Jens Peter Harwerth

Freitagabend nach Haus

Aus dem Lautsprecher dringt Pachelbels Canon und Gigue. Nur noch 2 Wochen bis Weihnachten. Deshalb habe ich die CD im Wagen. Die Scheibenwischer gehen in kurzen Intervallen. Es regnet etwas und es wird daemmerig.

Meine Gedanken kreisen.

Der Tacho zeigt 120km/h. Ich will nach Haus. Muss Bea sehen, die Hundeschnauzen spueren, die Waerme des Ofens.

Am Horizont ist ein heller Streifen zu sehen, doch keine untergehenden Sonnenstrahlen beleuchten die Wolken.
Der Diesel brummt gleichmaessig dahin. Ich ziehe eine Wasserfahne hinter mir her. Hin und wieder kommen mir ein paar Autos entgegen, doch die Strasse ist meist leer. Seit einer guten Stunde geht das jetzt so. Einige Haeuser haben jetzt die Weihnachtsdekorationen an den Fassaden. Ob wir naechstes Jahr im Sueden sein werden - zu Weihnachten? Kaktussuppe !!! Ob es sowas wohl gibt? Weihnachten mit Kaktussuppe. Verrueckt!

Mir fallen ein paar Gesichter ein, die ich im Supermarkt gesehen habe. Russische Gesichter. Die Frauen in langen Gewaendern mit einem eigenartigen Tuch ueber ihren Haaren. Das Tuch sieht aus wie ein Beutel in dem die Haare liegen. Eine war noch sehr jung und sehr huebsch. Sie sind aus Weissrussland, aber sie halten an ihrer Tradition fest. Ihre Maenner tragen Rauschebaerte.
Was fuer ein phantastisches Land Canada doch ist. Die Multinationalitaet hat soviele Nuancen. Frieden, denke ich. Hier ist Frieden, hier war niemals Krieg. Eine Oase des Friedens. Niemand denkt hier an Krieg. Doch jenseits des 49. Breitengrades ist das anders. Dort denken alle an Krieg. An den Irak!

Ich muss einem Hund ausweichen der gerade ueber die Strasse laeuft. Ich koennte niemals einen Hund totfahren. Aber wie war das mit dem Reh neulich? Es flog quer ueber die Strasse und war sofort tot. Ich kontrollierte es und hatte ein dummes Gefuehl. Doch es liegen staendig tote Rehe an der Strasse. Man stumpft ab. Wuerde man abstumpfen wenn es tote Hunde waeren? Doch am naechsten Tag sind die Rehe verschwunden. Raubtiere ernaehren sich davon. Die Reste holen sich die Raben und Kraehen. Ich schaudere, obwohl es viel zu warm im Wagen ist. Es giesst jetzt, doch ich oeffene das Fenster, lasse frische Luft hinein.

Und es wird immer dunkler. Der Wald erscheint jetzt als schwarze Silhouette rechts und links der Strasse. Die Spitzen der arktischen Tannen sehen gegen den Himmel irgendwie bedrohlich aus. Hin und wieder taucht ein Gehoeft auf. Ein langsam fahrender PKW bringt mich auf die Ueberholspur. Ich denke an den Anhaenger und bleibe eine Weile auf der linken Seite bis die Lichter des PKW's hinter mir in meinem Rueckspiegel auftauchen.
Es ist ein Ros entsprungen.... klingt es an mein Ohr. Kurz darauf die grossartige sowjetische Nationalhymne. Im Geiste singe ich mit und sehe die russischen Frauen aus dem Supermarkt an der Strasse stehen und begeistert mitsingen. Sie winken und singen.
Als das Stueck zu Ende ist druecke ich auf die Wiederholtaste. Es ist grossartig - ein Meisterwerk - fuer die Demagogen.

Stockfinster ist es jetzt. Dabei ist es erst 16.30 Uhr. Noch 37 km nach La Corey, dann stehe ich dort an der Kreuzung. Von ueberall kommen ploetzlich Fahrzeuge heran. Die Oelarbeiter haben Feierabend. Sie kommen von Esso, von EnCana, von Husky und wie die Gesellschaften alle heissen. Ploetzlich hoert es auf zu regnen und ich sehe den klaren Nachthimmel vor mir. Der Wetterbericht hat morgen einen Temperatursturz gemeldet. Von +3 Grad auf minus 16 und am Sonntag auf unter 20 Grad.
Die letzten 20km fahre ich nur noch 80. Hier ist mehr Verkehr und die Strasse ist schmaeler. Als ich vom Highway 55 abbiege, weiss ich, dass es nur noch 10 km bis nachhause sind. Hier ist noch alles weiss - es hat nicht geregnet.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.12.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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