Gaby Schumacher

Wintermärchen

Klirrend kalter Winter. In einer mit einer glitzernden Schneedecke bedeckten Gegend mitten auf dem Lande. Zwischen weiten Feldern steht abgelegen ein kleines Bauernhaus. Die Natur schweigt. Stille liegt über allem. Plötzlich vernimmt man helles Lachen. Zwei Kinder sind aus jenem Haus gestürmt, stürzen sich begeistert in den Schnee. In ihrem kleinen Eimerchen tragen sie zwei schwarze Kohlen, eine Mohrrübe und ein schmales Stöckchen mit sich. Sie wollen einen Schneemann bauen. Mit Feuereifer begeben sie sich an die Arbeit. Als Erstes rollen sie einen sehr dicken Ball, danach einen mittelgroßen, dann einen noch kleineren, klopfen und streichen sie mit rotgefrorenen Händen zu glatten Kugeln. Dann setzen die kleinen Baumeister die Kugeln aufeinander. Jetzt erkennt man den Schneemann. Die Kohlen setzen sie ihm als Augen, die Mohrrübe als Nase ein. Das schmale Stöckchen darunter als Mund. Danach formen sie ihm noch zwei Arme. In die eine Armbeuge klemmen sie einen langen, etwas dickeren Stock. Wie ein Wanderstab schaut der aus.
Kurz bewundern sie stolz ihr Werk, freuen sich daran, wie toll der Schneemann ihnen gelungen ist. Dann wenden sie sich zufrieden ab und rennen durch das köstliche weiße Nass davon.

Vor wenigen Augenblicken noch hat er den Blick der ihn anstrahlenden Kinderaugen genossen. Doch jetzt schaut der Schneemann traurig den Kleinen nach.Denn nun steht er dort mutterseelenallein auf dem weiten Feld. Nur ein wenig getröstet von der Wintersonne, die ihn leicht glitzern lässt. Die Einsamkeit betrübt ihn immer mehr. Er wird ganz melancholisch. Die Menschen leben in Familien oder auch als Paar zusammen, auch die meisten Tiere fühlen sich an diesem kalten Tage unter Ihresgleichen geborgen. "Und ich...was ist mit mir?“ Er seufzt.
Es ist Vorweihnachtszeit. Ob er sich etwas wünschen dürfte?? „Ach, wenn ich doch nicht so verlassen hier stehen müsste, was wäre das schön!“ flüstert er vor sich hin.
Die Stunden vergehen. Dem Schneemann kommt es vor, als wären es Tage. Langsam bricht die Dunkelheit herein. Es wird noch kälter. Was der Schneemann nicht ahnt: Seine wehmütigen Gedanken hat jemand gehört und empfindet Mitleid mit diesem einsamen Gesellen. Gegen Mitternacht plötzlich wird die in unheimlicher Schwärze liegende Landschaft von einem goldenen Schein erleuchtet. Unser Eisgeselle reisst in ungläubiger Fassungslosigkeit seine Augen weit auf. Vor ihm steht in dem warmen Licht ein Himmelswesen, ein Engel. Und spricht zu ihm: „Sei nicht länger traurig. Dir wird dein Wunsch erfüllt werden. Schon sehr bald...!" Der Engel lächelt geheimnisvoll. Was ist denn das(!)??
Im nächsten Moment spürt unser kalter Freund, wie er sich vom Untergrund löst. Ein Gefühl ungewohnter Freiheit bemächtigt sich seiner. Aufgeregt stellt er fest, dass er auf zwei ganz normalen Beinen steht. Beinen, mit denen er sich vom Fleck bewegen kann. Da es nicht den üblichen Gepflogenheiten eines Schneemannes entspricht, selbstständig durch die Welt zu spazieren, probiert er nur zögerlich die ersten Schritte, ist noch sehr unsicher. Doch nach wenigen Minuten verfliegt die Ängstlichkeit. Er wird mutiger, läuft immer selbstbewusster umher. Fest entschlossen, endgültig dem Alleinsein zu entfliehen, macht er sich voller Euphorie ob der neu gewonnenen Freiheit schließlich auf die Suche nach Gesellschaft. Guten Mutes stapft stapft er munter durch die Nacht. Lange braucht er nicht zu suchen. Erst an zwei lang gestreckten Feldern ist er vorbei marschiert. Da sieht er sie von weitem! Täuschen ihn seine Augen? Kaum wagt er seinem Blick zu trauen. Dort, weit entfernt am hinteren Rande des nächsten Ackers hebt sich gegen den Nachthimmel der Umriss einer Gestalt ab. Je mehr er sich ihr nähert, umso mehr wächst seine Freude. Nein, sein Blick hat ihn nicht getrogen. Dort steht doch wahrhaftig ein Schneemädchen. Nicht so groß wie er. Ein eher winziges, sehr schlankes Schneemädchen. Auch ihm haben die Kinder große Kulleraugen aus Kohlen eingesetzt, eine Mohrrübe als Nase und ein Stöckchen als Mund. In seinem Arm hält es gleich ihm einen kleinen Wanderstab. Und, was dem Schneemann dann vordringlich auffällt: Dieses Schneemädchen guckt genauso traurig wie er noch einige Minuten zuvor.
Doch dann bemerkt es den Schneemann. Und lächelt freudig. "Ich bin schon soo lange allein. Bitte, bleib doch bei mir!" flüstert es mit Sehnsucht und Hoffen in der Stimme. Nichts in der Welt tut der Schneemann lieber als das. Sein Gesicht leuchtet. All sein Kummer ist verflogen. Ganz dicht stellt er sich neben das Schneemädchen, so dicht, dass ihre Arme sich berühren. Froh sehen sie sich an.
Jetzt sind sie nicht mehr einsam. Sie gehören zusammen. Jetzt sind sie glücklich. Und wenn sie nicht geschmolzen sind, schwelgen sie auch heute noch im Glück. .
4. Dez. 04

Eine kleine Geschichte zum Träumen...!

G. Schumacher
Gaby Schumacher, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.12.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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