Wie ich vermute, wurde Luigi Pierini vor dem Gebäude überwältigt und getötet. Er versteckte die Leiche hinter dem Busch neben den Parkplätzen. Der Mörder nahm sein Namensschild, seine Kappe und natürlich die Pizzaschachtel mit Inhalt. Damit ging er zur Wohnung des Mädchens und täuschte ihr vermutlich vor, der Pizzalieferant zu sein. Sie macht ahnungslos die Tür auf und merkt erst zu spät die wahre Absicht des Mannes. Dann muss dieser sie ins Wohnzimmer gedrängt haben. Hier hat er sie auf dem Tisch dann vergewaltigt und getötet. Höchstwahrscheinlich hat er ihr gedroht, damit sie nicht schreit. Während! der Tat muss er dann das Namensschild verloren haben. Nachdem er mit dem Mädchen ,fertig' war, legte er ihr noch die Rose über die Wunde. Er verließ vorsichtig das Gebäude und entledigte sich der Kappe und der Pizza, indem er sie in eine Mülltonne warf." "Klingt sehr plausibel, so ähnlich müsste es wirklich passiert sein", meinte Warwick zustimmend. "Fand man bisher irgendwelche Spuren wie Hautfetzen unter ihren Fingernägeln?" wollte Dumont wissen. ""Nein, leider gar nichts. Es scheint so, als ob sich das Mädchen vor lauter Schock gar nicht gewehrt hat. Nicht einmal, als er das Messer in ihr Herz stieß...wirklich tragisch, diese ganze Sache." "Ja, wirklich tragisch, ...wer hat das Mädchen gefunden?" hakte der Inspektor nach. "Ihre Eltern kamen gegen zwei Uhr von einer Feier nach Hause. Mrs. Sanders hat dann die Leiche entdeckt. Beide sind momentan in ärztlicher Behandlung, sie sind nervlich am Ende. Juliette war ihr einziges Kind gewesen und auch noch ein wahrer Engel, wie einige Nachbarn mir erzählten. Immer zuvorkommend und hilfsbereit." Dumont merkte in Warwicks Blick und Gesten, dass ihm das Ganze auch ziemlich nahe ging. "Sie haben nichts von der Tat mitbekommen, eine ältere Frau aus der dritten Etage will aber gegen halb zehn Uhr ein krachendes Auto wegfahren gehört haben. Aber ehrlich gesagt, kann das jeder mit einem alten oder kaputten Wagen gewesen sein." Dumont nickte. Warwick hatte recht. Das war kein guter Hinweis, aber er hoffte, dass doch jemand etwas bemerkt hatte. Irgendetwas. Nur etwas, was Dumont bei der Klärung dieses Falles in die richtige Spur führte. Es durfte nicht noch mehr Opfer geben, kein einziges mehr. Aber leider sollten Dumonts Hoffnungen bei weitem nicht erfüllt werden.

Diana Hawkins biss voll Genuss in ihr Erdbeermarmeladenbrot, nahm abwechselnd immer einen Schluck Orangensaft, bevor sie erneut ein kleines Stück abbiss. Es war ein ruhiger Morgen. An diesem Tag war Diana schon etwas früher aufgestanden als sonst, so gegen sechs Uhr früh. Sie hatte nicht sehr gut geschlafen und darum wollte sie wenigstens jetzt beim Frühstück entspannen und alles genießen. Mit einem Ohr lauschte sie der wohltuenden Musik aus dem Radio, aber mit ihren Gedanken war sie nur bei Andre. Sie hatte in wirklich sehr gern. Ihr war es bis jetzt nie bewusst, wie gern sie ihn hatte. Sie kam sich vor wie ein Teenager mit dem ersten Liebeskummer. Genauso fühlte sie sich jetzt, obwohl noch gar nichts wirklich passiert war. Kleine Flirts, aber etwas Ernstes? Diana glaubte fest daran, dass etwas aus den beiden werden könnte, aber sie hatte eine schlimme Vorahnung, dass es nie dazu kommen würde.

So, jetzt wecken wir unseren Schatz einmal auf! Bin gespannt, wie sie auf mein Mail reagieren wird. Bald werden wir sehen, ob du wirklich etwas über mich weißt oder ob uns zwei nur das Schicksal zusammengeführt hat. Freu mich schon darauf. Kann es gar nicht mehr erwarten...Noch immer in Gedanken versunken führte seine rechte Hand den Mauszeiger am Monitor auf den Button mit der Aufschrift ,SENDEN'. Ein schneller Klick und das Mail war schon unterwegs zu seinem Empfänger: Diana Hawkins. Ein zerfahrenes Grinsen im Gesicht des Mann mit dem schwarzen Trenchcoat verriet, dass er hochzufrieden. Er hatte nicht gedacht, so schnell eine neue Rose zu finden. Zwar würde es dieses Mal wahrscheinlich ein wenig schwerer werden, da er es mit einer Polizistin zu tun hatte, aber für Ms. Hawkins hatte er schon etwas Besonderes vorbereitet. Selbstbewusst erhob der Mann sich aus seinem Sessel und schnappte sich Fotoapparat und weitere Gegenstände, die er sorgfältig in eine Plastiktasche packte und damit zielsicher das heruntergekommene Gebäude verließ.

Schauen wir nun noch schnell, ob ich ein Mail bekommen habe. Diana nahm ihr tägliches Ritual vor, dass darin bestand, zuerst zu checken, ob sie jemand angerufen hat, sie eine SMS oder eine E-Mail bekommen hatte. Um die Wahrheit zu sagen, bekam sie nicht oft Post und Nachrichten. Sie war zwar eine attraktive Dame und hatte eine herzliche Art, aber sie war sehr schüchtern und misstrauisch gegenüber Männern. Sie wusste nicht, warum das so war. Der einzige, der wirklich Gefühle in ihr weckte, war ihr Arbeitskollege Andre Dumont. Lange Zeit hat sie es sich nicht zugeben wollen, aber nun war sie davon überzeugt. Ohne viel Zuversicht loggte sie sich auf dem Bildschirm mit ihrem Benutzernamen und Passwort ein und wartete darauf, zu ihrem ,interaktiven Postkasten' verbunden zu werden. Die einzigen Mails, die sie sonst bekam, waren Werbungen, Newsletter, sinnlose Programme oder witzige Dateien, welche sie von ihren Freundinnen geschickt bekam. Aber diesmal war zu ihrem Erstaunen noch ein anderes Mail dabei. Aber als sie den Absender las, lief es Diana kalt den Rücken runter. Das E-Mail stammte von ,Angel021'.

Ah, da bist du ja! Hübsch siehst du aus! So unschuldig! Sag ,Cheese!', meine Süße Rose! Fünfmal klickte der Mann in seinem alten Ford auf den Auslöser des Fotoapparats, wie in Trance. Leise flüsterte er vor sich her. Er war besessen. Besessen von seinem neuen Opfer. Und wenn ER besessen war, dann hieß es, dass er alles unternahm, um dieses Opfer zu bekommen. Seine Rose. Der Mann blickte noch einmal hinauf zu dem Fenster im ersten Stock, wo man eine attraktive junge Frau vor dem PC sitzend sah. Mit einem hinterlistigen Lächeln wendete er sich ab und startete das Auto. Mit grausamen Hintergedanken fuhr er langsam davon und ließ die Frau im Fenster hinter ihm. Er konnte nur noch an sie denken und an ihren baldigen Tod. Es würde nicht mehr lange dauern. Nein, dafür würde er schon sorgen. Die Frau im Fenster war Diana Hawkins.

Mit beinahe zittrigen Händen führte diese Frau die Maus zum Menüpunkt ,Öffnen der Nachricht'. Eine nicht beschreibbare Angst kam in ihr hoch. Was hatte sie getan? War es richtig gewesen, mit dem vermeintlichen Mörder von Susan Thompson zu chatten? Aber was war, wenn es gar nicht der Mörder war, mit dem sie vorgestern im Chat geplaudert hatte? Dann war ja alles in Ordnung, oder? Mit großem Unbehagen klickte sie auf den Button am Bildschirm und sogleich öffnete sich ein Brief darauf. Nun zitterte Diana am ganzen Körper. Es war der Mörder. ER war es. Sie hatte mit IHM gechattet. Er musste es sein. Mit Entsetzen las sie Zeile für Zeile angestrengt durch, mit der Hoffnung, sich zu irren. Zuerst fand sie nichts Verdächtiges, aber plötzlich entkam ihr ein dumpfer Schrei. Sie wollte ihn unterdrücken, aber das eine Detail im Brief ließ sie erschaudern. Nein, das konnte nicht sein! Nein!


Liebe Diana!

Wie geht's meiner süßen Rose?
Ich vermisse dich schon.
Hab feststellen müssen, dass du mir noch immer kein Foto von dir geschickt hast.
War sehr enttäuscht darüber, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.
Was machst du immer so?
Kann nur noch an dich denken.
Komisch, wenn man bedenkt, dass wir uns kaum kennen.
Aber ich habe trotzdem das Gefühl, als ob wir so etwas wie Seelenverwandte sind.
Bei mir hat es sogar ein wenig gefunkt.
Freue mich schon, wenn ich dir direkt in deine schönen blauen Augen schauen kann.
Vielleicht hast du auch Interesse an einem Treffen.
Wenn es dir ein wenig zu schnell geht, verstehe ich das vollkommen.
Wir können uns via E-Mails weiter näher kennen lernen und wenn du bereit bist, brauchst du es mir nur zu schreiben, ich warte dann schon auf dich, meine Süße!

Kuss!
Erwartungsvoll,

Dein ,Angel021'

Sie konnte es nicht fassen. Alle möglichen Gedanken rasten wie Eilzüge durch ihren Kopf. Sie versuchte sich an jeden Teil der Chatunterhaltung mit ,Angel021' zurückzuerinnern, aber ein Detail, DAS Detail fiel ihr nicht ein. Sie las entsetzt noch einmal die Zeile mit diesem Detail durch.
Freue mich schon, wenn ich dir direkt in deine schönen blauen Augen schauen kann.
Das war's! Diana fing an bitterlich zu weinen. Zusammengekrümmt vor Angst kauerte sie auf dem Sessel und schluchzte vor sich hin. ,...in deine schönen blauen Augen...' Sie hatte ,Angel021' gegenüber nie ihre Augenfarbe erwähnt...

Die ganze Fahrt über zum Revier liefen alle Gehirnzellen von Inspektor Andre Dumont heiß. Nun waren es schon drei Mordopfer, wenn man Janette Peeters aus Dallas dazu nahm, sogar vier. Aber obwohl alles so brutal, so realistisch ablief, konnte Dumont noch immer nicht realisieren, wie das Ganze überhaupt möglich war. Paul Sylka. Ja, Paul Sylka war tot. Er konnte die Morde nicht begangen haben, aber trotzdem war etwas ziemlich faul an ihm. Warum ließen sich keine Fotos von ihm auftreiben? Alle verschwunden. Wieso? Was macht das für einen Sinn? Andre schüttelte den Kopf. Das konnte alles nicht wahr sein. Sollte er aufgeben? Nein! Direktor Payton hat ihm nun sein Vertrauen ausgesprochen und jetzt durfte er ihn nicht enttäuschen. Dieser Fall nagte zwar sehr an seiner Psyche, aber er musste es durchstehen, schon allein den Mordopfern zuliebe. Ihr Mörder gehört endlich gefasst. Es durfte keine Zeit mehr vergeudet werden. Er blickte flüchtig auf seine Armbanduhr. Schon fast zwölf Uhr mittags. Ja, die ganzen Zeugenaussagen und die ersten Tatortuntersuchungen hatten schon gewaltig Zeit gekostet. Besonders tragisch fand Dumont aber das Gespräch mit dem Hausarzt der Sanders, der sich um die beiden Eltern gekümmert hatte. Seiner Aussage nach kauerten sie eng umschlungen auf dem Sofa zusammen und flüsterten nur immer ihren Namen: Juliette, Juliette. Sie konnten nicht begreifen, warum so etwas Unfassbares, Grausames mit ihrer Tochter passieren konnte. Wie auch? Dumont konnte es auch nicht. Keiner konnte das. Wie konnte man schon einen Mord an einem unschuldigen Mädchen begreifen? Und auch noch auf so hinterlistige und brutale Art und Weise. Es war unmöglich. Andre Dumont bog langsam auf den Parkplatz des Reviers ein, mit den Gedanken aber nur bei den armen Eltern. Fast wie in Trance trat er ins Gebäude ein und ging mit schweren Schritten zum Bürozimmer von Direktor Edward Payton. Er musste ihm die neuesten Ergebnisse mitteilen, das war ihm auch schuldig. Nur, er hatte leider kaum brauchbare Ergebnisse. Mit einem tiefen ! Seufzer trat er ins Zimmer ein, wo er schon vom Chef erwartet wurde.


,Dallas Morning News' , Mittwoch, 23.Mai'01

ARLINGTON,TX- Der 'ROSENMÖRDER' hat wieder zugeschlagen! In der Nacht auf heute wurde die 18-jährige Juliette S. daheim in der Wohnung brutal vergewaltigt und ermordet. Sie wurde durch drei Stiche ins Herz getötet und eine verwelkte Rose bei der Leiche hinterlassen. Diese Vorgehensweise entspricht dem gleichen Verhaltensmuster des Mörders, der auch Susan T.(19J.) umgebracht hatte(wir berichteten). Obwohl es die Polizei noch nicht offiziell bestätigen wollte, muss man davon ausgehen, dass es sich um denselben Täter handelt. Die Eltern des Mädchens, die die Leiche gefunden haben, sind momentan in ärztlicher Behandlung.
Auch ein Polizeibeamter war total geschockt: "Wie sie da so auf dem Tisch gelegen hat, alles voller Blut, das ging jeden ziemlich nahe. Dieser Mörder muss endlich geschnappt werden...das sind wir den Eltern der beiden Mädchen einfach schuldig."

Vor dem Wohngebäude(Bild rechts), in dem Juliette S. gestorben ist, fand man auch eine zweite Leiche. Der tote Mann hieß Luigi Pierini, war 29 Jahre alt und arbeitete zuletzt in einer Pizzeria in der Nähe des Tatorts. In welchem Zusammenhang er mit den Mädchenmorden steht, konnte bis jetzt noch nicht geklärt werden.

Die Polizei richtet sich nun verstärkt an die Bevölkerung der Stadt:
Jeder sachdienliche Hinweis soll sofort beim Revier oder bei der Nummer (972)333-5652 gemeldet werden. Man muss hoffen und beten, dass der Mörder bald geschnappt wird, damit die Menschen in Arlington endlich wieder ruhig schlafen können.

Aus Arlington, Texas Bob Niedermayer


Es war kurz nach Mittag, als Andre Dumont an die Bürotür von Diana Hawkins klopfte. "Hallo? Diana?" Langsam öffnete er die Tür und lugte in den Raum hinein. Er musterte den Bürotisch, die unversehrten Unterlagen, den ausgeschalteten Computer. Wo war sie? Die Antwort sollte er schon wenige Sekunden bekommen. Ein anderer Mitarbeiter aus der Computerabteilung bog gerade um die Ecke. "Ah, Inspektor Dumont, suchen Sie Ms. Hawkins? Die hat sich für heute krank gemeldet." "Äh...danke..." Was? Diana war krank? Da werde ich ihr kurz gute Besserung ausrichten. Er nahm sein Handy, wählte und ließ sich bei der Ankunft Dianas Nummer geben. Nach sechs Mal läuten legte Andre wieder auf. Diana ging nicht zum Telefon. Und das erste Mal verspürte er unwahrscheinliche Sorge um seine Kollegin. Er hatte das schreckliche Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Vielleicht war es besser, einmal zu ihr vorbeizuschauen. Nur zu sehen, dass alles passte. Ja, das würde er später tun. Noch ein wenig in Gedanken bei Diana machte er sich wieder auf dem Weg zu seinem Wagen. Jason Warwick und er hatten nämlich wieder einen Termin bei Dr. Arthur Patterson, dem Gerichtsmediziner.

Diana saß vor ihrem PC und starrte nur auf den Bildschirm, auf dem noch immer das Mail von ,Angel021' zu sehen war. Immer und immer wieder wollte sie sich an das Gespräch im Chat zurückerinnern. Hatte sie nun doch ihre Augenfarbe erwähnt? Sie war sich selber nicht mehr sicher. Die plötzliche Angst machte sie total verrückt. Was hatte sie alles geschrieben? Ja, dass sie dunkelbraunes Haar hatte, aber von ihren Augen war ihrer Meinung nie die Rede. Und was sollte sie jetzt tun? Wenn er wirklich wusste, dass sie keine Studentin, sondern eine Polizeiangestellte war? Was würde er tun? Ihr nur Angst einjagen wollen? Ja, das war ihm bereits gelungen. Aber das Ungewisse war, dass Diana noch immer nicht 100%-ig sicher sein konnte, dass dieser ,Angel021' DER ,Angel021' war, den alle suchten. Und man konnte ja immer noch nicht genau sagen, ob dieser ,Angel021' überhaupt in direktem Zusammenhang mit dem Mord an Susan Thompson steht. Obwohl natürlich alle Indizien auf ihn schließen. Vor allem die Rosen. Diana wusste selbst nicht mehr, was sie nun glauben sollte. Nur eins wusste sie: in diesem Zustand konnte sie wirklich unmöglich arbeiten. Darum hatte sie sich auch krank gemeldet. Um auf andere Gedanken zu kommen, schaltete sie den Fernseher ein, wo gerade die Nachrichten liefen. Diana holte sich noch schnell ein Glas Wasser und wollte sich gerade auf die Couch setzen, als der Bericht kam. Sie erstarrte. Fast wäre ihr das Glas aus der Hand gerutscht. Langsam, wie in Zeitlupe setzte sie sich nieder, gebannt auf die Bilder und der Reporterstimme achtend.
"In diesem Gebäude kam es heute Nacht zu einem Blutbad. Die 18-jährige Juliette Sanders wurde von einem noch Unbekannten in ihrer Wohnung vergewaltigt und anschließend brutal erstochen. Da man auch eine Rose bei der Leiche fand, muss man davon ausgehen, dass es sich um denselben Mörder handelt, der am letzten Samstag auch die 19-jährige Susan Thompson umgebracht hat. Die Polizei kann sich noch nicht erklären, welches Symbol diese Rose sei. Sie vermuten es als die ,Visitenkarte' des Täters, den man in Fachkreisen schon als den ,Rosenmörder' kennt. Aber ein weiterer Fund macht diesen Fall noch mysteriöser: In der Nähe des Wohngebäudes wurde die Leiche des 29-jährigen Luigi Pierini entdeckt, auch er wurde erstochen. Die Polizei wollte noch nicht Stellung nehmen, in welcher Verbindung die Opfer stehen. Auf jeden Fall wurde bei Pierini keine Rose gefunden...Ah, da ist der Inspektor von der Mordkommission...entschuldigen sie..."
Diana blickte entsetzt auf den Fernseher, konnte am Bildschirm Andre Dumont auftauchen sehen. Der Reporter richtete das Mikrofon auf ihn.
" ,Können Sie uns schon Näheres über die beiden Opfer sagen?' ,Nein, ich möchte noch nichts mitteilen, solange wir noch nichts wirklich Konkretes und Handfestes in der Hand haben. Nur eines will ich Ihnen sagen: Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um diesen dreckigen Schweinehund zu fassen...entschuldigung...' ,Kein Problem, danke für Ihre Stellungsnahme!' Wir sahen gerade, dass sogar die Polizei einen Riesenhass gegenüber dem Täter empfinden, und wie ich meine, scheint es fast schon sicher, dass der ,Rosenmörder' wirklich alle drei Morde begangen hat. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, wenn wieder etwas Neues in dieser Angelegenheit passiert, sind wir wieder live für Sie da. Ihr Matt Cullen, Texas News Channel 5."
Diana schüttelte den Kopf. Nein, das konnte nicht wahr sein! Es musste was passieren! Entschlossen stand sie auf und setzte sich wieder an ihren PC, in dessen Tastatur sie eilig Buchstabe für Buchstabe eintippte.
"Ah, Inspektor Dumont. Endlich sind Sie da, es ist dringend!.Wo ist übrigens Mr. Warwick? Ich habe gedacht, der ist schon aus dem Urlaub zurück." Dumont kam gegen dreiviertel eins in die Leichenhalle, wo er schon von Dr. Arthur Patterson erwartet wurde. "Warwick? Der hat seine Geldtasche am Tatort liegen gelassen und holt sie schnell. Er ruft mich hier an, wenn er sich auf dem Weg hierher macht. Also, warum wollten Sie mich nun so dringend sprechen?" Dumont war ziemlich neugierig, weil Dr. Patterson hatte am Telefon aufgeregt geklungen. "Aha, dann komme ich zur Sache. Während an der Leiche vom Pizzalieferanten leider keine brauchbaren Spuren zu entdecken waren, wurde bei dem Mädchen ein männliches dunkles Haar gefunden. Hoffentlich haben wir Glück und es stammt vom Täter. Beide starben wie vermutet an ihren Stichverletzungen, die wieder sehr präzise ins Herz platziert wurden. Sie hatten keine Überlebenschance. Und wir können jetzt mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass wir es mit ein und demselben Täter zu tun haben. Es wurde dasselbe Jagdmesser bei den Morden gestern verwendet wie bei Susan Thompson. Ah, übrigens konnten auch in der gefundenen Kappe des Toten Haare gefunden werden, und zwar zwei verschiedene Strukturen, ein Art müsste vom Täter sein, die andere von der Leiche. Nachher werde ich gleich beginnen, die Haare von ihm", er zeigte auf die män nlicheLeichevonLuigiPierini,"mitdengefundenenvergleichen...abereigentlichwollteichIhnenetwasganzAndereserzählen."Dumonthorchteauf."Ja,Dr.Patterson""Ichhatte, nachdem wir das über diesen Paul Sylka herausgefunden haben, Nachforschungen angestellt und eine Untersuchungen anordnen lassen..." "Welche Untersuchung?" Andre Dumont wurde schon langsam neugierig. "Ich habe mit dem Labor in Dallas telefoniert und die waren sehr hilfsbereit bei meiner Bitte gewesen. Nachdem sie sich die Erlaubnis dazu geholt haben, bargen sie die Überreste von Paul Sylka aus seinem Grab. Der Körper war ja schon durch das Feuer sehr in Mitleidenschaft gezogen w! orden, was ja auch den Umstand ausmachte, dass er nur anhand seines Namensschild, welches zum Glück noch lesbar geblieben war, als Mr. Sylka identifiziert werden konnte. Die Leiche, die die Kollegen aus Dallas nun untersuchten, war noch dazu schon sehr stark verwest, aber ein großer Teil der Zähne waren noch sehr gut erhalten. So wurde das Gebiss untersucht und nach längerem Suchen auch Bilder von Paul Sylkas Gebiss angefordert. Man sagte mir, dass es gar nicht leicht war, seinen ehemaligen Zahnarzt ausfindig zu machen, aber wenigstens hatten sie Erfolg. Die Zähne der Leiche wurden genau mit den Röntgenbildern verglichen, und obwohl nicht mehr alle Zähne vorhanden waren, konnten sie ein klares Ergebnis feststellen..." Dumont sah den Gerichtsmediziner mit starrem Blick an. Was hatten die aus dem Labor nun herausgefunden? "...Es konnte herausgefunden werden, dass die Leiche, die man aus Paul Sylkas Grab geborgen hat,..." Dr. Patterson musste erst durchschnaufen, bevor er das unglaubliche Ergebnis Dumont kundgab. "...nicht Paul Sylka ist..." Andre Dumont wurde kurz schwarz vor den Augen. Konnte es denn noch verwirrender werden? "Was? Sind Sie ganz sicher?" "Ja, hundertprozentig sicher, Inspektor Dumont. Anhand der Röntgenbilder konnten einige ziemlich sichtbare Unterschiede zwischen den beiden Gebissen festgestellt werden. Es wurde mir versichert, dass kein Fehler vorliegt. Es ist nicht Paul Sylka, der in seinem Grab gelegen hat." "Das macht die ganze Sache noch mysteriöser. Wenn nicht es nicht Sylka ist, wer dann?" "Ja, das ist eine gute Frage. Ich kann es selber nicht glauben. Um diesen Fall beneide ich sie wirklich nicht, Inspektor Dumont." "Na ja, am besten ist, Sie untersuchen noch die Haare, vielleicht bringen uns die einen Schritt weiter. Ich werde wieder zum Revier zurückfahren...und vielen Dank für Ihre große Unterstützung." "Kein Problem, schließlich wollen wir alle, dass der Mörder schnell hinter Schloss und Riegel kommt, nicht wahr?" Dumont nickte nur kurz dazu, dann wandte er sich dem Ausgang z! u. Plötzlich läutete sein Handy. Ah, das musste Warwick sein! Bin gespannt, ob er seine Geldtasche gefunden hat. Aber ein Blick auf das Display zeigte ihm eine unbekannte Nummer. "Inspektor Dumont, Mordkommission?" meldete er sich. "Ja, hier ist Jason. Wollte nur sagen, dass die Geldtasche noch nicht >KNACK< aufgetaucht ist." Also doch Warwick. "Von wo rufen Sie an?" wollte Dumont wissen. "Ich bin gerade in der Wohnung von den >KNACK< Sanders und mache mich gleich unterwegs bei Ihnen. Sind Sie noch in >KNACK< der Gerichtsmedizin?" Inspektor Dumont wurde stutzig. Was war das für ein Knacken? "Warwick? Was knackt denn bei Ihnen so?" "Was meinen Sie, Inspektor? Ich höre nichts." Dumont kam ein wirrer Gedanke. "Warwick? Schrauben Sie die Muschel vom Hörer herunter, schnell!" "Warum? Na gut...ist ziemlich fest angemacht...so, hab's gleich.....Oh Mann!" "Was ist, Warwick? Was haben Sie gefunden?" "Inspektor, da ist eine kleine Wanze unter der Muschel eingesetzt. Was hat das zu bedeuten?" Dumont konnte es nicht fassen. "Warwick? Sind Sie sicher, dass es eine Wanze ist?" "Ja, absolut sicher, Inspektor." "Ok, fassen Sie nichts mehr in der Nähe des Telefons an, ich schicke das Team von der Spurensicherung noch einmal zu der Wohnung." "In Ordnung, soll ich jetzt zur Gerichtsmedizin kommen?" "Nein, fahren Sie gleich zum Revier, ich habe Ihnen einiges zu erzählen." "Ok, Inspektor Dumont, bis gleich." Dumont beendete das Gespräch und steckte sich das Handy wieder in die Jackentasche. Kopfschüttelnd verließ er das Gebäude und ließ Dr. Arthur Patterson wieder allein mit seinen Untersuchungen.

Diana surfte mit vollem Einsatz durchs Internet. Sie glaubte, zuletzt irgendwelche wichtigen Homepages übersehen zu haben, welche irgendeine wichtige Spur ergeben könnten. Und zuerst wurde sie dieses Mal auch nicht fündig. Zwar waren ähnliche Fälle bekannt, doch genau das Muster dieses Täters war nicht wieder zu finden. Vielleicht war es tatsächlich sein erstes Verbrechen gewesen. War ja auch sonst schon schlimm genug. Ein Blick auf die Zimmeruhr verriet Diana, dass es bereits fast 12 Uhr war. Abwechselnd glitt ihr Blick vom Monitor zurück zur Uhr. Dann ließ sie den Mauspfeil geschwind zum Menüpunkt ,Herunterfahren' bewegen und kurz darauf erlosch das grüne Licht am Computerturm. Sie musste hier raus. Diana war total fertig und ausgelaugt. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis schnell unter andere Leute zu kommen, nicht ganz allein zu sein. Noch einmal musste sie an das Mail denken. Sie kam zum Entschluss, dass sie doch ihre Augenfarbe erwähnt haben dürfte. Nur durch all den Stress zuletzt war sie zu verwirrt gewesen, um einen klaren Kopf zu haben. Ja, so muss es gewesen sein. Wie sollte ,Angel021' denn sonst wissen, dass sie blaue Augen hat? Im ersten Moment hatte sie einfach überreagiert, genau, und sie glaubte, dass alles viel harmloser war als sie zunächst dachte. Leider irrte sie sich gewaltig. Sie hatte ,Angel021' wirklich nie ihre Augenfarbe erwähnt. War auch nicht nötig. ER findet sowieso alles heraus, was ER möchte, auch wenn es noch so schwer war. Die junge Polizistin wanderte ins Schlafzimmer hinüber und zog sich etwas Frisches an. Eine knappe Viertelstunde später war Diana fertig. So ein längerer Spaziergang würde ihr sehr gut tun. Danach würde sie sich wieder besser fühlen. Hauptsache, sie war nicht komplett allein. Diese stille Atmosphäre in ihrer Wohnung machte sie momentan fast wahnsinnig. Sie holte sich noch ihre Handtasche und verließ anschließend ihre Wohnung. Als sie das Gebäude zu Fuß hinter sich ließ, folgten zufriedene Blicke ihren Schritten. Sie wurde aus einem alten Ford beobachtet, ! bis sie um die Ecke des Häuserblocks verschwand. Währenddessen läutete in Dianas Wohnung das Telefon. Andre Dumont wollte sich um ihr Befinden erkundigen, doch keiner meldete sich. Die Wohnung war leer. Dumonts Versuch endete nach mehrmaligem Läuten. Dann machte er sich auf zu Dr. Patterson, der ihm ja ziemlich schockierende Neuigkeiten zu erzählen hatte. Und während das Läuten in der Wohnung wieder verstummte, öffnete sich unten an der Strasse die Fahrertür des alten Fords und der Mann im Trenchcoat stieg langsam aus. Ein beunruhigendes Grinsen lag auf seinem Gesicht.

Endlich! Sie verlässt ihre Wohnung. Diana kann sich ruhig Zeit lassen. So, dann schauen wir mal an, wie meine hübsche Rose wohnt. Unbemerkt schlich der Mann hinauf zur Wohnungstür von Diana Hawkins. Mit erlernten schnellen Handgriffen öffnete er mit einem Dittrich langsam die Tür. Kaum in die Wohnung geschlüpft, machte er sie hinter sich wieder zu. Es soll ja keiner wissen, dass er hier war. Mit gezielten Schritten schlich er durch die Zimmer. Im Wohnzimmer wurde er fündig. Das Telefon stand in der Nähe des Fensters, in dem er heute früh Diana gesehen hatte. Mit flinken Griffen schraubte er den Apparat auf und holte ein kleines Gerät aus seiner Tasche, die er mitgenommen hatte. Es war eine Wanze. Kaum drei Minuten später war alles zu seiner Zufriedenheit erledigt. Nur noch seine Fingerabdrücke entfernt, sicher ist sicher. Normalerweise wollte er gleich wieder das Haus verlassen, aber als er in das geöffnete Schlafzimmer reinlugte, wurde er neugierig. Behutsam öffnete er die Regale, erregte sich bei den Dessous von Diana Hawkins und entdeckte schließlich einen Fotoalbum, in dem Dutzende Aufnahmen seiner Rose eingeklebt waren. Da saß er nun auf Dianas Bett und sah sich wie total besessen Seite für Seite an. Mann, war sie toll! So ein Süße Lächeln hatte sie! Mit den schönen Fotos vergaß der Mann die Zeit. Als er das nächste Mal auf die Uhr im Zimmer blickte, musste er sich eingestehen, nun schon über eine halbe Stunde in dieser Wohnung zu sein. Ja, es wurde leider wieder Zeit zu gehen! Nachdem er das Fotoalbum wieder ordentlich verstaut und den Tuchent des Bettes glatt gestrichen hatte, verließ er das Zimmer und anschließend vorsichtig auch die Wohnung. Knapp vier Minuten später konnte man das Krachen und Aufheulen des Motors hören, als der Mann im Trenchcoat mit seinem Ford wegfuhr.

