Haro Baum

Bartholomä´s Unfall

Als Bartholomä vom Kinderwagen angefahren worden war, hatte es von der Turmuhr
gerade Zwei geschlagen; nach Mitternacht. Allein die Art des Unfallgefährts war
ungewöhnlich. Noch seltsamer war aber der Zeitpunkt des Geschehens. Welches Baby ist
denn schon (oder noch) unterwegs, um diese Zeit? Bartholomä machte sich diese
Gedanken im Spitalbett, nachdem er aus der Narkose aufgewacht war, in welche man ihn
versetzt hatte, um den gebrochenen Oberschenkel mit einer Metallplatte und ein paar
Schrauben zu fixieren. War denn da überhaupt ein Baby drin, im Wagen? Wurde es vielleicht
auch verletzt, das Baby, beim Zusammenstoss? Bartholomä wusste es nicht, weil der
Kinderwagen - vielmehr seine Steuerfrau oder sein Steuermann - Fahrerflucht begangen
hatte. Das Gefährt war schwer und altmodisch; hatte grosse Räder und ein aufgeklapptes
Verdeck. Es war unheimlich schnell unterwegs. Bartholomä konnte nicht erkennen, wer den
Wagen gestossen hatten. Die Strassenecke, wo es passierte, war unbeleuchtet.
Bartholomä wurde augenblicklich zu Boden geworfen und anschliessend überrollt. Zudem
war er zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens auch nicht mehr ganz nüchtern.

Bartholomä war kein sehr geselliger Mensch. Vielfach ging er nachts allein durch die
Strassen der Stadt, mit einem Flachmann in der Tasche. Das war gewissermassen sein
Hund, den er Gassi führte. Und sein Flachmann-Dackel musste öfters; nicht an einen
Baum, sondern in Bartholomä’s Kehle. Bei seinen nachtwandlerischen Schlucktouren hatte
er immer in der anderen Tasche einen Knirps dabei, weil es in der Stadt oft regnete.
Bartholomä nahm auch in fortgeschritten alkoholisiertem Zustand die Uhrzeit und die
Möblierung seiner unmittelbaren Umgebung wahr. Er vermochte immer die Glockenschläge
der Turmuhr zu zählen und torkelte nie gegen eine Strassenlaterne, sondern wich diesen
geschickt aus. Genau um zwei in der Nacht war er überfahren worden, von einem
Kinderwagen. Daran gab es nicht die geringsten Zweifel. Es hatte drei Uhr geschlagen, als
man ihn in die Ambulanz lud. Ein junges Paar war auf ihn aufmerksam geworden, als er auf
dem Gehsteig lag, seinen Oberschenkel hielt und vor Schmerz stöhnte.

Es klopfte an die Türe des Spitalzimmers. „Herein“, sagte Bartholomä. Zwei jüngere Herren
in schwarzen Ledermänteln traten ein und stellten sich beidseits von seinem Bett auf, bevor
sie sich vorstellten. „Guten Tage, Herr Knapp“, sagte der eine. „Ich bin Manuel Sutter und
mein Kollege heisst Sandro Puzzi. Wir kommen von der Kriminalpolizei.“ Zwei laminierte
Ausweise stoppten kurz von Bartholomä’s Nasenspitze.

„Guten Tag die Herren“, sagte Bartholomä. „Es erstaunt mich echt, dass Sie sich der Sache
so unverzüglich annehmen. Schliesslich bin ich ja nur von einem Kinderwagen über den
Haufen gefahren worden. Klar, der hat Fahrerflucht begangen. Aber ich bin ja nicht tot, nur
mein Oberschenkel ist hin. In Anbetracht der schweren Verbrechen in dieser Stadt, doch
eine Bagatelle. Es freut mich wirklich, dass Sie auch solche Sachen ernst nehmen, meine
Herren von der Polizei.“

„Das ist nicht unser Bier, der Kinderwagen und Ihr Unfall, Herr Knapp. Das macht die
Verkehrsabteilung später“, sagte Sutter. „Wir kommen, um Ihnen zu eröffnen, dass Sie in
Untersuchungshaft gesetzt sind. Hier der Haftbefehl.“ Vor Bartholomä’s Nase wurde ein
maschinenbeschriebenes A4-Blatt entrollt. Bartholomä blieb der Atem weg. „Was, warum,
wieso“, stammelte er.

