Alexander Petrovic

Golf

Nein, dieses gleich vorweg, es geht nicht um die Sportart, über die ich mich immer wieder wundere und die ich meist doch eher belächele. Warum, möchte ich hier nicht weiter ausführen. Ich möchte keinem Golfer auf den Schlips treten, aber seine Leidenschaft ist nun mal absolut nicht mein Fall, auch wenn es wohl aktuell die beste Möglichkeit ist, Deals oder Karrieren anzubahnen oder ab einem gewissen hierarchischen Niveau Personal-Rochaden zu steuern.
Es geht auch nicht um den geografischen Namen der Ausbuchtung eines Meeres, wenngleich es für mich ein überwiegend schönes Thema ist, wie das meiste, das mit großem Wasser zu tun hat. Dazu mehr an anderer Stelle.
Also bleibt nur der so genannte und berühmte Kompaktwagen. Immerhin der erste seiner Klasse. Sozusagen ihr Begründer. In diesem Fall vielleicht der Gründer selbst, denn es war noch einer der ersten Baureihe, mit dem ich zu tun hatte. Ein Diesel. Und er gehörte Grittli.
Da er in waidmännisches Grün getaucht war, hatte ein Mensch mit Sprachwitz ihm den Namen ,Försterturbo' verpasst. Wenn man nicht gerade über 200 Sachen fahren wollte oder musste, war er ein rundum hervorragender Gebrauchsgegenstand und langsam war er auch nicht gerade, wenn man etwas Geduld aufbrachte. Er war schon betagt und verbreitete einige eher überflüssige Nebengeräusche, aber er war zuverlässig und verbrauchte erstaunlich wenig und zudem preisgünstigen Sprit.
Grittli war meine Untermieterin in Bielefeld. Studentin der Psychologie und Freundin eines alten Freundes von mir, der sie in München, wo er lebte, kennen gelernt hatte. Ihn konnte ich in der Zeit so auch öfter bei mir in Bielefeld begrüßen.
Wie der Name einen schon ahnen lässt, stammt sie aus der südöstlichen Ecke der BRD, genauer gesagt oder aus dortiger Sicht gesehen aus dem Ausland. Aus Wasserburg am Inn nämlich. Und den grünen Golf hatte sie mit nach Preußen gebracht.
Ich bin ein Automensch. Das kann ich so sagen. Seit ich meinen Führerschein habe, weiß ich das unabhängige und zügige Fortbewegen mit dem Auto zu schätzen. Kann aus verschiedenen Gründen sowohl beruflich als auch privat kaum darauf verzichten.
Nicht dass ich dauernd Auto fahre, nein, mein Brenner steht auch schon mal einige Tage, weil ich in der Stadt dann doch die meisten Dinge per Fahrrad erledige. Also da ist schon eine gute Portion Pragmatismus vorherrschend, wenn man Parkplatzsuche, -Kosten, Spritverbrauch und Umweltbelastung berücksichtigt. Und nicht zuletzt mein Bewegungsdrang.
Aber ich habe viele Gründe, die mich aus der Stadt hinausführen und gewissen zeitlichen Vorgaben unterliegen. Angesichts horrender Bahnpreise, Wegen von und zu Bahnhöfen, die dann doch oft wieder eines PKWs, eines Busses oder der Straßenbahn bedürfen, und elender Wartezeiten und Umsteigereien verzichte ich lieber auf Schienenwege. Das Auto ist die passende Lösung für mich.
Nun habe ich im Laufe meines Autofahrerlebens schon sehr viele und die unterschiedlichsten Vehikel mein Eigen genannt. Aber es gab auch einige wenige Zeiten, die ich ohne eigenen fahrbaren Untersatz überbrückt habe. Schwer genug, aber es wurde dadurch erleichtert, dass mir gute Freunde in Situationen, wo es darauf ankam, ihren Brenner ausliehen.
Zu diesen Freunden durfte ich kurze Zeit, nachdem sie bei mir eingezogen war, auch Grittli rechnen.