.Diana zog ziellos durch die Innenstadt von Arlington, vor sich her grübelnd. Sie musste an den Profiler denken, der am vorigen Nachmittag kurz im Revier gewesen war und ein Täterprofil des Mörders aufgestellt hatte. Laut seiner Theorie müsste der Gewalttäter zwischen 30-40 Jahre alt und schon einige Male durch kleinere Delikte negativ aufgefallen sein. Außerdem hätte er ein bestimmtes Verhältnis zu seiner Mutter gehabt und eine schlechte Kindheit durchlebt. Er wäre unberechenbar und würde total harmlos und unscheinbar wirken. Unter einem Haufen anderer Leute würde man nie vermuten, dass er ein Serienmörder sei. Wenn man alle diese Punkte genau betrachtet, passt sie auf die Beschreibung ziemlich jedes mehrfachen Mörders. Darum war dieses Treffen mit dem Mann mehr oder weniger Zeitverschwendung gewesen. Gedankenversunken setzte sie sich auf die Bank der Bushaltestelle, wo sie sich den Fernsehbericht vom Vormittag noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Ja, nun waren es schon drei Opfer. Wie weit sollte es noch gehen? Was wollte ER? ER wollte sie. Sie war jetzt seine Rose. Aber Diana konnte das ja leider nicht ahnen.oder wollte es nicht wahrhaben.

"Ah, Warwick, wissen Sie, ob man schon eine Spur von Ramon Hernandez gefunden hat?" Dumonts Stimme wirkte fast gereizt. Dieser Fall spielte immer mehr mit seinen Nerven und immer dann, wenn er glaubte, es könne nicht mehr komplizierter werden, dann wurde er gleich darauf auf den harten und erbarmungslosen Boden der Tatsachen zurückgeholt. Wie sich herausgestellt hat, war auch das Telefon in Susan Thompsons Zimmer verwanzt gewesen. Susans und Juliette Sanders Eltern konnten sich zwar nicht erklären, wie jemand unbemerkt die Geräte bearbeiten konnte, aber schließlich gingen ja alle Elternteile auch in die Arbeit. Bei den Thompson hatte der Täter aber nur vormittags die Gelegenheit sein Ziel zu erledigen, da Jackie Thompson nur halbtags in einem Modegeschäft arbeitete. Der Täter muss also genaue Beobachtungen und Recherchen vorgenommen haben, um genau zu wissen, wann er die Wanze möglichst ungestört am Telefon befestigen konnte. Auch muss er gewusst haben, dass Juliette allein zu Hause war, also muss er vermutlich das Gebäude schon Stunden vor der Tat beschattet haben. Als er das Gespräch von dem Mädchen und der Pizzeria verfolgte, muss er seinen teuflischen Plan geschmiedet haben. Dann hatte er leichtes Spiel. Er gab sich als den Pizzalieferanten aus und gelangte so in ihre Wohnung. Ziemlich hinterlistig. Aber wie kam er in die Wohnung der Sanders hinein, um die Wanze zu platzieren? Durch das Fenster wohl kaum, die Wohnung lag ja bekannterweise in der fünften Etage. Wie die Leute von der Spurensicherung aber bereits entdeckt hatten, sind winzige Kratzspuren am Türschloss zu sehen, der Eindringling könnte einen Draht oder sogar einen Dittrich benützt haben. Aber woher hatte der Täter all diese Werkzeuge und Geräte? Andre Dumont würde sich ein wenig umhören. Es gibt sicher genügend verrückte Typen, die solche Sachen illegal zum Verkauf anbieten. Vielleicht würde er endlich auch ein bisschen Glück haben, obwohl heute hatte ja schon der Zufall mitgeholfen, um auf die Wanzen zu kommen. Warwick hatte die Geldtas! che nicht verloren, nur in seinem Büro verlegt. Nach der Rückkehr von den Sanders hatte er sie gefunden. Ihm war's ein bisschen peinlich, aber im Endeffekt war sein Irrtum Gold wert gewesen. Wenn man herausfinden könnte, wer solche Wanzen verkauft, würde es die Polizei im besten Fall zum Täter führen. Ja, im besten Fall. Es konnte aber auch sein, dass man weder den Verkäufer nicht ausmachen würde oder der sich nicht mehr an alle Käufer erinnern könnte. Alles war möglich. Inspektor Dumont hoffte, auch zu ihren Gunsten.
Jason Warwick hatte gerade sein Bürozimmer betreten und konnte Dumont nur eine negative Nachricht auf seine Frage geben. "Nein, leider nicht. Es scheint fast so, als ob sich dieser Ramon Hernandez nach seiner Kündigung in Rauch aufgelöst hat." Warwick wollte Dumont die bittere Antwort mit diesem Wortspiel etwas lockerer rüberbringen, aber er sollte damit voll ins Schwarze treffen. "Was haben Sie gerade gesagt? ...in Rauch aufgelöst...?...Ja, das ist es! Warwick, wenn das stimmt, was ich jetzt vermutete, ja dann bin ich Ihnen einen Drink schuldig. Danke, Warwick!" Jason Warwick schaute nur verwirrt zu, wie der Inspektor eilig eine Nummer in sein Handy tippte und verließ verdutzt mit einem "Ja, dann bis später! Habe Ihnen gern geholfen!" das Büro. Nicht ahnend, dass er mit diesem nur dahergesagten Satz Dumont auf eine skurrile Idee gebracht hat. Auf eine Vermutung, die total unlogisch und nicht sehr glaubwürdig erschien. Doch was war an diesem Fall schon wirklich logisch?






























6.JOE PRESTON




"Ja!Ja!JAA! TOUCHDOWN!!!" Der dicke ungepflegte Kerl mit dem Zottelbart erhob sich langsam aus seinem bequemen Sitzplatz, dem Sofa, und blickte mit einem erfreuten Glänzen in seinen dunklen Augen auf den Bildschirm seines Flachbildfernsehers. Er streckte seine Fäuste zur Decke hinauf und jubelte energisch vor sich hin. Die Dallas Cowboys hatten gerade noch den entscheidenden Touchdown zum 28:26 auswärts gegen die Oakland Raiders geschafft, wenige Minuten vor Ende des letzten Viertels. Der Mann vor dem Fernseher konnte sein Glück nicht fassen. Er hatte eine Menge Geld auf die Cowboys gesetzt und es schien, als ob ihm das Glück hold sein sollte. Der Mann drehte dem Bildschirm den Rücken zu und verschwand sogleich im nächsten Zimmer, welches so etwas wie eine provisorische Küche zu sein schien. Zwischen Dutzenden von zugeklebten Kartons stand ein neuer riesiger Kühlschrank, dessen Inhalt mit Tausenden von Kalorien aufwarten konnte. Der Typ mit dem narbigen Gesicht suchte sich ein paar Leckerbissen heraus, frischen Speck, etwas Lachs und eine große Portion Wurstsalat, dazu vier Kürbiskernlaibchen und zwei Dosen leckeren Thunfisch. Samt allen Utensilien kehrte er ins Wohnzimmer zurück und stellte die Sachen auf den Tisch. Mit einem verschmitzten Grinsen auf den Lippen ließ er sich wieder auf dem Sofa nieder. Mit seiner rechten Hand ertastete er die Zigarettenpackung neben ihm. Genüsslich nahm er eine Zigarette heraus und zündete sie sich an. Mit siegessicherer Miene nahm er einen tiefen Zug. Aber dann musste er plötzlich husten. Der unsympathische Typ hatte sich auf Grund der laufenden Bilder am Fernseher verschluckt. Entsetzt musste er mit ansehen, wie die Raiders bis zur 20-Yard-Linie vorbrausten. Nur mit Mühe konnte die Defense der Texaner den Angriff stoppen. Es schien, als ob sein Glück doch noch schwinden könnte, und das läppische 33 Sekunden vor Schluss. Der Publikumsliebling des Heimteams nahm den Lederball und machte sich für einen Field Goal-Versuch bereit, bei dem er versuchen würde, die Pille dire! kt durch das Tor zu treten. "Nein!Nein!NEINN!". Der Kerl konnte es nicht fassen. Ziemlich schockiert sah er den jubelnden Schützen und den neuen Spielstand am Bildschirmrand: 29:28 für die Raiders! Ja, nun war es passiert. Diese verdammten Kicker aus Oakland hatten es doch noch geschafft, ihm, Joe Preston, kräftig die gute Laune zu verderben. Ohne Hoffnung auf einen letzten Versuch der Cowboys schaltete er wütend den Fernseher aus und schleuderte die Fernbedienung in die hintere Ecke des Raumes, wo sie in zwei Teile auseinanderbrach. Dieses Mistding! Fluchend verzog sich Preston wieder in der ,Küche', wo er seine vorher sorgfältig herausgesuchten Leckerbissen wieder in den Kühlschrank zurückstellte. Ihm war der Appetit vergangen. Was er nun brauchte, war ein kleiner Spaziergang und ein paar Bier zum Frust runterspülen. Hastig zog er sich ein frisches T-Shirt mit der Aufschrift "Trust nobody!" an und verließ sein unordentliches Haus. Keine fünf Minuten später begann das Telefon in Prestons Wohnzimmer zu läuten. Erst nach sechzehnmaligem Klingeln hörte es wieder auf. Egal, wer Preston erreichen wollte, es musste verdammt wichtig für diese Person gewesen sein.

Joe Preston war vor einem knappen Monat 36 Jahre geworden. Sein unattraktives Erscheinungsbild und sein unsympathischer Charakter trugen wesentlich dazu bei, dass er noch immer keine feste Beziehung gehabt hat. Aber Preston war das ziemlich egal. Seine Vorlieben waren nicht Frauen, nein, seine Schwächen waren gutes Essen, Wetten und Glücksspiele,...und Spionagegeräte. Nichts liebte er mehr als sich in sein geheimes Hinterzimmer zu verziehen und dort mit faszinierender Präzision und Gefühl professionelle Wanzen, winzige Kameras und sonstiges Spielzeug wie Hackersoftware zu basteln und programmieren. Natürlich waren diese Sachen nicht nur für ihn, er machte sich seine Fähigkeiten zu Nutze um großes Geld zu machen. Preston hatte schon einen feinen Kundenstamm aufgebaut, vor allem ein Kunde machte ihn schon oft glücklich und seine Geldtasche voll. Ein seltsamer Kauz mit dem noch seltsameren Namen Ramon Hernandez. Der Name war insofern seltsam, weil er zu dem blassen, mageren Mann nicht wirklich passte und man schnell zu dem Entschluss kommen musste, dass der Name falsch war. Aber Preston war das ziemlich egal. Hauptsache, die Kohle passte. Und dieser ,Ramon Hernandez' hatte anscheinend genug davon. Zum ersten Mal begegnete er ihm vor knapp drei Monaten. Er stand einfach vor seiner Haustür und hatte besondere Wünsche. Zuerst hatte Joe Preston den heißen Verdacht, dass es sich um einen verdeckten Ermittler der Polizei handelte, aber dieser Typ unter seinem Türrahmen meinte es ernst. Er stellte sich als Ramon Hernandez aus Dallas vor, der zufällig von Bekannten von Prestons Leidenschaften gehört hätte und an einigen Geräten großes Interesse zeigen würde. Besonders interessiert war er an kleinen Wanzen, die sich simpel in Telefonhörer einsetzen ließen und an verschiedener Hackersoftware, die es einen ermöglichen, sich in alle Festplatten der Vereinigten Staaten hineinzuhacken und dadurch alle möglichen privaten Dinge des jeweiligen Computerbesitzers herausfinden zu können, wie zum Beispiel die Passwörter der Onl! ine-Konten oder den registrierten Nickname in den Chaträumen. Er kaufte fünf Wanzen und eine der Hacker-CDs und fragte nach Ortungsgeräten. Winzige Knöpfe, die man an irgendeinen Gegenstand oder an einer Person befestigen konnte und dann den Standort über große Entfernungen hinaus feststellen zu können. Preston zeigte ihm sogleich einige Exemplare, die er in seiner Sammlung hatte und Hernandez war begeistert. Er ließ sich fünf davon reservieren und betonte einige Male, dass er eine Woche später verlässlich wieder kommen würde und er diese Sender unbedingt brauche. Dann verließ er Prestons Haus. Dieser glaubte nicht wirklich daran, dass er wieder kommen würde, da schon ein Sender ziemlich teuer werden würde und fünf davon damit schon ein kleines Vermögen ausmachen sollten. Aber er täuschte sich. Genau eine Woche später stand Ramon Hernandez wieder vor seiner Tür und tatsächlich hatte er genug Bargeld dabei, um sich die gewünschten Geräte locker leisten zu können. Seither hatte Preston den seltsamen Kauz nicht mehr persönlich gesehen, aber er bekam per Post noch zweimal Wünsche von ihm gesandt, die er ihm jeweils an ein bestimmtes Postfach in der Nähe des Bahnhofes von Dallas schicken musste. ,Ramon Hernandez' hatte unter anderem weitere Wanzen und auch Mini - Kameras in Auftrag gegeben. Beide Briefe endeten mit folgenden Worten: "Lieferung so schnell wie möglich! Sehr dringend!". Wie gesagt, dieser Kunde war wirklich ein sehr komischer Kauz und manchmal wäre Preston schon so neugierig geworden, um Nachforschungen über Hernandez anzustellen, aber da dieser immer pünktlichst seine Rechnungen beglich, ließ es Preston schließlich bleiben. Es sei sowieso vermutlich besser, nicht zu viel über seine Kundschaften zu wissen. Könnte unter Umständen sehr ungemütlich werden.

Joe Preston schlenderte nachdenklich durch die Straßen des riesigen Industrieviertels von Dallas, betrachtete die rötliche Abendsonne am Himmel und musste plötzlich schmunzeln. Ach, welche kranken Absichten mussten seine Kunden haben: die Gespräche deren Ex-Freundin abhören, versuchen, sich ins Pentagon hineinzuhacken oder per versteckter Kamera sexy Mädchen beim Duschen in der Schule betrachten, etc. Preston selbst würde solche Aktionen nicht unternehmen, und dass, obwohl ja er der Hersteller dieser Geräte war. Nein, es gab ihm nichts, andere Leute abzuhören oder zu beobachten. Ihm faszinierte gerade dieses Basteln, Tüfteln, nicht die Benutzung. Er konnte beim Arbeiten an diesen Geräten so richtig abschalten und sich insgeheim selbst beweisen, zu was er zu Bauen im Stande sein konnte. Joe Preston war schon ziemlich stolz auf dieses Talent, aber wusste auch, dass er mit der Bastlerei auch ein gefährliches Zahnrad ins Rollen gebracht hat, welches jederzeit aus der Bahn springen konnte. Wenn nur einer seiner treuen Kunden einmal von der Polizei bei irgendeiner Schweinerei mit seinem ,Spielzeug' erwischt werden sollte und Preston verpfeift, ja dann...er wollte gar nicht daran denken. Wenn schon kein Glück beim Wetten(diese verdammten Cowboys!), dann wenigstens beim Geschäftlichen. Und was ihn doch ziemlich beruhigte, war der wohltuende Gedanke, dass in den bisher drei Jahren, in denen er seine Produkte zum Verkauf angeboten hat, noch nie ernsthafte Probleme aufgetaucht waren. Und dabei sollte es nach Prestons Wunsch gefälligst bleiben...aber Wünsche werden nicht immer erfüllt und Probleme kamen meist unerwartet und dann mit doppelter Härte...das sollte Joe Preston schon in Kürze am eigenen Körper zu spüren bekommen.
Nichts ahnend trottete der Fettwanst ins nächste Gasthaus, um sich ein paar Bier zu gönnen. Es sollten seine letzten sein...

Als der ungepflegte Hobbybastler wieder ,Bob's Pub' verließ, war es schon fast acht Uhr abends. Mit einem grunzenden Geräusch nahm Preston leicht angetrunken ein schrilles Hupen wahr. Ein wütend aussehender Autofahrer in seinem silbernen Chrysler hätte ihn fast angefahren, als er rücksichtslos und in wirren Gedanken versunken über die zu dieser Zeit stärker befahrenen Strasse torkelte. Benommen und etwas erschrocken sprang Joe Preston auf den Gehsteig zurück. Der Mann widmete ihm noch einen Stinkefinger, bevor er wieder weiterfuhr. Preston erwiderte diesen ,freundlichen' Gruß mit derselben Geste und schaute dieses Mal vorsichtshalber zweimal über die Strasse, bevor er sie ziemlich rasch überquerte. Auf der anderen Seite angekommen, musste er einmal kurz durchatmen, bevor er dann mit glasigem Blick auf seine schicke Armbanduhr blickte. Darauf hin fluchte er leise. Scheiße, jetzt kam er auch noch zur Prime-Time zu spät und heute war doch ,Akte X' - Tag! Die atemberaubenden und fantastischen Abenteuer der beiden FBI-Agenten Fox Mulder und Dana Scully gehörten für Joe Preston zum wöchentlichen Muss! Aber die fünf Gläser Bier hatten ein wenig zu viel Zeit in Anspruch genommen und so war er nun schon ziemlich spät dran. Und daran schuld waren nur diese verfluchten Football-Millionäre der Cowboys. Hätten die dieses blöde Spiel nicht mehr aus der Hand gegeben, wäre Preston gar nicht aus dem Haus gegangen, um sich abzureagieren. Dann wäre alles paletti gewesen, und er würde statt jetzt verdutzt auf dem Gehsteig zu stehen gemütlich auf seinem Sofa liegen. Aber vielleicht schaffte er es noch, wenn er auf dem Nachhauseweg einige kleine Abkürzungen nahm. Dann könnte er in zehn Minuten daheim sein. Und so begann er zu laufen. Er verfiel in einen witzig anzusehenden Trott. Sein schwabbeliger Bauch hüpfte auf und ab, das Keuchen von Joe Preston erinnerte ein wenig an eine Dampflok. Aber tatsächlich, trotz stark verschwitzter Kleidung und Dutzenden Schweißperlen auf seinem geröteten Gesicht, stand er schlussendlich knapp! acht Minuten später vor seiner Haustür. Irgendwie lustig zu sehen, dass ein raffinierter Wanzen- und Kamerabauer, der ansonsten so wenig Bewegung wie möglich unternehmen wollte, bei seiner Lieblingsfernsehserie zum Marathonläufer wurde. Hastig trat Preston ein und schloss schnell hinter sich die Tür. Vor lauter Eile hatte er total den geparkten Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite übersehen... dort stand ein stark verrosteter blauer Ford.

Der Mann im schwarzen Trenchcoat, seit kurzem verzweifelt als ,Rosenmörder' gesucht, war schon vor knapp einer halben Stunde am Haus von ,The Big Rat' angekommen. Am frühen Nachmittag hatte er sich auf den Weg nach Dallas gemacht. Zuerst hatte er seiner Mutter einen kurzen Besuch am Friedhof abgestattet. Dann musste der Mörder noch ein paar wichtige Erledigungen machen. Aber der eigentliche Grund seines Dallas-Besuches war Joe Preston. Für seine abnormalen Fantasien brauchte er noch gewisse Utensilien, um seine perversen Gefühle zu befriedigen und seine zukünftigen Opfer zu überwachen und zu kontrollieren. Dabei musste er wieder ein wenig an Preston denken. Mit dem Fettsack hatte der Rosenmörder ohnehin noch ein Hühnchen zu rupfen. Prestons Wanzen haben sich als noch zu wenig ausgereift und unsicher erwiesen. Bei den Telefonaten seiner Opfer konnte man ganz deutlich lautes Knacken in der Leitung hören, was einem ziemlich verdächtig vorkommen musste. Außerdem hatten sie nicht die längste Lebensdauer. Die Wanze beim Telefon der Thompsons gab schon nach wenigen Tagen den Geist auf und die bei den Sanders wurde durch das verdammte Knacken von den Bullen entdeckt. Zum Glück erst zu einem Zeitpunkt, als beide Rosen schon ihm gehört hatten und er sowieso keine weitere Verwendung mehr für diese Wanzen gefunden hätte. Aber Fakt blieb, dass Preston bessere Arbeit machen musste, denn was nützten dem Mann im schwarzen Trenchcoat alle seine Recherchen, wenn er Gefahr lief, vorzeitig erwischt zu werden. Ja, ja, dieser Joe Preston. Er wurde auf Grund seines abstoßenden Aussehens und seiner alles andere als vorbildlichen Hygiene oft ,The Big Rat' genannt. Ja, er war eine echte Ratte, aber er verstand sein Handwerk beim Bauen von Spionagegeräten und außer bei den Wanzen funktionierte immer alles einwandfrei. Und für seine nächste Rose, Diana, hatte er einiges im Kopf. Darum musste er heute diese Reise auf sich nehmen, um die Vorbereitungen zu beginnen. Am späten Nachmittag probierte der Rosenmörder Preston zu Hause telef! onisch zu erreichen, aber niemand hob ab. Darum hatte er schließlich die Telefonzelle bei dieser Raststätte wieder verlassen, um die Fahrt fortzusetzen und notfalls so lange bei seinem Haus auf ,The Big Rat' zu warten, bis er endlich nach Hause kommen würde. Es war schon knapp acht Uhr und der der Mann im rostigen Ford wollte fast schon widerwillig aufgeben, als er ein keuchendes Etwas von einem Mann um die Straßenecke biegen sah. Beim zweiten Hinsehen war er sich sicher: das war Joe Preston, aber bei einer ungewohnten Betätigung. Er lief...Na ja, so gut ein über 160 Kilogramm wiegender Fettwanst halt laufen konnte und visierte sein Haus an. Preston schien in ziemlichen Stress zu sein, aber das war ja der Rosenmörder auch. Na endlich! Wurde auch höchste Zeit! Er wartete noch, bis der bis auf die Unterwäsche verschwitzte Kerl im Haus verschwunden war und öffnete dann langsam die Fahrertür. Vorsichtig schlich er zum Gebäude hinüber und suchte das Wohnzimmerfenster, durch das er einen verstohlenen Blick warf. Oh! Das ließ er lieber, denn auf einen ,Striptease' dieses hässlichen Preston wollte er liebend gerne verzichten. Der Mann im schwarzen Trenchcoat kauerte sich gegen ein Gebüsch und wartete einige Minuten. Als er schließlich wieder ins Fenster hineinlugte, sah er Joe Preston mit frischer Kleidung, sich faul auf dem Sofa räkelnd und auf den Fernseher glotzend. Was er sich gerade so fasziniert ansah, konnte der Mann nicht erkennen, aber ,The Big Rat' schien es richtig zu gefallen. Ein Blick auf seine Armbanduhr sagte dem Mann, dass es Zeit wurde. Bis er wieder in Arlington zurückkommen würde, wäre es schon tiefe Nacht. Er schlich sich leise vom Fenster weg und begab sich zur Haustür, wo er noch einmal tief Luft holte und dann die Türklingel betätigte.

Das Erste, was Joe Preston machte, nachdem er ins Haus gekommen war, war ein kompletter Kleidertausch. Er nahm die durch den starken Schweiß nasse Wäsche und ließ sie in einen leeren Wäschekorb fallen. Dann kehrte er gespannt ins Wohnzimmer zurück, wo er zuerst die vor wenigen Stunden in die Ecke gefeuerte Fernbedienung geschickt zusammensteckte und damit den Fernseher einschaltete. Und da lief bereits der Vorspann der aktuellen ,Akte X' - Folge. Klasse, es war wieder einmal eine UFO-Episode! Preston legte sich zufrieden auf das Sofa und entspannte sich. Doch gerade als Fox Mulder am Bildschirm erschien, wurde Joe Preston unsanft aus seiner Ruhe gerissen. Die Klingel der Haustür hatte geläutet.

Joe Preston kam nicht zur Tür. Der Mann im schwarzen Trenchcoat wartete kurz und drückte mit seinem mageren Finger erneut die Klingel. Und noch einmal. Ein weiteres Mal. ,The Big Rat' soll ihm gefälligst die Tür öffnen. Nach dem siebenten Klingeln wurde der Türspion zur Seite geschoben und ein Auge starrte ihn an. Dann hörte er, wie Preston das Türschloss öffnete. So, jetzt konnte die kleine Shoppingtour gleich beginne n.br
Egal, wer da draußen stand, Preston wollte jetzt nicht vom Sofa aufstehen. Bei ,Akte X' wurde es gerade richtig spannend. Alex Krycek, ein ehemaliger FBI-Agent und jetziges Mitglied des mächtigen Schattenkabinetts, folterte gerade eine russische Geisel, um heraus zubekommen, wo ein gesichtetes UFO abgestürzt ist. Joe Preston versuchte sich auf das packende Geschehen auf dem Bildschirm zu konzentrieren, aber ein weiteres Klingeln von der Tür ließ das nicht zu. Nein, heute Abend habe ich geschlossen! Preston brummte verärgert vor sich hin. Es folgte ein weiterer Versuch, die Serie weiter zu verfolgen. Aber ein schnelles Doppelklingeln ließ ihn vom Sofa schnellen. Warum gerade heute? Er tastete nach der Fernbedienung und aktivierte den Videorecorder. Na ja, dann musste er diese Episode halt später in Ruhe ansehen. Dann trottete er leicht wütend zur Haustür. Was er durch den Türspion sah, gefiel Joe Preston aber überhaupt nicht. Vor der Tür stand dieser schräge Kerl von Ramon Hernandez. Oder wie er auch immer heißen mag. Widerwillig schloss er die Tür auf und öffnete sie seinem Gast.

"Grüß dich, Preston! Lange nicht gesehen!" ,Hernandez' trat mit einem ungeduldigen Blick in Prestons Haus ein. " Ah, Hernandez. Was führt dich heute zu mir?" Preston konnte seinen Ärger über den abendlichen Besuch in seiner Stimme nicht ganz verbergen. Seine Sätze hatten einen leicht zynischen Unterton, aber Preston selbst nahm das kaum wahr. Er wollte Hernandez so schnell wie möglich wieder loswerden. Schnell seine Wünsche erfüllen, das Geld entgegennehmen und ,Ciao, Amigo!'. "Ich hätte wieder einige deiner Spielzeuge gebraucht, Preston. Was hast du Neues im Sortiment?" "Eigentlich das Gewöhnliche...Wanzen, Mini-Kameras, Hackersoftware, Peilsender in verschiedener Größe...alles, was du schon kennst!" "Na ja...ich hätte ein paar kleine Sender gebraucht, sagen wir fünf Stück, außerdem zwei Mini-Kameras und ...ich hätte bei dir gerne etwas Spezielles in Auftrag gegeben. Ich hoffe, du kannst mir helfen!" Preston wurde stutzig. Etwas Spezielles. Was wollte Hernandez von ihm gebastelt haben. "Ok, die Sender und die Kameras bringe ich dir sofort aus dem Lager...und was diese Spezielle betrifft...an was hättest du denn gedacht, Hernandez?" Das einzige, was er von diesem komischen Kerl im schwarzen Trenchcoat als Antwort bekam, war ein verschmitztes Grinsen. Ein Grinsen, das unheimlich wirkte. Dann sagte ,Hernandez' endlich, was er von Joe Preston wollte. "Na ja, ich wollte dich fragen, ob du für mich Sprengsätze bauen könntest. Ich hätte einige davon gebraucht. Comprende?" Preston musste kurz schlucken, bevor er seinem Kunden einen Korb gab. "Sorry, Hernandez...ich mache nur Geräte, die für Spionagezwecke genutzt werden können, keine Sabotageapparaturen. Tut mir leid. Die Sender und die Kameras kannst du ohne Probleme haben, aber mit Sprengsätzen und dergleichen kann ich dir leider nicht dienen. Außerdem wäre das Risiko für mich zu hoch. Mir ist zwar egal, was du damit machen willst, doch das erscheint mir für mich wirklich schon zu gefährlich. Ich will für keine schrecklichen Taten verantwortlich sein.tut mir ! leid!" Es folgten erschreckend lange stille Sekunden des Schweigens. Preston blickte in die leeren Augen seines Gegenübers und wartete. Wartete, dass Hernandez endlich dieses nervenaufreibende Schweigen brach. Und dann antwortete er tatsächlich, aber zu Prestons Überraschung lässig und gefasst. "Wenn das so ist...dann kann man ja nichts machen. Vielleicht finde ich jemand anderen. Aber wenigstens bekomme ich bei dir zuverlässiges Überwachungsmaterial. Könnte ich dann die Sender und Kameras haben, weil ich bin etwas in Eile!" "...ah...selbstverständlich...warte, ich hole sie schnell!" Mit einem unwohlen Gefühl drehte sich Preston um und ging in schnellen Schritten zur Kellertür, hinter der sein Gerätelager war. Mit zittrigen Händen öffnete er die alte Tür und marschierte die steinernen Kellerstufen hinab. Unten angekommen tastete er nach dem Lichtschalter und kurz darauf war der ganze Raum hell erleuchtet. Der Keller war voll mit Regalen. In diesen waren Dutzende von Schachteln in verschiedener Größe geschlichtet. Auf den jeweiligen Kartons war mit einem schwarzen Edding-Stift immer der Inhalt hinaufgekritzelt worden. Joe ,The Big Rat' Preston begab sich zu einem Regal auf der linken Seite des Kellerraumes und nach knapp zwei Minuten konnte er samt gefundener Ware den Rückweg antreten. Doch als er gerade die unterste Kellerstufe erklimmen wollte, erstarrte er . Unter dem Türrahmen stand oben Hernandez. Er grinste. Wieder dieses unheimliche Grinsen. "Ah, das ist also dein berühmtes Lager! Interessant!" Preston musste mit ansehen, wie der Mann im schwarzen Trenchcoat langsam die kalten Stufen herunterstieg. "Weißt du was, Preston? Gib mir noch eine dieser Kameras, bitte!" "...ssselbstvvverständlichhh...." Joe Preston erschrak. Warum fing er plötzlich an zu stottern? Er hatte seit seiner Schulzeit nicht mehr gestottert. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinab. Preston stand starr mitten im Kellerraum und konnte sich nicht bewegen. Erst Hernandez' Stimme weckte in aus dem tranceartigen Zustand. "Preston,! wenn's geht, schnell. Wie gesagt, ich bin in Eile!" Joe Preston schloss seine Augen und drehte sich langsam wieder seinen Regalen zu. Während er zu dem bestimmten Regal wieder zurückschritt, fühlten sich seine Beine wie Pudding an. Er hatte überhaupt keine Kraft. Preston war sehr erschrocken über diese Tatsache. So schnell er konnte, fischte er eine weitere Mini-Kamera aus einem der Kartons und drehte sich wieder Hernandez zu. "Sso, das wääre ddann...." Der Schmerz des Jagdmessers in seinem Oberkörper ließ Joe Preston zu Boden sinken. Sein dicker Körper zuckte im Überlebenskampf. Von weiter Ferne hörte Preston noch undeutlich die Stimme des Rosenmörders. "...ich habe mich anders entschlossen. Ich nehme mir gleich dein ganzes Lager. Einverstanden?...außerdem, deine Wanzen sind alles andere als zuverlässig, mein Lieber! Dann noch der unvorstellbare Schmerz, als die scharfe Klinge des Messers mitten in sein Herz schnellte. Aus. Die Leiche des stark übergewichtigen Hobbybastlers lag in der linken Ecke des Kellers. Der Boden rund um sie färbte sich stark rot. ,Hernandez' grinste verachtend und wandte sich von Prestons totem Körper ab, um seine Shoppingtour zu beginnen.