„Herr Knapp, Sie stehen unter dringendem Verdacht, am Bankeinbruch in der letzten Nacht
beteiligt gewesen zu sein. Wir gehen davon aus, dass Sie auf der Flucht gestürzt sind und
sich dabei den Oberschenkel gebrochen haben. Logischerweise mussten Ihre Komplicen
Sie zurück lassen, weil Sie ihnen in Ihrem Zustand nur hinderlich gewesen wären. Einen
Anteil an der Beute haben Ihre Komplicen Ihnen in die Tasche gesteckt. Im Spital ist in
Ihrem Mantel bei der Suche nach Identitätspapieren ein Goldbarren gefunden worden, Herr
Knapp. Das wurde uns gemeldet. Zudem lagen Sie keine fünfzig Meter vom Tatort entfernt.
Das wissen wir von der Ambulanz, die Sie ins Spital gebracht hat. Wenn Sie jetzt Ihre
Mittäterschaft an dem Bankeinbruch gestehen und die Namen Ihrer Komplicen bekannt
geben, wird sich das auf den Staatsanwalt und die Richter sicher nicht negativ auswirken.“

„Halt, halt“, schrie Bartholomä dazwischen. „Ich und ein Bankeinbruch? Was fantasieren Sie
denn da zusammen. Ich bin spazieren gegangen mit meinem Flachmann, wie ich das
immer tue. Da habe ich Zeugen dafür, die meine Gewohnheit seit Jahren kennen. Plötzlich
schoss dieser Kinderwagen um die Ecke. Es war dunkel; richtig finster war es an dieser
Strassenecke. Die technischen Betriebe dieser Stadt nehmen sich ja Zeit, ewig Zeit, um die
defekte Beleuchtung endlich zu reparieren. Eine Schande ist das, ich zahle Steuern in
dieser Stadt! Also ich wurde umgefahren, überrollt wurde ich. Dabei fiel mir mein Knirps aus
der Tasche. Ich habe ihn wieder eingesteckt, obwohl mich mein Oberschenkel schmerzte,
höllisch sogar. – Aber halt, meine Herren. Der Knirps war unheimlich schwer, da habe ich
mich schon gewundert. Klar! Das war der Goldbarren, den ich versehentlich eingesteckt
habe und nicht mein Knirps. Der Barren fiel aus dem Kinderwagen heraus, als der mit mir
zusammengeknallt war. Da war gar kein Baby drin. Die Einbrecher haben ihre Beute damit
transportiert...“

„Schön, schön“, unterbrach Puzzi und legte seine schwarze Lederhaut ab. „Einen Knirps
haben wir wirklich gefunden, dort wo man Sie auflas. Aber der Goldbarren und der Knirps,
dafür war Ihre Tasche halt zu klein. Wir sind Ihnen auch nicht böse, dass Sie aus
Platzmangel auf Ihr Regendach zugunsten des Goldbarren verzichtet haben, Herr Knapp.
Jetzt wollen wir nur wissen, aus welchen anderen Taschen die restlichen Goldbarren noch
Knirpse oder dergleichen verdrängt haben könnten...“

„Halt, halt“, schrie Bartholomä wieder dazwischen. „Meine Herren Kriminalpolizisten, Sie
wissen doch sicher auch, dass ich ein bisschen angesäuselt, ich meine doch recht
betrunken war, als man mich fand. Jetzt appelliere ich an Ihren geschulten kriminalistischen
Verstand: Welcher Bankeinbrecher lässt sich voll laufen, während er einen solchen Coup
abwickelt? Da haben Sie wohl keine Antwort darauf?“

„Doch, doch“, lächelte Sutter. „Wir sind wirklich geschulte Kriminalisten mit Verstand, wie
Sie ganz richtig festgestellt haben. Daher wissen wir auch, dass nicht alle Bankeinbrecher
Abstinenten sind und ein paar von denen auch gelegentlich einen Flachmann bei sich
tragen, um nachträglich einen gelungenen Coup zu begiessen. Das ist alles schon
vorgekommen. Sie gehören halt auch zu den nicht abstinenten Bankeinbrechern und erst
noch zur Spezies mit dem Flachmann, Herr Knapp. Wie Sie so in Ihrem Schmerz da lagen,
von allen verlassen, haben Sie halt den Flachmann geleert. Wenn’s auch nicht zur Freude
über den gelungenen Coup war, so hat es doch betäubt, nicht? - Überschlafen Sie unseren
Vorschlag mit dem Geständnis. Wir kommen Morgen wieder. Damit Sie nicht auf dumme
Gedanken kommen, wacht ein Polizist vor der Türe über Ihren Schlaf. Auf Wiedersehen, Herr
Knapp.“

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Haro Baum).
Der Beitrag wurde von Haro Baum auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.12.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Haro Baum als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Das Flüstern der Geister - Gedichte und Geschichten von Sonja Raab



Eine Schamanin erzählt aus ihrem Leben, in Form von Lyrik, Haiku und ergreifenden Lebensgeschichten.
Eine Zigeunerin kommt zu Wort, sowie die "Gini" ein geistig behindertes Mädchen die ihr Herz berühren wird.
Und zwischen den Zeilen, alles voller Lebensgeister...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Alltag" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Haro Baum

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Kurve verpasst von Haro Baum (Krimi)
So ändern sich die Zeiten von Norbert Wittke (Alltag)
Das Geständnis eines reuigen Verkehrssünders von Heideli . (Skurriles)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen