Florian Feindel

Verwirrte Gedanken

Der runde Mond schien schwach durch die von Regen geschwängerten Wolken und tauchte die wäldliche Umgebung in ein fahles fast schon bedrohliches Licht. In der Ferne waren gleisende Blitze auszumachen, deren Präsenz man wenige Sekunden später durch ein dumpfes, schnell näherkommendes Grollen hören konnte. Nur durch dieses Schauspiel der Natur verlor der Wald seine sanfte Stille. Gelegentliche Eulenrufe oder das Knacken des Unterholzes bestätigten erst die Ruhe die an diesem Ort herrschen sollte.
Er war überrascht zu dieser mitternächtlichen Stunde ein Eichhörnchen flink einen alten A-Hornbaum hochklettern zu sehen. Als dieses Tierchen beim ersten kleinen Ast angekommen war, putzte es sich gewand mit seinen geschickten Pfoten sein Schnäuzchen.
Dieses Eichhörnchen sah schon die ganze Zeit zu ihm hinüber, so schien es. Etwas kitzelte an seiner Nase und er strich sich seine langen schwarzen Haare wieder nach hinten. Wieso schlief dieses Eichhörnchen nicht? Warum war es noch munter? Ob es wohl wusste was er getan hatte, was sich in seiner schlichten Wohnhütte aus modernden Dielen verbarg? Wie mit den Augen aller Opfer schaute ihn das Tier an. Anklagend starrten sie auf ihn, schienen in seine Seele und in seine geheimsten Gedanken zu dringen. Und diese waren böse. Er konnte diesen Blick nicht ertragen, kniff seine blauen Augen zu und wand sich ab vom Fenster. Langsam, fast ängstlich öffnete er wieder seine Augen, nur um dieser Frau die hinten in dem Zimmer auf einer dreckigen Matratze lag in ihre vor Angst und Entsetzten verschobene Fratze zu schauen. Ihre Augen blickten starr und ohne den kleinsten Lebenswillen in die Seinen. Wie konnte sie sich so gehen lassen? Diese junge Dame erinnerte ihn an seine Mutter. Dieselben blonden Haare. Das selbe schmale Gesicht mit den wunderschön vollen Lippen. Ihre Augen genau so grün und die Finger, mit der seine Mutter ihn immer gestreichelt hatte um ihn zu beruhigen wenn sein Vater mal wieder nach ihm geschlagen hatte, waren ebenfalls die selben. Ob sie wohl auch den gleichen Namen trugen, fragte er sich innerlich. Noch hatte er sie nicht nach diesem gefragt.
Ihr Magen knurrte laut. Sie blinzelte und schaute verschämt und ängstlich auf die stinkende Matratze auf der sie lag. Ihre Arme waren mit einem schlichten Seil an einen Heizkörper gekettet.
"Du scheinst Hunger zu haben, nicht wahr?" fragte er mit einem Lächeln.
Doch sie würde ja nicht verhungern.
"Nein ganz bestimmt nicht." drang eine Stimme in seinen Kopf.
Immer noch betrachtete er die Frau die so große Ähnlichkeit mit seiner Mutter hatte. Immerzu wollte sie ihn vor seinem Vater beschützen. Gebracht hatte es nicht das Geringste. Seine Mutter war immer zu nachsichtig mit ihm gewesen. Er hatte die Schläge seines Vaters ja verdient. War er doch ein sehr böser Junge. Sein Papa wusste wie man ihn erziehen musste. Bei ihm halfen nun mal nur Prügel.