Der Anlass, die Stadt zu verlassen, war diesmal die Verabredung mit einer jungen Dame, die ich ein paar Tage vorher kennen gelernt hatte und nun in ihrem Heimatdorf besuchen wollte, um sie näher kennen zu lernen.
Ich fuhr ca. 1 Stunde bis Steyerberg, unter den Leuten mit Sprachwitz auch St. Eyerberg genannt. Ihre Wohnung lag an einer der beiden Hauptstraßen im Zentrum des Ortes und war schnell gefunden. Zum Parken wählte ich ein Schottergrundstück in einer Baulücke nicht weit entfernt. Dort war wohl vor Jahren ein Haus abgerissen worden und es sah nicht so aus, als wenn hier bald ein Neues gebaut werden würde.
Sie empfing mich freundlich und bot mir etwas zu trinken an. Wir unterhielten uns längere Zeit über dies und das und stellten Gemeinsamkeiten und Differenzen fest. Ich merkte bald, dass sich bei mir keine großen Gefühle einstellen wollten. Sympathie schon, allein wegen ihres strahlenden Lachens. Aber nicht diese Begeisterung und Leidenschaft, die man/frau sich bei solchen Gelegenheiten erhofft. Ihr ging es wohl ähnlich.
Es ist aber auch möglich, dass meine letzte Beziehung in mir einfach noch lebendiger war als ich glaubte und ich deshalb noch nicht ganz bereit war, die Gefühle wirklich zuzulassen. Heute berücksichtige ich so etwas mehr und bin weitaus vorsichtiger geworden. Man kann zu leicht Gelegenheiten für sich und andere verspielen, man kann jemandem dadurch weh oder Unrecht tun.
Die Zeit verging schnell und da meine Gastgeberin mich nicht zum Bleiben einlud, machte sich in mir gegen Mitternacht der Gedanke an die Heimfahrt nach Bielefeld breit. Ich schnappte mir dann auch bald meine Jacke und wir verabschiedeten uns genauso freundlich wie wir uns begrüßt hatten. Wir nahmen uns vor, miteinander zu telefonieren.
Ich wand mich um und ging. Als ich den Lichtschein der Haustürlampe verließ, befand ich mich augenblicklich in absoluter Finsternis. Keine Lampe, kein erleuchtetes Fenster in der Nachbarschaft, kein Mond und keine Sterne. Nur Schwarze Nacht. Ach ja, ich war auf dem Lande. Hier wurde um 23 Uhr die Straßenbeleuchtung abgeschaltet. Ist ja auch richtig so, die Landbevölkerung geht nun mal früh schlafen.
Steyerberg ist schon ein etwas größeres Dorf, ein so genannter Marktflecken in der Mittelweser-Region. Immerhin ein paar tausend Einwohner. Aber 99 Prozent von ihnen schlummerten schon und das brauchte nicht kostenintensiv beleuchtet zu werden.
Ich war wohl weit und breit der einzige Mensch, der sich noch unter freiem Himmel aufhielt und seinen Weg suchte. Gut, in der Dorfkneipe wird wohl noch der eine oder andere über seinem Bier und Korn gehockt haben, aber der kannte seinen Weg auch im Schlaf.
Ich peilte auf Gut Glück die Richtung zu der Baulücke an und stakste vorsichtig weiter. Ich traf sie auch nach 40, 50 Schritten. Vor mir erahnte ich mehr als ich sie wirklich sah die Umrisse des Golfs. Ich ertastete das Schloss der Fahrertür und fummelte den Schlüssel hinein, öffnete und sank in den Sitz.
Das Zündschloss zu finden, dauerte noch etwas, weil ich an das Golf-Cockpit noch nicht so gewöhnt war. Ich hatte meist Opel, BMW, Alfa oder Mercedes gefahren. Ich fand es aber und prokelte mit dem Schlüssel daran herum. Irgendwie wollte er nicht hineingleiten. Ich drehte ihn und versuchte es weiter. Aber das Schloss wollte ihn nicht annehmen.