Eine dreiviertel Stunde spät erwardasHauswiederleer.DerrostigeFord,derkurzzuvornochaufdergegenüberliegendenStraßenseitegestandenhatte,warweg.DieRegaleimKeller waren bis auf ein paar wenige größere Kartons total leer geräumt worden. Alle dort gelagerten Wanzen, Kameras, Sender und Cds waren nicht mehr da. Und mittendrin in diesem geplünderten Kellerraum lag Joe ,The Big Rat' Preston. Besser gesagt, seine blutige Leiche. Er hatte sich zu sicher gefühlt, aber wie gesagt, Probleme kamen meist unerwartet und dann mit doppelter Härte. ,Ramon Hernandez' war ihm seit der ersten Begegnung komisch vorgekommen, aber die Gier nach Geld war verlockender gewesen. Im Nachhinein wäre es besser gewesen, über diese Kundschaft Nachforschungen anzustellen. Dann wäre Preston vielleicht dahinter gekommen, dass ein gewisser Ramon Hernandez seit knapp einem halben Jahr unauffindbar war. Ein Mann, der wenige Wochen, nachdem er ein beachtliches Vermögen geerbt hatte, plötzlich spurlos verschwunden war.














7.GEFÜHLE



Als Andre Dumont so vor der verschlossenen Wohnungstür von Dianas Appartement stand, überlegte er, ob er seine Kollegin wirklich besuchen sollte. Schüchtern trat er im Treppenhaus von einer Wand zur anderen. Verunsichert blickte er auf die schöne rote Rose in seiner rechten Hand, die er beim Blumenhändler zwei Strassen weiter gekauft hatte, und schloss nachdenklich seine Augen. Eines war ihm im Laufe der turbulenten vergangenen Tage klar geworden. Seine Gefühle gegenüber seiner überaus hübschen Kollegin wurden immer intensiver und heute hatte er so richtig gemerkt, wie sehr er ihr Gesicht, ihr bezauberndes und aufmunterndes Lächeln vermisst hat. Diana brachte wieder etwas mehr Licht und Freude in sein sonst so tristes Leben. Mit einem Kribbeln im Bauch drückte Andre einmal auf die Türklingel. Nichts regte sich. Andre konnte kein Geräusch aus der Wohnung vernehmen. Vielleicht was sie ja gar nicht zu Hause. Noch einmal betätigte der von den emotionalen Ermittlungen physisch und vor allem psychisch angekratzte Inspektor die Klingel. Sie schien wirklich nicht da zu sein. Mit einer leichten Enttäuschung wollte sich Andre bereits wieder Richtung Treppe machen, als er die leise Stimme von Diana hörte. "Andre?" Seine Kollegin hatte ihn durch den Türspion erkannt und öffnete langsam die Wohnungstür. "Was machst denn du hier?" Andre schaute tief in Dianas Augen und bemerkte sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. "Hi Diana. Ich wollte mal schauen, wie es dir geht.ah, die ist für dich!" Andre streckte ihr die Rose entgegen und musterte dabei mitfühlend ihren traurigen und glasigen Blick. Auf einmal konnte sie sich nicht mehr länger halten. Diana fing bitterlich zu weinen an. Andre trat zu ihr in die Wohnung und schloss hinter sich die Tür. Er legte die Rose auf ein nahe gelegenes Regal und berührte vorsichtig ihr Gesicht. Dann nahm er ihren Kopf und legte ihn an seine Brust. Was war passiert? Warum war Diana so niedergeschlagen? Aus welchem Grund fing sie einfach zu weinen an, nachdem sie sein Mitbringsel gesehen! hat? Selbst ziemlich verwirrt musste er miterleben, wie diese liebenswerte und immer gut aufgelegte junge Dame in seinen Armen lag und total fertig und verzweifelt zu sein schien. Mit sanften Bewegungen strich Andre ihr sanft durch ihr langes Haar. Und dann ließ er seinen Gefühlen freien Lauf. Er küsste behutsam ihre Stirn, ihre Wangen. Und tatsächlich schien Diana ruhiger zu werden. Mit leichter Ungläubigkeit sah sie ihn an. Und dann schenkte sie ihm ein leichtes Lächeln. Mit einem Taschentuch wischte er ihr die Tränen aus dem Gesicht. Dann schloss er aufgeregt seine Augen und küsste sie auf ihre runden schönen Lippen. Diana erwiderte seinen Kuss. Sie küssten sich erneut und intensiver. Nachdem sie ihre Hände auf seine Schultern gelegt hatte, flüsterte Diana ihm glücklich ins Ohr: "Endlich bist du da!" Leichte Tränen flossen erneut über ihre Wangen, doch schienen es jetzt Tränen der Freude zu sein. Und in diesem Augenblick wurde Andre erst klar, dass Diana ebenso tiefe Gefühle für ihn hegte wie er für sie. Ihre Lippen suchten erneut seinen Mund. Liebevoll sahen sie sich an. Die Minuten verstrichen. Die beiden kamen sich immer näher. Mit einem Funkeln in ihren wieder strahlenden Augen führte Diana ihren Kollegen in ihr Schlafzimmer. Sie zog ihn auf ihr weiches Bett. Während sie sich weiter küssten, entledigten sie sich gegenseitig ihrer Kleidung. Anschließend versanken sie in ein Meer von Gefühlen, wie sie beide sie in ihrem Leben noch nie so schön und atemberaubend erlebt hatten.

Es war kurz vor zehn Uhr nachts, als der Mann im schwarzen Trenchcoat die Autobahn Richtung Arlington verließ. Knapp zwanzig Meilen waren es noch bis zur Stadt. Sein rostiger Ford krachte durch die zu dieser Tageszeit wenig befahrenen Strassen. Auf dem Rücksitz und im Kofferraum waren Dutzende Kartons und Pakete gestapelt. Auf einigen konnte man deutliche Blutspritzer erkennen. Spuren, die an das kürzlich begangene Verbrechen erinnerten. Joe Preston war wie ein armes Schwein abgeschlachtet worden. Jeder Augenzeuge wäre noch immer geschockt über diese brutale Tat gewesen, doch der Mörder fuhr regungslos durch die Nacht. Er steuerte seinen alten Wagen wie in Trance durch die Kurven. In seinen dunklen Augen herrschte Leere. Plötzlich stieg erstark auf die Bremse und blieb mitten auf seiner Fahrspur stehen. Langsam und zitternd öffnete er die Fahrertür und trat mit wackeligen Schritten auf die Strasse So stand er da, verwirrt auf dem von den milden Tagestemperaturen noch aufgeizten Asphalt und starrte in den klaren Sternenhimmel. Mit unsicheren Bewegungen ging er von seinem Wagen weg und näherte sich dem kleinen Waldstück neben der Strasse. Er schlich durch die dunkle Umgebung der großen Bäume und Sträucher, ohne jegliches Ziel. Die auf dem Waldboden liegenden dürren Äste knackten unter seinen Schritten. Dann blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen. Er ließ seinen Blick wieder Richtung Himmel schweifen. Schwach leuchtete der Mond durch die Baumkronen. Der Mann im schwarzen Trenchcoat musste einmal kräftig schlucken. Er schloss seine Augen und fing an zu summen. Es klang wie ein bekanntes Kinderlied, nur wirkte es aus den Lippen dieses Serienmörders makaber und unheimlich. Das Gesumme ließ ihn alles um sich herum vergessen. Nur so kann man verstehen, wie er das schrille Hupen von mehreren Wagen überhören konnte. Sein Ford blockierte die gesamte Fahrbahn, doch dem Mann schien das mehr als egal zu sein. Wie er so Kinderlieder summend durch die Bäume torkelte, sah er aus, als stünde er unter Hypnose. Seine Aug! enlider zuckten wild herum, während er sie fest geschlossen hatte. Irgendwie schaffte er es ohne Zusammenstoss mit einem der riesigen Tannen und kam schließlich auf eine Lichtung. Abrupt beendete er das Gesumme und stand einfach so da. Langsam öffnete er seine Augen wieder und sah sich um. Sein Blick blieb am hell erstrahlenden Mond hängen. Er starrte ihn intensiv an. Und dann fing er an hysterisch zu lachen. Es war das Lachen eines Irren, eines Mannes, der seinen Verstand komplett zu verloren haben schien. Kaum zu glauben, dass dieser Mann in den vergangenen 24 Stunden für drei Morde verantwortlich war. Das Lachen wurde immer schriller. Der Mann stieß seinen Kopf dabei nach hinten, dann wieder nach vorne. Er wirkte wie ein Besessener in einem Horrorfilm. Die Augen verdreht, den Mund weit offen, von einer Seite rann ihm Speichel übers Kinn und tropfte anschließend auf den Trenchcoat. So stand er da und lachte. Dann brach er dieses wahnsinnige Gelächter auf die Sekunde ab und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Gras unter ihm. Plötzlich verwandelte sich dieses Lachen langsam aber sicher in ein irres Weinen. Der Mann sank auf die Knie zusammen und fiel in die leicht feuchte Wiese. Benommen blieb zunächst regungslos liegen, sah verwirrt um sich und hörte zunächst auf zu weinen. Verängstigt schloss er seine Augen und lag weiter einfach da. Zitternd zog er langsam seine Körperteile zusammen und blieb in Embryohaltung liegen, etwas Unverständliches brabbelnd. Er begann ein wenig zu schluchzen, Tränenperlen sammelten sich in seinen Augen. Aus dem Schluchzen wurde erneut ein Weinen. Nein, kein normales Weinen, es war fast wie ein Kreischen. Es klang in etwa wie ein Reh, welches in eine Bärenfalle getreten war und nun gefangen und voller Schmerzen um Hilfe plärrt. Es dauerte einige Minuten, bis er sich wieder so halbwegs gesammelt hatte. Dann wurde es ganz still auf der Lichtung. Der Mann im schwarzen Trenchcoat war friedlich eingedöst. Von fern hallten noch kurze Hupgeräusche. Das Verhalten des ,Rosenmö! rders' war nicht zu begreifen. Da tötet er noch wenige Stunden zuvor einen hilflosen Menschen kaltblütig und ohne Emotionen und jetzt lag er zusammengekrümmt wie ein Häufchen Elend im Gras. Was ging nur in ihm vor?

Der Inspektor und seine Kollegin lagen glücklich zusammengekuschelt unter dem knallroten Tuchent. Sie hatten endlich zusammen gefunden. Im Schlafzimmer herrschte romantische Atmosphäre. Diana hatte ein paar Kerzen angezündet und um das Bett herum aufgestellt. Aus dem CD-Player erklang die sanfte Stimme von Dido mit ,Here with me'. Es war wunderschön gewesen. Sie hatten sich zärtlich und leidenschaftlich geliebt. Man merkte, dass beide schon lange darauf gewartet hatten. So wurde es etwas ganz Besonderes für sie. Nun lagen sie da, aneinander geschmiegt, nicht mehr zu trennen. "Andre?" Diana wandte sich dem Gesicht ihrer neuen Liebe zu. Sie konnte es noch gar nicht richtig realisieren, wahrhaft glauben. Endlich hatte er sich getraut seine versteckt gehaltenen Gefühle offen zu zeigen. Ehrlich gesagt musste sie sich eingestehen, dass auch sie zu schüchtern damit umgegangen ist. Doch nun war sie sehr zufrieden, dass er an diesem Abend gekommen war. Diana brauchte im Moment dringend jemanden, der ihr Sicherheit und Geborgenheit gab, ihr Liebe schenkte. Darum musste sie ihm alles nun erzählen. Denn sie hatte große Angst. Unbeschreibliche Angst. Ok, sie war vielleicht nicht die nervenstärkste Frau, doch ein weinerliches Mauerblümchen war sie auch wieder nicht. Und ihre Angst fand sie berechtigt. "Ja, mein Engel?" Seine gefühlvolle Stimme war wie Balsam für ihre angeknackste Seele. Diana sah ihm ganz tief in seine Augen und öffnete Andre ihr Herz. "Er war hier." Andre wusste nicht, wen Diana damit meinte. "Wen meinst du?" "'Angel021' war heute in meiner Wohnung.glaube ich zumindest." "Was?" Entsetzt und ungläubig starrte der Inspektor seine hübsche Geliebte an, in deren Augen sich bereits wieder Tränen sammelten. Tränen der Angst. Er bemerkte, wie Diana fest ihre Lider schloss und seufzen musste. ".ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich glauben soll.vielleicht drehe ich nur durch." Ein hoffnungsloses und verzweifeltes Lächeln spiegelte sich auf ihrem Gesicht. Andre konnte nur verdutzt warten, bis Diana weitererzä! hlen würde. Doch es vergingen lange Sekunden, bis sie im Stande war, mit ihrem haarsträubenden Bericht fortzufahren. "Alles hat am Montag begonnen. Ich wollte dir etwas unter die Arme greifen und habe im Internet nach Informationen recherchiert. Irgendwann bin ich in den lokalen Chatroom gesurft, in dem Susan mit diesem ,Angel021' Kontakt hatte. Zuerst wusste ich nicht einmal, warum ich diese Seite geöffnet hatte. So wollte ich bereits wieder woanders weitersuchen, als ich plötzlich den Nickname des Verdächtigen am Monitor erblickte. Mir war nichts anderes übrig geblieben, als mit ihm ein Gespräch zu beginnen. Ich wollte unbedingt herausfinden, ob es wirklich DER ,Angel021' war, den wir suchten." "Und?" Andre Dumonts Gehirnzellen fingen indiesenMomentenwiederkräftigzuarbeitenan.Erkonnteesgarnichterwarten,bisDianafortfahrenwürde.DochwarumhatsieihmnichtschondamalsdarüberBerichterstattet".ichweißnicht.UmauchweiterhinnähereRecherchenunternehmenzukönnen,mussteichihmmeineE-Mail-Adressegeben.""Duhastwas"FassungslossahAndreseineKolleginan.".EswareinFehlergewesen.dasweißichjetzt.""WashastduvorhergemeintmitderAussage,dassdieserTypindeinerWohnunggewesensei""HeutefrühhabeicheineNachrichtvon,Angel021'bekommen.Wartekurz."Mit schnellen Bewegungen stand sie auf und verließ mit bedächtigen Schritten das Zimmer. Andre sah ihr verliebt nach. Ihre langen schönen Beine.Diana war in allen Belangen eine echte Traumfrau. Sie war intelligent, humorvoll, hilfsbereit, immer freundlich und wunderschön. Sie machte das Leben wieder lebenswert. Schon nach einer Minute legte sie den kuscheligen Tuchent wieder um ihren wohlgeformten Körper. Mit dabei hatte sie einen DinA4-Zettel, den sie Andre reichte. Es war das Mail von ,Angel021'. Ihr zitternder Zeigefinger zeigte auf die Stelle, die Diana am Morgen so durcheinander gebracht hatte. Hoch konzentriert las er zuerst diesen Satz, dann den ganzen Brief genau durch. Einige markante Textstellen fand! er äußerst verdächtig. Der Schreibstil ähnelte den Mails, die Susan Thompson bekommen hat.



Liebe Diana!

Wie geht's meiner süßen Rose?
Ich vermisse dich schon.
Hab feststellen müssen, dass du mir noch immer kein Foto von dir geschickt hast.
War sehr enttäuscht darüber, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.
Was machst du immer so?
Kann nur noch an dich denken.
Komisch, wenn man bedenkt, dass wir uns kaum kennen.
Aber ich habe trotzdem das Gefühl, als ob wir so etwas wie Seelenverwandte sind.
Bei mir hat es sogar ein wenig gefunkt.
Freue mich schon, wenn ich dir direkt in deine schönen blauen Augen schauen kann.
Vielleicht hast du auch Interesse an einem Treffen.
Wenn es dir ein wenig zu schnell geht, verstehe ich das vollkommen.
Wir können uns via E-Mails weiter näher kennen lernen und wenn du bereit bist, brauchst du es mir nur zu schreiben, ich warte dann schon auf dich, meine Süße!

Kuss!
Erwartungsvoll,

Dein ,Angel021'

"Die Chancen, dass du den richtigen Mann erwischt hast, stehen nicht schlecht. Es sind zu viele Übereinstimmungen mit den anderen Briefen." Andre bemerkte, wie eine Träne wieder über Dianas Wangen floss. Er nahm sie zu sich in seine Arme und tröstete sie mit einem gefühlvollen Kuss. Nach einer kurzen Pause kam Diana zum letzten Teil ihres Berichts. "Als ich heute kurz aus dem Haus gegangen war, muss jemand meine Wohnung betreten haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ,Angel021' gewesen ist."Diana, wie kommst du auf diesen schrecklichen Verdacht?" ".puh.als ich zurückgekommen bin, sind mir gewisse Dinge aufgefallen." Diana zeigte auf den Kleiderschrank, der in der linken Ecke des Zimmers stand. "Dort lag einer meiner Slips auf dem Boden. ER muss ihn versehentlich hinunterfallen lassen haben, als er meine Kleidung durchsucht hat. Ein BH von mir lag im falschen Regal und.oh mein Gott, er hat alles unter die Lupe genommen, Andre!" Verunsichert und ängstlich sah sie ihn an. Dann erzählte sie weiter. "Außerdem war eine kleine Schraube auf dem Wohnzimmerteppich gelegen, einen, den ich nie gesehen habe. Verstehst du? Ich habe solche Angst. Was ist, wenn ER wiederkommt?" Niemand wird mehr in deine Wohnung eindringen. Das verspreche ich dir!" Er streichelte sanft über Dianas schöne Brüste und küsste ihre Lippen voller Leidenschaft. "Bitte bleib heute bei mir! Geh nicht fort!" "Nein, mein Engel, ich verlasse dich nicht. Ich werde auf dich aufpassen!" "Du bist ein echter Schatz.Danke!" Sie strich liebevoll durch sein krauses Haar, solche Momente hat sie schon lange sehsüchtig herbeigesehnt. Jetzt was Andre da, ihr Beschützer, ihr Rückhalt. "Aber warum hast du mir nichts erzählt?" "Ich wollte zuerst sicher gehen, dass ich wirklich den richtigen ,Angel021' erwischt hatte. Natürlich hätte ich vorsichtiger vorgehen sollen, aber.ich wollte dir doch nur helfen. Entschuldigung!" "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Diana. Komm her." Er nahm sie mit seine kräftigen Händen in seine Arme. Diane ließ ihren Kopf auf s! eine Brust sinken. Sie starrte auf die Zimmerdecke. Nach ein paar schönen ruhigen Momenten stellte sie Andre die Frage, die Diana am meisten im Gehirn herumspukte. Der Verdacht, der ihre Seele so sehr quälte. "Bin ich jetzt sein nächstes Opfer? Will er mich jetzt auch töten, wie die zwei anderen armen Mädchen? (SCHLUCHZ!) .ich will noch nicht sterben.Andre, bitte verhindere das.bitte!" Wieder begann sie zu weinen. Doch dieses Mal brauchte Andre um einiges länger, bis er sie so halbwegs beruhigen konnte. Erst langsam versiegten ihre Tränen. "Wie gesagt: ich werde auf dich aufpassen! Keiner wird dir wehtun, keiner! Ich will dich nicht mehr verlieren.Dina, ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als alles andere auf dieser Welt.ich brauche dich." Diese Sätze zauberten endgültig wieder ein hübsches Lächeln auf ihr Gesicht. "Ich liebe dich auch, Andre! Du bist mein Ein und Alles!" So lagen sie da, frisch verliebt, mit gemischten Gefühlen. Einerseits wäre alles ein wunderschöner Traum, andererseits gab es noch diesen Psychopathen, der noch frei umherläuft. Der Mörder, der es vermutlich auf Diana abgesehen hatte. Der Mann im schwarzen Trenchcoat, der gerade etwas ausgekühlt aus seinem kurzen Schläfchen mitten in der Natur aufwachte.

Wo bin ich? Leicht benebelt sah sich der Mann im schwarzen Trenchcoat um. Die Lichtung war durch den hellen Mond gut erhellt und er konnte viele zuerst seltsam aussehende Schatten bei näherem Anblick als harmlose und gewöhnliche Sträucher und ähnliches identifizieren. Doch noch immer war er sich nicht im Klaren, wie er hierher gekommen ist. Sachte stand er aus dem feuchten Gras auf und musterte erneut die Umgebung. Dann schoss es ihm wieder ein. Oh Gott! Nicht schon wieder! Wütend schlug er sich mit seiner Faust selbst auf die Stirn. Einmal, zweimal. Warum? Diese Anfälle bzw. unkontrollierbaren Wandlungen waren in den letzten Jahren immer seltener geworden. Seit er ein Teenager gewesen war, musste er sich mit ihnen herumplagen. Öfters wachte er wie auch in dieser Nacht irgendwo auf und wusste nicht mehr genau, wie er an diese Orte gekommen war. Als seine Eltern ihn in psychiatrische Behandlung geschickt haben, wurde es immer besser. Einmal hat ein Psychiaterteam einen seiner ziemlich schrägen Anfälle gefilmt. Da war er einfach in Trance gefallen, hatte lustige Lieder gesummt und gesungen und urplötzlich kam ein Weinkrampf über ihm. Der Psychiater hatte gemeint, es sei eine verwandte Form von Schizophrenie, bei der man oft unterdrückte Erinnerungen aufarbeiten müsste. Ihm waren noch andere seltsame Verhaltensweisen aufgefallen. Zum Beispiel war es schon öfters vorgekommen, dass er mit sich selber geredet hat oder Personen im Behandlungsraum sah, die gar nicht da waren. Zum Beispiel seine Mutter. Oh, Mum, meine geliebte Mum! Nur schwer konnte sich der Mann im schwarzen Trenchcoat zusammenreißen und Tränen unterdrücken. Diese scheiß Anfälle! OK, der Doktor war toll gewesen. Er hatte sich immer um den Mann gekümmert. Jahrelang war er in seiner Behandlung gewesen. Aus ihm war fast ein normaler Mensch geworden, abgesehen davon, dass er eine Kleinstadt momentan als Serienmörder heimsuchte. Aber die Anfälle waren beinahe zur Gänze verschwunden gewesen. Warum mussten sie gerade jetzt wieder auftauchen. Jetzt, wo! er sich gerade auf seine nächste Rose vorbereiten musste. Denn auch sie sollte bald ihm gehören. Nein, er konnte nicht einfach darauf vertrauen, dass ihm seine Anfälle nicht in die Quere kommen würden. Er brauchte Hilfe. Dringend. Der Mann im schwarzen Trenchcoat hatte nun nur ein vorrangiges Ziel: Er musste zurück nach Dallas. Dort gab es jemanden, der ihm helfen würde. Jemand, der ihm schon früher helfen konnte. Erst dann könnte er in Arlington beruhigt seine Mission fortsetzen. Leicht verwirrt und orientierungslos blickte er sich um. Wie kam er wieder zu seinem Wagen? An dieses Detail konnte er sich noch wage erinnern. Er hatte den Ford auf der Strasse abgestellt und musste dann irgendwie auf diese Lichtung gekommen sein. Mit langsamen Schritten wankte er durchs Gras zum Waldstück. Es kam ihm bekannt vor. Wahrscheinlich war er aus dieser Richtung gekommen. In seinen kranken Gedanken versunken durchquerte er den kleinen Wald innerhalb weniger Minuten. Es sah schon wieder ein wenig danach aus, als ob der Rosenmörder erneut in Trance fallen würde und einen dieser unheimlichen Anfälle durchleben müsste. Mit starrem Blick marschierte er weiter durchs Gestrüpp, bis er den alten Ford durch die Bäume bereits erkennen konnte. Ein leichtes unwirklich scheinendes Lächeln spiegelte sich auf seinem Gesicht. Das Lächeln hatte etwas von einem Wahnsinnigen. Doch der war dieser Mann wahrscheinlich wirklich. Ein unberechenbarer Wahnsinniger, dessen Gedanken man nie lesen, seinen Gesichtsausdruck nie deuten und seine nächsten Handlungen man nie abschätzen konnte. Und dieser Mann sah bei näherem Hinschauen noch etwas anderes als nur seinen Wagen. Er sah etwas, was sein irres Lächeln gleich wieder aus seinem Gesicht schwinden ließ. Etwas sehr Beunruhigendes. Keine zwanzig Meter vom Ford entfernt stand ein Motorrad. Auf diesem Motorrad stand deutlich in weißen Buchstaben ,POLICE' geschrieben. Ein scheiß Bulle war in seiner Nähe und das gefiel dem Mann im schwarzen Trenchcoat überhaupt nicht. Und dann erblickte er schon de! n unwillkommenen Besucher. Der Streifenpolizist kam gerade hinter dem Wagen hervor und näherte sich der Fahrertür. Wütend starrte der Rosenmörder das neue Hindernis an, im Schutz der Sträucher beobachtete er angriffsbereit jede Bewegung des Ordnungshüters.

Es war genau 23:13, als Peter Jenkins die Nachricht aus der Zentrale bekommen hatte, dass ein Wagen seit geraumer Zeit mitten auf der Fahrbahn in der Nähe der Autobahn stand, fahrerlos. Einige Autofahrer hatten sich über den störenden blauen Ford beschwert. Der 26-jährige Streifenpolizist der örtlichen Autobahnpolizei, der diesen Beruf schon seit vier Jahren ausübte, wurde beauftragt einen kurzen Blick darauf zu werfen. Kurz vor halb zwölf Uhr nachts erreichte er bereits das vermeintliche Fahrzeug. Entschlossen stellte er sein Motorrad ab und näherte sich dem Wagen mit sicheren Bewegungen. Er ließ zunächst seinen Blick herumschweifen, doch nichts Ungewöhnliches fiel ihm auf. Der Besitzer des Fahrzeuges schien nicht in der Nähe zu sein. Bevor er mit der genauen Untersuchung des Wagens begann, warf er noch einen schnellen Blick auf seine Armbanduhr. In einer halben Stunde hatte er es für fast eine Woche geschafft. Dann war seine Schicht zu Ende und dann warteten ein paar Tage Urlaub auf den aufstrebenden Polizisten. Die würde er mit seiner kleinen Familie verbringen. Jenkins hatte vor zwei Jahren seine gleichaltrige Langzeitgeliebte Sarah geheiratet und vor fünf Monaten gebar sie ihr erstes Kind. Der süße kleine Ryan! Seine Ähnlichkeit mit seinem Vater konnte man nicht leugnen. Genau dieselbe witzige Stupsnase und wenn Peter nach der Arbeit immer in die Augen des Kleinen blickte, kam es ihm vor, als ob er in einen Spiegel sehen würde. Das war sein Junge, den er wie seine Frau unsterblich leibte. Sie lenkten ihn vom rauen Polizeialltag ab und gaben ihm immer wieder neue Kraft für seine Arbeit. Die beiden waren für Peter sein Ein und Alles. Schließlich wandte er sich wieder von seinen schönen und beruhigenden Gedanken ab und begann mit einer Kontrollrunde um den Wagen. Mit einer Taschenlampe durchleuchtete er das Wageninnere. Ihm fiel auf, dass die ganze Rückbank mit kleinen Schachteln und Verpackungen verschlicht war. Den Blick herumschweifend, ging Peter Jenkins um den Wagen herum und konnte eigentlich nic! hts Auffälliges entdecken. Wo war nur sein Fahrer hingekommen? Verwundert öffnete er langsam die Fahrertür des stark rostenden Ford Escort und durchsuchte zunächst das Handschuhfach. Mit flinken Handbewegungen suchte er darin herum und stieß dabei auf ein paar Fotoaufnahmen, die von einem hübschen Mädchen geschossen worden waren und auf einen Taschenkalender. Jenkins blätterte in flüchtig durch und konnte auf Anhieb feststellen, dass der Besitzer dieses Wagens ziemlich eigenartig sein musste. Minutiös waren alle für den Unbekannten wichtigen Aktionen und Handlungen festgehalten. Jenkins las bestimmte Stellen wie "18:51 - 20:03-mit Susan gechattet" 15:04-Juliette von Schule nach Hause gefahren" und als bisher letzter Eintrag unter dem heutigen Datum "12:20-Diana zu Hause besucht". Wow, der Typ scheint viel Glück bei den Frauen zu haben. Dann fiel der Blick des Polizisten noch einmal auf die Fotos. Dieses Mädchen kam ihm bekannt vor. Wo hatte er dieses Gesicht nur gesehen. Nachdenklich legte er die Sachen wieder zurück ins Fach und drehte sich der Rückbank zu. Neugierig nahm er eine der Schachteln und öffnete sie sachte. Die Schachtel war mit Styroporkugeln ausgepolstert und so musste Jenkins ein wenig wühlen, bis er mit seinen Fingern etwas Festes ertasten konnte. Beim Anblick des Inhaltes wurde ihm mulmig zumute. Jenkins hielt gerade eine Schachtel mit kleinen Wanzen in seiner Hand. Wem gehörte nur dieser verdammte Rostkübel? Nirgends waren Fahrzeugpapiere oder sonstige informative Unterlagen zu finden gewesen. Der Polizist hatte ein echt schlechtes Gefühl. Am besten, er meldete seinen Fund bei der Zentrale. Mit einer kontrollierten Handbewegung nahm er sein Funkgerät und ging damit nochmals zur Wagenrückseite. Er gab das Kennzeichen durch und informierte seine Kollegen über den Inhalt des Wagens. Aus der Zentrale bekam er schließlich den Auftrag beim Wagen zu bleiben, bis der beauftragte Abschleppwagen bei ihm eingetroffen sei. Leicht unzufrieden mit diesem Befehl setzte sich Jenkins wieder auf den Fahr! ersitz des Fords und fing an zu grübeln. Was hatte das alles zu bedeuten? Er ließ alle seine gefundenen Sachen nochmals im Kopf durchlaufen. Mit der Taschenlampe leuchtete er nachdenklich auf die Schachteln hinter ihm. Und dann bemerkte er die Flecken darauf. Der Polizist sah genauer hin und stellte fest, dass ziemlich viele dieser Verpackungen mit diesen roten Flecken übersät waren. Rote Flecken! Peters Augen weiteten sich unter dem schockierenden Gedanken, was diese Flecken waren. Er streckte einen Finger aus und näherte sich einem noch ein bisschen feuchten Fleck. Sofort setzte sich ein kleiner Tropfen auf seiner Fingerkuppe fest. Er betrachtete die Flüssigkeit und machte neugierig einen kurzen Geruchs- und Geschmackstest. Leider, Ketchup war es nicht, auch keine Farbe. Er hatte vermutlich recht. Es war Blut. Die Sache wurde immer mysteriöser. Der Polizist konnte nicht mehr klar denken. Wieder fielen ihm die zuvor gefundenen Gegenstände ein und dann konnte er sich wieder erinnern. Oh nein! Mit einer leichten Gänsehaut verließ er angeekelt das Fahrzeug und blickte es verabscheuend und fassungslos an. Jetzt wusste er wieder, woher er das Mädchen von den Fotos kannte. Dieses Mädchen war in der vergangenen Nacht umgebracht worden. Es wurde vermutet, dass dieser ,Rosenmörder' dafür verantwortlich sei. Der Name des Mädchens.er war Juliette. Peter Jenkins spürte einen leichten Stich in der Magengegend. Es war unfassbar. Rasch nahm er den Taschenkalender aus dem Handschuhfach und las nochmals die Namen der Frauen. ".Susan.das war doch das erste Opfer,.Juliette, das von gestern.oh mein Gott!" Der Kalender fiel ihm geschockt aus seinen Händen und klatschte auf den Asphalt. Dem Polizisten wurde schlecht. Es konnte nicht sein. Die gesammelten Fakten ließen ihm das Blut in den Adern gefrieren. Mit wie in Zeitlupe ablaufenden Bewegungen nahm er das Funkgerät aus der Halterung und löste sich erst wieder aus der Verkrampfung, als er die Stimme seines Kollegen am anderen Ende hörte. ".Henry.ich weiß nun, wem dieser W! agen gehört.du wirst es sicher nicht glauben."