"Doch deine Mutter hatte es ja nie verstanden. Immerzu beschützte sie dich. Immerzu tröstete sie dich wenn dein Vater dich geschlagen hatte. Sie selbst hatte Angst vor ihm. Sie war schwach. Und nur weil diese Frau war, weil sie dich so dermaßen verwöhnt hat, war die Arbeit, die Schläge deines Vaters nicht erfolgreich. Und dann brachte sie ihn auch noch hinterhältig um. Erinnerst du dich noch wie es geschah? Mit einem Messer dass sie ihm in den Rücken rammte als er deine linke Gesichtshälfte gerade auf eine heiße Herdplatte gedrückt hatte. Du hattest es ja verdient. Du bist damals eine Stunde zu spät nach hause gekommen! Und deine schwache Mutter hätte es dir natürlich wieder durchgehen lassen. Und so starb dein Vater, der nur das Beste für dich wollte. Deine Mutter hingegen hat einen Schlappschwanz aus dir gemacht. Na schau dich doch an!"
Wieder hatte er der Stimme in seinem Kopf gelauscht. Langsam führte er seine Hand zu seinem Gesicht und strich sich über die vernarbte Wange. Er war von seinem Vater entstellt worden. Und dies zu recht. Was war er nur für ein Junge gewesen? Und seine Mutter unterstütze ihn auch noch.
"Ja, sie hat einen Außenseiter aus dir gemacht, du weiß das! Und nun räche dich an ihr! Sie hat dir dein Leben zerstört, Richard! Dich lebensunfähig gemacht und deinen Vater getötet. Zahle es ihr heim! Lass die ganzen Qualen die sie dir über die Jahre zugefügt hat nun an ihr aus. Du wirst sehen! Es wird dir gut tun! Danach wirst du befreit sein. Befreit von deiner Qual und befreit von deiner Mutter, die, ich sage es wieder, dich zu einem Schlappschwanz hat werden lassen!"
Ganz der Stimme verfallen merkte er erst jetzt dass er der jungen Frau mit aller Gewallt die Kehle zudrückte. Sie wehrte sich mit ihren Beinen doch seine Hand schnürte sich immer fester um ihren Hals. Röchelnd starrte sie ihren Gegenüber an. Ein irrer Blick war in seinem entstellten Gesicht zu finden. Sie merkte wie langsam die Kraft aus ihrem Körper wich. Ob sie nun sterben würde? Ein letztes mal bäumte sie sich auf und trat wild mit ihren Beinen auf den Knieenden ein. Schnell holte sie Luft als sich der Griff lockerte um dann gänzlich von ihrem Hals abzustreifen. Sie hustete und rang schwer nach Luft. Ob er wohl gleich wieder zupacken würde, fragte sich die Frau.
Der Mann stand auf und ging langsam zurück zum Fenster. Das Eichhörnchen war verschwunden. Ein greller Blitz glitt über den Horizont und ließ den Wald in einem blauen Licht bedrohlich erscheinen. Mit einem lauten Knall war ihm klar dass das Unwetter nun direkt über ihnen tobte. Schnell fing es an zu regnen. Laut schlugen die Tropfen auf das durchweichte Holzdach. Dem Regen lauschend schaute er aus dem Fenster. Dann konnte er aus dem monotonen trommeln des Regens wieder diese Stimme hören: "Wieso? Was geht nur in dir vor? Willst du es nicht tun? Aber du musst es tun um endlich ein normales Leben führen zu können. Du darfst nicht den gleichen Fehler wie deine Mutter machen. Du darfst nicht schwach werden. Du musst stark sein. Stark wie dein Vater der das beste für dich getan hat. Wenn nicht für dich, dann tue es wenigstens für ihn!"
Als er seine Gedanken von der Stimme gerissen hatte, stand er wieder vor der Frau. Sie hatte sich von seiner Attacke erholt. Tränen rannen über ihre Wangen. Leise stammelte sie die Worte: "Was...was wirst du jetzt mit ...mit mir machen?"
"Ich werde dich für meinen Vater töten, Mutter." sprach er leise.
"Aber wieso? Und warum ... warum Mutter?"
Was stellte diese Frau für Fragen? Das ging sie beim besten Willen nichts an!
"Du würdest es nicht verstehen."
Das würde sie wirklich nicht. Wer konnte schon wissen was in so einem Mann vor geht. Doch sie wollte Zeit gewinnen. So lange leben wie möglich. Die Hoffnung dass man sie finden würde, hatte sie noch nicht aufgegeben.
"Aber ich kenne dich doch nicht einmal."
"Aber du kennst sie und sie war schwach." sprach die Stimme zu ihm.
Wieder erhellte ein Blitz die Umgebung. Und wieder. Er schaute sie an. In ihren Augen war Erleichterung zu erkennen. Ihre vollen Lippen formten ein leichtes Lächeln. Schon wieder dieses blaue Licht eines Blitzes.
"Bist du denn blöd? Hörst du nicht die Sirenen. Das ist die Polizei, verdammt. Dir bleibt nun nicht mehr viel Zeit. Jetzt oder nie. Du musst es vollenden. Du musst sie töten. Du willst doch nicht genau so schwach wie deine Mutter sein. Du willst doch genau so stark wie dein Vater sein! Du musst dich von ihr lossagen. Du musst dich von ihr lösen. Du musst dich von ihrem Griff der dich umklammert befreien! Du musst es tun! Du musst ihr das Leben nehmen um Deines zu retten. Und um deinen Vater zu rächen der so viel für dich getan hat! Nun tu es schon. Sie sind nah und dir bleibt nicht mehr viel Zeit!"

