Langsam und unsäglich müde schlich er am späten Abend die menschenleere Gasse hoch. Seine vorsichtig-tastenden Schritte verklangen dumpf und ungehört in der Stille der einbrechenden Nacht. Ermattet ließ er sich hinter einem großen Müllcontainer nieder. Hier würde ihn niemand entdecken und verjagen.
Er hatte es wahrhaftig nicht leicht; vor 2 Jahren hatte er seine Familie, sein Heim, einfach Alles verloren. Nun wanderte er ziellos durch die leeren, verdreckten Straßen der Stadt, die er einst geliebt hatte. Langsam senkten sich seine Augenlider. Sein Atem kam pfeifend aus Lungen, die zuviel Staub geatmet und zuviel nasse Kälte hatten erdulden müssen. Die inzwischen papierdünnen Herzkammern pumpten mühsam zähes Blut durch alte Adern. Er wußte, daß er nicht mehr lange zu leben hatte – und es machte ihn traurig. Nicht zu sterben, nein, einsam und ungeliebt aus dieser Welt zu scheiden, das ließ ein Stöhnen aus seiner alten Brust rinnen.
Ein Rascheln unter dem Müllcontainer ließ ihn noch einmal seine müden Augen öffnen. Kurz spannten sich seine zitternden Muskeln, bereit zur Flucht. Doch an diesem Abend war es nicht nötig, übermäßig wachsam zu sein. Heute würden bestimmt keine üblen Schläger durch die Gassen schleichen, wie es so oft der Fall war. Er wußte aus Erfahrung, daß seine Peiniger meist bei Regen kamen, wenn sie sich unter dem Schutz von Kapuzen bewegen konnten. Heute ließen sich sogar vereinzelt Sterne am dunklen Himmel sehen. Er war dankbar, daß ihm heute wenigstens dieser Spießrutenlauf erspart bleiben würde.
Wieder raschelte es unter dem Container. Eine kleine Maus lugte neugierig zu ihm hinüber, schnupperte kurz in seine Richtung, entschied, daß er wohl keine Gefahr darstellte und wandte sich wieder einer Apfelkitsche zu, die sie im Müll erbeutet hatte. Wäre er nicht so ein freundlicher Geselle gewesen, wäre er sicher Eifersüchtig auf das Festmahl der kleinen Maus geworden. Er selber hatte seit 3 Tagen nichts mehr in den Bauch bekommen. Er hatte einfach nicht mehr die Kraft, sich durch die Kolonien von Mülltonnen im Geschäftsviertel zu arbeiten – und niemand hatte ihm ein Almosen gegeben. Gestern hätte ihm fast ein kleiner Junge seine Bratwurst zugesteckt. Das Wasser lief ihm schon im Munde zusammen und in seine Augen waren unwillkürlich Tränen der Dankbarkeit gestiegen. Doch dann hatte die Mutter des Jungen ihren Sohn zeternd und schimpfend von ihm fortgerissen.
Tau senkte sich über die Stadt, doch der alte Rumtreiber merkte es nicht. Er hatte seine Augen zum letzten Mal geschlossen und träumte ein letztes Mal von vergangenen Tagen, als er noch eine Familie und ein Heim gehabt hatte, von der Zeit, als er noch glücklich sein konnte.
Noch einmal war er glücklich – wenn auch nur im Traum; noch einmal holte er rasselnd Atem; noch einmal schlug sein Herz; dann war er Tot.
Am nächsten Tag fand ein Straßenfeger den Hundekadaver und ließ ihn von der städtischen Müllabfuhr zur Verwertung bringen.
Vorheriger TitelNächster TitelLiebe Leser, bitte schreibt mir doch, ob Euch meine Geschichte gefallen hat, oder nicht - vielleicht sogar Verbesserungsvorschläge? denn der Sinn, hier Geschichten rein zu setzen liegt ja auch (und vor allem) darin, ein Feedback zu bekommen. Also bitte, eine Benotung oder ein kurzer Kommentar reichen. DankeHeike Riedel, Anmerkung zur Geschichte
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.12.2004.
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