Verdammt! Jetzt hatte dieser Scheißkerl alles entdeckt! Aber egal, er wird es sowieso niemanden mehr erzählen können. Der Mann im schwarzen Trenchcoat kauerte noch immer hinter zwei Sträuchern und musste aus seinem Versteck mit ansehen, wie der Polizist den Wagen penibel durchsuchte. Daraufhin begab sich Peter Jenkins zur Rückseite, um der Zentrale das Kennzeichen durchzugeben. Der Mörder wollte auf den besten Moment warten, in dem er zuschlagen konnte. Es musste sein. Dieser Bulle stand ihm im Weg. Hätte er nur die Finger vom Ford gelassen. Jetzt war es für ihn zu spät. Der starre Blick des Mörders schien Jenkins fast zu durchbohren, so stechend und intensiv sah er ihn an. Dieser würde gleich das Puzzle zusammenstellen und herausfinden, mit wem er es zu tun hatte. Als der Polizist dann geschockt das Wageninnere verließ, wusste der Mann im schwarzen Trenchcoat, dass er eins und eins zusammengestellt und den Fahrer des Wagens identifiziert hatte. Nun wusste er, dass er gerade den Wagen des Rosenmörders durchsucht hatte. Dieser starrte ihn noch immer unentwegt an, beobachtete, wie der Bulle die Zentrale informierte und war sich sicher, dass der richtige Zeitpunkt nun gekommen war. Es war nämlich höchste Zeit nach Dallas zurückzukehren. Darum musste der Polizist jetzt aus dem Weg geräumt werden. Es gab keinen anderen Ausweg.

Mit einem tiefen Schnaufen steckte Peter Jenkins das Funkgerät wieder in die Halterung. Die Überprüfung des Kennzeichens hatte ergeben, dass es sich bei dem Besitzer des Fahrzeuges um einen gewissen Ramon Hernandez handelte. Im Moment checken die Kollegen in der Zentrale, wo dieser Ramon Hernandez wohnt. Wenn man alle Fakten richtig deutete, musste man davon ausgehen, dass der Gesuchte der Rosenmörder war, der die Kleinstadt Arlington in der vergangenen Woche stets in Aufruhr gebracht hatte. Auf sein Konto gingen bislang drei Morde und nun war man auf dem besten Weg zu verhindern, dass weitere Morde geschehen würden. Peter Jenkins starrte auf seine Uhr. Wo blieb denn der Abschleppwagen? Er fühlte sich sehr unwohl. Schließlich stand er neben dem Auto eines potenziellen Killers und wusste nicht, ob dieser nicht auch in der Nähe war. Der Polizist ertappte sich dabei, wie er seine rechte Hand immer fester um den Griff seiner im Halfter steckenden Dienstwaffe schloss. Im Falle des Falles sollte er vorbereitet sein. Und dann hörte er es. Ein seltsames Rascheln aus dem Dickicht des Waldes. "Wer ist da?" Jenkins probierte so entschlossen und sicher wie möglich zu rufen, aber ganz überzeugend kam es nicht rüber. Man merkte, dass der junge Polizist noch nicht allzu oft etwas mit Mördern zu tun gehabt hatte. Meistens gab es nur Geschwindigkeitsüberschreitungen, manchmal waren auch Drogendealer ertappt worden, aber es mit so einem kaltblütigen Kerl zu tun zu haben.nein, bislang blieb es Peter erspart. Seine Dienstwaffe musste er zwar schon öfters zücken, doch abdrücken brauchte er nie. Meistens ließen sich die Täter ohne besondere Gegenwehr überwältigen. Doch in diesem Fall wusste der Polizist, dass es nicht so glimpflich kommen würde. Ein weiteres Mal vernahm er ein lautes Rascheln. Nochmals rief er in den Wald. Doch auch dieses Mal bekam er keine Antwort. Konzentriert starrte der Polizist zur besagten Stelle. Durch die Dunkelheit konnte er kaum was erkennen. Er zog die Pistole auf dem Halfter und richtete sie in R! ichtung der Sträucher. "Kommen sie heraus!" Doch auch auf diesem Befehl hatte er wiederum keinen Erfolg. Mit langsamen Schritten näherte sich der Polizist den Sträuchern. Mit der Taschenlampe leuchtete er sie ab, doch war nichts Außergewöhnliches zu entdecken. Der Lichtstrahl wanderte weiter zu den Bäumen. Peter musste seine Augen sehr anstrengen, um klar sehen zu können. Und plötzlich sah er jemanden hinter einen der dicken Stämme verschwinden. Ein weiteres Mal befahl der Polizist dem Unbekannten aus seinem Versteck zu kommen. Mit knackenden Geräuschen trat er immer weiter in das Waldstück hinein. Vielleicht war es ein wenig zu riskant, doch andererseits war es sein Job. Er musste dieser Sache nachgehen. Jetzt konnte er nicht kneifen. Angstperlen sammelten sich auf Jenkins' Stirn. Seine Kehle war durch die Aufregung trocken geworden. Die Anspannung nahm mit jeder Sekunde zu. Nun stand er nur wenige Schritte von dem Baum entfernt, hinter dem er die Person gesehen hatte. Ein drittes Mal schrie er sein nicht gerade selbstsicher wirkendes "Kommen sie raus!" Und dieses Mal ging alles viel zu schnell. Auf seinen Befehl hin stürmte plötzlich der Unbekannte hinter dem Baum hervor und rannte auf den überraschten Jenkins zu. Doch bevor der Polizist auf diesen Angriff reagieren konnte, wurde er auch schon auf den feuchten Waldboden gerissen. Verzweifelt versuchte er mit der Waffe auf den Mörder zu zielen, doch der schlug sie ihm mit einem dicken Ast aus der Hand. Schmerzverzerrt hielt sich Jenkins die wunde Stelle und versuchte wieder aufzustehen. Doch der Mann, der einen langen schwarzen Trenchcoat trug und einen sehr unheimlichen Gesichtsausdruck hatte, schlug ihm mit dem Ast in den Magen. Dann holte er zu einem Schlag auf Jenkins' Gesicht aus. In dieser kurzen nur Sekundenbruchstücke dauernden Phase nahm der Polizist noch einmal all seinen Lebensgeist zusammen und trat dem Verbrecher mit seinem Fuß in die linke Kniekehle. Mit einem makabren Schrei stürzte der Mann auf den Boden. Peter robbte schnell ein Stück d! avon und richtete sich auf. Seine Hand schmerzte gewaltig. Sie war vermutlich gebrochen. Die Wucht des Schlages hatte wirklich Spuren hinterlassen. Die Vorderseite hatte schon leicht blaue Stellen und der Polizist konnte sie kaum bewegen. Doch im Moment hatte er sowieso andere Sorgen. Vor ihm lag mit hoher Wahrscheinlichkeit der gesuchte Rosenmörder. Die Augen nicht von dem Kerl lassend tastete er auf dem Waldboden nach seiner Waffe. Und das nützte der Mann im schwarzen Trenchcoat. Er wartete den richtigen Augenblick ab und startete wieder einen Überraschungsangriff. Als Jenkins die Lage abschätzen konnte, war es bereits zu spät. Er wurde fest an einen Baumstamm gerammt. Ein tiefer Schmerz zog sich über seinen Rücken. Mit zusammengebissenen Zähnen rutschte der Polizist wieder auf den Boden. Leicht benommen suchte sein Blick den Mann, doch der Angreifer war verschwunden. Mit der gesunden Hand griff er sich auf die Wirbelsäule. Er zog sich langsam wieder beim Stamm hinauf und bewegte sich mit wankenden Schritten weiter durch das Dickicht. Wo war er hingekommen? Peter Jenkins drehte sich einmal herum und da stand er schon wieder. Trotz der Dunkelheit konnte er ein irres Lächeln auf seinen Lippen erkennen. Der Mann im schwarzen Trenchcoat stieß ihm das Jagdmesser tief in den Oberkörper. Der Polizist stolperte zurück und fiel hart zu Boden. Mit seiner linken Hand griff er auf den Griff des Messers, welcher aus seiner Bauchgegend ragte. Blut übergoss sich über den dunklen Motorradanzug. Nach Luft röchelnd lag Jenkins da, blickte wie wild herum. Er ahnte, dass er nun sterben würde. Sarah und Ryan würde er nie wieder sehen. Der Mörder näherte sich dem wehrlosen Polizisten und zog ihm ohne mit der Wimper zu zucken das Messer gnadenlos wieder aus der Wunde. Mit schnellen Schritten ließ er ihn auf dem Waldboden liegen und verließ das Waldstück. Kurz darauf konnte man den lauten Motor aufheulen hören, als der Mann die Fahrt zurück nach Dallas begann. Derweil lag Peter Jenkins verzweifelt da, seine letzten Gedanken g! alten noch einmal seiner lieben Familie. Dann fiel sein Kopf zur Seite. Ein Piepsen von seiner Armbanduhr verriet, dass seine Schicht nun zu Ende war. Für immer.

DONNERSTAG, 24.Mai 2001

"Kann ich noch etwas Marmelade haben?" "Sicher doch!" Diana reichte ihrem Kollegen den Becher mit der leckeren Erdbeerkonfitüre und blickte ihm dabei verliebt in die Augen. Dieser erwiderte ihren Blick, nahm ihre Hand und küsste sie sanft. Andre streichelte gefühlvoll über ihre zarten Finger und genoss jeden Augenblick, so friedlich und makellos wie dieser, die er so nah bei ihr sein, ihr seine Gefühle in vollen Zügen offenbaren konnte. Bewundert und fasziniert begutachtete er das außerordentlich hübsche Gesicht seiner Kollegin. Er hatte sich damals sofort in sie verliebt, Diana hatte so einen gewaltigen Charme, dem kein Mann widerstehen konnte. Was sie von vielen anderen jungen Frauen unterschied, war die Tatsache, dass sie trotz ihrer Schönheit und Beliebtheit nie arrogant oder abgehoben wirkte. Sie war immer natürlich, zuvorkommend, einfach nett. Und obwohl sie es nicht nötig hatte, war sie oft ziemlich schüchtern, was er aber sehr süß an ihr fand. Ihm gefiel, wenn sich ihre wohlgeformten Wangen leicht rot färbten, wenn Diana etwas ungelegen kam oder ihr etwas sehr peinlich war. Sie war so unschuldig, ein wahrer Engel. Und darum musste sie beschützt werden. Nach dem Frühstück würde er sofort Polizeischutz für seine Kollegin anfordern. "Andre, was ist?" Dianas besorgte Stimme rüttelte ihn wieder aus seinen Gedanken. ".nichts, Diana, nichts." "Andre?" "Ja?" "Ich wollte mich für mein Verhalten am Abend entschuldigen. Als ich dir die Tür geöffnet hatte und du mir die Rose, die ausgesprochen schön ist, geben wolltest, musste ich .ich dachte an den Rosenmörder und wie ER bald vor meiner Tür stehen würde.danke, dass du gestern gekommen bist. Ich hätte die Nacht nervlich nicht gepackt..." Behutsam lehnte sie sich über den Tisch und gab Andre einen langen gefühlvollen Kuss. Es war alles so wunderschön, doch könnte diese Idylle leicht wieder zerstörbar sein. Andre hätte es auch lieber gehabt, weiterhin zärtliche Stunden mit seiner neuen Liebe zu verbringen, doch sogar ihr sanfter Kuss schien ihn nicht aus seine! n wilden Gedankensprüngen befreien zu können. Langsam ließ er den Blick durch Dianas Wohnung schweifen. Einen guten Geschmack hatte sie, das musste man ihr lassen. Er musste nachdenken. Wie konnte man diesen Rosenmörder nur fassen? Andre Dumont hoffte, dass er zeitig eine Analyse der Untersuchung bekam, die er am vergangenen Tag veranlasst hatte. Wenn sich sein Verdacht für richtig erweisen sollte, dann wussten sie wenigstens mal die Identität des Mörders und er hoffte, dass sich damit die Ermittlungen vorantreiben ließen. Als er so in Gedanken versunken durch die Räumlichkeiten blickte, hielt er plötzlich still. Was hatte Diana gesagt? Sie hatte eine kleine Schraube auf dem Wohnzimmerteppich gefunden, den sie nicht definieren konnte. Und, wie Andre jetzt bemerkte, stand genau auf dem Teppich ein kleiner Tisch. Auf diesem Tisch stand Dianas Telefon. Der Inspektor schnellte aus dem Sessel auf und startete auf das Objekt zu. Mit flinken Bewegungen nahm er es unter die Lupe. Und sein Verdacht war erhärtet. Auf der Unterseite des Telefons fehlte eine kleine Schraube, die, die Diana gefunden hatte. Andre wusste, was das bedeutete. Seine Kollegin hatte recht gehabt: der Rosenmörder war in ihrer Wohnung gewesen und hatte auch ihr Telefon verwanzt, wie schon die der anderen zwei Opfer. Sie sollte wirklich sein nächstes Opfer sein. Das hieß, der Inspektor durfte jetzt keine Zeit mehr verlieren. Einen Spurensuchtrupp in Dianas Wohnung zu holen, war für Andre sinnlos. Auch bei den anderen Mädchen hatte der Täter immer genau darauf geachtet keine Fingerabdrücke und sonstige Spuren zu hinterlassen. Aber warum war er bei Diana so unvorsichtig gewesen und hatte gewisse Sachen auf anderen Stellen liegengelassen? Auf diese Frage wusste Andre keine Antwort, doch er vermutete, dass der Mörder in Zeitnot geraten war und Dianas Appartement so schnell wie möglich wieder verlassen wollte, damit er nicht ertappt werden würde. Während er so tüftelnd vor Dianas Telefon hockte, war Diana verwirrt näher gekommen. "Andre, was ist de! nn?" Zuerst gab er keine Antwort. Doch nach ein paar langen Sekunden unterbrach er das Schweigen. "Du hast recht gehabt.ER ist hier gewesen. Dein Telefon hat ER verwanzt, wie auch bei den anderen Mädchen. ER will dich überwachen können." "Oh Gott, ich hab's gewusst." Diana ließ sich auf das Sofa neben dem Teppich sinken und hielt sich fassungslos die Hände vors Gesicht. Andre setzte sich neben sie und nahm sie in seine Arme. "Keine Sorge! Bald ist dieser Albtraum endlich vorbei, das verspreche ich dir!" Er küsste ihr zart auf ihre Stirn und hielt sie einfach so in seinen Händen. Dann schreckten beide hoch. Das Telefon klingelte. Mit leicht zittrigen Bewegungen nahm Diana den Hörer und flüsterte fast hinein. "Hallo?" Die Stimme am anderen Ende der Leitung ließ sie ein wenig ruhiger werden. Es war Director Edward Payton. "Diana? Wie geht es ihnen heute?" "Geht schon wieder, Director." "Schön zu hören. Ich wollte sie fragen, ob sie wissen, wo Inspector Dumont ist. Er hat sein Handy im Büro liegengelassen und ich habe auch schon bei ihm daheim angerufen, aber er meldet sich nicht." Diana blickte mit einem leichten Lächeln zur gesuchten Person, die neugierig neben ihr saß. Der Mann, der mit ihr die vergangene Nacht verbracht, der sie geliebt und beschützt hatte. ".ähm.er ist hier.warten sie." Sie reichte den Hörer an Andre weiter. "Ja?" "Dumont, endlich erwische ich sie. Es ist wieder etwas passiert."

Was war das? Schlaftrunken wachte der Mann in seinem Bett auf. Durcheinander blickte er um sich, musste sich aber erst an die Dunkelheit im Schlafzimmer gewöhnen. Seine rechte Hand tastete nach der Nachttischlampe, dessen Licht den Raum kurz darauf füllte. Der Mann im hellblauen Seidenschlafanzug spitzte seine Ohren. Doch er konnte nichts hören. Vermutlich hatte er sich geirrt. Ihm war wirklich so gewesen, als ob ihn ein Geräusch aus seinen angenehmen Träumen gerissen hätte. Höchstwahrscheinlich war es wieder Nachbarkatze, die auf nächtlicher Jagd nach Mäusen war. Der Mann mit dem schon leicht weißen Haar beschloss weiterzuschlafen. Ein Blick auf seinen Wecker zeigte, dass es sowieso erst kurz nach zwei Uhr morgens war. Schnell drehte er das Licht wieder ab und vergrub seinen Körper wieder fest unter der warmen kuscheligen Bettdecke. Noch ziemlich müde schloss der Mann wieder seine Augenlider, um sich wieder in die Welt der Träume und Fantasien zu begeben. Doch nur kurz hielt diese Ruhe. Da! Wieder dieses klopfende Geräusch! Erschrocken schreckte der Arzt aus seinem Bett auf. Zitternd schaltete er erneut die Nachttischlampe ein und stand vorsichtig auf. Ohne seinen Blick von der Zimmertür zu wenden, tastete er nach seiner Brille, die auf dem kleinen restaurierten Tischchen neben dem großen Bett lag. Unbeholfen setzte er sie auf und schlüpfte mit seinen knochigen und blassen Füssen in weiche Pantoffeln, mit denen er den Gang zur Tür wagte. So leise er nur konnte, trat er auf den Gang hinaus und horchte. Ja! Schon wieder! Es war jemand in seiner Villa! Hilflos sah sich der Mann am Gang nach einer geeigneten Waffe um. Schließlich entschied er sich mit einem eisernen Kerzenständer den Weg ins Erdgeschoss zu wagen. Während er die ersten Stufen der Wendeltreppe hinter sich brachte, achtete er darauf jedes nur so unnötige Geräusch zu vermeiden. Obwohl er durch die Dunkelheit kaum etwas erkennen konnte, getraute er nicht das Licht einzuschalten. Wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, war vermutlich ein Einbre! cher in den Räumen unter ihm. Bei genauerem Hinhören kam er zum Entschluss, dass die Geräusche aus seinem Bürozimmer kamen. Ohne die Tür des besagten Zimmers aus den Augen zu lassen, trat der Arzt die letzten Stufen der Treppe hinunter. Die Unwissenheit, was oder wer ihn beim Betreten seines Büros erwarten würde, schnürte ihm den Hals zu. Er musste sich anstrengen, um genug Luft zu bekommen. Am liebsten hätte er die Polizei um Hilfe gerufen, doch erstens war sein Telefonanschluss ironischerweise genau in dem Zimmer, woher die ominösen Geräusche kamen und zweitens hätte er sowieso zuviel Angst gehabt, um diesen Schritt zu wagen. So blieben ihm zwei Möglichkeiten. Weder er versuchte die Villa zu verlassen oder er stellte sich der eventuellen Gefahr. Außerdem könnte es ja auch andere plausible Erklärungen für das Klopfen geben, welches durch die dicke Eichentür seines Bürozimmers drang. Was zum Beispiel gegen einen Einbrecher sprach, war die Tatsache, dass die Villa des Mannes mit einer modernen Alarmanlage gesichert und so kaum zu betreten war. Das laute Piepsen bei einem Einbruchversuch hätte ihn doch sicher rechtzeitig informiert. Vielleicht war es nur eine Maus, die sich in das Haus verirrt hatte und nun im Büro nach Nahrung suchte. Wieder musste er mit gewissem Galgenhumor an die Nachbarkatze denken. Er versuchte sich auf die folgenden Theorien zu versteifen, doch insgeheim wusste er, dass keine davon plausibel genug war, um wirklich zu stimmen. Jeder professionelle Einbrecher konnte heutzutage Alarmanlagen knacken und wie hätte sich denn eine Maus in sein Büro verlaufen sollen. Na eben. Den Kerzenständer fest umklammert stand der Mann im Schlafanzug nun vor dieser Tür, seine linke Hand näherte sich zaghaft dem goldenen Türgriff. Mit leicht zusammengekniffenen Augen drückte er ihn hinunter und betrat leise das Zimmer. Er hatte einen maskierten Einbrecher erwartet, der gerade seinen Bürotisch nach wertvollen Gegenständen und Dokumenten durchstöbern würde. Stattdessen war er ein bisschen überrascht, aber! auch erleichtert, als er das Büro ruhig im Dunkeln weilen sah. Er betrachtete die schönen großen Kästen, die er vor einigen Jahren erwerben konnte. Sein Blick wanderte quer durchs Zimmer, doch alles war an seinem üblichen Platz. Keine Spur von einem Eindringen zu sehen, alles wirkte normal. Und auch das Klopfen war mittlerweile verstummt. Vielleicht hatten dem Arzt nur seine Nerven einen Streich gespielt und die Geräusche waren doch harmloser Natur gewesen. Könnte im besten Fall echt von der Katze von Mr. Whitmore verursacht worden sein. Sein großes Grundstück wurde vielleicht gerade in diesen Minuten zum Jagdrevier dieses kleinen Biestes. So gesehen musste er die Richtung, aus der er die Geräusche vermutet hatte, falsch interpretiert haben. Aber egal! Auf jeden Fall atmete er kräftig auf und ließ seine "Waffe" niedersinken. Er war schon wieder dabei die Tür zuzumachen, als ihn etwas stutzig machte. Der Bürosessel war ihm mit der Rückseite zugewandt, doch der nun mehr als vorher verängstigte Mediziner war sich sicher, ihn nicht in dieser Stellung beim Bettgehen hinterlassen zu haben. Er musste sicher gehen, auch wenn es ihm sehr schwer fiel. Hoch konzentriert und für einen eventuellen Frontalangriff gewappnet betätigte er den Lichtschalter. Der Raum wurde zugleich hell erleuchtet. Vorsichtig näherte sich der Mann dem dunkelbraunen Ledersessel und schreckte unerwartet zurück. Jemand saß darin. Und diese Person im Sessel hustete kurz. Dem Arzt verschlug es die Sprache. Er bereute es so übertrieben mutig und unüberlegt diesen Schritt gewagt zu haben. Wäre er einfach abgehauen und hätte die Polizei gerufen. Jetzt war es jedoch schon zu spät. Wie angewurzelt stand der Mann mitten in seinem Bürozimmer, welches aufs Edelste ausgestattet war, und starrte auf seinen Bürosessel. Dann vernahm er folgende Worte aus dieser Richtung: "Guten Abend, Herr Doktor!" ".wer sind sie?" "Ich bin zurück!" Ein kalter Schauer lief über den Rücken des Arztes. Ihm kam die Stimme sehr bekannt vor, doch konnte er sie noch nicht einw! andfrei einordnen. Noch einmal stellte er dem Eindringling die Frage "Wer sind sie?" und im selben Atemzug "Was wollen sie hier?" Da drehte sich der Mann im Sessel um. Beim Anblick des nächtlichen Besuchs wurde Dr. Steve Conroy schlecht. Nein! Das konnte nicht sein! "Ich bin's, Doktor Conroy! Was ich will? Ich brauche ihre Hilfe.sie müssen mir helfen." Conroys Blick flackerte umher vor Entsetzen und Unfassbarkeit. Ihm war, als würde er einen Geist sehen. Schließlich saß der schon längst für tot gegoltene Paul Sylka in seinem Bürosessel und starrte ihn hilflos und erwartungsvoll an. Dem Arzt im Schlafanzug wurde schwindelig und etwas schwarz vor den Augen. Es konnte einfach nicht wahr sein.

"Entschuldigung!" "Schon ok!" Payton winkte verständnisvoll ab. Er hatte schon seit geraumer Zeit erfahren, dass Dumont und Diana Hawkins im Revier als Paar gehandelt wurden, und wie er fand, passten sie gut zusammen. Andre hatte sowieso eine Frau gebraucht, die hinter ihm steht. Nun hatte er gleich eine von den ganz tollen Frauen gefunden. Hawkins gehörte zu den fleißigsten und zuverlässigsten Angestellten auf dem Arlingtoner Revier. "Nun sind sie ja da.darf ich fragen, warum sie einen Polizeischutz für Diana Hawkins veranlasst haben? Es geht mich ja nichts an, doch auch wenn sie jetzt fix zusammen sind, gehört sie ja nicht mehr beschützt zu werden als vorher." "Director, es ist etwas vorgefallen.wie soll ich's sagen.Diana ist mit hoher Wahrscheinlichkeit das nächste Opfer vom Rosenmörder." "Was?" Payton zuckte zusammen. Ungläubig hörte er Dumont zu, wie er von Dianas Erlebnissen erzählte. Danach starrte er mitgenommen auf den Boden seines Bürozimmers. ".das habe ich nicht gewusst.schrecklich.gute Arbeit wegen dem Polizeischutz." Es ging immer weiter und nun war sogar eine Mitarbeiterin in größter Gefahr. Wie sollte das alles weitergehen? Und jetzt musste er Dumont auch über den Grund seines Anrufes aufklären. "Der Grund, warum ich sie seit einer Stunde erreichen wollte, war folgender: In der Nacht auf heute wurde außerhalb der Stadt ein Streifenpolizist ermordet. Er hatte von der Autobahnzentrale den Auftrag bekommen, ein verdächtiges Fahrzeug, welches leer auf der Fahrbahn aufgefunden wurde, zu kontrollieren. Der Polizist hat der Zentrale das Kennzeichen durchgegeben. Außerdem fand er Fotos von Juliette Sanders im Handschuhfach des Wagens." "Oh Gott!" Dumont wusste, auf was sein Vorgesetzter anspielen wollte. " Die Zentrale fand heraus, dass das Auto auf einen gewissen Ramon Hernandez angemeldet ist.kommt ihnen dieser Name bekannt vor?" Andre Dumont war fassungslos. Er spürte, wie nun alles Stück für Stück ans Licht kam.es wurde immer umfangreicher, immer geheimnisvoller. " Als der Abschleppwagen, der! den Wagen zur Zentrale bringen sollte, an die verabredete Stelle kam, fand der Fahrer keinen blauen Ford, sondern nur das Motorrad des Polizisten vor. Er verständigte seine Vorgesetzten, die den Streifenpolizisten anzurufen versuchten. Der Lenker des Abschleppwagens hörte sogleich das Läuten des Handys aus dem Waldstück neben der Strasse. Als er nachsah, fand er die Leiche des jungen Mannes auf dem Waldboden liegen. Die Todesursache war nach erster Bestandsaufnahme ein exakter Stich ins Herz.Dumont, dieser arme Kerl hatte eine junge Frau und einen kleinen Jungen.warum muss das alles so grausam sein.warum, sagen sie mir das?" Doch der Inspektor konnte es ihm nicht sagen. Er war selber tief betroffen von den letzten Ereignissen. Langsam verließ er Paytons Büro und begab sich in sein eigenes, wo er sich fertig auf seinen Bürosessel fallen ließ. Er starrte auf sein Handy, welches auf dem Schreibtisch lag. Ehrlich gesagt hatte er es absichtlich liegenlassen. Als er am letzten Abend das Revier verlassen wollte, beschloss er ohne Störfaktor zu Diana zu fahren. Das Klingeln des Apparates hatte schon ein paar Mal die knisternde Ruhe zwischen den beiden zerstört und nun wollte er ungestört mit seiner Kollegin reden. Na ja, aus reden wurde mehr.einiges mehr. Andre genoss in Gedanken noch einmal die vergangenen Stunden voller Leidenschaft, Sinnlichkeit und Liebe. Nur schwer wandte er sich von diesen Gefühlen ab und schnappte sich das Handy. Er steckte es in die Seitentasche seiner Jacke und verließ schon wieder das Zimmer. Sein nächster Termin war bei Dr. Patterson. Schon wieder.

Ein brasilianisches Volkslied trällernd sperrte Maria dos Santos die Haustür der großen wunderschönen Villa auf. Drei Mal in der Woche kümmerte sich die Südamerikanerin um den Haushalt ihres Arbeitgebers. Selbst konnte sie sich gerade eine kleine Wohnung im Stadtinneren leisten und so den gut bezahlten Lohn gut gebrauchen. Jede ihrer Schichten dauert sechseinhalb Stunden, jeweils von 8:30 -15:00. Wegen ihrer Zuverlässigkeit und ihres netten und ehrlichen Auftretens war der Besitzer des Hauses sehr zufrieden mit ihr. Er möchte sie sogar für die ganze Woche arbeiten lassen, natürlich zu einer gewaltigen Aufstockung ihres Gehaltes. Ab Juni soll es damit losgehen und Maria war sehr stolz darauf. Endlich hatte sie eine Arbeit gefunden, die sie voll ausfüllte. Da war es ihr auch egal, dass der Doktor ein bisschen ein komischer Kauz war. Ansonsten war er sehr zuvorkommend und hilfsbereit, wenn die Frau etwas brauchte. Die 38jährige Brasilianerin durchquerte die Villa, holte sich das Putzzeug aus der Abstellkammer und fing mit der Arbeit an. Ihr Arbeitgeber war meistens schon aus dem Haus, wenn sie kam, doch zu Mittag sah er so gut wie immer kurz vorbei um eine Kleinigkeit zu essen. So saugte sie ein Zimmer nach dem anderen durch und wollte sich gerade das letzte im Erdgeschoss vornehmen. Es war das wundervoll gestaltete Bürozimmer von Dr. Conroy. Pfeifend öffnete sie die Tür und zog den Staubsauger nach. Als sie sich dem Schreibtisch zuwandte, fing sie laut an zu schreien. Ihr sonst ziemlich braunes Gesicht wurde ungewöhnlich blass. Dann lief die Frau schockiert und hysterisch aus der Villa. Der Grund ihres Verhaltens lag schlaff und leblos auf dem Bürosessel. Der Arbeitsgeber von Maria dos Santos war tot. Sein Körper war übersät von Dutzenden tiefen Einstichen. Ein spitzes Messer hatte sich in sein rechtes Auge gebohrt, weiters wurden Arme, Beine und Genitalien getroffen. Sein früher hellblauer Seidenpyjama hatte sich inzwischen dunkelrot gefärbt. Auch der ganze Schreibtisch und der Sessel waren überdeckt von ! roten Flecken. So, wie der Mann dalag, sah er aus wie ein frisch abgestochenes Schwein. Egal, wer diesen Mann umgebracht hatte, er musste einen wahnsinnigen Hass auf Dr. Conroy gehabt haben. Einen unbeschreiblichen Hass.

























8.ENTSCHEIDUNGEN


Rückblende; DONNERSTAG, 24. Mai 2001 - gegen 2:30 morgens

Blut, überall Blut. Der schwarze Trenchcoat des Besuchers, besonders an den Seitentaschen, war übersät von dunklen Flecken. Der Arzt vermutete das Schlimmste. Und er ahnte, dass es nicht Sylkas eigenes Blut sein konnte. Sylka. Wie konnte es sein, dass ein vermeintlich toter Mann äußerst lebendig auf seinem Bürosessel saß und ihn eindringend und unentwegt anstarrte? Steve Conroy konnte keinen reinen Gedanken fassen. Warum bist du nicht einfach abgehauen, als du noch Gelegenheit dazu gehabt hast? Eine Riesenwut auf sich selbst brodelte in ihm. Es wäre keine Schande gewesen, das Weite zu suchen. Wenn er diese Situation so durchdachte, hätte es keine bessere Lösung gegeben. Doch nun stand er da, starrte auf seinen ungeladenen Gast zurück und schluckte. Was wollte Sylka hier? Bei was sollte er ihm helfen? Zugegeben, ganz bei Sinnen und in guten Zustand sah sein ehemaliger Patient nicht aus, aber das war schon ein normales Erscheinungsbild bei seinen Sitzungen gewesen. Auf die langjährigen Gesprächstherapien zurückdenkend musste sich der Psychiater eines eingestehen: er hatte sich neben Paul Sylka nie wohl gefühlt. Bei jedem Termin hatte sich eine unheimliche Atmosphäre im Therapiezimmer gebildet, dieser Mann hatte so etwas. man konnte es kaum beschreiben. Nur so viel stand für Conroy fest: als er vor einem knappen halben Jahr erfahren hat, dass Sylka bei einem Brand ums Leben gekommen sei, war er anfangs zwar erschrocken, doch in seinem Unterbewusstsein teils erleichtert keine Sitzung mehr mit ihm abhalten zu müssen. Einerseits war er immer stark fasziniert vom Patienten Paul Sylka gewesen, da er immer so etwas Geheimnisvolles, Tiefgründiges ausstrahlte, doch mit ihm allein in einem Raum zu sein, kostete sogar für einen abgehärteten Arzt wie Conroy immer eine gewisse Überwindung. Er hatte schon so viele Patienten behandelt, doch kaum einer war ihm so im Gedächtnis geblieben wie ER. Wie Paul Sylka. Es hatte zwar Personen betreut, die einiges anstrengender und nervenaufreibender als ER sein konnten, doch bei ke! inem war Conroy einerseits so unglücklich und froh zugleich eine Sitzung abzuschließen wie mit ihm. Steve hätte gerne mehr von Sylkas Gedanken erfahren wollen, doch oft musste er sich mit einer kein Wörtchen sagenden Gestalt konfrontiert sehen. Und auch wenn die Verlockung die geheime Seite des Paul Sylka entdecken zu können sehr groß gewesen war, so konnte er keinen längeren Zeitraum mit ihm in einem Zimmer verbringen. Dieser Sylka hatte so etwas Erdrückendes. Neben ihm fühlte man sich immer unsicher, zweifelte am Guten im Menschen. Zwar war sich Dr. Steve Conroy sicher, dass dieser Mann in seinem schwarzen Trenchcoat auch einen weichen Kern hatte, doch der war anscheinend schon so sehr zugewachsen um noch irgendetwas davon zu offenbaren. Und das machte den Arzt wahnsinnig. Ruhig, Steve, ruhig! Du musst dich wieder in den Griff bekommen, klar nachdenken. Es musste schon seinen guten Grund haben, warum Sylka um zwei Uhr nachts in seine Villa eingebrochen ist und nun Hilfe erwartete. Doch gerade das machte Conroy Angst. Er wollte es gar nicht wissen. Mit Angstperlen auf seiner Stirn blickte er ein weiteres Mal auf die verdächtigen und viel sagenden Flecken. Ihm wurde dabei wieder kurz schwarz vor den Augen. Er hielt es nicht mehr länger aus. "Was wollen Sie hier? Wobei soll ich ihnen helfen, Paul? Wobei?" Conroy erschreckte die Tatsache, dass seine Stimme so extrem schrill und verzweifelt klang. Der Versuch so ruhig wie möglich zu bleiben, war ziemlich misslungen. Der Überraschungsgast blickte den Arzt an, als ob der in einer fremden und unverständlichen Sprache gesprochen hätte. Langsam glitt sein Blick abwärts. "Dr. Conroy, was ist denn mit ihnen los?" Und dann erst wurde es Conroy bewusst, spürte erstmals wirklich die klebrige warme Flüssigkeit an seinem linken Bein. Er richtete seine Augen unglaubwürdig auf die besagte Stelle und musste schockiert mit ansehen, wie sein Urin am unteren Ende des Hosenbeins herauslief und den Pantoffel an seinen Fuß klitschnass werden ließ. Die Seidenhose klebte ungemütl! ich an seinem Bein. Oh Gott! Er hatte sich vor Angst in die Hose gemacht. Der Arzt war fassungslos. Am liebsten hätte er auf der Stelle zu Heulen begonnen.
Tränen der Scham sammelten sich in seinen Augen. Nein, Steve, bleib stark! Sei ein Mann und blicke entschlossen zu deinem Gast! Noch einmal nahm sich der Arzt zusammen und überlegte sich, wie er weiter vorgehen sollte. "Nichts, Paul, nichts. Das ist nur ein kleines Missgeschick. Die Frage ist: Was ist denn mit IHNEN los? Sagen Sie mir nun endlich, was ich für sie tun kann und was so wichtig ist, um mich mitten in der Nacht aus dem Bett zu reißen. Paul, was ist passiert?" Conroy war stolz auf sich. Während den letzten Sätzen klang er schon wieder etwas mutiger, stärker. Vermutlich war es wirklich die beste Idee gewesen, Sylka mit harten Gegenfragen zu konfrontieren. Er wirkte tatsächlich etwas überrascht, doch war er so entschlossen, seine Mission weiterzuführen, sodass er keine Schwächen, auch wenn es nur kleine und bedeutungslose waren, zeigen durfte. "Was passiert ist.? Ich bin weiter auf der Suche nach meiner Rose.und da brauche ich keinen von meinen Scheiß Anfällen.Verdammt!" Steve Conroy's Körper zuckte bei Sylkas hysterischer und völlig irrer Stimme zusammen. Und da klickte es beim Psychiater. Rose.Blut.Sylka.der Anruf vor ein paar Tagen.oh mein Gott! Dieser Inspektor von der Polizei hatte recht gehabt! Das hieß, Paul Sylka war der Rosenmörder.nein, nein, nein! Mit einem klirrenden Geräusch schlug der Kerzenständer auf dem Teppichboden auf und rollte zur Seite. Conroy konnte es nicht fassen. "Warum, Paul, warum?" Die Stimme des Arztes klang jetzt leiser und piepsender denn je. Fassungslos blickte er den Eindringling an. Er hatte Sylka zwar einiges zugetraut, aber ein Serienmörder zu sein.niemals! Langsam ging der Arzt auf ihn zu, der von seinem eigenen Urin feuchte Pantoffel gab dabei ein unangenehmes klatschendes Geräusch von sich. Conroy versuchte so gefasst wie möglich zu wirken. Paul Sylka wusste, welchen Verdacht der Arzt nun gehegt hatte. Er sah die Furcht in seinen Augen. Gerade musste er sich sicher vorstellen, wie die Mädchen gelitten haben müssen, als er sich an ihnen vergangen hat. Wie d! ie Angst immer größer wurde, als er mit dem Jagdmesser tief in ihre Herzen gestochen und dann einfach so sterben gelassen hat. Jetzt war sich Sylka nicht mehr so sicher, ob ihm dieser Mann noch einmal helfen konnte. Doch er musste es versuchen. Nur mit klaren Gedanken ließ sich sein Weg weiter gehen.
Knapp einen halben Meter von Sylka entfernt blieb der Arzt stehen. Es bildete sich leichter Angstschweiß auf der schon etwas kahlen Stirn des Psychiaters. Jede Sekunde, in der er den Mann ihm gegenüber anschauen musste, war eine Sekunde zuviel. Am liebsten hätte er sich von ihm weggedreht, doch war seine Angst nun schon so groß, sodass er sich nicht traute den Blick von diesem unberechenbaren Menschen zu wenden. Die Augenlider des Arztes zitterten, das Keuchen aus seinem Mund wirkte unregelmäßig und seine Statur war leicht gebückt, wie um Gnade bettelnd. Jeder Versuch, stark zu wirken, war zum Scheitern verurteilt gewesen. Bei anderen Klienten in seiner Praxis wäre so etwas nie passiert, auch wenn er es auch einmal mit Mördern zu tun gehabt hat, doch da war er an seinem Arbeitsplatz, wo Dutzende von Kollegen in der Nähe wären und ihm helfen könnten, wenn während den Sitzungen die Lage eskalieren würde. Doch jetzt war er nicht in seiner Praxis, sondern bei ihm zu Hause. Es war kein Tag voller Sonnenschein, sondern tiefschwarze Nacht. Er war allein mit einem kaltblütigen Mörder und auch wenn er es versucht hatte, mit dieser Tatsache umzugehen, Dr. Steve Conroy hat es nicht geschafft. Er fand es sehr erschreckend, wie jeder Versuch, nachdem er Zuversicht und Kontrolle gegeben hat, gleich wieder an der bösartigen Ausstrahlung dieses Paul Sylkas abprahlte. Der Arzt wusste, heute würde er ihm nicht helfen können. In dieser Nacht konnte er sich nicht einmal selbst noch helfen. Er wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Wäre ich nur abgehauen. Wieder und wieder pochte dieser Gedanke in seinem Kopf. Weil ich unbedingt den ruhigen und kontrollierten Psychiater raushängen lassen wollte. Und da merkte er, wie verletzlich die menschliche Psyche wirklich ist und das man noch so viel Erfahrung in einer Sache haben kann und trotzdem immer wieder mit etwas konfrontiert wird, mit dem man nicht gefasst ist. Der Mensch kann schlecht mit solchen Wendungen umgehen. Weder er verfällt in Panik und Hektik oder spielt die Angele! genheit runter und tut so, als ob alles nicht so dramatisch wäre als man denkt. Beide Varianten brachten meist folgendes Ergebnis: man scheiterte. Man konnte solche Situationen nur meistern, wenn man die Lage gefasst analysierte und die weitere Vorgehensweise genau überlegt. Auch Dr. Conroy hatte diese Taktik vorgehabt, als er die Treppen herunter geschlichen war. Das Problem bestand darin, dass man kaum Zeit genug hat die Sache abzuschätzen, man einfach spontan entscheiden musste. Hopp oder Trop! So war das Leben. Es hielt für alle so viele Überraschungen bereit, gute wie schlechte. Auf manche würde man liebend gerne verzichten, andere dafür nicht missen. Was den heutigen Tag betraf, würde Conroy ersteres wählen. Als er vor seiner Bürotür gestanden hatte mit seinem Kerzenständer in der Hand war er auf alles gefasst gewesen: auf einen Einbrecher.oder die Nachbarskatze. Doch auf eines war er einfach nicht gefasst gewesen: auf Paul Sylka. So wie er nie auf ihn gefasst gewesen war. Er hatte zwei Möglichkeiten gehabt. Weder er stellte sich der Gefahr oder er rennt davor davon. Conroy hatte die falsche Entscheidung gefällt. Der Arzt war im Haus geblieben. Warum? Warum nur bin ich so blöd gewesen? Schuldgefühle fraßen sich immer tiefe in seine Seele rein. Nein, er hielt es nicht mehr aus. "I-i-i-ich m-m-muss schnell a-a-auf d-die T-Toilette." Wie ferngesteuert wandte sich der Psychiater von seinem Gast ab und ging aus dem Zimmer und verschwand am dunklen Gang. Sich nach rechts wendend wollte er gerade weitergehen, als der Mann im schwarzen Trenchcoat ihm etwas hinterher rief: "Die Toilette ist links, Doc, wenn sie's schon vergessen haben. Rechts geht es nur zur Haustür." Dr. Conroy verharrte mitten im Schritt. Zitternd brachte er nur ein "Ja, danke." heraus, drehte um und nahm die andere Richtung. Sylka blickte ihm verwundert nach, blieb aber an seinem Platz. Angestrengt spitzte er seine Ohren und lauschte.

Schnell, Steve, schnell! Mit unsicheren Schritten wankte der Mann über die teuren Teppiche hinüber zur Toilette. Geschwind schloss er hinter sich die Tür und sank zu Boden. So ein Mist! Er hat sich im Haus umgesehen, kannte vermutlich alle Räume. Seinen Versuch, seine Villa doch verlassen zu können, hat er leichtfertig vernichtet. Klar, Conroy hätte gleich am Gang zu Laufen beginnen können, doch seine Beine fühlten sich so schwer an, dass er kaum die Kraft gehabt hätte, diesen Schritt zu wagen. Psychisch und physisch war er Sylka momentan unterlegen, so irr das sich anhören mochte. Sicher war er mir gefolgt und wartete schon vor der Tür auf mich. Conroys Blick fiel auf das kleine Fenster im Zimmer, durch das ein bisschen das Mondlicht schien. Er blieb in der Dunkelheit sitzen und kam zu dem Entschluss, nicht mehr zu Sylka zurück zu gehen. Ohne aufzustehen schlich er zum Fenster hinüber, stellte sich auf die Zehenspitzen und öffnete es so leise es ging. Trotzdem gab der Rahmen beim Öffnen ein Knarren von sich. Psst! Mist! Wenn ER vor der Tür stand, hatte er das sicher gehört. Obwohl das Fenster ziemlich klein war, versuchte Conroy trotzdem hindurchzuklettern. Doch er brauchte etwas zum Hinaufstellen. Leider war in diesem Raum nichts außer einer Toilette und einem Waschbecken. Und aus ein paar Rollen Toilettenpapier ließ sich leider Gottes auch kein brauchbarer Untersatz basteln. Vielleicht konnte er trotzdem rausklettern. Der Arzt zog seine Pantoffeln aus und fing an barfuss auf dem kalten Fliesenboden zu hüpfen. Er versuchte sich beim Rahmen festzuhalten und sich dann hinaufzuziehen. Mit aller Kraft probierte er seinen Körper in die Höhe zu stemmen, doch fiel zwei Mal unsanft zu Boden. Beim zweiten Mal kam er so unglücklich auf den Fliesen auf, dass er unter seinem Gewicht umknickte und sich dabei den rechten Knöchel verletzte. Mit schmerzverzerrten Gesicht stand er auf und hinkte herum, den ersten Schmerz abklingen lassend, bis er einen weiteren Versuch wagen würde. Da er unter großem Zeitdruck war, hie! lt er nicht lange aus und sprang erneut in die Höhe. Dieses Mal krallte er sich förmlich an der Öffnung fest. So hing er knapp zwanzig Zentimeter in der Luft, ein kühler Wind füllte den Raum. Die Augen vor Schmerz und Anstrengung fest zusammengedrückt machte sich Steve Conroy bereit. Noch einmal nahm er alle Kräfte zusammen und schaffte es tatsächlich sich über den Rahmen zu ziehen. Nun war er mit dem Oberkörper schon ganz im Freien. So schnell er konnte, schätzte der Arzt die Höhe ab. Nur knapp zwei Meter trennten ihn und die Wiese voneinander. Mit einem letzten Stoss ließ er sich ins weiche Gras hinausfallen. Mit einem dumpfen Geräusch prallte er auf dem Boden auf. Leicht benommen realisierte er, dass er es tatsächlich geschafft hatte. Er war getürmt. Erleichterung machte sich bei Conroy breit. Nach einer kurzen Verschnaufpause rappelte sich der Arzt auf und stellte erst jetzt richtig fest, wie schwerwiegend seine Verletzung sein musste. Sein Knöchel war bereits dick angeschwollen und jedes festes Auftreten tat höllisch weh. Steve, gleich hast du es geschafft! Nur noch knappe fünfzig Meter bis zum Nachbarhaus. Obwohl er die alten Whitmores und ihre Katze nie besonders leiden konnte, war er nie glücklicher darüber, sie in der sonst einsamen Nachbarschaft zu haben. Benjamin Whitmore war ein alter Veteran und immer, wenn er den Arzt kurz antraf, dann hörte dieser haarsträubende Geschichten aus dem zweiten Weltkrieg. Der 86-jährige Pensionist hatte außer seiner neun Jahre jüngeren Ehefrau keinen anderen zu quatschen und so nützte er jede Gelegenheit aus, jemanden seine unvergesslichen Erlebnisse an der Front zu erzählen. Ansonsten würde er nur vor sich her sinnieren und die in seinen Glatzkopf eingebrannten Bilder selber verarbeiten müssen. Die Frau, Marie Sophie Whitmore, hatte Conroy schon länger nicht mehr gesehen. Meistens saß sie vor dem Fernseher und ließ sich von sinnlosen Werbesendungen und ähnlichem berieseln. Die Erlebnisse ihres Mannes während des Krieges hat sie sich schon so oft anhören müssen! , sodass sie sie kaum mehr hören konnte. Oft ignorierte sie einfach Benjamin, der daraufhin meistens trotzig das Zimmer Richtung Vorgarten verließ, nach anderen ,Opfern' Ausschau haltend. Oft lag dann ,Willie', der alte Kater, faul neben ihm und ließ sich von ihm kraulen. Obwohl er nicht gerade wenig auf die Waage brachte, war er unwahrscheinlich flink, wenn er etwas zum Fressen wahrnahm, egal ob es eine Dose Katzenfutter oder eine kleine schmackhafte Maus war. Dr. Steve Conroy fand dieses Verhalten echt faszinierend und musste oft schmunzeln, wenn er den sonst oft ziemlich behäbigen Kater plötzlich wie von einer Tarantel gestochen ins Haus flitzen sah, wenn Frauchen wieder einmal etwas Leckeres in den Teller gegeben hatte. Ja, Mrs. Whitmore war scheinbar nur noch zu ihrem Haustier so etwas wie nett, zwischen ihr und Benjamin flogen oft die Fetzen, nicht nur wegen seinen nervenden Geschichten. Er tat dem Arzt sowieso leid, da er mit Marie Sophie keine gute Wahl getroffen hatte. Sie konnte noch um einiges nervender sein als alle von seinen Erzählungen zusammen, aber Conroy konnte auf beides getrost verzichten. Er war in all den Jahren ihnen so gut es ging ausgewichen, und das hat er für die richtige Entscheidung gehalten. Aber nun, nur dieses eine Mal, sollten sie ihm helfen, mussten ihn in ihr Haus lassen.Langsam humpelte der Mann durchs Grün, leise vor sich fluchend. Doch er hatte seinen Überlebensgeist wieder aktiviert. Er wusste, wenn er bei Paul Sylka geblieben wäre, hätte er den Sonnenaufgang wohl nicht mehr erlebt. Steve Conroy würde ihn auch nicht mehr erleben. Doch das konnte der arme Mann nicht wissen. Tapfer nahm er den Weg hinüber zum Grundstück der Whitmores in Angriff. Bei jedem Schritt zuckten seine Füße unter den Schmerzen zusammen. Er musste es schaffen. Doch seine letzte Hoffnung verschwand sogleich und wechselte in blankes Entsetzen hinüber. Knapp hinter ihm ertönte eine gereizte Stimme. "Doktor, Doktor. Was soll denn das? Einfach von ihrer Arbeit abhauen." Paul Sylka musste keinen Mete! r von ihm entfernt stehen. Mit seiner Knöchelverletzung, da war sich der Arzt sicher, konnte er nie entkommen. Er hatte es gewusst. Es wäre auch zuviel verlangt gewesen, dass er, Steve Conroy, ohne Probleme fliehen konnte. Egal, wie es Sylka bemerkt hatte, es war nun sowieso alles vorbei. Mit einem letzten Aufbäumen versuchte Conroy schneller vorwärts zu humpeln, irgendwie doch das rettende Ufer erreichen zu können. Aber der Haifisch in Gestalt des Serienmörders war dicht hinter ihm. Er konnte seinen kalten Atem auf seinem Nacken spüren. Ja, keine zwanzig Meter mehr. Der Arzt musste die Zähne bei jeder Bewegung fest zusammenbeißen, an ein gutes Ende dieser Nacht glauben. Ein harter Tritt gegen die wunde Stelle ließ ihn laut aufschreien. Conroy fiel ins Gras und hielt sich seinen Knöchel. Scheiße! Du verdammter Mistkerl! Sylka beugte sich über den Arzt, nahm seine Arme und zog in zurück zum Haus. Vor Angst unfähig um Hilfe zu schreien, musste Conroy mit ansehen, wie der Abstand zum Grundstück der Whitmores immer größer wurde."Lassen Sie mich los. Paul! Ich kann und will Ihnen nicht helfen. Tut mir leid! Bitte lassen Sie mich in Ruhe! Bitte."Doch Sylka ließ sich von seiner flehenden Stimme nicht beirren und packte ihn stattdessen fest um die Taille. "Stehen Sie gefälligst auf und kommen zurück ins Haus. Sie helfen mir..ja, sie werden mir helfen. Weil sonst." Der Mann im schwarzen Trenchcoat drängte den verletzten Mann zur Haustür hinein und schloss hinter ihnen fest die Tür. "So, zurück an die Arbeit, Doktor!" Grob stieß er Conroy zurück ins Bürozimmer und ließ ihn in den Bürosessel fallen. Mit einem tiefen Grunzen jammerte der Arzt vor sich hin. Er war so weit gekommen und doch so brutal gescheitert! Der Knöchel pochte und pochte. Er hielt die Schmerzen nicht mehr aus, doch noch mehr nagte die Todesangst an ihm. So wütend hatte er Sylka in den ganzen Jahren noch nie erlebt. "So, helfen Sie mir gefälligst, diese scheiß Anfälle in den Griff zu bekommen, Dr. Conroy!" "I-i-ich k-kann n-nicht, Paul!" Verzweife! lt ließ er seinen Blick vom Mann mit dem schwarzen Trenchcoat sinken und starrte stattdessen zu Boden. Er schämte sich für sein Verhalten, doch konnte er nichts mehr dagegen machen. Die Panik hat die Oberhand über ihn gewonnen, nun war alles zu spät. Er hatte seine Chance nicht nützen können. Jetzt war auch das Hintertürchen, durch das er sich noch retten können hätte, fest verschlossen. Game over! Conroy, du hast verloren! "Was heißt das, Sie können mir nicht helfen.wenn ich sage, Sie helfen mir, dann tun Sie's gefälligst! Verstanden?" Sylkas Gesicht färbte sich dunkelrot vor Wut, seine Stimme wurde immer schriller und wütender. Das war zuviel für Conroy. Die Tränen kamen über ihn und zwangen ihn zum Heulen. Er hatte es versucht zu unterdrücken, doch in so einer aussichtslosen Lage war es dem Arzt schon egal. Nun ließ er seinen Ängsten freien Lauf. Es war ihm nichts mehr peinlich. Das waren seine momentanen Gefühle, so beschissen sie auch waren. "Hören Sie verdammt auf damit!" Sylka war erzürnt über diesen Gefühlsausbruch. "Sie helfen mir jetzt, oder." ".o-oder w-w-was." Conroy selbst war am meisten über diese kecke Antwort von ihm überrascht. Und gleichzeitig wusste er, dass er damit endgültig sein Todesurteil eingeläutet hat. Was dann geschah, ging so schnell, dass Dr. Steve Conroy es überhaupt richtig mitbekam. Das Letzte, was er richtig spürte, war das Jagdmesser, welches Sylka ihm voller rasender Wut ins Herz bohrte. Dann herrschte nur noch Dunkelheit und Stille.

kurz vor 8:45

"Und es gibt wirklich keinen Zweifel?" Inspektor Dumont schaute den Gerichtsmediziner hoffnungsvoll an. Mit großer Wahrscheinlichkeit war sein Verdacht richtig gewesen. Kein Wunder, dass sie Ramon Hernandez bisher nicht auffinden konnten. "Nein, kein Zweifel. Ein Goldzahn verriet endgültig die Identität des Mannes. Mr. Dumont, Kompliment. Gut kombiniert. Aber trotzdem hätte ich eine Frage.wie kam Ramon Hernandez' Leiche in Paul Sylkas Grab?" "ja, über diese Frage zermartere ich mir schon die letzten Minuten den Kopf. Doch dieses Wie scheint momentan sowieso zweitrangig. Wir können jetzt mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass dieser Sylka doch noch lebt und er für die Morde verantwortlich war. Und das heißt, wir können jetzt eine richtige Fahndung einleiten. Das Problem ist nur, dass wir noch immer nicht genau wissen, wie dieser Mistkerl aussieht. Kein Foto von ihm aufzutreiben, kein Computer der Polizei beinhaltet eine Aufnahme, obwohl es mehrere davon geben sollte. Aber wir sind wenigstens schon ein Stückchen weiter." "Haben Sie schon bei den Arbeitsstellen von Sylka nachgefragt. Vielleicht konnte es dieser Typ irgendwie schaffen, alle Fotos auf den Festplatten zu entfernen, doch es könnte ja sein, dass noch irgendwo ein Bild von ihm umherliegt." Dr. Patterson sah den Ermittler hilfsbereit an. Ihm selber ging dieser Fall ziemlich nahe. Obwohl er doch schon einige Leichen untersuchen müssen hat, war er noch nie mit einer solchen Kaltblütigkeit wie in diesen Mordfällen konfrontiert worden. Irgendwie hoffte er, dass sein Ratschlag Dumont helfen würde. Und er sollte es schließlich auch. "Eine gute Idee, Doktor. Werde sofort Warwick damit beauftragen. Wenn wir Glück haben, können wir wirklich bald ein echtes Fahndungsfoto vorweisen können. Mit seinem Handy verließ er kurz den Untersuchungsraum und kam kurz darauf wieder herein. "So, jetzt zeigen Sie mir die Leiche des Polizisten." "Sicher, kommen Sie!"

Was kann ich nur tun? Einfach herumsitzen hilft auch nicht. Diana Hawkins ließ ihren Blick Richtung Wohnzimmercouch schweifen, auf dem ein Polizist Platz genommen hatte und gerade frischen Orangensaft trank. Vor der Wohnungstür war ein zweiter in Wachposition. Und auch wenn sie jetzt nicht mehr alleine war, fühlte sich Diana trotzdem nicht richtig wohl. Sie wollte nicht einfach warten, was sich entwickeln würde. Unruhig lief sie zwischen den Räumen auf und ab. Wegen ihrer Nervosität waren schon alle ihre Fingernägel angekaut worden. Sie hielt es nicht aus, so tatenlos herumzuschleichen. Denk' nach, Diana, denk' nach! Was könnte sie zur schnellen Ermittlung mithelfen? Und dann schoss es ihr ein. Warum war sie denn nicht schon viel früher darauf gekommen? Voller neuer Hoffnung suchte sie schnell ihr Handy. Es gab etwas Wichtiges zu tun.

Andre Dumont musste tief durchatmen, nachdem er den toten Körper von Peter Jenkins mit allen Einzelheiten erklärt bekommen hat. Dieser Kerl musste einen echt grässlichen Todeskampf geführt haben. Wenigstens hatte es Warwick in Rekordzeit geschafft, mit ,CHEVROLET TEXAS', der letzten Arbeitsstelle von Sylka, Kontakt aufzunehmen und tatsächlich ein Foto von ihm auftreiben können. Es gab zwar kein Einzelbild von ihm mehr, obwohl der Leiter der Firma geglaubt hat, auch solche Exemplare zu besitzen, doch auf einem Gruppenfoto der Angestellten ist er gut zu erkennen. Der Mann ließ die Aufnahme gerade ins Revier faxen. Endlich ein echter Fortschritt. Nun konnte die Fahndung endlich erfolgen. Leider wusste er trotzdem noch immer nicht, wo sie zu suchen beginnen sollten. Nur eines war ihm klar: es musste schnell voran gehen. Diana war in höchster Ge fahr.MiteinemfestenHandschlagverabschiedeteersichvonDr.PattersonundwandertedenkühlenGanghinunterRichtungAusgang.AlserdasGebäudeverließ,blendeteihndieaufgehendeSommersonne.EswürdeeinverdammtwarmerTagwerden.DerInspektorsetztesichinseinAutoundwolltegeradedasFahrzeuginGangbringen,alsseinHandyzupiepsenbegann.EinBlickaufdemDisplayentnahmer,dassesDianawar.Irgendetwaswolltesieihmdringendmitteilen.br
"So, dann gehen wir's an!" Mit den wie üblich flinken Fingerbewegungen wurde auf der Tastatur herumgeschlagen. Andre konnte ihren Befehlen gar nicht folgen, so schnell und präzise gab sie Diana Hawkins in den Polizeicomputer ein. Einer der Beamten, die sie beschützten, fuhr sie zum Revier, wo sie dann mit Andre zusammentraf. Sie hatte in den ganzen Momenten der Angst und den Gefühlsschwankungen total auf das Wesentliche vergessen, nämlich das der Mörder zwar ein angst einflössendes Mail geschickt hat, doch trotzdem einen Fehler begangen hat. Nun ließ sich herausfinden, von wo er die Nachricht gesendet hat. Die erste Kontrolle gab Diana echte Hoffnung, bald diesen Sylka fassen zu können. Nämlich die IP - Adresse dieses Mails war eine ganz andere als bei den Mails, die Susan Thompson von ihm bekommen hatte. Das hieß, dass dieser Brief nicht vom ,Cool Spirit' aus geschrieben worden war. Dieses Mal war es eine Privatadresse. Scheinbar hatte dieser Schweinehund das erste Mal einen groben Fehler begangen. Nun hatten die Ermittler eine wirklich große Chance, den Täter zu schnappen. "Okay, das Mail ist von einem Computer mit einem 56k-Modem gesendet worden. Das kann ich an der Nummer erkennen. Außerdem befindet sich dieser Server wieder in Arlington selbst. Nun checke ich seine E-Mail-Adresse. Schließlich musste er beim Anmelden Name und Adresse angeben. Auch wenn ich glaube, dass er nicht die echten Daten verraten hat. Trotzdem machte sich Diana weiter an die Arbeit und konnte schon wenige Minuten später das Ergebnis vorweisen. "Also, Andre, seine gemeldete Adresse lautet: Brownwood Hills 56. Außerdem hat er sich unter dem Namen ,Ramon Hernandez' registriert. Ein echt gerissener Kerl!" "Danke, Diana!" Dumont gab seiner Freundin einen sanften Kuss auf ihre Lippen. Er strich ihr verliebt durch ihr Haar und verließ dann ihr Büro auf dem Weg zu Direktor Payton. Jetzt würde der große Gegenangriff gestartet werden. Doch Andre sollte gleich wieder mit einem aktuellen Ereignis konfrontiert werden. Gerade war Payton übe! r den Tod von Dr. Steve Gerome Conroy informiert worden.