Ich habe es schon erlebt, wenn ein altes Sicherheitsschloss seinen Geist aufgibt, weil eine Feder in ihm ermüdet und gebrochen ist. Dann hat man schlechte Karten. Mit viel Gefühl und ein bisschen Glück kann man es manchmal noch hinbekommen. Aber wenn sich ein nur millimetergroßes Teilchen querlegt, besteht keine Chance, dieses Schloss auf normalem Wege zu öffnen.
Auch mit Gefühl und nochmaligem Wenden des Schlüssels hatte ich keinen Erfolg. Mich streifte ein Anflug von Unsicherheit. In einem gedanklichen Rundumschlag prüfte ich die Auswege aus dieser Situation.
Anfangen herumzubasteln ging erstens nicht ohne Werkzeug und zweitens war es aussichtslos, hier zu diesem Zeitpunkt fachmännische Hilfe herbeizuholen. Das Handy-Zeitalter war Ende der 80er noch nicht angebrochen. Den Wagen kurz zu schließen schied ohne Taschenlampe auch aus. Und außerdem hatte ich Skrupel Grittlis Lenkradschloss zu knacken. Schließlich könnte zu allem Überdruss irgendein Nachbar aufmerksam werden und dann hätte ich in arge Erklärungsnöte geraten können.
Aus Steyerberg wegzukommen war nur zu Fuß oder per Taxi möglich. Aber wohin? Nach Bielefeld mit dem Taxi zu fahren war unverhältnismäßig teuer. Vielleicht die 20 km nach Nienburg, da kannte ich genug Leute. Also eine Telefonzelle suchen? Ich könnte auch noch mal zu der netten jungen Dame gehen, sie um ein Telefonat oder eine einfache Schlafmöglichkeit bitten.
Bei diesen Gedankengängen wanderte mein Blick im Auto umher. Etwas befremdete mich. Ich hatte Grittlis Golf nicht oft genug gefahren, um mir alle optischen Details geläufig werden zu lassen. Aber ich merkte so viel, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Das Armaturenbrett sah mir zu neu und zu sauber, das ganze Wageninnere zu aufgeräumt aus. Da waren auch Farben, die mir bisher nicht aufgefallen waren. Sollte ich etwa.?
Ich öffnete die Fahrertür, stieg aus, kramte mein Feuerzeug hervor und machte ein wenig Licht. 4 Meter entfernt sah ich schemenhaft einen weiteren Golf. Der machte eher den Eindruck eines Försterturbos. Der Golf, dessen Fahrertür ich noch in der Hand hielt, war soweit man erkennen konnte dunkelrot und einige Jahre jünger.
Gleichzeitig peinlich berührt und einen Impuls, lauthals los zu lachen, unterdrückend schloss ich den roten Golf wieder ab und taperte zu dem Gefährt, das für mich vorgesehen war.
Meine Stimmung während der Heimfahrt wechselte zwischen stillem vor-mich-hin-Schmunzeln und befreitem, brachialen Gelächter.
Ich sinnierte auch noch einmal mehr über Fügungen. In diesem Fall eine gar nicht so seltene. Bei älteren Brenner-Modellen gab es nicht so viele verschiedene Autoschlüssel wie die meisten Leute glaubten. Bei billigen Ausführungen konnte es schon sein, dass der Schlüssel bei jedem 40. Auto selben Typs zum Türschloss passte. Bei den Schlossmechanismen wurde damals viel gespart. Das Zündschloss hingegen war schon etwas aufwändiger gestaltet. Und bei teureren Modellen gab es 200er und bei Porsche sogar 350er Schlüsselserien. Heute ist das System auf jeden Fall ausgeklügelter, aber ich glaube, dass unter geeigneten Umständen so eine Geschichte immer noch wieder passieren kann.
Auf jeden Fall haben mir die technischen Entwicklungsteams der Abteilung Türschlösser aus Wolfsburg in den 70ern schließlich einen Thrill beschert, den ich in meinem Erfahrungsschatz nicht missen möchte.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.01.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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