Langsam bückte er sich zu ihr herunter. Die Frau versuchte ihn mit ihren Füßen wegzudrücken. "Hör auf. Es ist vorbei. Sie haben dich. Was hast du davon mich zu töten! Bitte nicht!"
Schrie sie ihren Peiniger an. Sie musste nur noch wenige Minuten durchhallten. Sie musste stark sein. Mit ihrer ganzen Kraft versuchte sie den schreienden Mann auf Distanz zu bringen. Sie würde es schaffen. Sie schwor sich, morgen noch zu leben. Dieser Kerl würde ihr nicht das Leben nehmen.
Wieso war sie plötzlich so stark? Er versuchte ihre Beine mit seinen Händen nach unten zu drücken, doch es gelang ihm einfach nicht. Immer wieder stieß sie so fest mit ihnen zu, dass er ihre Beine einfach nicht richtig zu fassen bekam. Er hörte schon die Autos der Polizei vorfahren. Das durfte nicht wahr sein. Er würde dies vollenden. Er musste es tun. Für sich und für seinen Vater! Laut schreiend und mit aller Gewalt drückt er ihre Beine auf die Matratze.
Sie erschrak als es ihm gelang ihre Beine dingfest zu machen. Seine Hände griffen schnell nach ihrem Hals. Instinktiv holte sie noch einmal Luft.
Die Türen der Autos draußen öffneten sich, und wurden kurz darauf wieder zugeschlagen. Leise Kommandos drangen in die Hütte.
So fest er konnte drückte er der jungen Frau, die er als seine Mutter auserwählt hatte, die Kehle zu.
"Stirb endlich!" schrie er ihr ins Gesicht.
Ihre Augen schienen ihr herauszuspringen. Längst konnte sie nicht mehr richtig sehen. Bunte Kreise vor ihrem geistigen Auge verschleierten ihr den Blick. Sie spürte keine Kraft mehr in ihrem Leib. Langsam fielen ihr die Augen zu.
Na endlich. Jetzt gleich würde sie sterbe, dachte er.
Mit einem lauten krachen schlugen drei Polizisten die hölzerne und modrige Eingangstür der Hütte auf, die gezogenen Waffen auf den wahnsinnigen Mann gerichtet.
"Hände hoch oder wir schießen!" schrie einer der Polizisten.
Er reagierte nicht. Drückte der Frau wie von Sinnen immer noch die Luft ab.
"Lass los verdammt!" schrie einer der Bewaffneten wieder.
"Nein! Nicht loslassen. Vollende dein Werk!" dröhnte die Stimme in seinem Kopf.
Dann traf eine Kugel seine Wade und die Schmerzen raubten ihm fast die Sinne. Seine Hände glitten von ihrem Hals. Starke Hände fesselten die seinen sogleich hinter dem Rücken. Die anderen Beiden, so konnte der Verrückte erkennen, kümmerten sich um die tote Frau. Er lächelte zufrieden. Sein Werk war vollendet. Zufrieden schloss er die Augen. Doch was war das? Ein schweres Husten? Erschrocken schaute er zu der Frau. Ihre Augen waren geöffnet. Wild hustend und nach Luft ringend sass sie da von den Polizisten gestützt. Er hatte versagt. Sein Vater würde ihm das nie verzeihen wenn sie sich in der Hölle wieder trafen.

Schreibt mir doch wie Ihr diese Geschichte findet. Nichts ist mir lieber wie Kritik! Ob positiv odernegativ, egal! Nur her damit.

Dankeschön schonmal ...
Florian Feindel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.01.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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