Wie konnte es nur soweit kommen? Wie? Der Mann im schwarzen Trenchcoat rannte verwirrt durch seine Behausung, konnte die frühsten Erlebnisse einfach nicht aus seinem Kopf verdrängen. Mit Conroy hat er den wohl einzigen Menschen, der ihn unterstützen können hätte, umgebracht. Nein, er hätte mir nicht geholfen, er konnte es nicht, das hat er selber gesagt. Darum ist es allein seine Schuld! Er wollte es so haben! Bildfetzen rasten durch seinen Kopf. Wie er erst zum Einstechen aufgehört hat, als der Schlafanzug des Arztes schon so rot war, sodass man die eigentliche Farbe nicht mehr erkennen konnte. Wie er wieder hysterisch zu lachen begonnen hat. Wie er den blutigen Körper des Psychiaters einfach im Bürosessel liegen ließ und mit seinem Wagen das Weite gesucht hat. Hätte er ihm einfach seine Bitte erfüllt, alles wäre gut geworden, doch nun war es sowieso schon egal. Sylka musste stark sein, es hing viel davon ab. Verdammt viel stand auf dem Spiel, Diana wartete sicher schon darauf zu seiner Rose zu werden. Er musste die nächsten Schritte nun konsequenter und vorsichtiger angehen. Nur so konnte er sie bald in seine Arme schließen. Nun was seine gelegentlichen Anfälle anging: er musste sie unterdrücken, solange, bis er mit seiner Mission erfolgreich war. Wenn ihm schon keiner helfen wollte, dann musste er sich halt wieder selbst helfen. Wie schon immer in seinem so beschissenen Leben. Dr. Conroy zurücklassend, wandte sich Paul Sylka wieder anderen Gedanken zu, wichtigeren Dingen. Er war sich sicher, dass die clevere Polizistin schon herausgefunden hatte, von wo er ihr das Mail geschickt hatte. So konnte es nur noch wenige Stunden dauern, bis eine Spezialeinheit die Zimmer rund um ihn stürmen würden. Doch es war sowieso schon alles für einen Ortswechsel vorbereitet. Auf der anderen Seite der Stadt hat er schon ein neues gemütliches Plätzchen ausgemacht, in dem er weiter seinen Interessen nachgehen konnte. Jetzt ging es nur noch darum alles für den heutigen Tag vorzubereiten. An diesem schönen Donnerstag könnte! er endlich Diana beehren und dann würde sie ihm endlich gehören. Aber vor dem Vergnügen musste er noch etwas Wichtiges erledigen. Mit einem nichts Gutes verheißendem Grinsen wandte sich Sylka einem großen Karton zu, dessen Inhalt er zufrieden begutachtete. Heute würde ein verdammt heißer Tag werden, da war er sich sicher.

"Das ist Paul Sylka! So sieht der Mistkerl aus, mit dem wir es hier zu tun haben!" Director Edward Payton reichte Andre das Fax, welches er wenige Minuten zuvor bekommen hatte. Als Briefkopf stand in geschwungenen Lettern der Name der Firma, ,Chevrolet Texas'. Darunter war ein großes Gruppenfoto von mehr als vierzig Arbeitern zu sehen. Mit einem roten Stift hatte der Firmenleiter die Person eingekreist, welche die Polizei vorwiegend interessierte. Paul Sylka stand in der dritten Reihe, hatte geschickt versucht, sein Gesicht so gut es ging, hinter seinem Vordermann verstecken zu können, doch dieses Unterfangen war ihm mehr oder weniger missglückt. Der gesamte Kopf war gut zu erkennen. Das bist du also! Du verdammte Schweinehund! Dumont spürte einen großen Ekel vor der markierten Gestalt auf der Aufnahme. Paul Sylka war ein wirklich unattraktiver Typ, hatte eine halbe Glatze und ein extrem blasses Gesicht. Starke Augenringe machten sein Aussehen noch unangenehmerer. Schwulstige Lippen, unreine Haut und Fliegerohren bildeten den Rest. Doch das Detail, welches Dumont am meisten frösteln ließ, obwohl es schon am frühen Vormittag warme 23o Celsius auf dem Thermometer anzeigte, waren Sylkas Augen. Besser gesagt, das Dunkle, das Böse darin. Obwohl es sich nur um ein Foto handelte, konnte der Inspektor das Grausame, Unberechenbare in diesem Mann sehen. Diese dunklen Pupillen, die wie Löcher aussahen. Langsam gab er den Zettel wieder retour an seinen Chef, nach immer einer leichten Gänsehaut verspürend. "Und dieser Mann hat vermutlich schon wieder zugeschlagen!" "Was?" Dumont konnte es nicht fassen. Langsam geriet diese ganze Sache für Sylka außer Kontrolle. Die Leichen häuften sich mit jeder Sekunde, in deren die Ermittler nicht weiter kamen. "Wer.?" Doch Andre wollte es gar nicht wissen. Schockiert malte er sich schon ein armes Mädchen aus, welches arg zugerichtet irgendwo lag, mit einer Rose auf dem nicht mehr schlagendem Herz. "Bei dem Opfer handelt es sich um einen gewissen Dr. Steve Conroy. Der gesuchte Wage! n wurde vor seiner Villa gesehen, genau zur Tatzeit." Den letzten Teil hatte der Inspektor gar nicht mehr mitbekommen. "Dr. Steve Gerome Conroy?" "Ja, kennen Sie ihn, Dumont?" Director Payton sah seinen Ermittler mit großen Augen an. "Und ob ich ihn kenne."

Es war kurz nach 11 Uhr, als Paul Sylka in den gestohlenen Honda Civic stieg und damit endgültig seine Behausung in den Brownwood Hills hinter sich ließ. Noch einem in den Rückspiegel blickend bog er schließlich rechts ab und war kurz darauf mit seinem neuen Untersatz verschwunden.

"Director Payton?" "Ja, Carol?" Die Mitarbeiterin von der Verwaltung beugte sich mit ihrem Kopf in den Raum herein. "Ich soll Ihnen ausrichten, dass vor dem überprüften Haus ein blauer Ford steht. Es handelt sich dabei um den gesuchten Wagen." "Schluckend lehnte sich Payton in den gemütlichen Bürosessel zurück und bedankte sich kurz angebunden bei der jungen Frau. Nachdem die wieder die Bürotür geschlossen hat, wandte er sich wieder an Dumont. "Sie haben's gehört.es scheint, dass wir endlich auf der richtigen Spur sind.ich lasse sofort ein Spezialteam von Carson anordern.heute machen wir diesem Typen den Gar aus!" "Der Inspektor nickte zustimmend, auch wenn er beim Namen seines früheren Vorgesetzten kurz zusammenzuckte. Seine Gedanken liefen auf Hochtouren. Wie er Paytons Bericht noch einmal Revue passieren ließ, wurde ihm schlecht. Dieser Arzt von der Psychiatrischen Heilanstalt in Dallas war die vergangene Nacht richtig abgeschlachtete worden. Die ersten Untersuchungen ergaben, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um dasselbe Mordwerkzeug handelte wie bei den anderen Opfern vor ihm. Das Besondere war, dass sich Sylka, und Dumont war sich sicher, dass ER der Mörder von Conroy war, bei dieser Tat ganz anders verhalten halte als sonst. Er hatte sich nicht auf präzise Stiche ins Herz beschränkt, sondern scheinbar seinen Gefühlen förmlich freien Lauf gelassen. Der Inspektor konnte nur erahnen, was diesen Wahnsinnigen zu dieser übertriebenen Brutalität getrieben hat. Andererseits wollte er es gar nicht wissen. Nur eins schwor er sich für diesen schönen Maitag. Paul Sylka, heute bekommen wir dich, du wirst keinem mehr Schmerzen zufügen.

Keine zwei Stunden später hielten zwei schwarze Vans der Spezialeinheit Dallas vor dem Polizeigebäude. Neun vermummte Männer und ihr saßen darin, für ihren nächsten Einsatz gewappnet. Payton und Dumont traten heraus und wurden gleich vom Einsatzleiter, Tom ,The Snake' Wilkie, in Empfang genommen. Wilkie war schon seit über sechs Jahren der Befehlshaber dieser Truppe und er konnte mit Stolz behaupten, dass bisher jeder Einsatz so glimpflich wie möglich bewältigt worden ist. Zwar war der Überraschungsangriff ein paar Mal schon zu spät gekommen und man musste Todesopfer beklagen, doch im Allgemeinen war der Sunnyboy für seinen geradlinigen Weg bekannt. Er bestand darauf, jede Mission so schnell und kompromisslos wie möglich über die Bühne zu bringen, aber immer darauf achtend keine unschuldigen Zivilisten einzubeziehen. Und so konnte er schon auf einige Auszeichnungen zurückblicken, die er mit seiner Truppe für außerordentliche Leistungen überreicht bekommen hat. Auch dieses Mal war er gewillt, alles zu unternehmen, um diesen Auftrag zu 100% erfolgreich abschließen zu können. Mit einem aufgesetzten Lächeln reichte Wilkie seinen Kollegen aus Arlington die Hand. Die beiden schilderten ihm noch einmal die vergangenen Ereignisse. Zustimmend nickte er. Es war richtig gewesen, mehr Männer für diese Sache anzusetzen. Bei so einem gefährlichen Mörder durfte man sich keinen Fehler erlauben und so eine Chance, ihn zu schnappen, würde nicht so schnell wieder kommen. "Kann ich auch mit?" Dumont sah den gebräunten Mann überzeugt an, war für das erste Zusammentreffen mit Paul Sylka bereit. Zuerst war Wilkie nicht gerade begeistert. "Hören Sie zu! Wegen diesem Mistkerl sind innerhalb der letzten fünf Tage ebenso viele unschuldige Menschen gestorben. Ich will dieser Bestie endlich tief in seine bösen Augen schauen können und ihm meine Meinung geigen. Heute muss er geschnappt werden, nur dann werde ich endlich wieder besser schlafen können. Und damit spreche ich im Namen der ganzen Stadt. Bitte lassen Sie mich mitfahren. Ic! h will Sylka sehen, wenn ihr ihn überwältigt!" Tom Wilkie musterte den Inspektor, ließ seinen prüfenden Blick zum Leiter dieses Reviers schweifen. Edward Payton nickte kurz. Das genügte Wilkie. Mit einer schnellen Handbewegung deutete dem Ermittler mit ihm mitzukommen.
Schlussendlich fuhren die Fahrzeuge um 13:26 mit Andre Dumont an Bord los, Zielort Brownwood Hills.

Es war 13:47, als Dumont auf seine Armbanduhr sah und kurz darauf das Straßenschild erblickte. Während der Fahrt war er mit einer schutzsicheren Weste und einem Helm ausgerüstet worden, sodass er so gut es ging geschützt war vor Angriffen des Täters. Außerdem hat er sich seine Dienstwaffe mitgenommen. Seltsam, dachte er, ich habe sie bis jetzt nie benötigt. Um in Übung zu bleiben, feuerte er jeden zweiten Montag im Monat auf die Übungswände im Polizeirevier. Doch wenn er heute wirklich abdrücken musste, dann war das etwas ganz anderes. Sicher, man lernte es in der Polizeischule, in Stresssituationen ruhig zu bleiben und mit gezielten Schüssen den Gegner lahm legen zu können, doch eigentlich konnte sich Andre Dumont nicht einschätzen, wie er auf ein Zusammentreffen mit Paul Sylka reagieren würde. Und davor hatte er Angst. Angst vor seinen dann hochkommenden Gefühlen. Konzentriert blickte er aus dem Seitenfenster. Nun endlich würde dieser Alptraum bald ein Ende haben. Die Fahrer hielten hinter dem Häuserblock. Es war Zeit für die letzten Instruktionen. Nichts durfte schief gehen. Jede Sekunde wurde geplant, die Vorgehensweise Dann gab Wilkie das Zeichen für den Frontalangriff. Auf seinen Befehl hin gaben beide Lenker der Vans wieder Vollgas und bogen in die Siedlung ein. Die Brownwood Hills gehörten zu den schäbigsten Flecken von Arlington. Die Häuser waren allesamt mehr oder weniger Bruchbuden. Die meisten der Gemäuer standen schon seit mehreren Jahrzehnten da, nie nachgebessert oder renoviert. Dieses Viertel war das Zuhause der weniger glücklichen Menschen dieser Stadt. Doch Dumont kam nicht viel zum Nachdenken, mit einer plötzlichen Bremsung kamen die Fahrzeuge zum Stillstand. Man war am Ziel. Vor ihnen stand die Behausung von Paul Sylka, davor parkte der alte rostende blaue Ford. Das Haus, wenn man es so nennen konnte, war in verheerendem Zustand. Es war sicher schon einige Zeit leer gestanden, bis Sylka es für sein Versteck auserwählt hat. Überall bröckelte schon der Putz von den Wänden, das Dach sah ! mehr oder minder einsturzgefährdet aus und im Vorgarten herrschte das Chaos. Autoreifen, stapelten sich in der angebrannten Wiese, außerdem waren an der Hauswand entlang Schachteln, Bretter und Rohre zu einem großen Haufen aufgestapelt worden. Das kleine Grundstück war auf beiden Seiten mit hohen verwilderten Hecken abgegrenzt. Also hier hast du deine perversen Pläne geschmiedet. Andre Dumont verspürte schon jetzt eine Riesenwut in sich und musste sich im Zaum halten. Langsam wurden die Türen geöffnet. In der Luft lag ein fauliger Geruch. Sonst war niemand auf den Strassen zu sehen, nur ein kaputtes Kinderfahrrad lag auf der anderen Straßenseite. Aufs Kommando von ,The Snake' wurden stürmisch die Türen schließlich ganz aufgerissen und die Männer der Spezialeinheit umzingelten mit scharfen M-16-Maschinengewehren bewaffnet in Eiltempo das Haus. Auch Dumont rannte los und ging hinter der Hecke in Deckung. Tom Wilkie blieb bei ihm und gab über das Funkgerät Befehle an seine Leute. Dann untersuchten die beiden den Wagen des Mörders. Das Fahrzeug wat total leer geräumt worden, kein Anzeichen auf Sylka. Etwas mürrisch blieb Dumont auf dem Beifahrersitz sitzen, starrte das Armaturenbrett an und seufzte. Dieser Paul Sylka war wirklich überall sehr vorsichtig vorgegangen. Wenn Diana nicht die Idee mit dieser Internet-Sache gekommen wäre, womöglich hätten sie ihn noch länger nicht gekriegt. Sylka war dieses eine Mal ungenau gewesen und hatte der Polizei dafür eine große Hilfe erwiesen. Danke! Nach wenigen Minuten hatten die Männer das Grundstück gesichert und wandten sich nun der Haustür zu. "Laut meinem Team der einzige Weg ins beziehungsweise aus dem Haus.also.LOS!!!" Wilkie und Dumont verließen ihren Platz bei der Rostlaube und stürmten im Schutz der Hecken zum Haus hinüber. Vor der Tür blieben sie stehen und empfingen neue Informationen. "Das ganze Haus scheint leer zu sein, in den bisher untersuchten Räumen ist kein einziger Gegenstand zu finden. Ganz zu schweigen von Paul Sylka!" "Vorwärts, Dumont, leisten wi! r den anderen Gesellschaft!" Der Einsatzleiter winkte Andre heran, zusammen betraten sie das Haus. Wow, Sylka, ein nettes Versteck hast du dir da ausgesucht.passt richtig zu dir.Was Andre Dumont auf dem ersten Blick auffiel, war, dass das Haus von innen einen noch erbärmlicheren Eindruck als von außen hinterließ. Tapetenreste hingen von der Wand oder lagen wild auf dem Boden herum. Die morschen Holzbretter unter ihren Füssen krachten bei jedem Schritt der Männer. Vorsichtig schlichen sie zu der ersten Gruppe der Einheit, die im Erdgeschoss Stellung bezogen hat. "Die anderen sind schon die Treppen hinauf gegangen!" "Gut!" Wilkie nickte dem Mann zu. "Ihr bliebt hier unten und passt auf. Der Inspektor und ich werden auch mal einen Blick in den ersten Stock werfen. Kommen Sie, Dumont!" Stufe für Stufe näherten sie sich den oberen Räumen. Auch wenn die beiden sehr darauf achteten so leise wie möglich zu sein, knirschte jedes Treppenstück, welches sie betraten, erbärmlich und unangenehm. ".ah,.ich vernehme ein Summen aus dem Raum vor uns.wir werden mal nachsehen!" "Ok, aber seid vorsichtig!" Wilkie sah Andre gespannt an. Was werden die Leute da oben finden? In der Mitte der Treppe ausharrend, fing Dumont an zu grübeln. Irgendetwas war hier nicht richtig. Plötzlich ging alles zu leicht. Warum hatte sich Sylka überhaupt mit der echten Adresse im Internet registriert und warum hatte er gerade von hier das Mail an Diana geschickt? Wenn er schon überall so vorsichtig agiert hatte, warum machte er plötzlich solche Fehler? Und er hat ja auch verräterische Spuren bei Diana hinterlassen.oh Gott.Das war alles eine Falle! Sylka wollte, dass wir sein Versteck finden. Doch Andre Dumont kam nicht mehr dazu, Tom Wilkie von seinem Verdacht zu erzählen. Als einer der Einsatzkräfte die Tür des ominösen Raumes öffnete, wurde ein Signal ausgelöst. Sekundenbruchteile später flog das gesamte Obergeschoß in die Luft.












9.SCHMERZEN


"Möchten Sie auch einen Kaffee, Officer?" Die attraktive Frau richtete ihren beunruhigten Blick auf den Polizisten, der neben ihr auf einem Stuhl Platz genommen hat. Auf das dankbare Nicken des Mannes hin stand Diana Hawkins auf und verschwand sogleich in ihrer Küche. Nachdem sie bei der Aufklärung des vermuteten Unterschlupfes Sylkas mithelfen konnte, war sie bereit wieder in ihre Wohnung gefahren zu werden. Obwohl die Ermittlungen durch die neuesten Spuren eine rasante Wendung genommen hatten und nun die große Chance bestand den Rosenmörder endlich zu fassen, war Diana noch total aufgewühlt. Es wäre einfach zu schön, wenn dieser Alptraum ein schnelles Ende finden würde. Einfach schon zu viele unschuldige Opfer, die weder einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren beziehungsweise einfach als nächstes Opfer ausgesucht wurden. Wie kann so ein Mistkerl einfach so brutal mit dem wertvollsten Gut umgehen, dem Leben? Aber er würde bald die gerechte Strafe für all seine Taten bekommen und Diana würde jeden Augenblick daran genießen. Paul Sylka hat ihren Verstand durcheinander gebracht, ihr Todesangst eingejagt und es soweit gehen lassen, dass die junge Frau nun sogar Polizeischutz bekam. Aber vor allem drehten sich ihre Gedanken im Moment fast nur um ihren Kollegen, den Mann, den sie liebte. Andre, hoffentlich passiert dir nichts. Komm bald wieder zu mir zurück, ich brauche dich! Obwohl sie keine Möglichkeit hatte, Andre Dumont zu sehen, fiel ihr Blick trotzdem aus dem Küchenfenster. Die warme Sonne würde in den nächsten Stunden aber einem Sommergewitter Platz machen. Von Westen konnte man schon graue Wolken erkennen, die sich langsam der Stadt näherten. Doch Diana fiel diese Tatsache gar nicht auf. Stattdessen drehte sie sich wieder der Espressomaschine zu und verfiel wieder in ihre emotionsgeladenen und verwirrten Gedanken.

Nachdem die beiden Polizisten ihren Kaffee getrunken hatten, war Diana gerade dabei, die benützten Tassen in den Geschirrspüler einzuräumen, als der Officer vor der Tür schwere Schritte auf den Treppenstufen hörte. Sie kamen immer näher. Vorsichtshalber fasste der Mann, der Jeremy Watts hieß und schon seit sechs Jahren bei der Polizei von Arlington war, an den Halfter. Vielleicht bekam er das selbst kaum mit, aber von seinem Unterbewusstsein wurden solche Bewegungen schon instinktiv und automatisch gesteuert. Man musste immer auf der Hut sein. Neugierig blickte der junge Mann die Stufen hinab, doch er konnte noch nichts erkennen. Egal, wer hier heraufkam, er musste Diana Hawkins als Ziel haben, denn die zwei anderen Wohnungen dieser Etage standen leer. Das hatte die Polizei bereits gecheckt. Außer der jungen Frau und seinem Kollegen war er der Einzige in diesem Stockwerk. Wer wird nun also gleich ins Blickfeld kommen? Seine rechte Hand fasste fester um den Halfter. Dann kam eine Gestalt in mittelblauer Jacke und schwarzer Hose und einer ebenso mittelblauen Kappe tragend die Treppe herauf. Um seine Schulter hing ein großer brauner Lederbeutel, gefüllt mit Dutzenden von Briefen. Auf dem Beutel stand in gelben Lettern groß ,Post' geschrieben. Etwas erleichtert ließ der Polizist seine Hand wieder sinken. Es war nur ein Briefträger. Langsam schritt der Mann in Blau die letzten Stufen hinauf, seinen Blick auf den Boden gerichtet. Erst als seine Füße auf den Fliesenboden traten, warf er Watts einen unschuldigen Blick zu. Wie sollte er auch wissen, warum diese Frau in der Wohnung Polizeischutzbenötigte? "'tschuldigung, ich hätte zwei Briefe für Ms. Hawkins.ist sie zu Hause?" Jeremy Watts registrierte einen leicht besorgten Blick des Briefträgers, scheinbar war wirklich etwas verwirrt über den Mann in Uniform vor sich. ".kein Problem, geben Sie sie einfach mir. Ich werde sie dann an Ms. Hawkins weitergeben." "Ok, wenn sie meinen.warten sie." Der Mann ließ den Beutel zu Boden sinken und kramte darin herum. Schließ! lich zog er zwei Kuverte und ein kleines Päckchen heraus. ".ah, das gehört auch noch.Ms. Hawkins." Mit schüchternen Schritten näherte der Briefträger sich dem stämmigen Polizisten, der breit vor der Tür stand. "Hier!" Er reichte Jeremy Watts Dianas Post. Dieser bedankte sich freundlich bei dem Postmann. Was dann in den folgenden Sekundenbruchteilen geschehen sollte, bekam der junge Polizist gar nicht mehr richtig mit. Auf jeden Fall griff der Mann in Blau ein weiteres Mal in den Beutel, zog etwas heraus und rammte dieses Etwas dem verdutzten Polizisten in den Bauch. Brutal wurde dann dieses Etwas, welches sich als Jagdmesser herausstellte, wieder aus der stark blutenden Wunde gezogen. Röchelnd und kein Wort von seinen Lippen bringend musste Jeremy Watts miterleben, wie er vom Briefträger zum Geländer gezerrt wurde. Das nächste und zugleich das Letzte, was er anschließend deutlich spüren würde, war der Aufprall auf dem harten Marmorboden im Erdgeschoß. Der Polizist war auf der Stelle tot. Mit einem zufriedenen Lächeln sah der Briefträger, der in Wirklichkeit gar keiner war, noch einmal zu der Leiche hinunter. Der wirkliche Postbeamte lag tot im Kofferraum seines Wagens. Beim Weg zur Arbeit war er von seinem Mörder überrascht worden. Dieser wandte sich der Wohnungstür zu. Das klebrige Blut, welches auf dem scharfen Messer klebte, wurde von ihm beilaüfig mit einem Tuch abgewischt. Dann klopfte Paul Sylka zweimal kurz an die Tür.

Mit starken Schmerzen bewegte Andre Dumont seinen Kopf nach rechts, mit seinen Augen suchte er nach Tom Wilkie, doch der starke Rauch machte dieses Unterfangen unmöglich. Langsam versuchte der Inspektor seinen rechten Arm zu heben, doch sofort ließ er ihn mit einem unterdrückten Fluchen wieder niedersinken. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hatte er sich die Hand gebrochen. Was war passiert? Dieser Dreckskerl von Sylka muss Sprengsätze im ersten Stock platziert haben. Beim Aufmachen der Zimmertür, aus dessen Raum Geräusche gedrungen waren, musste die Explosion ausgelöst worden sein. Alle waren in seine feige Falle getappt. Paul Sylka machte keine Fehler, außer er machte sie absichtlich. Andre Dumont musste sich fürchterlich ärgern. Warum war er so blind gewesen, hatte die Gefahr nicht kommen sehen? Er hätte es wissen müssen, dass dieser Mörder es ihnen plötzlich nicht so einfach machen würde. Verdammt! Mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte er erneut etwas zu erkennen. Dann musste er stark husten. Es brannte fürchterlich in seinem Rachen. Der stickige Rauch und das in der Nähe qualmende Feuer würden bald dafür sorgen, dass Dumont ersticken würde. Außer er fände aus dem Gebäude heraus. "Wilkie?" Nur mit Mühe brachte er dieses Wort heraus, doch er erhielt keine Antwort. Noch einmal versuchte er es, doch erneut keine Antwort. Bitte, sag etwas, irgendwas. Mit zitternden Beinen richtete er sich langsam auf. Durch seinen linken Knöchel fuhr dabei ein starker Stich, der ihn fast wieder niederfallen ließ. Doch irgendwie konnte sich der Inspektor an etwas festhalten. Was es war, konnte er nicht einordnen. Doch er hatte eine böse Vorahnung. Langsam fuhr er mit seiner gesunden Hand über die besagte Fläche. Oh Gott, dieses Etwas, an dem er sich festgeklammert hatte, war eine menschliche Schulter. Das musste der Einsatzleiter sein. "Wilkie?" rief er noch einmal und dieses Mal glaubte er ein leises Stöhnen zu hören. Und dann hörte er ganz deutlich Stimmen von weiter unten. "Hört uns jemand? Wir kommen rauf!" "Hilfe!" Dumo! nts Schrei wurde durch den starken Rauch zwar gedämpft, doch sein Ruf wurde erhört. Schwaches Taschenlampenlicht drang durch das Dunkel. Kurz darauf wurde der Inspektor von drei Männern ins Freie getragen. Es handelte sich dabei um die Mitglieder der Spezialeinheit, die im ersten Stock Stellung bezogen hatten. Auch sie sahen leicht benommen aus, doch sie sollten noch am glimpflichsten davongekommen sein. Sachte wurde der Inspektor in die Wiese im sicheren Abstand zum brennenden Gebäude gelegt. Es dauerte einige Momente, bis er sich an das grelle Sonnenlicht gewohnt hatte. Verwirrt blickte er zum Haus hinüber, aus dessen Obergeschoß die Flammen schossen. Teile des Stockwerkes existierten gar nicht mehr, waren durch die Wucht der Detonation weggesprengt worden. Die ohnehin schon mehr als abrissreife Ruine hatte jetzt endgültig ausgesorgt. Und eines wurde dem Inspektor auch bewusst: jeder der Männer, die sich zum Zeitpunkt der Explosion im ersten Stock aufgehalten hatten, konnten unmöglich überlebt haben. Niemand wäre im Stande gewesen, sich so schnell nach unten retten zu können. Für fünf Leute der Spezialeinheit würde damit jede Hilfe zu spät kommen. Und was mit Wilkie war, da konnte er nur das Beste hoffen. Selbst hatte es ihn auch ärger erwischt, als er zunächst gedacht hatte. Sein rechter Arm schmerzte nicht nur wegen des womöglichen Bruchs, es bildeten sich bereits dicke Brandblasen auf der Hautoberfläche, vom Ellbogen abwärts bis zu den Fingeransätzen. Als er sich leicht mit der gesunden Hand übers Gesicht fuhr, musste er seine Zähen fest zusammenbeißen. Seine Wange hatte auch seinen Teil abbekommen und fing bereits an zu pochen und brennen. Oh Gott! Wie konnte es nur soweit kommen. Fassungslos starrte er in den Himmel hinauf, bis er von den Schreien der Männer aufgeschreckt wurde. Geschockt musste er mitansehen, wie Tom ,The Snake' Wilkie schwer verletzt und nur noch leise röchelnd aus dem Gebäude getragen wurde. Er sah noch viel ärger als Dumont aus. Da er sich zum verhängnisvollen Zeitpunkt einige! Stufen vor ihm befunden hat, musste ihn die Wucht die Treppe hinuntergeschleudert haben. Schließlich war er so ungünstig aufgekommen, dass er genau gegen das harte Eisengeländer geprallt war und sich dabei einige schwere Rippenbrüche eingeholt hatte. Es war tatsächlich Wilkie gewesen, bei dem Dumont Halt gefunden hatte, als er beinahe zusammengeknickt wäre. An den halb offenen Augen des Einsatzleiters konnte er genau ablesen, was nun in seinem Kopf vorging. Dieses Mal habe ich versagt, ich habe meine Männer ins Verderben geschickt. Wie konnte ich das tun? Schmerzvoll zuckte Wilkie bei einem heftigen Hustenanfall zusammen. Er schaffte es kaum sich zu beruhigen. Erst als er von den Männern etwas Wasser eingeflösst bekam, beruhigte sich sein Körper wieder etwas. Auch Dumont bekam etwas zu trinken. Die schweren Verletzungen wurden notdürftig behandelt. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Rettungswagen kam. Total ausgelaugt und schwer ramponiert drehte sich der Inspektor in der Wiese um und schloss seine müden Lider. Wie konnte es nur so weit kommen?

"Das ist meine kleine Tochter Marie und das mein elfjähriger Sohn Matthew,.und hier ist meine geliebte Frau Francine." Der liebevolle Familienvater zeigte Diana die Fotos seiner Liebsten. Dann steckte er die Aufnahmen wieder zurück in seine Uniform. "Sie bringen mir Glück, sorgen dafür, dass ich immer gesund nach Hause komme." Der Polizist sah die junge Frau neben sich schmunzelnd an, bekam von ihr ein verständnisvolles Lächeln zurückgeschenkt. Diana Hawkins war froh über die kurze Ablenkung, der Polizist Joseph Charleston war ein besserer Gesprächspartner, als man im ersten Moment annehmen sollte. Obwohl er ein stiller Typ war, wusste er vieles zu erzählen und hörte auch gerne zu. Da er wusste, was in dieser Frau vorgehen musste, versuchte er etwas auf andere Gedanken zu bringen, jedoch wissend, dass er das nicht schaffen konnte. Auch er war wirklich froh, wenn dieser Mörder endlich hinter Schloss und Riegel gebracht werden würde. Seit Paul Sylka in dieser Stadt als Wahnsinniger unterwegs war, hatte er jeden Tag Angst um seine Familie. Was wäre, wenn gerade seine wundervolle Frau das nächste Opfer werden würde. Nein, soweit durfte es nicht kommen. Hoffentlich konnte die Spezialeinheit diese Bestie schnappen, dann würde Arlington wieder das ruhige verschlafene Städtchen werden, welches es vorher war. Da war es kein Problem gewesen, einmal spätabends alleine nach Hause zu gehen. Jetzt konnte sogar ein kurzer Gang in den Garten schon zu gefährlich sein. Nein, lassen wir dieses Thema! Auch Charleston konnte diese haarsträubenden Szenarien nicht aus seinem Kopf bringen. Um wieder etwas entspannen zu können, richtete er seinen Zeigefinger Richtung Fenster. "Schauen Sie, wird heute noch so richtig krachen!" Obwohl Diana Hawkins nicht wirklich wissen wollte, was der Polizist neben ihr meinte, kam ihr ein gedankenloses "Ja, stimmt!" über ihre Lippen. Als Joseph Charleston merkte, dass sein gut gemeintes Ablenkungsmanöver fehlgeschlagen hat, konzentrierte er sich allein auf die herannahenden Gewitterwolken. Aus d! er Ferne wirkten sie bedrohlich und irgendwie unheimlich. Der Polizist hatte plötzlich das komische Gefühl, dass bald etwas Schreckliches passieren würde. Doch er schob diesen Angst einflössenden Gedanken gleich wieder beiseite und blickte wieder zu der hübschen Frau neben sich hinüber. Die sah total in Gedanken verloren auf eine Rose, die in einer geschwungenen Vase stand. Ja, Andre, wo bist du? Habt ihr ihn schon? Hoffentlich geht alles gut. Zwei kurze Klopfzeichen ließen die Blicke der beiden plötzlich fast synchron von ihren vorigen Stellen hinüber zur Tür schweifen. Es musste der zweite Polizist sein, vielleicht musste er schnell auf die Toilette. "Ich mach schon auf!" Joseph Charleston deutete Diana Hawkins sitzen zu bleiben und marschierte selbst zur Wohnungstür. "Jerry, was ist los?" Keine Antwort. "Jeremy, musst einmal für kleine Polizisten, oder was?" Mit einem freundlichen Grinsen auf seinen Lippen griff er langsam die Türklinke nach unten. Da er sich sicher war seinen lustigen Kollegen auf der anderen Seite der Tür vorzufinden, verzichtete er vorher durch den Spion zu schauen. Ein fataler Fehler.

"Bewegen Sie sich nicht! Gleich haben wir's geschafft!" Andre Dumont sah mitfühlend mit an, wie Tom Wilkie in den Krankenwagen gehoben wurde. Dann führte sein Blick zu weiteren Sanitätern, die gerade die dritte Leiche aus dem gelöschten Haus brachten. Aufgebahrt auf einer tragbaren Metallbahre und zugedeckt mit einer schwarzen Decke wurde er still und bedrückt auf der Wiese niedergestellt. In diesem Moment verließ der erste Rettungswagen mit Wilkie das Gelände, das laute Heulen der Sirene verklang erst, als der Wagen schon längst um die Ecke verschwunden war. Nun wurde er richtig verarztet. Seine Brandwunden wurden mit geschickten Bewegungen behandelt. Andre Dumont war kein weichlicher Mann, er hielt auch stärkere Schmerzen aus, wenn es sein musste, doch er spürte jetzt ganz deutlich, dass es auch ihn ziemlich übel erwischt hatte. Doch er war wenigstens noch am Leben und das war ja das Wichtigste. Aber warum? Warum wollte Sylka, dass wir hierher kommen? Was hatte diese Kranke damit bezweckt? Fünf unschuldige Männer haben in dieser dreckigen Bruchbude ihr Leben gelassen. Warum konnte dieser Sylka nicht einfach verrecken? Sein Leben wäre so schön, ohne ihn als Serienmörder. Diana und er könnten dann in Ruhe ihre frische Beziehung genießen,.ja, Diana.oh nein!" Fürchterliche Angst stand dem Inspektor plötzlich in den Augen geschrieben. Diana, sie war in Gefahr! Nun wollte Sylka seinen Plan vollenden. Ruckartig schnellte er in die Höhe, das erste freie Fahrzeug suchend. In diesen Momenten spürte er nicht einmal seine Schmerzen. Die, welchen gerade sein besorgtes Herz ausgeliefert war, waren ohnehin viel stärker. "Inspector, wo gehen Sie hin? Inspector Dumont?!" Doch der Gerufene ignorierte die Stimmen der Männer. Die Zähne zusammenbeißend, ließ er sich in den Fahrersitz des rostigen blauen Fords fallen. Zwar machte sich Andre kaum Hoffnungen, dass dieser Mistkerl seine Schlüssel im Wagen gelassen hatte. Doch ein Blick in das Handschuhfach hellte sein verbranntes Gesicht ein bisschen auf. Darin lag wirklich ei! n Schlüsselbund. Schnell war der richtige gefunden. Mit hüpfenden Bewegungen und lautem Krachen ließ der Inspektor mit Sylkas ehemaligem Gefährt die verdutzten Rettungssanitäter und Feuerwehrleute hinter sich. Mit seiner gesunden linken Hand lenkte er das Fahrzeug durch die Straßen, während er mit der geschienten und einbandagierten rechten versuchte Dianas Nummer aus dem Speicher seines Handys zu wählen. Erst im vierten Versuch gelang es ihm unter großen Schmerzen die Wähltaste zu betätigen.

"So, komm rein." Joseph Charleston hielt seinem vermeintlichen Kollegen bereitwillig die Tür auf, bis er schließlich merkte, dass es gar nicht Jeremy Watts war, der an die Tür geklopft hatte. Stattdessen stand ein Briefträger mitsamt blauer Uniform und Post in der einen Hand vor ihm, lächelte ihn komisch an. "Post für Ms. Hawkins!" In den folgenden Sekundenbruchteilen wurde dem Polizist klar, dass etwas nicht stimmte. Erstens, wo war sein Partner, und zweitens und dieser Punkt war noch beunruhigender, was waren die roten Flecken auf den Fliesen neben dem Geländer. Doch bevor er zu seiner Waffe greifen konnte, drängte ihn der ungebetene Besuch in die Wohnung hinein und rammte dem verdutzten Familienvater ein scharfes Messer, an dem noch etwas Blut klebte, mitten in die Brust. Nach Luft schnappend tastete Charleston nach seiner Dienstwaffe, doch Sylka war schneller und zog sie ihm aus dem Halfter. Mit einer ausholenden Bewegung warf er die Pistole hinaus über das Geländer. Kurz darauf schlug sie knapp neben der Leiche von Jeremy Watts auf dem Boden auf. "Diana, Diaannnaaa! Wo bist du?" Schnell verschloss Paul Sylka die Wohnungstür und suchte mit seinen Augen die ihm schon bekannten Räumlichkeiten ab. Keine Spur von seiner Rose. Aber er würde sie schon finden. Sie ist hier, ja, das ist sie. Doch bevor er sich auf die Suche machen konnte, wurde er von dem starken Polizisten zu Boden gerissen. Trotz seiner Stichverletzung hielt er wacker durch. Hätte er sich nicht rechtzeitig ein Stückchen weggedreht, wäre das Messer statt in die Brust weiter unten in seinen Oberkörper gedrungen und hätte dort schwerwiegendere Verletzungen anrichten können. Dieser Mistkerl! Verkleidet sich frech als Postler und versucht so an sein Opfer zu kommen. Sehr geschickt, doch es würde ihm nicht gelingen. Officer Charleston war sich dem sicher. Leider wurden seine Gefühle nicht erfüllt. Paul Sylka tastete mit seinen Händen nach seiner Waffe. Das Messer war beim Gegenangriff des Polizisten aus einer Hand geglitten und unter die Anricht! e der Garderobe gerutscht. Mit festen Fußtritten schaffte es der Mörder frei zu kommen, doch er konnte die Waffe mit seinen schmalen Fingern nicht erreichen. Scheiße! Verärgert begab sich der Mann in die Küche, aus der er wenige Momente danach wieder zurückkam. Sylka erstarrte. Der Polizist lag nicht mehr auf dem Boden. Diesen Augenblick nützte der sich hinter der Ecke versteckte Joseph Charleston zum nächsten Angriff. Mit einem gezielten Schlag wurde das Messer aus Sylkas Hand geschleudert. Klirrend blieb sie auf dem Boden liegen. Paul Sylka drehte sich geschockt um und wurde erneut vom tapferen Mann niedergerissen. Der Mörder knallte hart gegen die Wand. Laut stöhnte er auf. Es schien, als ob der Polizist die Oberhand gewonnen hatte, doch in diesem Augenblick erhaschte ein Objekt Sylkas Interesse. Es stand nur knapp einen Meter neben ihm. Wenn er seine Hände weit genug ausstrecken konnte, dann könnte er es erreichen. Der Officer ahnte, was Sylka vorhatte, doch bevor er den Feuerlöscher neben der Küchentür packen konnte, war ihm bereits sein Gegner zuvor gekommen. Daraufhin wurde er durch einen unbeschreiblich schmerzlichen Schlag aufs Gesicht niedergestoßen. Schwer verletzt blieb Charleston regungslos liegen, der schwere Feuerlöscher hatte seinen Kiefer zertrümmert und schwere innere Blutungen verursacht. Obwohl der Mann sowieso einige Zeit außer Gefecht gesetzt gewesen wäre, schlug Sylka erneut auf den Körper des Polizisten ein. Einmal, Zweimal. Solange, bis er sich sicher sein konnte, dass der Mann, Officer Joseph Charleston, ihm, Paul Sylka, keine Probleme mehr machen würde. Während dem toten Mann Blut aus dem Mund und der Nase quoll, verließ der Mörder diese Szenerie und näherte sich dem Schlafzimmer. Er hatte das Gefühl, dass seine Rose dahinter auf ihn warten würde. "Diana, meine schöne Rose, ich komme!"

"Diana." Zu spät hatte Andre Sylkas teuflischen Plan durchschaut. Dianas ängstlicher und stark aufgeregter Stimmer zufolge wusste er sofort, dass es schon fast viel zu spät war. Der Mistkerl war bereits in ihrer Wohnung. Er hatte zwar keine Ahnung, wie er das geschafft hatte, aber das spielte im Moment gar keine Rolle. "..Andre, um Gottes Willen! ..er ist da..Sylka ist hier..bitte, hilf mir..bitte, Andre.ich flehe dich an,.bitte, hilf mir." Der Inspektor musste schwer schlucken. Obwohl die Schmerzen immer stärker wurden, war er mit seinen Gedanken und Gefühlen fest bei seiner Liebe. ".ich komme, Diana, ich bin gleich bei dir.hörst du." "Andre..bitte komm schnell.er bricht die Tür auf.nein.Andre..ich liebe dich.bit." Das Gespräch wurde abrupt beendet. Andre Dumont wusste, dass er nun keine Sekunde mehr verlieren durfte. Ungebremst raste er über eine rote Ampel, doch ihm war das egal. Nun ging es um das Leben seiner Liebe. Ja, ich liebe dich auch, Diana! Und ich komme, um dich zu retten!

Mit einem Knacken, welches Diana durch Mark und Bein fuhr, wurde die Tür des Schlafzimmers aufgebrochen. Vor Schreck fiel ihr das Handy aus der Hand und landete mit einem polternden Geräusch auf dem Teppichboden. Angespannt starrte die Frau in die Richtung, aus der die tödliche Gefahr angeschlichen kam. Dünne knochige Finger griffen um den Rahmen, drückten die Tür langsam auf. Dann tauchte der ganze Arm, schließlich der ganze Körper des Mannes im Raum auf. Das war er also, Paul Sylka, der Mann, der schuld an diesen schrecklichen Verbrechen war. Der Irre, der jetzt auch Diana umbringen wollte. Die hübsche Frau, die zu Tode geängstigt in der Ecke gekauert war, richtete sich vorsichtig vom Boden auf, ließ den Mann dabei nicht aus den Augen. Nun war es soweit. Er hatte sein Ziel erreicht. Ein sarkastisch wirkendes Grinsen von Sylka jagte ihr noch mehr Angst ein. Ja, sie wusste, wenn Andre es nicht mehr rechtzeitig schaffen würde,.nein, das durfte sie nicht denken. Alles würde gut werden, doch Diana ahnte, dass sie sich mit diesem Optimismus selbst nur anlog. Langsam flossen Tränen über ihre Wangen. Andre, bitte hilf mir!

Hallo, meine Rose! Da ist sie, in voller Blüte. Sie ist noch hübscher als auf dem Foto, welches ich im Internet gefunden habe. Ihr volles Haar, ihre Figur, dass alles würde er gleich berühren können. Jetzt hatte er es trotz aller Hürden geschafft. Ja, nun gehörte sie ihm, ihm allein.

Keine zehn Minuten später bog der rostige Ford in die Strasse von Dianas Wohnung ein. Mit einem lauten Knattern kam das Fahrzeug direkt neben der Eingangstür zum Stehen. Mit unterdrückten Schmerzen humpelte Andre aus dem Wagen und näherte sich dem Treppenhaus. Als er den toten Polizisten liegen sah, musste er sich übergeben. Der Inspektor ahnte, dass er unter Umständen bereits zu spät kam.

Als sich Andre gerade den dritten Stock hinaufschleppte(der Lift war ja kaputt), hörte er von unten ein lautes Schreien. Man hatte jetzt die Leiche von Jeremy Watts entdeckt. Mit einem hysterischen "Hilfe, Polizei!" verließ eine Frau wieder das Treppenhaus und rannte ins Freie. Andre bekam davon aber kaum etwas mit. Für ihn gab es im Moment nur eines. Diana. Wo blieb nur die Verstärkung von Warwick. Dumont hatte seinen Kollegen und Director Payton angerufen und ihnen kurz die unglaublichen Geschehnisse der vergangenen Stunde geschildert. Und zum Schluss brachte er ganz schwer von seinen Lippen: ".Sylka ist bereits bei ihr.bitte beeilt euch, ok?" Dann hatte er sein Handy auf den Beifahrersitz geschleudert und zu Weinen begonnen. Er hatte so schreckliche Angst um Diana. Mit seinen Kräften fast am Ende flehte er auf der Treppe stehend Gott um Hilfe. Was würde ihn gleich im obersten Stockwerk erwarten? In der Wohnung seiner geliebten Kollegin. Tapfer durchhaltend erklimm er Stufe um Stufe, von fern hörte er bereits ein vorwarnendes Donnergrollen, beigemischt mit dem Aufheulen von Polizeisirenen. Endlich war auch die Verstärkung am Kommen. Plötzlich wurde Andre von einem blauen Etwas, welches die Stufen heruntergestürzt kam, fast über den Haufen gerannt. Bei näherem Hinsehen stellte er fest, dass es ein Briefträger war. Nur für kurze Augenblicke kreuzten sich die Blicke der beiden. Dann setzte der seltsame Kauz seinen Weg abwärts fort. Puh, der hatte es eilig! Moment mal! Diese Augen, diese Leere darin.und was waren das für dunkle Flecken auf seiner Jacke gewesen. .Blut! Oh Scheiße! Das war Sylka gewesen! Mit diesem Aufzug musste er es irgendwie geschafft haben, in die Wohnung zu kommen. So schnell er konnte, drehte Andre Dumont um und folgte dem vermeintlichen Mörder.

Kurz darauf betraten Jason Warwick und zwei seiner Kollegen die Wohnung von Diana Hawkins. Nach wenigen Schritten fiel ihr Blick auf den leblosen Körper von Joseph Charleston, dem zweiten Polizisten, der für den Personenschutz von Diana eingeteilt worden war. Mit ungeheurer Brutalität muss Sylka mit etwas Hartem auf ihn eingeschlagen haben. Als die Männer den mit Blut verschmierten Feuerlöscher auf der gegenüberliegenden Seite erblickten, war diese Frage schon gelöst. "Diana?" Jason näherte sich mit vorsichtigen Schritten dem einen Spalt offen stehenden Schlafzimmer. In der einen Hand seine Dienstwaffe haltend, drückte er mit der anderen die Tür langsam auf.

Gerade noch rechtzeitig schaffte es Andre Dumont das Gebäude zu verlassen und einen letzten Blick von Paul Sylka zu erhaschen, wie er in einen silbernen Honda Civic stieg und das Gelände verließ. Andre humpelte zum Ford hinüber und versuchte anzustarten, doch nichts rührte sich. Er probierte es erneut, doch der Wagen tat keinen Mucks. Da leuchtete es dem Inspektor ein. Als Sylka seinen Ex-Wagen vor dem Haus gesehen hat, ahnte er etwas und hat diese verdammte Karre unbrauchbar gemacht.dieser Schweinehund! Darum hatte er so lange bis zu seinem neuen Fluchtauto gebraucht. Konnte denn nichts an diesem verdammten Tag gut gehen? Wütend ließ Andre Dumont den blauen Ford hinter sich und wankte mit seinem Handy in seiner Hand zur Straße hinüber. Fest entschlossen stellte es sich quer über die Fahrbahn. Mit einem lauten Quietschen kam ein alter Buick vor ihm zu stehen. Sein Fahrer, ein älterer Herr, Mitte Sechzig, starrte ihn entsetzt an. Mit seinen kleinen Kugelaugen, die durch die dicken Brillengläser viel größer und witziger aussahen, stellte er festen Blickkontakt mit dem seltsamen Mann her. Wer war dieser Irre, der einfach mitten auf der Straße stehen blieb? Er schwor sich diese Aktion der Polizei zu melden. Keine Minute später starrte er fassungslos seinem so geliebten Buick hinterher, wie er mit rasantem Tempo über die Kreuzung flitzte. In all den Jahren, die er diesen tollen Wagen bereits besessen hatte, hatte er nie geahnt, dass man damit so schnell fahren konnte. Mit einem wütenden Kopfschütteln stieß der ältere Herr einen leisen Fluch auf Andre Dumont aus. Wehe, wenn mein Baby einen Kratzer abbekommt, dann.

Das war ja knapp gewesen! Wer war dieser Kerl im Treppenhaus gewesen? Der hat stark nach Bulle gerochen. Ja, das war für Sylka sicher. Aber warum dieser Typ gerade mit seinem Ford hergekommen war, konnte er zunächst nicht einordnen. Doch dann ließ der Mörder das Aussehen von diesem Mann in seinem Kopf durchlaufen. Er sah sehr mitgenommen aus.ja, ...dieser Kerl hat meine Überraschung miterlebt. Warum er jedoch aus dieser Bruchbude lebendig herausgekommen konnte, wollte er nicht begreifen. Wahrscheinlich war er nicht direkt am Explosionsherd gewesen, als es ,Bumm!' gemacht hatte. Aber egal! Hauptsache, er war so gehandicapt, dass er ihm, Paul Sylka, keine weiteren Probleme machen konnte. Neugierig sah er mit seinen geheimnisvollen Augen in den Rückspiegel. Niemand war zu sehen. Ja, ohne fahrbaren Untersatz kam man halt nicht weit.ha ha ha! Ein irres Lachen füllte den Innenraum des gestohlenen Wagens, doch verstummte es abrupt wieder. Denn plötzlich bog ein alter Buick mit einem Mördertempo um die Kurve, kaum hundert Meter hinter ihm. Mann, dieser Bulle war echt zäh. Und dann leuchtete es dem Rosenmörder ein. Dieser Polizist, der gerade hinter ihm her raste, hatte deswegen so einen unglaublichen Ehrgeiz, weil er dieser Andre sein musste, nach dem seine Rose gerufen hatte. Immer wieder unter Tränen seinen Namen gerufen hat, als er sich an ihr vergangen hatte. Ja, du warst also ihr Angebeteter.komm ruhig, ich nehme es schon mit dir auf, du Scheißkerl!

Ah, da bist du ja! Andre Dumont lenkte so gut er konnte den ausgeborgten Wagen durch den Straßenverkehr, achtete aber nicht eventuelle Geschwindigkeitsbeschränkungen. Nur bei Schutzwegen und anderen gefährlichen Stellen bremste er ab, die restliche Strecke fuhr er aber kompromisslos und zielsicher. Nein, dieses Mal würde er nicht entkommen. Nein, nein,.jetzt hieß es bald ,Game Over' für diesen Schweinehund. Der Inspektor hatte mit Freude feststellen können, dass der Besitzer dieses Buicks eine Automatikschaltung installieren lassen hatte. Da seine rechte Hand kaum noch ohne Aufschrei zu bewegen war, war er froh, ohne Schalten die Verfolgung aufnehmen zu können. Es war aufgrund seiner körperlichen Verfassung schon schwer genug, in Reichweite des silbernen Hondas zu bleiben. Und doch konnte das Fahrzeug jetzt ganz deutlich vor sich erkennen. Jetzt hieß es dranbleiben. Nein, dieses Mal würde er Paul Sylka nicht mehr entkommen lassen.

Die dunkelgrauen düsteren Wolken schoben sich langsam vor die Sonne, ließen erahnen, dass in naher Zukunft ein sommerlicher Gewitterregen über die Stadt ziehen würde. Lautes Grollen drang vom Himmel herab.

Die beiden Fahrzeuge jagten durch die Straßen der Innenstadt. Sylka hätte um ein Haar einen kleinen Jungen, welches mit seinem neuen giftgrünen Turtles-Fahrrad überqueren wollte, angefahren. In letzter Sekunde konnte er noch ausweichen, kam dabei kurz auf die andere Fahrspur und hatte Glück, nicht in den Gegenverkehr zu rasen. Aber auch Andre Dumont war das Glück hold geblieben. Trotz der starken Schmerzen schaffte es der Polizist irgendwie die Kontrolle über den Buick zu behalten und sich und andrer Mitmenschen nicht unnötig zu gefährden. Obwohl er zugeben musste, dass wahrlich einige Schutzengel an diesem Tag über ihn weilen mussten. Zuerst diese verheerende Explosion und jetzt das unbeschadete Durchfahren der Straßen. Weiß Gott, wenn jemand unter die Räder kommen würde.das würde er sich nie verzeihen. Doch an diesem Tag, in diesen Minuten musste der Inspektor einfach über seinen Schatten springen und Verkehrsgesetze unbeachtet lassen. Es hing zu viel am Spiel. Der silberne Honda mitsamt dem Rosenmörder war keine achtzig Meter vor ihm. Andre spürte, wie er ihn langsam nervös machte. Dieser Mistkerl würde bald einen Fehler begehen und dann wäre dieser Alptraum endlich vorbei.

Oh Mann, der ist wirklich hartnäckig! Kommt langsam immer näher. Muss schneller werden. Ihn abhängen. Schweißtropfen tropften an seiner Stirn hinunter, eine Spur rann genau in seine Augen. Sylka musste einige Male zwinkern, um wieder alles überblicken zu können. Mit einer Hand wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht. Sein Blick fiel dabei auf das Blut auf seiner blauen Jacke. Das war wirklich ein anstrengender Tag gewesen. Zuerst hatte ihn der Doktor so tief enttäuscht, als er ihm die Hilfe verweigerte. Und dann musste er alles für den großen ,Bumm!' vorbereiten. Dafür musste er seine letzten Reserven opfern, dieser fette Preston konnte ihm ja keinen Nachschub besorgen. Aber egal, Hauptsache, die Polizei hatte eine saftige Lehrstunde erhalten. Wenn schon dieser Bulle hinter ihm so angeschlagen war, wie würden denn jetzt die Männer aussehen, die in Reine eins gestanden hatten. Wieder blitzte dieses irre Grinsen in seinem Gesicht auf. Aber alle Mühe hatte sich schlussendlich gelohnt und er konnte seine Rose kennen lernen. Ja, Diana. Auch wenn er über viele Leichen gehen musste, es hatte sich gelohnt. Noch fest in den Gedanken an die ereignisreichen letzten Tage ließ Paul Sylka die Innenstadt hinter sich, dicht gefolgt von Andre Dumont.

Genau um 15:52 fielen die ersten Tropfen auf Arlington hernieder. Aus dem anfangs leichten wurde schnell ein dichter starker Regenfall. Das Gewitter hatte mit der Unterstützung von lautem Donnern und vereinzelten Blitzschlägen begonnen. Dass noch vor wenigen Minuten sonnige heiße Traumwetter war nun ein frischer, abkühlender Sommerregen-

Der plötzliche Regen hatte beide Fahrer überrascht, nur mit Mühe gelang es Dumont, mit seiner rechten Hand den Scheibenwischer des Wagens einzuschalten. Nun würde die Verfolgung noch schwere werden. Die trockenen Reifen schlitterten über die nass werdende Fahrbahn. Dem Inspektor wunderte es, wie er es bisher geschafft hatte, das Fahrzeug gerade auf der richtigen Straßenseite zu lenken, bei seiner Verfassung und seinem untypischen Fahrstil. Normalerweise hielt er sich immer strikt an die Geschwindigkeitsbeschränkungen, fuhr meistens noch langsamer. Doch im Augenblick kannte er sich selbst nicht mehr. Er war ein anderer Mensch, einer, der endlich diesen Wahnsinn beenden wollte. Es durfte keine Opfer mehr geben.es gab schon zu viele zu beklagen. Und außerdem wusste Andre noch immer nicht Bescheid über Dianas Zustand. Das machte ihn rasend vor Wut.und vor Angst.

Die einzige Chance diesen Teufelskerl abzuhängen, bestand darin die Stadt zu verlassen. Wenn er erst mal auf den Schnellstrassen war, würde er ihn hinter sich lassen. Zwar könnten da schon Polizeisperren auf ihn warten, doch dieses Risiko nahm er auf sich. Doch er brauchte keine Angst zu haben. Andre Dumont war es vor Schmerzen nicht gelungen während der Fahrt Verstärkung zu rufen. Nun lief alles auf eine Entscheidung zwischen den beiden auseinander. Doch auch die würde Sylka gewinnen, da war er sich sicher.

Es war kurz nach 16 Uhr, als die beiden Fahrzeuge Richtung Stadtbrücke, welche über den vom Gewitter unruhigen Fluss Trinity führte und die Stadtgrenze markierte, rasten. Sylka war sich bereits zu siegessicher. Er warf einen vernichtenden Blick zurück auf seinen Verfolger, der schon etwas an Rückstand gewonnen hat. So übersah er, wie er auf die andere Straßenseite hinübertrudelte und genau einem roten Van entgegenfuhr. Als er der brenzligen Situation bewusst wurde, konnte er nur noch mit letzter Kraft den Honda wieder auf die rechte Seite reißen, doch bevor er die endgültige Kontrolle über das Fahrzeug wieder finden konnte, prallte er frontal gegen den Brückenpfeiler.

"Rufen Sie zu Polizei.schnell!" Dumont schrie den Fahrer des roten Vans aufgeregt an. Der war leicht geschockt darüber, nur knapp einem Unfall entgangen zu sein. Doch dann nickte er erschrocken und setzte den schweren Wagen wieder in Bewegung. Während er zwischen den Häuserschluchten der Stadt verschwand, machte Dumont langsam die Fahrertür des Fords auf. Nun war High Noon, die Entscheidung nahte. Seine wankenden Schritte klatschten auf dem nassen Asphalt, der Inspektor griff fest um seine Dienstwaffe, die er zwar immer in seiner Jackentasche hatte, aber in seiner Zeit in Arlington noch nie verwenden musste. Doch an diesem Tag würde sich auch das ändern.da spürte er ganz deutlich. Im Honda rührte sich nichts. Wahrscheinlich will ihn Sylka heranlocken und dann zum Gegenangriff ansetzen. Dumont wusste, er musste sehr wachsam sein. Das galt sonst auch bei solchen Situationen, doch die Wahrheit war, dass jeder Fehler in seiner momentanen Verfassung tödlich wäre. Mit konzentriertem Blick beobachtete er das Innere des Wagens. Sylka lag auf dem Lenkrad, vielleicht bewusstlos. Doch Andre war zu misstrauisch. Es könnte auch eine Falle sein. Mit schmerzverzerrtem Gesicht schleppte er sich zur Fahrertür des Hondas hinüber, den Lauf der Waffe genau auf Sylka gerichtet. Doch seine Reaktion war schon soweit beeinträchtigt, dass er zu spät die Handbewegung merkte, mit der der Rosenmörder die Tür heftig aufstieß. Die Klinke traf genau Dumonts rechten Arm. Vor Schmerz verlor er das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Nun wurde ihm bewusst, dass das unter Umständen dieser schwerwiegende Fehler sein könnte, der alles zu Nichte machte. Doch sofort war Andre wieder voll konzentriert, robbte sich vom Wagen weg, sah zu, wie Sylka grinsend heraus stieg und ein Jagdmesser aus seiner Jacke zog. Doch dieses Mal war Andre schneller. Vier Schüsse drangen in Sylkas Oberkörper, ließen ihn zur Seite wanken. Er versuchte am Brückengeländer Halt zu finden, doch er rutschte mit den Händen auf den nassen Griffen aus. Hilflos seine Wunde und d! arauf Dumont anstarrend fiel er über das Geländer und verschwand in den tobenden Fluten des Trinity. Andre richtete sich mühsam auf, sah verdutzt auf die rauchende Waffe in seiner Hand hinab. Das war's.

Eine Viertelstunde später hielten drei Polizeifahrzeuge auf der Brücke. Zuerst konnten die Männer niemanden sehen, nur zwei Autos, einen alten Buick, der mitten auf der Fahrbahn stand und einen silbernen Honda Civic, welcher mit der Vorderseite am Brückenpfeiler klebte. Erst als sie um den Unfallwagen herumgingen, sahen sie das Häufchen Elend, welches am Boden kauerte, vom Regen durchgeweicht und mit schweren Verletzungen. Kaum noch bei Bewusstsein saß Dumont an das Brückengeländer gelehnt da, sah zu Boden, am Ende seiner Kräfte. Seine Dienstwaffe lag auf dem Boden, vom Lauf tropften Regentropfen. " Inspector, kommen Sie.wo ist Sylka.Inspector?" Die linke Hand zeigte auf die Fluten hinab. ".ist er tot." Ein kurzes teilnahmloses Nicken bestätigte ihre Hoffnung. War es wirklich vorbei? War die Bestie wirklich erledigt, der Alptraum endlich zu Ende? Unfassbar starrten die sechs Polizisten auf den Trinity hinunter, auf der Suche nach Sylkas Leiche. Doch die Fluten ließen nichts erkennen. Doch nun musste man sich erst einmal um den lädierten Inspektor kümmern, der den Rosenmörder zur Strecke bringen konnte.

Auf Wunsch Dumonts hielt eines der Polizeifahrzeuge wenig später vor dem Gebäude, in welchem Diana Hawkins wohnte. Die gesamte Strasse war bereits abgesperrt worden, aus den Fenstern des Hochhauses lugten neugierige Gesichter. Auch auf der anderen Seite des gelben Absperrbandes tummelten sich Schaulustige verschiedenster Altersgruppen. Unter ihren Regenschirmen stehend, betrachteten sie aufgeregt und sensationsgierig den Tatort. Einem Pressefahrzeug wurde gerade die Zufahrt verweigert, was der Fahrer ärgerlich zur Kenntnis nahm und schimpfend den Rückweg antrat. Ein Leichenwagen stand nahe dem Eingang, die Hintertüren bereits geöffnet. Doch für Andre Dumont waren das kaum mehr als Bildfetzen Der Inspektor entstieg dem Wagen mit zitternden Bewegungen. Aber nicht die Schmerzen verursachten diese Erscheinungen, sondern die entsetzliche Angst, die ihn seinem Kopf umherging. Was war mit Diana? Wo war sie? Ging es ihr gut? Voller Hoffnung stolperte Andre den Eingang entgegen, blieb aber mit einem Ruck stehen. Zwei Männer trugen gerade eine Bahre heraus, darauf lag eine mit dem obligatorischen schwarzen Tuch zugedeckte Gestalt. Was Andre Tränen in die Augen trieb, war der Arm, der schlaff herunterhing. Er kannte das Armband daran. Es war das von Diana. Das waren ihre zarten Finger,.das war sie. In Gedanken versunken, kam Jason Warwick aus dem Gebäude. Dann erblickte er Dumont, wie dieser entsetzt auf die Bahre starrte. "Dumont!" Doch Andre hörte ihn nicht. Dieser steuerte wie ferngesteuert auf die Trage zu und schrie die Männer an: "Lasst sie hinunter! Lasst sie gefälligst hinunter!" Die Männer sahen verdutzt Warwick an, doch der nickte nur still. Was würde jetzt in diesem gebrochenen Mann vorgehen? Da hatte er einmal seine große Liebe gefunden und dann wurde dieses neue Glück so brutal wieder zerstört.armer Dumont. Der Inspektor kniete nieder, nahm das Tuch und zog es von Dianas Kopf. Sie lag so unschuldig da, wie ein Engel.oh mein Gott! Die Tränen kullerten nur so über Andres Gesicht. Ich liebe dich doch.nein! .warum. Er küsste ihr Gesicht, immer und immer wieder, strich ihr durch ihr schönes langes Haar. Er konnte nicht realisieren, was da gerade vor sich ging. Die Polizisten und die Schaulustigen sahen betrübt und mitfühlend die Szenerie an, doch konnten sie sich nicht im geringsten in die Gefühlswelt von Andre hineinversetzen. Ich habe doch versprochen, auf dich aufzupassen.ich habe es versprochen.nein. Und dann erhob der trauernde Mann seinen Kopf und schrie in diesen regnerischen und stürmerischen Nachmittag heraus, was in ihm vorging: "Nein! NNeiinn! Diana! NNeinn! Ich liebe dich!!!"


Was keiner ahnen konnte: In genau diesem Moment kroch eine Gestalt stark abgekühlt und halb ertrunken aus dem Trinity, drei Meilen stromabwärts von der Stelle, wo die Stadtbrücke hinüberführte. Der Mann ließ sich in das durchnässte Gras fallen und röchelte vor sich hin. Ein plötzlicher Hustenanfall durchzuckte seinen ganzen Körper. Wasser rann aus seinem Mundwinkel und tropfte in die Wiese. Verwirrt sah er um sich, stellte sich wackelig auf und torkelte zur Strasse hinauf. Der Mann mit den tropfnassen blauen Kleidern hielt sich an einem geparkten Auto fest, noch immer um Luft schnappend. Dann nahm er einen größeren Stein vom Boden und schlug damit die Fensterscheibe ein. Schnell schaute er, ob niemand in der Nähe war. Dann öffnete er die Fahrertür und setzte sich hinein. Sofort war der Sitz durchtränkt mit Wasser, doch dem Mann war das total egal. Kurzerhand schloss er die Steuerung kurz und schon nach wenigen gelernten Bewegungen begann der Motor bereits zu schnurren. Das Fahrzeug verließ unauffällig den Parkplatz, hinter sich den Fluss und die Polizei, die alle von seinem Tod überzeugt waren. Mit einem vor Kälte zitternden Grinsen öffnete er seine blaue Jacke. Darunter kam eine schusssichere Weste zum Vorschein. Darin waren vier frische Einschusslöcher zu erkennen. Ja, damit hast du nicht gerechnet, Andre, hmm? Mit einem unheimlichen Lachen verschwand Paul Sylka in der nächsten Seitenstrasse.

Der Alptraum war noch nicht vorbei.nein, er hatte noch gar nicht richtig begonnen.






ENDE TEIL I













10.REKONSTRUKTION


Es muss schon ziemlich verwirrend für die Polizei sein, was meinen Tod am 13. November 2000 betrifft. "Tod" ist falsch ausgedrückt. Viel eher muss man sagen mein neues Leben. Nicht mehr überwacht werden. Keiner weiß, dass es dich noch gibt. Du bist frei. So konnte ich meinen Fantasien endlich freien Lauf lassen. Mir war nun die Möglichkeit geboten worden, mein bestimmendes Ziel zu erreichen: die perfekte Rose zu finden.

Mir ging schon länger die Idee durch den Kopf, meinen Tod vorzutäuschen, um dieser düsteren Welt entfliehen zu können. Doch dazu musste der beste Augenblick ausgewählt werden. Man konnte nicht einfach "Ade!" sagen und weg war man. Für diesen Schritt musste man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.und dann die richtige Idee haben. So war es auch bei mir, Ende Oktober 2000.

FREITAG, 20. Oktober 2000

Ramon Hernandez hatte schon knappe vier Jahre in der kleinen Mietwohnung gehaust, bis er seinen neuen Arbeitskollegen Paul bei ihm wohnen ließ. Der gebürtige Mexikaner, der seit seinem vierzehnten Lebensjahr in den Vereinigten Staaten lebte, wusste selbst nicht, warum er das getan hat, vielleicht war es die Hilflosigkeit und Einsamkeit, die dieser Typ ausstrahlte. Und Ramon schien der einzige zu sein, der mit ihm klar kam. Zwischen Paul und den anderen Kollegen war es schon in den ersten Arbeitstagen zu mehr oder weniger heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Na ja, er hat es auch nicht leicht gehabt. Die meisten wussten, dass der Neue nur wegen des Integrationsprogramms in der Fabrik arbeiten durfte und vorher mehr Zeit in psychologischer Behandlung verbracht hatte als bei ihm zu Hause. Zu Hause,.eigentlich wusste niemand, ob er überhaupt eines hatte, aber es war ihnen auch egal. Auf jeden Fall nahm er sich ein Herz und freundete sich mit dem Außenseiter an. Der war anfangs ziemlich misstrauisch und blockte alle angefangenen Gespräche geschickt ab. Doch nach einigen Wochen wurde er ein bisschen zugänglicher und es kam schließlich soweit, dass Ramon, der selber nicht gerade der Beliebteste in der Fabrik war und so auch froh über ein wenig Gesellschaft sein konnte, und Paul nicht nur die Pausen zusammen verbrachten, sondern auch nach der Arbeit manchmal um die Häuser zogen. Zwar war Paul weiterhin nicht sonderlich gesprächig, doch wenigstens kam er ein wenig zu anderen Menschen. Doch trotzdem hatte Ramon noch immer kein ganz reines Gewissen. Er wollte diesem armen Kerl echt helfen. Egal, was ihm dauernd im Kopf umherging, er wollte Paul dabei unterstützen. Und da dieser nur eine kleine Herberge in der Nähe der Psychiatrischen Anstalt erhalten hatte und immer einen sehr langen Weg zur Arbeit in Kauf nehmen musste, entschloss sich der hilfsbereite Mexikaner, ihn bei sich einzuquartieren. Das war Anfang September.

Mittlerweile lebte Paul bereits seit fast zwei Monaten in der kleinen Mietwohnung von Ramon Hernandez. Der Mann war sehr verschreckt gewesen, in den ersten Tagen unter den fremden vier Wänden wanderte er verwirrt umher, setzte sich zum Fenster und sah oft stundenlang nur raus auf die Strasse. Saugte den nervenden Verkehrslärm, die gestressten Schreie der unten weilenden Menschen auf. Es kam Ramon manchmal vor, als ob sein neuer Mitbewohner die Welt rund um ihn total vergessen würde, seine eigene schöne Welt hatte, in die er hineinflüchtete. Noch etwas änderte sich an Paul Sylkas Verhalten. Er wollte immer allein sein, hatte kein Interesse mehr an den nächtlichen Streifzügen von Hernandez. Das soll nicht heißen, das er überhaupt einmal echtes Interesse am Kontakt mit anderen Menschen hatte, nein, es war nur, dass es Ramon so vorkam, als wollte sich der Typ in seiner Wohnung immer mehr isolieren, so, als ob er gar nicht da war, es ihn überhaupt nicht gäbe. Dem Mexikaner machte das große Sorgen. Er hatte es bereits ein bisschen bereut Sylka bei sich wohnen lassen zu haben. Konnte man vorher noch einigermaßen gute Gespräche mit ihm führen, war er in den vergangenen Wochen fast total verstummt. Nur so ein "Guten Morgen!", "Hallo!" oder "Tschüß, bis morgen!" huschte noch über seine Lippen. Doch Ramon Hernandez' Gedanken sollten sich an diesen tristen Freitagabend einem viel erfreulicherem Thema zuwenden. Daran schuld war ein Brief aus seiner Heimat Mexiko.

Das muss alles ein nur ein Traum sein, einfach unfassbar! Ramon Hernandez konnte es nicht glauben, was auf dem Blatt Papier in seiner Hand zu lesen war. Nein, es musste wahr sein! Wenn man das glauben konnte, was da auf dem Papier geschrieben war, hatte der überraschte Mexikaner gerade ein kleines Vermögen geerbt. Sein Großvater väterlicherseits, der schon auf den 90iger zugesteuert war, ist seiner langen Lungenkrankheit erlegen. Da Oscar Victor Hernandez' Frau bereits vor sieben Jahren gestorben war und er keine weiteren lebenden Verwandten hat, fiel die Entscheidung auf seinen Neffen. Der hatte lange Zeit bis zur Auswanderung in die USA bei ihm gewohnt, während seine Eltern ihren Arbeiten nachgingen. Die Eltern, die dann während einer Autofahrt in einen wilden Streit gerieten und einen für sie tödlichen Unfall verursachen sollten.

Damals war Ramon gerade einmal 24 gewesen, doch kein großer Schock. Denn er war schon bald von zu Hause weggezogen, da er mit seinem Vater heftige Konflikte durchstehen musste, und Ramon wollte gar nicht mehr an seinen brutalen Vater Antonio und im Besonderen an seine Erziehungsmethoden zurückdenken. Und was seine Mutter Silvia betraf, die sah immer nur weg und musste selber einige Schläge einstecken. Nein, bei den Hernandez' fand kein idyllisches Familienleben statt. Darum hatte Ramon gleich, nachdem er volljährig war, die Chance beim Schopf gepackt und verschwand über Nacht. Seine Eltern versuchten zunächst ihn zurück zu gewinnen, doch die seelischen und körperlichen Schmerzen, die der junge Mann widerfahren musste, saßen noch zu tief, wie ein spitzer Stachel in einer Wunde. Erst nach knapp eineinhalb Jahren überwand sich Ramon Hernandez und fuhr kurz bei seinem Elternhaus vorbei, doch das einzige, was er zu hören bekam, waren Vorwürfe und er sah das Brodeln in den dunklen Augen seines Vaters, die aussagen sollten: ,Pass auf, mein Junge, pass auf! Und Ramon passte auf. Bevor Antonio Hernandez seine Wut auf seinen Sohn auslassen konnte, verschwand dieser auch wieder. Bei einem tiefen Mitgefühl an seine Mutter, an dessen Körper er einige blauen Stellen entdecken konnte. Die beschämte Silvia merkte das und hatte gleich die besagten Stellen mit dem Stoff ihrer Kleidung versteckt. Im Großen und Ganzen war Ramon trotzdem froh gewesen, noch einmal seine Eltern zu sehen, auch wenn er ihnen mit durchwegs negativen Erinnerungen entgegenblickte. Doch es waren seine Eltern, die Menschen, die ihm das Leben schenkten, und aus diesem Grund war es ein schöner Zug, sich von ihnen zu verabschieden und ihnen für die schönen Erlebnisse (auch wenn sie sehr selten waren und meist schneller vorbei waren als sich Ramon wünschte) zu danken. Damals, in dieser Nacht machte Ramon kein Auge zu, er blickte nur hinaus in den Nachthimmel und malte sich aus, wie seine Zukunft verlaufen würde.und ob er noch ein weiteres Mal seine Elter! n wieder sehen würde. Nein, das sollte er nicht. In der Nacht zum 2. Februar 1993 verunglückten Antonio und Silvia Hernandez auf der Autobahn tödlich. Aus von der Polizei nie herausgefundenen Gründen war der Wagen mit den beiden auf die gegenüberliegende Fahrbahn gekommen und mit einem heranfahrenden LKW frontal zusammengestoßen. Beide waren auf der Stelle tot. Was niemand ahnen konnte, war, dass die Unfallursache ziemlich dramatisch verlaufen ist. Silvia Hernandez flehte im Wagen ihren Mann an, ihren Sohn zu besuchen; sie hielt es nach langen vier Jahren nicht mehr aus, ohne ihr einziges Kind den Alltag bestehen zu müssen. Außerdem war ihr Ehemann Antonio seit Ramons Weggang noch aggressiver und brutaler geworden. Aus Frust ließ er sich jeden Tag den Kopf mit Bier voll laufen, mit seinem Job ging es bergab und zu guter Letzt musste seine Frau daran glauben und wie auch schon die vergangenen Jahre harte Schläge und Beleidigungen einstecken. Für Silvia war da jedes Mal eine Demütigung, ein Zeichen dafür, dass sie nichts wert war. Das Problem war, sie war zu feig, um sich gegen ihren rabiaten Mann zu widersetzen. Außer ihm hatte sie sowieso niemanden mehr. Sie hatte nichts, keine Arbeit, keine Freundinnen, sie war allein. Nur Ramon konnte ihr noch helfen. Mit Wehklagen dachte sie an ihr letztes Treffen zurück und wie sie ihn einfach gehen lassen hatte. Doch Silvia Hernandez fühlte sich sehr schuldig. Sie hatte selbst immer zu- bzw. weggesehen, wenn ihr Sohn von Antonio verprügelt worden ist. Warum war sie nur so feig? Sie schämte sich, für ihr dummes Verhalten, ihr erbärmliches Verhalten. Nein, sie konnte nicht mehr. Immer und immer wieder redete sie auf ihren Mann ein. Der wollte nichts mehr mit diesem Dreckskerl von Sohn zu tun haben und servierte seine ungehorsame Frau mit einem Schlag auf ihr Gesicht ab. Silvia erschrak und sah ihren Mann fassungslos an. Auch wenn die Schläge schon zum täglichen Alltag wie das Wasser und Brot gehörten, für Silvia war es immer ein Schock. Und da entschloss sie sich, sic! h nicht mehr länger beugen zu wollen. Sie war auch ein Mensch, ein Wesen mit großen Gefühlen. Dann ging alles viel zu schnell. Silvia schlug zurück. Ihr Mann blickte sie wütend an. Es entwickelte sich eine folgenschwere Auseinandersetzung. Mehr bei den Gedanken an seiner wertlosen Frau als bei der Straße kam der Wagen ins Schlingern und als Antonio Hernandez ihn erst wieder unter Kontrolle bringen konnte, war es schon zu spät. Der mehrere Tonnen schwere Lastwagen rammte ungebremst den alten VW. Dann war alles vorbei gewesen.

Noch immer wagte Ramon nicht zu glauben, was auf dem Zettel geschrieben stand. Oscar Victor Hernandez, sein Großvater, den er schon seit dem Begräbnis seiner Eltern nicht mehr gesehen hatte, hatte ihm durch seinen Tod eine Freifahrt in ein besseres Leben beschert. Ein Großteil seines Vermögens gehörte nun ihm, den Rest hinterließ er seinem besten Freund. Aber auch so war Ramon mehr als glücklich über diese Entwicklung, auch wenn ihm der Tod seines letzten Verwandten schon ziemlich berührte. Oscar Victor war zwar ein strenger, aber immer fairer Mann gewesen, und er hätte einem anderen nie Leid zufügen können. Da stellt sich schon die Frage, warum sein Vater so viel anders geworden ist. Als Kind war Ramon sehr gerne bei seinem Großvater gewesen, sie hatten Wanderungen unternommen oder die Früchteplantagen inspiziert, die ihm damals gehörten. Die hat er zu Beginn seiner Krankheit verkauft, da er sich im Klaren war, dass er kein rechtes Auge mehr darauf werfen konnte und es ihm so viel zu riskant war, weiterhin in diesem harten Wettbewerb mitzumischen. Dieses sorgsam ersparte Geld war die letzten Jahre auf seinem Konto gelegen, nur darauf wartend, an seinen zukünftigen Erben ausbezahlt zu werden. Ramon Hernandez hatte trotz der Tatsache, dass er der einzige noch lebende nähere Verwandte war, nie nur auch einen kleinen Moment darauf spekuliert, einmal etwas von seinem Großvater bekommen zu werden. Total durcheinander legte er den Brief wieder zusammen, steckte ihn zurück ins Kuvert und versteckte dieses anschließend unter seinem Kopfkissen. Jetzt brauchte er erstmals etwas zur Feier des Tages. Mit einem glücklichen Lächeln, so wie man es bei einem Lotto-Jackpot-Gewinner sehen würde, verließ er die kleine Wohnung und träumte schon von einer glorreichen Zukunft.

Als Ramon Hernandez zwei Stunden später wieder nach Hause kam, war er noch so aufgewühlt, dass er es noch gar nicht richtig fassen konnte. Auch wenn er ein schlechtes Gewissen hatte, fast nur zu feiern und kaum zu trauern, konnte das seine doch ziemlich gute Stimmung kaum trüben. Für seinen Großvater muss es fast eine Erlösung gewesen sein, nach seiner jahrelangen schmerzhaften Krankheit friedlich einzuschlafen. Ja, so ist es. Ramon, du hast schon so viel Pech in deinem Leben gehabt, nun wird alles besser. Nachdem er sich bei Sylka verabschiedet hatte, legte er sich in sein Bett, warf noch einmal einen glücklichen Blick auf das Kuvert auf dem Nachttisch. Seltsam, dachte er, das habe ich doch unter das Kissen gelegt. Oder doch nicht? Egal, Hautsache, ich kann bald raus aus diesem Drecksloch! Keine fünf Minuten später befand sich der Mexikaner bereits im Reich der Träume.

So viel Glück muss man erst haben. Da lebt man unter einem Dach mit einem Erben, der demnächst etwas anderes zu tun haben wird, als schmutzige Arbeiten in der Fabrik verrichten zu müssen. Genauer ausgedrückt, wird er gar nichts mehr zu tun haben. Das war meine Chance. Mit dem geerbten Geld konnte man für einige Zeit untertauchen. Die Freikarte in ein neues Leben lag nur wenige Meter von mir entfernt. Jetzt hieß es schnell handeln. Diese Möglichkeit durfte man einfach nicht ungenutzt lassen. Die ganze Nacht verbrachte ich damit, einen perfekten Plan auszutüfteln und um die Wahrheit zu sagen, am nächsten Morgen war ich sehr zufrieden mit meiner Lösung für all meine Probleme. Nein, es sollte nicht mehr lange dauern, dann würde meine Mission endlich beginnen können.

SAMSTAG, 11. November 2000

"Glaubst du wirklich.na, ich weiß nicht."Ein wenig unsicher sah Ramon noch einmal in ein Buch voller Bilder. Bei näherer Betrachtung stellte sich dieses Buch als Katalog von Tätowierungen heraus. Irgendwie hatte es Sylka geschafft seinen Wohnungsgefährten zum Tattoo Salon zu zerren und ihn zu überreden, sich das gleiche Symbol wie er tätowieren zu lassen. Paul Sylka hat auf der Schulter eine schwarze Rose, welche in voller Blüte seine Schönheit zeigte. Dem Mexikaner hatte diese Rose schon öfter ins Auge gestochen, ihm gefiel es, da es nicht zu groß war und trotzdem auffiel. Doch er hätte sich im Traum nicht denken können, dass er sich wirklich einmal unter die Nadel legen würde. Auch jetzt hatte er noch einige Bedenken. Was war, wenn ihm das Motiv in ein paar Jahren nicht mehr gefiel? Was dann? Doch Sylkas plötzlich aufkommende Lebensfreude wollte er nicht wieder zerstören und so stimmte er schließlich zu. Zwei Stunden später kamen beide wieder aus dem Studio und Ramon blickte, soweit es sein Blick zuließ, nachdenklich auf seinem neuen Körperschmuck. Er hatte sich die Rose genau an dieselbe Stelle wie Paul tätowieren lassen, so war es seine Bitte. Ok, da das Motiv ja sehr annehmbar war und zu seinem mexikanischen Temperament passte, war er schon zufrieden mit der Arbeit des Tattoo - Experten. Dieser Rick, so hieß er, war selbst am ganzen Körper voller bunten Bildern und Ornamenten. So etwas wäre für Ramon nie in Frage gekommen, doch diese harmlose Rose war kein Grund zum Diskutieren. Außerdem war er ja sogar von Paul eingeladen worden, als nachträgliches Dankeschön dafür, dass er ihn bei sich wohnen ließ. Naja, im Prinzip würde Ramon Hernandez gar nicht mehr lange in dieser Wohnung hausen, er hat dafür gesorgt, dass er sich sein Erbe in bar ausbezahlen lassen konnte, mit diesem feinen Sümmchen würde er sich dann aus dem Staub machen. Das musste auch sein Mitbewohner spüren, denn seit der Nachricht über sein Erbe wirkte Sylka anders, als ob er ahnte, dass er ihn nicht lange sehen sollte. Aber natürlich wu! sste er nichts über diese Geschichte.oder doch?

Bald würde es soweit sein, mein Ticket in die Freiheit war bereit zum Einlösen. Die Vorarbeit war getan, jetzt kam es zum Showdown.zu meinem vermeintlichen tragischen Tod, ha ha ha!




MONTAG, 13. November 2000

Am Morgen dieses frischen Wintertages hatten sich Ramon und Paul ausgemacht, dass er die neue Tätowierung noch vor seinen Arbeitskollegen verschweigen sollte, wenigstens noch vorübergehend. Es soll eine Überraschung werden, keiner hätte es dem Mexikaner zugetraut sich so etwas machen zu lassen. Hernandez war einverstanden, schließlich hatte er an diesem Arbeitstag auch viel Arbeit im Freien zu erledigen und da würden sich sowieso kaum Möglichkeiten bieten seine Rose vorzuführen. Schweigsam saßen sie dann in seinem blauen Ford und fuhren mit lautem Motor Richtung ,CHEVROLET Texas'.

Warum ich mir gerade dieses Datum für ,meinen' Tod ausgesucht habe? Welchen Tag hätte ich denn sonst nehmen sollen als den Todestag meiner Mutter. Oh,.Mama! Damals war noch alles gut gewesen. Keine unheimlichen Anfälle, keine Aggressionen.alles war gut. Ich war geborgen, in Sicherheit. Warum musste diese schöne Zeit so schnell vergehen, warum? Mir blieb wirklich nur ein Datum übrig, mit welchem ich Abschied von diesem Leben nehmen konnte. Danke, Mama, danke für alles.

Es muss knapp nach ein Uhr nachmittags gewesen sein, als Paul Sylka seinen Wohngefährten in einem leeren Abstellraum mit einem Knüppel niederstreckte. Mit dem Vorwand, ihm beim Hinaufheben eines schweren Gerätes zu helfen, war er in seine tödliche Falle getappt. Natürlich war Ramon Hernandez jetzt nicht tot, nur bewusstlos. Schnell sperrte Sylka den Raum von innen zu und holte ein Gerät aus seinem Arbeitsmantel. Es war ein Rasierer. Nach zehn Minuten war er zufrieden mit seiner Arbeit. Nun sah Ramons Frisur genauso so kurz aus wie die von Sylka und da beide die gleichen dunklen Haare hatten, war Paul Sylka noch glücklicher über seinen Plan. Gleiche Statur, dieselbe Körpergröße(nur ein kleiner Unterschied von 2-3 cm), die gleiche Tätowierung.und nun auch dieselbe Frisur. Jetzt war alles perfekt für ,seinen' großen Abschied.

Es ging wirklich so leicht. Ich brauchte nur mit Hernandez die Kleidung zu wechseln, ihn aus dem Raum zu einer der großen Maschinen hinüberschleppen, sein Gesicht mit Benzin übergießen(das war die einzige noch auffallende Ungereimtheit zwischen uns beiden) und dann unauffällig einen Kurzschluss zu verursachen. Wie ich dann so ein schönes Feuerchen hinbekommen habe, war mein Weg frei. Damit nichts schief ging, verfrachtete ich Ramon noch direkt an den Brandherd, achtete aber darauf, das die rechte Seite von einer feuergeschützten Platte etwas geschützt blieb, so also auch nach der Bergung mein Namensschild und die Tätowierung eindeutig zu identifizieren waren. Es war wirklich alles perfekt. Mit einer Kappe verdeckt eich mein Gesicht und konnte mich dann mit den anderen Mitarbeitern aus dem Gebäude retten. In meinem Plan war nicht vorgesehen, dass noch vier andere Leute diesem Feuer zum Opfer fallen sollten, doch im Prinzip machte es alles noch glaubwürdiger. Bei fünf Leichen waren alle von einem tragischen Unfall überzeugt, die defekte Maschine, die Feuer gefangen hat, schnell gefunden. Bei Unfallopfern wurden keine Autopsien vorgenommen, besonders, wenn man die Todesursache mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten konnte. Mit Hilfe des großen Rummels konnte ich das Gelände verlassen und mit Hernandez' Wagen nach Hause fahren. Dort würde dann Plan B über die Bühne gehen.

DIENSTAG, 14. November 2000

Am nächsten Morgen findet der Fabriksleiter von ,CHEVROLET Texas' vor dem Eingang ein Kuvert. Darin war ein Brief von Ramon Hernandez. Er schrieb, dass ihn der Tod seines Kollegen Paul Sylka so zu Herzen ginge, dass er unmöglich weiter an diesem Ort arbeiten könnte. Sofort machte sich der Mann daran, seinen Arbeiter umzustimmen. Auch ihm war der fürchterliche Unfall am Tag zuvor sehr an die Psyche gegangen und gerade, dass auch fünf Menschen zu betrauern waren, machte die Sache noch schlimmer. Trotzdem musste es weitergehen, da half alles Schwarzsehen nichts. Nur wenn alle gemeinsam an einem Strang zogen, konnte bald wieder ein beinahe normaler Arbeitsbetrieb fortgesetzt werden, zwar immer mit dem fahlen Beigeschmack dieser Katastrophe, doch schließlich waren wenigstens sie noch am Leben. Mehrere Versuche, Hernandez, telefonisch in seiner Wohnung zu erreichen, scheiterten. Erst beim fünften Mal meldete sich die Stimme einer älteren Frau am anderen Ende. Es war die Hausmeisterin Mrs. Kazinsky, welche dem verdutzten Mann nur sagen konnte, dass auch sie ein Kuvert vor ihrer Tür vorgefunden hat, neben der Kündigung des Mietvertrages war auch noch das letzte schuldig gebliebene Geld darin. Hernandez hatte sich im Brief noch freundlich für die ruhigen Jahre im Wohnhaus bedankt. Wie bei dem Kündigungsschreiben an die Firma endete er mit der bekannten geschwungenen Unterschrift des Mexikaners. Seit diesem Morgen gab es keine Spur von Ramon Hernandez mehr, es war, als wäre er tot..und das war er ja auch.

Das stundenlange Üben hatte sich ausgezahlt. Schon nach kurzer Zeit konnte ich Hernandez' Unterschrift auswendig, mit allen auffälligen Merkmalen, in derselben Geschwindigkeit wie Ramon zu Lebzeiten selbst. Nach ,meinem' Ableben musste ich noch alle Ausweise von Ramon fälschen, besser gesagt, fälschen lassen. Ich hatte noch gewisse Kontakte. Auf jedem Fall konnte ich ohne Sorge zwei Wochen später das Erbe meines ehemaligen Wohngenossen entgegennehmen. Für das persönliche Treffen mit dem Notar hatte ich mir noch einen leichten spanischen Akzent angelernt und ich glaube, dass ich schon ziemlich gut rübergekommen bin. Da ja sonst kein Verwandter von Hernandez mehr lebte, konnte mich so keiner mehr als einen anderen identifizieren. Mein Glück war gewesen, dass Ramon wegen seiner Arbeit keinen Urlaub für eine Reise zum Begräbnis seines Großvaters bekommen hatte. So war nicht schon vorher zu einem Treffen mit dem Geschäftmann gekommen. Mit einem Koffer voller Geld verließ ich schließlich das Notariat. Mein neues Leben konnte beginnen.


DIENSTAG, 17. April 2001

Paul Sylka wachte schweißgebadet auf, mitten in der Nacht. Verwirrt blickte er aus dem Fenster auf die Straße. Langsam stand er auf und wankte barfuss hinüber. Ihm war gerade eine Vision widerfahren. Ja, er musste auf eine Mission. Seine Mutter hätte es auch so gewollt. Paul brauchte eine Frau auf seiner Seite.eine Rose. Oh, Janette..leider ist es zwischen uns beiden nichts geworden. Doch es war nicht meine Schuld, nein, ich wollte nur, dass du mir gehörst. Das hat dir nicht gefallen. Mit Tränen in seinen Augen sank der Mann auf die Knie, einsam kauerte er sich in die Ecke. Ja, er brauchte dringend eine Rose. Er hielt es nicht mehr aus.so allein, so wertlos. Schluchzend gingen ihm allerlei Gedanken durch den Kopf. Dann fiel sein Blick auf den Computer, welcher auf einem morschen Tisch stand. Innerhalb weniger Sekunden verwandelte sich sein weinerliches Gesicht in eine grinsende Fratze.

Am nächsten Tag lernt Susan Thompson zufällig im Chat einen netten Jungen kennen. Sein Nickname. ,Angel021'.

Einen Monat später wird sie vergewaltigt und erstochen im Park gefunden.
Der Rosenmörder hat die Jagd nach seiner ,Rose' begonnen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.11.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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